Israel-Palästina Nahost Konflikt Infos
Die dringende Bitte einer Jüdin ( A Jewish Plea)
Sara Roy - Wochenendausgabe von Counterpunch,
7./8. April 2007-04-11
Während des Sommers nahmen mein Mann und ich an einer
Konversionsfeier unserer Adoptivtochter Jess teil. Wir nahmen sie mit zur Mikweh,
einem jüdischen Ritualbad, wo sie in
einem Bad mit sprudelndem Wasser total
untertauchen musste …Dieser Ritus der Reinigung, Umwandlung und Wiedergeburt
ist im Judentum etwas sehr Zentrales und bedeutet Erneuerung und neue
Möglichkeiten.
Der Tag dieser Feier war gleichzeitig der Tag, an dem
Israel seine gnadenlose Bombardierung des Libanon begann und einen fast drei
Wochen langen gewalttätigen Angriff auf den Gazastreifen anfing, einem Ort, der
mir in den letzten beiden Jahrzehnten zur zweiten Heimat geworden war. Diese
schmerzvolle Nebeneinanderstellung von Wiedergeburt und Zerstörung wird uns in
Erinnerung bleiben, uns auf immer schwer belasten. Doch das
Verbindungsglied, das tief in uns als
Juden liegt – zwischen Judentum und Zionismus – eine Verbindung, die ich
nie unkritisch akzeptierte, sondern als historisch unvermeidbar und
verständlich begriff, ist nun für mich zerbrochen.
Anders als in vergangenen Konflikten, in die Israel,
das palästinensische und andere arabische Völker mit einander verwickelt waren,
ist dieser qualitativ anders - ein
Wendepunkt – nicht nur hinsichtlich der Art und Weise, wie Israel reagierte: seine Bereitschaft zu
zerstören (und dies gründlich) aber auch hinsichtlich der praktisch
unqualifizierten Unterstützung der organisierten amerikanischen Juden für
Israels brutale Aktionen. Das war für mich zwar nicht neu, aber nun war es für
mich unerträglich geworden.
Ich wuchs in einer Familie auf, in der das Judentum
nicht so sehr als Religion definiert und praktiziert wurde, sondern als ethische und kulturelle Haltung. Gott war
gegenwärtig aber nicht zentral. Israel und die Vorstellung einer jüdischen
Heimat waren für meine Eltern, die Auschwitz, Chelmo
und Buchenwald überlebten, sehr wichtig. Aber anders als viele ihrer Freunde,
waren meine Eltern gegenüber Israel nicht unkritisch. Gehorsam gegenüber einem
Staat war ursprünglich kein jüdischer Wert, besonders nicht nach dem Holocaust.
Das Judentum lieferte den Kontext für jüdisches Leben, für Werte und
Überzeugungen, die nicht an nationale und territoriale Grenzen gebunden sind,
sondern darüber hinaus auch den andern einschlossen, immer auch den anderen. Für meine Mutter und meinen
Vater bedeutete Judentum Zeugnis ablegen, gegen Ungerechtigkeit ankämpfen und
sich weigern zu schweigen. Es bedeutete für sie Mitleiden, Toleranz und Hilfe
gegenüber Hilfsbedürftigen. Wenn das nicht mehr vorhanden ist – so lehrten sie
mich – hören wir auf, Juden zu sein.
Viele Leute, jüdische und andere, die über
Palästinenser und Araber schreiben, versäumen, die grundsätzliche
Menschlichkeit des Volkes zu akzeptieren, über das sie schreiben; es ist ein
Mangel, der sich aus Ignoranz, Angst und Rassismus ableitet. Besonders
innerhalb der organisierten jüdischen Gemeinschaft war es immer unakzeptabel zu
behaupten, dass Araber, besonders Palästinenser, genau wie wir sind, dass auch
sie im Wesentlichen Menschlichkeit haben und in unsere moralischen Grenzen
eingeschlossen werden müssen. Man müsse damit aufhören, sie als eine „Art
Lösung“ zu betrachten , als nützlichen, aber feindlichen „anderen“, wie
Eduard Said sagte.
….
Warum ist es so schwierig, ja unmöglich, Palästinenser
und andere Araber in das jüdische Geschichtsverständnis mit einzubeziehen? …
Warum ist es unter jüdischen Intellektuellen praktisch Pflicht, gegen
Rassismus, Unterdrückung und Ungerechtigkeit fast überall auf der Welt
einzutreten und inakzeptabel – ja, für einige ein Akt der Häresie – genau gegen all dies zu sein, wenn Israel der
Unterdrücker ist. Für viele unter uns hängen Geschichte und Erinnerung eng
zusammen. Dies behindert weiteres
Nachdenken: der Feind wird dann nicht zu einem Volk, das besiegt werden muss,
sondern wird zu einer Idee, ausgelöscht zu werden. ( nach Northrop
Frye).
