Noch immer eine Demokratie?
Shulamit
Aloni, Haaretz, 15.11.07
Die Regierung Israels vertritt – bei allem gebührenden Respekt – nicht
das jüdische Volk, sondern die Bürger des Staates Israels, die die Regierung
wählten. Israel ist ein souveräner Staat, der immer noch als eine Demokratie
betrachtet wird. In andern Worten: er ist ein Staat aller seiner
Bürger. Deshalb muss von den Palästinensern
nicht verlangt werden, ihn als einen jüdischen Staat anzuerkennen, weil sonst
jeder, der keine jüdische Mutter hat oder der nicht bei unsern strengen
orthodoxen Rabbinern konvertiert ist, ein Bürger zweiter Klasse ist und dessen
Rechte als Mensch und Bürger nicht abgesichert sind.
Die Juden sind ein Volk,
aber keine Nation; sie sind eine religiöse und ethnische Gruppe oder als ein
Volksstamm anerkannt. Die jüdischen Bürger Großbritanniens, auch die Orthodoxen
unter ihnen sind Briten; so steht es in
ihren Pässen und im britischen Bevölkerungsregister.
Dasselbe trifft für
Frankreich zu; die Juden dort sind Franzosen. In Kanada sind sie Kanadier, in
Holland Holländer. Sie pflegen ihr
jüdisches Leben in ihren Gemeinden, da es in demokratischen Nationen Religionsfreiheit gibt oder die Freiheit,
keiner Religion anzugehören. Wenn die
jüdischen Bürger dieser Länder in ihren
Registern unter der nationalen Kategorie als jüdisch geführt würden, würden wir
sie als Antisemiten bezeichnen.
Es gibt einen Unterschied
zwischen einem Volk, einer Religion und einer Nationalität, da die Nationalität
durch die Staatsbürgerschaft bestimmt wird – ein Volk im Gegensatz zu einer
Nation - deshalb ist Staatsbürgerschaft
gleich Nationalität. Die Verbundenheit eines
Bürgers zum Staat gründet sich auf seine Staatsbürgerschaft und nicht auf seine
Religion. Sie gründet sich nicht auf den Volksstamm oder auf die von der Mutter geerbten Gene.
Wenn sich unter den
Kabinettministern einige befinden, die sich eher jüdisch als israelisch fühlen,
dann ist das ihr Recht und sie können alle religiösen Vorschriften einhalten
und alle Gebete beten. Aber das ist irrelevant in Bezug auf die Verbindungen
des Staates Israel zu seinen Nachbarn.
Da gibt es Leute unter uns,
die gerne wiederholen, dass dies ein jüdischer Staat ist und nicht ein
Staat aller seiner Bürger. Es ist seltsam, dass den Palästinensern gegenüber
die Forderung erhoben wird, dies als Vorbedingung für die Beendigung der
Besatzung anzuerkennen, nachdem etwa 20%
seiner Bürger (die arabischen R.) einen
geringeren Status haben.
In der Vergangenheit war es
eine große Freude, ein Israeli zu sein. Israel war der Vater der Nationen. (?
R). Das Wort „jüdisch“ kommt in keinem Gebet vor. Da heißt es: „Und ich will
die Gefangenschaft meines Volkes Israel wenden.“ Und es gibt das Volk Israel,
das Land Israel, die Thora von Israel,
der Gott Israels und die Tochter Israels, die auch bei den Juden einen
zweitrangigen Platz inne hat.
Der Staat Israel wurde
als ziviler Staat, als Rechtsstaat und nicht als ein Staat der Halacha (jüdisch religiöses Gesetz) von den „Vertretern des
jüdischen Gemeinschaft und der zionistischen Bewegung“ errichtet. Nicht von den
Ultra-Orthodoxen, denen sich die Kabinettminister unterordnen und deren Studenten sie en masse vom
Militärdienst, von der Arbeit und von Steuern befreien, ja ihnen sogar ein
monatliches Gehalt zahlen.
Im Dokument, das die
Staatsgründung festlegt, wurde versprochen, dass es eine „vollkommene
Gleichstellung aller seiner Bürger gibt, ohne Rücksicht auf Ursprung, Rasse
oder Geschlecht“. Und noch eine Erinnerung: am Tag der Unabhängigkeit zündeten
wir 12 Lichter an – die Zahl der Stämme Israels.
Lassen wir die
Kabinettminister sich hier so sehr wie Juden fühlen so viel sie wollen; sollen
sie ihre Stimmen zum Gebet erheben und lassen wir sie die Gebetsriemen anlegen
– sie müssen aber daran denken, dass sie der Regierung Israels dienen, die sich
noch immer als eine demokratische darstellt. Mit anderen Worten: sie sind die
Vertreter aller ihrer Bürger und sind für sie verantwortlich.
Deshalb wäre es besser, von
den Palästinensern die Anerkennung Israels als eines souveränen Staates zu
fordern und sie nicht zu dem zu zwingen,
wozu uns manche Bürger zwingen - zu Religion und ihren Rabbinern.
Die Regelung ( über „jüdische Nationalität“ R.) passte zum katholischen
Spanien der Isabella und des Ferdinand
von Kastilien am Ende des 15.Jahrhundert. Das war, als die Vertreibung (der Juden) stattfand, denn die spanische
Nationalität wurde nur Katholiken gewährt oder denen, die zum
Katholizismus konvertierten.
Wenn es wichtiger ist, ein
Jude zu sein als ein Israeli, warum
verlangen wir dann von den Juden in aller Welt, hierher zu kommen zu einem Zeitpunkt, zu dem sie es in den demokratischen Ländern,
in denen sie als Juden leben, gut haben?
www.haaretz.com/hasen/spages/924251.html
(dt. Ellen
Rohlfs – in Klammer Eingefügtes von der Übers.)