Howard Zinn (Counterpunch,
17.12.07)
Dieser Aufsatz ist die
Einführung zu einer Sammlung von Zeichnungen/ Bildern, die die Geschichte der
Bombardements illustriert: „Bombe um Bombe – eine Kartographie der Gewalt“ von
Elin O’Hara Slavik. Sie ist Professorin für Kunst an
der Universität von North –Carolina.
Vielleicht passt es, dass
Elin O’Hara Slavics
außergewöhnlicher Heraufbeschwörung der Bombardements durch die
USA-Regierung ein paar Worte von einem Bombardier vorausgehen, der im Auftrag
der USA-Luftwaffe im 2. Weltkrieg
Bombardements durchführen musste. Mindestens einem ihrer Zeichnungen
liegt ein Bombardement zugrunde, an dem ich Ende des Krieges teilgenommen
hatte: die Zerstörung des französischen Seebades Royan
an der Atlantikküste.
Als ich mir ihre Bilder
ansah, wurde mir schmerzlich bewusst, wie ignorant ich war, als ich diese
Bomben auf Frankreich und auf Städte in
Deutschland, Ungarn, die Tschechoslowakei
fallen ließ, was die Auswirkungen dieses Bombens auf Menschen betraf.
Nicht weil sie uns blutige Leichen, amputierte Glieder, von Napalm zerstörte
Haut zeigt. Das tut sie nicht. Aber ihre Gemälde zwingen mich – in einer Weise,
die ich nicht erklären kann – mir diese Szenen vorzustellen.
Ich bin sprachlos, wenn ich
daran denke, dass und wie wir die „zivilisierten“ Nationen, Städte und Gegenden
und Inseln seit 100 Jahren bombardiert
haben. Doch hier in den USA, die meistens dafür verantwortlich sind, versteht
die Öffentlichkeit - auch ich - nicht, was die Bomben den Menschen antun.
Dieser Mangel an Phantasie – so glaub ich – ist
wichtig, um zu erklären, warum wir immer noch Kriege haben, warum wir
das Bombardieren als ein gewöhnliches Begleitprogramm unserer Außenpolitik
haben – ohne Horror und Empörung.
Wir (Amerikaner) in diesem
Land haben nicht wie die Menschen
Europas, Japans oder Afrikas oder im Nahen Osten oder der Karibik die
Erfahrung gemacht, bombardiert zu werden. Deshalb waren wir, als die
Zwillingstürme in New York am 11.9.
explodierten, so schockiert und konnten
es nicht fassen. Das änderte sich schnell: unter dem Einfluss der
Regierungspropaganda kam es zu einer gefühllosen Billigung von Bombardements in
Afghanistan. Man war nicht in der Lage, die Leichen von Afghanen als ein
Pendant zu den Toten von Manhattan zu sehen.
Man sollte denken, dass es
wenigstens denjenigen in der US-Luftwaffe, die die Bomben auf die zivile
Bevölkerung abwerfen, bewusst ist, was für einen Terror sie ausüben; aber als
einer von diesen kann ich bezeugen, dass dem nicht so ist. Wenn man Bomben aus
über 5000m Höhe abwirft, konnten weder ich noch meine Mannschaft sehen, was auf
dem Boden geschieht. Wir konnten keine Schreie hören und kein Blut sehen, auch
nicht die zerfetzten Leichen, die abgerissenen Glieder. Drum ist es kein
Wunder, wenn wir zusahen, wie Flieger
einen Auftrag nach dem andern ausführten – anscheinend unberührt von Gedanken,
was sie anrichten.
Es war erst nach dem Krieg,
als ich John Herseys Interviews mit japanischen
Überlebenden von Hiroshima las, wie sie beschrieben, was sie durchgemacht
haben, dass mir in unerträglichen
Details bewusst wurde, was meine Bomben anrichteten. Dann sah ich weiter. Ich
erfuhr von dem Bombardieren mit den Brandbomben von Tokio im März 1945, bei dem
vielleicht 100 000 Menschen starben. Ich erfuhr vom Angriff auf Dresden und dem Feuersturm, der 80 000 bis 100 000
Bewohnern Dresdens das Leben kostete. Ich erfuhr von den Bombardements
Hamburgs, Frankfurts und anderer Städte in Europa.
Wir wissen jetzt, dass
vielleicht 600 000 Männer, Frauen und Kinder bei den Bombardements in Europa
starben. Und eine etwa gleiche Zahl starb bei den Bombardements in Japan. Was
kann solch ein Blutbad rechtfertigen? Ein gewonnener Krieg gegen den
Faschismus? Ja, wir haben gewonnen. Aber was haben wir gewonnen? War es eine
neue Welt? Ist der Faschismus mit seinem
Rassismus, mit dem Militarismus, sind Hunger und Elend aus der Welt
verschwunden? Trotz der edlen Worte in der UN-Charta über das Ende der Geisel des Krieges – haben wir keine
Kriege mehr?