Was passiert mit dem anderen, wenn wir, ein
gebrochenes und erschöpftes Volk, ihn fortwährend misshandeln und ihn zum Feind
machen, den wir jetzt benötigen….Was geschieht mit einem Volk, wenn sich in
ihm Erneuerung und Ungerechtigkeit stürmisch mit einander verbinden?
Ein neuer Diskurs des Unbewussten
Wir sprechen
gnadenlos und sind taub gegenüber dem Schmerz des anderen: Unsere Worte
sind z.B. wie die folgenden:
„… wir dürfen
den wichtigsten Aspekt dieses Krieges nicht vergessen: die Hisbollah und wofür
diese Terroristenorganisation steht, muss um jeden Preis vernichtet werden .. was geht uns die Zukunft der Shiitenstadt
Bint Jbeil an? .. Uns hat nur die Zukunft und die Sicherheit des Staates
Israel zu interessieren“ (Zeev Schiff,
Militäranalytiker bei Haaretz)
„…Wir müssen die Dörfer im Süden zu Staub machen…“
„Ich weiß nicht, warum es dort noch Strom gibt?“ „Jeder im südlichen Libanon
ist ein Terrorist und mit Hisbollah verbunden..“ (Haim Ramon, Justizminister)
„Ein Ort von dem Raketen auf Israel abgeschossen werden, muss durch
Feuer zerstört werden.“ (Yedioth Ahronoth).
„Für jede Katyusha auf
Haifa, müssen 10 Gebäude in Beirut bombardiert werden (Dan Halutz).
Israels stellvertretender Ministerpräsident Ely Yishai schlägt vor, den südlichen Libanon in einen
„Sandkasten“ zu verwandeln und Mosche Sharoni schlägt
die Vernichtung des Gazastreifens vor. …
Viele von uns, vielleicht die meisten, haben erklärt,
dass alle Palästinenser und Libanesen Feinde sind, die die Existenz Israels und die des jüdischen
Volkes bedrohen. Deshalb ist jeder, den wir töten, jedes Haus, das wir
zerstören, ein legitimes militärisches Ziel. Terrorismus ist ein Teil ihrer
Kultur und wir müssen unsere Fähigkeit der Abschreckung verstärken. …
Bei uns werden Mitleid und schlechtes Gewissen als
Schwäche ausgelegt; punktuelle Angriffe werden als Zurückhaltung und Höflichkeit angesehen und
augenblickliche Feuerpausen als Akte der Menschlichkeit und Freundlichkeit.
„Verlasst euer Haus, wir werden es zerstören“ Ein paar Minuten später ist wieder ein Haus im Gazastreifen zerstört. Die
Warnung macht – wenn auch nicht sie –
doch uns gut und sauber. Gibt es eine bessere Illustration für unsere Moral? Es
ist doch eine humane Geste, wenn man die Leute auffordert, das Haus zu
verlassen, kurz bevor es zerstört wird?
Unsere Warnung hat noch einen Zweck: sie machen unsere
Aktionen legitim. Und unser Wunsch nach Rechtmäßigkeit ist grenzenlos. …Wenn
Legitimität noch nicht gewährt wird, dann muss sie eben geschaffen werden. Dies
erklärt Israels Obsession mit Gesetzen und Legalitäten, um uns selbst
abzusichern, dass alles legal ist. Um etwas erlaubbar
zu machen, werden Lizensen erweitert. Auf diese Weise
versichern wir uns, dass wir moralisch
in Ordnung sind. Ein Stück Papier genügt.
Können Juden gegen
Folgendes opponieren: gegen Tyrannei, Unterdrückung, Besatzung,
Ungerechtigkeit? Nein, wir wehren uns nicht mehr gegen diese Dinge. Für zu
viele von uns sind sie nichts Übles mehr, sondern notwendig und gut. Wir können
nicht mehr ohne sie leben. Was macht das aus uns? Wenn wir uns selbst
ansehen, was sehen wir: einen
Nicht-Juden, ein Kind, dessen Leid wir problemlos verursacht haben, ja, dessen
Tod gefordert wird…
Was sehen wir jetzt: ein Volk, das Vergnügen daran
findet, andere zu hassen. Hass ist uns vertraut, wie kaum etwas anderes. Wir
verstehen ihn, und es ist sicher. Es ist das, was wir kennen. Wir fürchten
unsere eigene Entstellung nicht – sehen und erkennen wir sie überhaupt? – wir fürchten nur den Verlust unserer
Abschreckungsmacht. Unsere Pathologie liegt in unserm Bemühen, moralisch zu
sein, was wir nicht mehr sind. Wir werden nicht mehr verfolgt, verfolgen aber
andere.
