Redemanuskript Evelyn Hecht-Galinskis anlässlich der
PAX CHRISTI-Diözesanversammlung in der Ehemaligen Synagoge
Freudental bei Bietigheim-Bissingen,
am 5. Oktober 2007
ich denke, mit diesem
Begriff ist Wesentliches bezeichnet, was uns verbindet. Vielen Dank für die Einladung
und die Gelegenheit, heute vor Ihnen meine Standpunkte darlegen zu können und
hoffentlich rege mit Ihnen diskutieren zu dürfen.
Lassen Sie mich zuerst mein
Bedauern über die hier kürzlich geschehenen Grabschändungen ausdrücken. Leider
wird es immer wieder solche nazistischen Übergriffe geben, jetzt auch in
Israel!, solange dieser braune Sumpf nicht trocken gelegt ist, wo immer er
auftritt. Aus eigener Erfahrung kann ich berichten, dass auch das Grab meines
Vaters, d.h. die Grabplatte, mit einer Rohrbombe zerstört wurde. Auch dieser
Vorfall wurde nicht aufgeklärt. Im Gegenteil: die Staatsanwaltschaft stellte
überraschenderweise nach 6 Wochen die Ermittlungen ein. Für mich zeigt dieser
traurige Vorfall nur, warum auch das NPD-Verbot immer wieder zum Scheitern
verurteilt ist.
Das ist der wirkliche Antisemitismus, ganz im Gegensatz
zum vermeintlichen, der uns Kritikern von Israels Vorgehen unterstellt wird.
Darum lasse ich mich von Nichts und Niemandem von meinen moralischen Verpflichtungen
abbringen!
Ich komme aus einem
liberalen Elternhaus deutsch-jüdischer Tradition, säkular geprägt. Auf jeden
Fall so „normal“ erzogen, dass es mir niemals Schwierigkeiten bereitete, meine
Meinung zu äußern.
Auch ich hörte immer nur die
mystifizierende Geschichtsschreibung Israels, des „Unabhängigkeitskrieges“ 1948
und den Kampf des „kleinen David gegen den feindlichen Goliath“. Aber, die
gezielte
Vertreibung, die Zerstörung
der palästinensischen Dörfer, die Missachtung palästinensischen Daseins, all
das wurde immer nur als Selbstverteidigung gerechtfertigt.
Das schlimmste Schimpfwort
in Israel ARABER, das schlimmste
Schimpfwort in Deutschland ANTISEMIT,
oder für jüdische Deutsche JÜDISCHER ANTISEMIT oder JÜDISCHER SELBSTHASSER . Alle diese Bezeichnungen werden zu Unrecht
gebraucht um jegliche Kritik an Israel schon im Keim zu ersticken. Gerade das
aber erzeugt Unverständnis, Hass und Antisemitismus.
Für mich persönlich zeigen
diese Angriffe nur die Schwäche der Protagonisten dieses Systems der Unterdrückung,
die mit derartigen Attacken nur versuchen, ihr eigenes Handeln zu vertuschen.
Daher ist es gerade in
Deutschland Pflicht, dieses Unrecht tag-täglich, begangen in Palästina, anzuprangern.
Das Schweigen in Deutschland muss ein Ende haben.
Auch die Bundesregierung
macht sich mitschuldig an diesen Verbrechen.
Es ist unser Aller Pflicht, dem israelischen Staatsterror entgegen zu treten.
Das heißt auch, offen und deutlich auszusprechen, dass die bloße Anwesenheit
der Palästinenser den israelischen Gebietsansprüchen im Wege steht. Das aber
ist für uns auf keinen Fall hinnehmbar.
Während endloser angeblicher
Friedensgespräche geht der Siedlungsbau massiv weiter. Die Zahl der Siedler
beträgt mittlerweile schon 476.000, d.h. man hat über Jahre hinweg besiedelt
und man tut es weiter, entgegen dem Völkerrecht!
Der hoch gepriesene
Friedensnobelpreisträger und jetziger Staatspräsident, Simon Peres, einer der
Urväter des Siedlungsbaues und der „Vater der israelischen Atombombe“, darf
hier weiter mit seiner nach ihm genannten Stiftung für das „arme Israel“ Gelder
sammeln --- für den hoch aufgerüsteten
Staat im Nahen Osten.
Von wem werden diese
Benefiz-Veranstaltungen u.A. ausgerichtet?
Von den Söhnen der Arisierer
und Medienmogulen, wie zum Beispiel dem Burda-Konzern. Die unheilvolle Allianz
von Medienkonzernen mit Israel und dem Zentralrat der Juden in Deutschland
dient dem Nutzen beider: hier eine Millionenspende für Israel und auf der anderen
Seite, z.B., ein Hubert-Burda-Saal im Münchner Gemeindezentrum, „zu Ehren“ des
edlen Spenders, wie auch die Vergabe von Namens- Lehrstühlen und
Ehrendoktortiteln israelischer
Universitäten an deutsche Politiker, die danach kritiklos die Politik Israels unterstützen.