So erschreckend der Verlust
an Leben war – so hat man doch das Töten von unschuldigen Menschen nach Ende
des 2. Weltkrieges weiterhin gerechtfertigt. Die USA bombardierten Korea mit
mindestens 1 Million toten Zivilisten,
dann Vietnam, Kambodscha, Laos mit nochmals 1 oder 2 Millionen Toten. Der „Kommunismus“ war die
Rechtfertigung. Aber was haben diese Millionen Opfer denn von Kommunismus oder
Kapitalismus oder irgend
einem anderen Ismus gewusst, der den Massenmord deckte?
Wir haben genug Erfahrungen
mit den Nürnberger Tribunalen gegen die Naziführer, mit den von den Alliierten
durchgeführten Bombardierungen, mit den Foltergeschichten aus dem Irak, um zu
wissen, dass gewöhnliche/ normale Menschen mit einem normalen Gewissen unter
Druck ihrem Gefühl für Anständigkeit
erlauben werden, einer Autorität zu gehorchen. Es ist deshalb an der Zeit, die
kommende Generation zum Ungehorsam gegenüber der Autorität zu erziehen, ihr zu
verstehen helfen, dass Institutionen wie Regierungen und Gesellschaften nur aus
Eigeninteresse handeln, dass die Interessen der Mächtigen gegen die Interessen
der meisten Menschen laufen.
Das Aufeinandertreffen von
Regierungs-Interessen auf das der Bürger wird durch Phrasen vertuscht, die
vorgeben, dass im Staat alle ein gemeinsames Interesse haben und so werden
Kriege angezettelt, und Bomben fallen aus „Sicherheitsgründen“, wegen
„nationaler Verteidigung“ und aus „nationalem Interesse“.
Patriotismus wird als
Gehorsam gegenüber der Regierung definiert, wobei der Unterschied zwischen
Regierung und Bevölkerung verwischt wird. So werden Soldaten dahin gebracht, zu
glauben, dass „wir für unser Land kämpfen“, auch wenn sie im Grunde nur für die Regierung kämpfen –
einer künstlichen Entität, die völlig anders ist als die Bevölkerung des Landes
– und die tatsächlich eine Politik verfolgt, die für das eigene Volk gefährlich
ist.
Meine eigenen Überlegungen
nach den Erfahrungen als Bombenwerfer und meine Untersuchungen der Kriege der
USA haben mich zu bestimmten Schlussfolgerungen über den Krieg und das Abwerfen von Bomben, was zur modernen
Kriegsführung gehört, geführt:
1. Die Mittel der Kriegsführung ( Zerstörungsbomben,
Streubomben, Weiße Phosphorbomben, Atom-Waffen, Napalm) sind in ihren
Auswirkungen gegenüber Menschen so fürchterlich, dass Krieg nicht
gerechtfertigt werden kann – egal wie positiv das politische Ende oder wie
bösartig ein Feind auch sein
mag..
2. Die Schrecken
der Mittel sind sicher – unsicher aber, was durch den Krieg erreicht
wird.
3. Bombardiert man das Land eines Tyrannen, tötet man nur
die Opfer des Tyrannen.
4. Krieg vergiftet die Seele eines jeden, der an ihm teil
nimmt – sodass die meisten normalen
Menschen
schrecklicher Taten fähig werden.
5. Da die Anzahl der zivilen Tote im Verhältnis zu
militärischen Toten mit jedem weiteren
Krieg stark gestiegen ist ( 10% zivile Tote im 1. Weltkrieg; 50% im 2.Weltkrieg; 70% in Vietnam, 80-90% in
Afghanistan und Irak) und da der größte
Teil dieser Zivilisten Kinder sind, ist der Krieg unvermeidlich ein Krieg gegen
Kinder.
6. Wir können nicht behaupten, dass es einen moralischen
Unterschied gibt zwischen einer Regierung, die Bomben abwerfen lässt und
unschuldige Menschen tötet, und einer terroristischen Organisation, die
dasselbe tut. Das Argument dagegen lautet: dass Tote im ersten Fall zufällig
sind, während sie beim zweiten Fall
absichtlich wären. Doch ist es irrelevant, ob der Bomben abwerfende
Pilot nicht absichtlich unschuldige Menschen tötet – es ist unvermeidlich, da
das Bomben willkürlich ist. Selbst wenn
die Bomberausrüstung derart raffiniert ist, dass der Pilot ein bestimmtes Haus,
ein bestimmtes Fahrzeug gezielt treffen
kann, ist er nie sicher, wer alles im Haus oder im Fahrzeug ist.
7. Krieg und das Bombardieren, das einen Krieg begleitet,
ist der schlimmste Terrorismus; denn Regierungen können über Mittel der
Zerstörung mit viel größerer Bandbreite befehligen, als jede Terroristengruppe.
Diese Betrachtungen führten
mich dahin , dass wenn wir uns um menschliches Leben
sorgen, um Gerechtigkeit, um gleiche Rechte für alle lebenden Kinder, dann
müssen wir entgegen allem, was uns von Autoritäten gesagt wird, uns
verpflichten, gegen jeden Krieg zu sein.
Wenn die Gemälde von Elin
O’Hara Slavick und die sie begleitenden Worte uns
dahin bringen, über den Krieg nachzudenken – vielleicht in einer Weise, wie wir
es nie zuvor taten – dann sind sie ein
massiver Beitrag für eine friedliche Welt.
(dt. Ellen Rohlfs)