Es kommt darauf an, wer foltert
von Amira Hass , Haaretz
18.9.07
"Aber sieh
doch, was Hamas in Gaza tut", ist die Standardreaktion in der Westbank auf
Berichte von Angriffen der palästinensischen Autonomiebehörde auf Aktivisten
der Hamas. Und von Hamas-Leuten in Gaza kann man noch immer hören, dass
Schlagen von Häftlingen und gewaltsame Untedrückung von Demonstrationen und
Versammlungen Fehleverhalten Einzelner sind, nicht auf Befehl von oben
geschehen, obwohl dieses "Fehlverhalten" weiter vorkommt. Vom "Fehlverhalten Einzelner, im
Widerspruch zur politischen Linie" spricht auch ein leitender Angestellter
der Sicherheitsbehörden der palästinensischen Autonomiebehörde gegenüber
"Haaretz" im Bezug auf Zeugenaussagen über den Gebrauch von Folter bei
Hamas-Häftlingen.
Information
könne man nicht durch Folter bekommen, so der leitende Angestellte. Ihm zufolge hat der palästinensische
Geheimdienst in den letzten zwei Monaten – ohne Folter – viele Einzelheiten
erfahren über die illegale Organisation der operativen Truppen der Hamas in der
Westbank und über deren Absichten, Anschläge gegen Persönlichkeiten der
Autonomiebehörde zu verüben. Nach der Übernahme von Gaza überzeugen die
Dementis der Hamas nicht: Die Organisation ist bekannt für ihre Fähigkeit,
militärische Planung und die Leute, die dahinter stecken, bedeckt zu halten.
Aber wie bei der Verhaftungswelle 1996 greift die Autonomiebehörde da an, 'wo
das Straßenlicht hinscheint', nämlich bei aktiven Zivilisten.
Bei solchen
spiegelbildlichen Vergleichen springt eine Tatsache ins Auge: Die Unterdrückung
und Verletzung grundlegender
Bürgerrechte von Seiten der Hamas in Gaza bekommt große Presse in Israel und der Welt. Ähnliche Aktionen der
palästinensischen Autonomiebehörde in der Westbank – werden verschwiegen.
Nach
Untersuchungen palästinensischer Menschenrechtsorganisationen wurde und wird
bei Verhaftungen von hunderten von Hamas-Leuten bisher auf gröbste Art und
Weise palästinensisches Gesetz verletzt. Diese Verhaftungen wurden auch von
Sicherheitskräften vorgenommen, die dazu nicht ermächtigt sind. Aus Nablus wird
von Sicherheitsleuten berichtet, die in diesen Tagen, im Ramadan, außerhalb der
Moscheen warten, um Hamas-Aktivisten nach dem Abendgebet festzunehmen.
Verstörende Zeugenaussagen mehren sich, die von schwerer Folter bei einem Teil
der Inhaftierten berichten, einige davon mussten im Krankenhaus ärztlich
behandelt werden. Das Spiel heißt: Rache und Einschüchtern. Ein Teil der
Entlassenen berichtet von erzwungenen Unterschriften unter Verpflichtungen,
nichts über die Erlebnisse während der Haft verlauten zu lassen.
Die
Inhaftierungen sind Teil eines komplexen Angriffs: Schießen auf
Hamas-Aktivisten, Anschläge auf Hamas-Büros, einschließlich Brandstiftung,
Bedrohung lokaler Hamas-Repräsentanten in den Gemeinderäten, Bedrohung von
Journalisten und Parlamentsmitgliedern, Eingriffe in die Pressefreiheit
(einschließlich des Verhinderns der Verbreitung zweier Hamas-Zeitungen in der
Westbank). Die meisten dieser Ereignisse sind außer in der Hamas-Presse weder
untersucht noch erwähnt worden; im Ausland und in Israel wurden sie bei weitem
nicht in dem Maß veröffentlicht wie etwa vergleichbare Aktionen der Hamas in
Gaza.
Dieses
Versäumnis hat seine Ursache in der
Politik. Das Vorenthalten von Rechten und Freiheiten, Verhaftungen und
Einschüchtern passen zur Definition der Hamas als islamische
Terrrororganisation, nicht zum anständigen, westlichen Image der Führung in
Ramallah unter der Leitung von Mahmoud Abbas und Salam Fayad. Folgt man der gegenwärtigen
israelischen und amerikanischen Interpretation, sind Abbas und Fayad befähigt,
mit Israel eine "Kompromiss"-Vereinbarung (eher ein
Unterwerfungs-Abkommen) zu erreichen. Das heißt: Zur Vereinbarung eines
Enklaven-Staates, durchtrennt von Siedlungen (oder, alternativ: "eines
Staates mit temporären Grenzen"). Um diesen Eindruck zu bestärken, muss
die Führung Abbas-Fayad als durch authentische palästinensische Strukturen
legitimisiert dargestellt werden, entweder durch die Verfassung der Palästinensischen
Autonomiebehörde, oder durch die historische Legitimation der PLO, der heute
die Inhalte einer Befreiungsbewegung abhanden gekommen sind.
In der Realität
wird die Führung der Autonomiebehörde durch ihre Anpassung an den US-Standard
für annehmbare arabische Regierung legitimiert. Das Ignorieren der
Unterdrückungskampagnen der Autonomiebehörde ist eine Wiederholung alter
Fehler. Es gehört zum Verdrängen der Tatsache, dass die Hamas nicht wegen ihrer
religiös-politischen Vision an Popularität gewann, und dass beide Ursachen für ihren Wahlsieg noch immer bestehen: Die
PLO hat beim Erringen staatlicher Unabhängigkeit versagt, gleichzeitig ist ihre
Regierung von Gleichgültigkeit dem Volk gegenüber und der Wahrung von
Interessen einer dünnen Oberschicht geprägt. Diese dünne Oberschicht verdankt ihre komfortable Situation dem
Festhalten an einer Taktik der mißlungenen Verhandlungen mit Israel um eine
Nicht-Lösung.
(dt.Weichenhan-Mer)