In dasselbe Schema passt die
Verleihung des Titels „Weltstaatsmann“ an die Bundeskanzlerin, kürzlich in New
York von einer so genannten „Interreligiösen Gruppe“ – Stiftungsgründer Rabbi Arthur
Schneier, Laudator Henry Kissinger.
Laut der Rede Frau Merkels
vor der UNO-Vollversammlung ist das Existenzrecht Israels deutsche
Staatsraison. Wenn schon, dann geht es um das Existenzrecht der Palästinenser, denn Israel existiert bereits, von
160 Staaten der Weltgemeinschaft anerkannt. Offensichtlich geht es heute um die
Zementierung der israelischen Expansion, Vertreibung und Unrechtspolitik im Bewusstsein
der deutschen Öffentlichkeit - dies unter Mithilfe der Bundesregierung, die
sich völlig dem Einfluss der Vereinigten Staaten und Israels untergeordnet hat.
Dazu gehört ebenfalls das
Einschüchterungs-Ritual anlässlich jedes offiziellen Besuches jeder deutschen
Persönlichkeit in Jad Vaschem als ständigen
Pflichtbesuch unter Missbrauch der Opfer für politische Zwecke.
Tatsächliche Überlebende jedoch werden vom eigenen Staat derart schäbig
behandelt, dass sich inzwischen viele von ihnen dazu entschlossen haben, ihren
Lebensabend menschenwürdiger in Deutschland zu verbringen – nach Jahrzehnten enttäuschter
Hoffungen in Israel.
Wer denkt bei uns eigentlich
an das Schicksal der früher für das Land so bedeutsamen palästinensischen
Christen?
Von um die 20 Prozent christlicher Palästinenser
blieben, um dem von der Besatzung erzeugten Elend zu entkommen, nur noch unter
2 %!
Muss unsere Sorge darüber hinaus nicht auch
den über 11.000 Palästinensern, darunter zahlreiche Frauen und Kinder in israelischen
Gefängnissen, größtenteils ohne Anklage und Gerichtsbeschluss, gelten?
Wir alle wissen um die
unheilvolle Wirkung einer Mauer. Darum sollte unsere Aufmerksamkeit auch den
Menschen und Familien gelten, den so genannten „Mauer-Leuten“, denen durch die
illegale Annexionsmauer dauerhaft die Lebensgrundlage genommen wurde.
Aufgrund ständiger
Interventionen und Pressionen der Israel-Lobby wird es für kritische Stimmen
immer schwieriger, in der medialen Berichterstattung Gehör zu finden.
Ich möchte Ihnen hier ein
persönliches Beispiel nennen: Nach meinem zweiten Israel-kritischen Interview
im Deutschlandfunk, in dem ich die katholischen Bischöfe gegen ungerechtfertigte
Angriffe verteidigte, erfuhr ich durch einen mir zugespielten Brief des Arno Lustiger
an den Intendanten des Deutschlandradio Ernst Elitz, in dem Lustiger mich als
Vertreterin einer „Einzelmeinung einer
Minderheit“ bezeichnete, die, „bitteschön, nicht mehr im DLF interviewt
werden solle“. Daraufhin schrieben Professor Alfred Grosser aus Paris, Peter
Vonnahme, Prof. Fanny Reisin und Andere an den Intendanten einen Protestbrief,
der bei allen bis heute unbeantwortet
blieb.
Arno Lustiger hatte schon
eine unrühmliche Rolle gespielt, zusammen mit führenden Mitgliedern der Jüdischen
Gemeinde Frankfurts und des Zentralrats und Mitgliedern von „honestly concerned“
--- bei der geplanten Buchvorstellung von Rupert Neudecks Buch „Ich will nicht
mehr schweigen“ in Frankfurt am Main: ICH WILL NICHT MEHR SCHWEIGEN! - Das
sollte auch unser Motto sein!
Der selbe Lustiger wird am
kommenden Montag im Bundestag auf Einladung der Vizepräsidentin des
Bundestages, Frau Petra Pau („Die Linke“) ein Buch des
Honestly-Concerned-Autors Sascha Stawski und Prof. Schöps vom Berliner Moses-Mendelsohn-Zentrum
„Neuer Alter Judenhass“ vorstellen. Auch hier erweist sich die offensichtlich
erfolgreiche Strategie der
Israel-Lobby, Einfluss auf alle Parteien und
gesellschaftlich relevante
Gruppen auszuüben.
Das geht gelegentlich so
weit, dass Israel-Kritiker, wie die israelische Menschenrechtsanwältin und
Trägerin des „Alternativen Nobelpreises“, Felicia Langer derart persönlich
diffamiert werden, dass es ihnen nur möglich ist, unter Polizeischutz aufzutreten.
Im Gegensatz dazu werden
„politisch korrekte“ Islamophobe und gefährliche Brandstifter wie H.M. Broder
mit dem Ludwig-Börne-Preis oder Ralph Giordano mit dem Heinrich-Heine-Preis
belohnt. Mit solchen falschen Signalen zündelt man an einer Zeitbombe, indem
man Moslems grundsätzlich mit Terroristen gleichsetzt und alles, was
Israel tut, heroisiert.