Wir sind weit entfernt von der denkenden Welt –
brillant ignorant, blind visionär,
unfähig von innen her zu widerstehen. Wir leben an einem unveränderlichen Ort,
an dem es keine Jahreszeiten gibt und keine Überlegung, keine Normalität, kein
Wachstum und vor allem – es gibt keinen anderen. Immer noch ein Ghetto, aber
anders als vorher – wir haben es uns selbst geschaffen.
Unsere Geschichte ist eine von Siegen und Niederlagen.
Was bedeutet es zu siegen? Bombardierte
Autos - noch immer mit weißen
Flaggen am Fenster. Mehr Tote und
verstümmelte Leichen von alten Leuten und Kindern überall in den verwüsteten Dörfern Ein ganzes Land
kriegsversehrt und zerbrochen. Ein nicht
endender Krieg? Dies ist unser Sieg, unser Ziel, dem wir applaudieren. Unserer
Verfolgung wurde nun die von anderen hinzugefügt…
Ihr Leiden können wir leicht ignorieren, sie von ihren
Lebensmitteln abschneiden, auch vom Wasser, vom Strom und der Medizin, wir können ihr Land
konfiszieren, ihre Ernte zerstören, den Aus- und Weggang verhindern --- ihnen
die Luft nehmen. Wir schweigen. Rassismus erlaubt uns nicht, in den Arabern
Menschen, wie wir es sind, zu sehen. Es
macht uns wütend, wenn wir sehen, dass sie trotz Schwäche nicht versagen – und
wir trotz unserer Stärke versagen.
Unserer Ansicht nach sind wir die einzigen Opfer, verwundbar und traumatisiert. ….
Können wir uns jemals von der Möglichkeit unserer
Macht zu zerstören abwenden? Hier möchte
ich eine Geschichte aus meiner Familie erzählen, die einen Augenblick
schildert, die mich für all mein Arbeiten und Schreiben inspiriert hat:
Meine Mutter und meine Schwester hatten gerade die
Befreiung des Konzentrationslagers durch die russische Armee erlebt. Nachdem
alle Nazi-Angestellten und KZ-Wächter von den Russen gefangen genommen worden
waren, sagten die Russen zu den KZ-Insassen,
sie könnten nun mit den deutschen Tätern tun, was sie wollten. Viele
Überlebende, ausgezehrt und kaum noch am Leben, fielen wütend über die Deutschen her. Meine Mutter und meine Tante standen nur wenige Meter von
dieser schrecklichen Szene entfernt, die sich vor ihnen abspielte. Sie fielen
einander in die Arme und weinten. Meine Mutter, die die physisch stärkere von den beiden war, umarmte meine Tante, die
kaum mehr stehen konnte, und hielt sie fest. Sie sagte zu meiner Mutter: „Das
können wir nicht tun. Unsere Eltern würden sagen, dass dies nicht recht wäre,
auch nicht nachdem, was wir durchgemacht haben. Wir müssen uns um Gerechtigkeit
bemühen, und nicht Rache nehmen. Es gibt keinen anderen Weg.“ Meine Mutter küsste ihre Schwester und beide
drehten sich um und gingen weg.
Wo liegt die Quelle unsrer Erlösung und unserer
Errettung? Sie liegt letztlich in unserer Bereitschaft, den anderen
anzuerkennen – das Opfer, zu dem wir es gemacht haben – Palästinenser,
Libanesen und auch Juden – und auch die Ungerechtigkeit eingestehen, die wir
ausgeübt haben. Vielleicht können wir dann eine gerechtere Lösung finden, bei der wir versuchen, normal
zu sein, um auch endlich zu der Erkenntnis zu kommen, dass es nicht
unsere einzige Hoffnung ist, in unsern Häusern friedlich zu sterben, wie es ein
Zionist vor langer Zeit einmal sagte, sondern
in diesen Häusern friedlich zu
leben.
Als meine Tochter Jess in
der Mikweh zum dritten und letzten Mal untertauchte,
sah sie unter Wasser einen Regenbogen.
Dieses wunderschöne Bild möchte ich als ein Zeichen ihrer Wiedergeburt
nehmen -- und bete verzweifelt auch um
eine Wiedergeburt unseres Volkes.
Sara Roy, eine anerkannte Wissenschaftlerin im Zentrum
für Nahöstliche Studien an der Harvard-Universität. „A Jewish Plea“ wird veröffentlicht
in „The War on Lebanon: A Reader.“ Im Frühling 2007.Interlink Publishing
Autorin des Buches :
„Gaza Strip – The Political Economy of
De-Development”, 1995
(dt. und stark gekürzt: Ellen Rohlfs)