Mich macht ganz besonders
die Sprachmanipulation in unseren Medien betroffen:
-
Palästinenser = Terroristen,
-
Israeli = Selbstverteidiger
-
Widerstandskämpfer = Terroristen
-
Israelische Armee = „saubere“ Armee
-
Zionismus = Patriotismus
-
Gute Israeli - Böse Araber
-
Israeli werden ermordet, Palästinenser werden getötet
-
Außergerichtliche Hinrichtungen von Palästinensern sind
gezielte Tötungen,
-
Palästinenser gelten immer als schuldig, weil sie „Terroristen“ in ihrer Nähe
dulden
-
sollte aber die „humanste Armee der Welt“ Kollateralschäden anrichten, d.h.
„aus Versehen“ Kinder töten, von denen man vermutete, sie planten
Selbstmordattentate, folgt ein Bedauern, mehr nicht!
-
IDF = Israel Defence Forces (....Verteidigungsarmee!---)
Und das sind nur einige Beispiele für die Gehirnwäsche,
der
wir täglich unterzogen werden.
Durch mein jetziges
Engagement habe ich auch Einblicke gewonnen, die ich nie für möglich gehalten
hätte!
Deutsche
Auslandskorrespondenten werden in Israel massiv von oberster Stelle unter Druck
gesetzt, d.h. es wird ihnen mit Repressalien gedroht, die auch vor persönlichen
Diffamierungen nicht zurückschrecken, damit sie nicht mehr über die Wahrheit
berichten, sondern sich an staatliche Presseerklärungen halten.
Was, werden Sie mich nun
fragen, können wir Europäer, wir Deutsche tun? Ich, zum Beispiel, achte bei
meinen Einkäufen akribisch darauf, keine als „israelisch“ deklarierten Waren,
die aber in Wirklichkeit aus den illegal besetzten Gebieten stammen, zu kaufen.
Wie Sie wissen, ist der Siedlungsgüterexport „made in Israel“ ein Kernproblem
des Nah-Ost-Konfliktes. So, wie die „Jüdische Stimme“ im August erfolgreich vor
der Berliner Kaufhof-Niederlassung anlässlich der „Kaufhof-AG-Israel-Wochen“
gegen das Unterlaufen des internationalen Freihandelsabkommens Israel-EU
protestierte und damit viele Menschen wach rüttelte, können wir alle gegen unrechtes
Handeln protestieren und ein Zeichen setzten.
Ein anderes, sehr großes
Problem liegt mir am Herzen: während des letzten Libanon-Krieges warf die israelische
Luftwaffe noch in den letzten Stunden der Kampfhandlungen, als der Waffenstillstandstermin
der UNO längst bekannt war, mehr als eine Millionen Streubomben ab und machten
damit einen ganzen Landstrich für Jahrzehnte nahezu unbewohnbar. Da frage ich
Sie, wie lange wollen wir es noch hinnehmen, wenn Israel ständig Zerstörungen anrichtet,
mit dem bewussten Ziel der verbrannten Erde, weil Israel genau weiß, dass wir
klaglos zahlen. Gilt nicht auch hier das allgemein gültige Verursacherprinzip?
Wer den Schaden anrichtet, hat für dessen Beseitigung zu sorgen!
Ganz persönlich betrachte
ich als mein Anliegen, als Bürgerin unseres Landes, gerade aufgrund der Vorgeschichte,
auch und gerade meiner eigenen und der meiner Familie, die richtigen Schlüsse
zu ziehen, Unrecht nicht tatenlos hinzunehmen.
Ich bitte Sie darum sehr eindringlich, gerade
hier in Deutschland gegen Menschen verachtende
Politik mit allen
rechtsstaatlichen Mitteln zu opponieren. Das hat nichts mit Religionszugehörigkeit
zu tun, wie uns immer wieder eingeimpft wird, egal ob katholisch, evangelisch,
jüdisch, muslimisch oder agnostisch,
jeder einzelne Staatsbürger ist zur Erfüllung seiner Bürgerpflicht aufgerufen.
Sagen wir nicht „wir haben es nicht gewusst!“
Aus diesem Grund hab ich
mich der „Jüdischen Stimme“, dt. Sektion der Europäischen Juden für einen gerechten
Frieden in Nahost“ angeschlossen, um mich nicht von einer verbrecherischen
Politik missbrauchen zu lassen.
Erlauben Sie mir bitte,
eines meiner Lieblingsgedichte von Erich Fried aus dem Jahr 1967 vorzutragen:
Höre Israel!
Als wir verfolgt wurden
war ich einer von Euch
wie kann ich das bleiben
wenn
Ihr Verfolger werdet?
Eure Sehnsucht war
wie die anderen Völker zu werden
die Euch mordeten
nun seid Ihr geworden wie sie
Zur Person
Evelyn Hecht-Galinski ist Tochter des früheren Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland und Mitglied der Organisation Europäische Juden für einen gerechten Frieden.
«... ich habe mir das Lebensmotto meines Vaters zu
eigen gemacht: Ich habe Ausschwitz nicht überlebt, um zu neuem Unrecht zu
schweigen.»
Evelyn Hecht-Galinski am 9.3.2007