Tatsächlich
könnten wir fast täglich demonstrieren, weil jeder Tag seine eigene
Ration hässlicher Nachrichten aus dem Gazastreifen bringt. Und seit Ehud Barak der Parteivorsitzende
der Labourpartei und Verteidigungsminister geworden ist, sind sie noch
schlimmer geworden. Mit beachtlicher Energie erweist er sich als der Schärfste
der Falken.
Es vergeht kaum
eine Woche, ohne dass Barak eine weitere
Drohung über eine größere militärische Operation im Gazastreifen macht.
Unterdessen genehmigt er täglich „kleinere Überfälle“ in den Gazastreifen
mit immer mehr Todesfällen. Unterdessen wird auch die
wirtschaftliche Belagerung und Blockade des Streifens immer härter.
Die
brillante Idee, die Wasserzufuhr und den Strom für die 1,5
Millionen von Armut heimgesuchten Bewohner des Gazastreifens zu
unterbrechen, brachte einen scharfen Protest vom UN-Generalsekretär Ban und eine gedämpftere vom US-geführten diplomatischen
„Quartett“ .
Die Regierung hat
also ( bis jetzt) noch nicht die Wasserzufuhr
unterbrochen und den Strom abgestellt. Aber sie macht eine rechtlich gebundene
juristische Erklärung, dass der „Gazastreifen eine feindliche Zone“ sei. Das
bedeutet praktisch, dass die Hapoalim-Bank, Israels
größte Bank, alle ihre Kontakte mit den palästinensischen Banken abbricht, was
verheerende Auswirkungen haben wird ( u.a. wird der Geldtransfer für jene in
Gaza gestoppt, die noch von ihren früheren Chefs unterstützt werden). …
Für diejenigen, die
wissen wollen, was sich im Gazastreifen abspielt, ist es nicht schwierig,
dies zu erfahren. Viele detaillierte Berichte kann man über das Internet
erhalten. Aber wenig kommt davon über die üblichen Medien in der israelischen
Öffentlichkeit an. (Es gibt eine rühmliche Ausnahme wie den Kanal 10
TV-Nachrichten, der über Schwerkranke berichtet, wie sie verzweifelt
darauf warten, zur medizinischen Behandlung nach Israel gelassen zu werden und
über den Erweiterungsbau des Shifa-Krankenhauses, der
nicht weiter gebaut werden kann, weil das Baumaterial nicht über die Grenze
gelassen wird.)
Auf jeden Fall
haben die meisten Israelis wenig Sympathie für die Bewohner im
Gazastreifen, selbst wenn sie zufällig etwas von ihrem Elend hören. Seit
„Sharons Trennung“ (Siedlerabzug aus dem Gazastreifen) hat das offizielle
Israel den Standpunkt gekränkter Unschuld eingenommen, der von Politikern,
Kolumnisten und Leitartiklern weit verbreitet wird und stillschweigend
vom größten Teil der Öffentlichkeit übernommen wurde: Israel hat sich dem
Streifen zurückgezogen und die Siedlungen aufgelöst und die perfiden
Palästinenser beantworten dies mit Qassamraketen.
Also sind sie selbst schuld. Punkt.
Komplizierte
Faktoren werden kaum erwähnt wie z.B. der direkte Zusammenhang zwischen dem
Töten von Palästinensern ( etwa 700 im vergangenen
Jahr nach PM.Olmerts sich stolz rühmender
Aussage) und dem Zurückschießen von Raketen als Rache. (Diese verursachen
zwar Zerstörung und Panik - aber selten Todesfälle)
Jeder der
Israels Radionachrichten lauscht, wird unvermeidlich etwas von der Angst der
Bewohner von Sderot erfahren, besonders von der der
Kinder – die keinen Moment Ruhe kennen, die ständig bereit sind, in den
Luftschutzkeller zu rennen, wenn die Sirenen heulen.
Diese nie
endende Angst in Sderot ist sehr realistisch, auch
wenn es sehr wenig tatsächliche Todesfälle gab. Doch dieselben Medien, die dies
in seitenlangen Artikeln verbreiten, erwähnen kaum die palästinensischen
Kinder, die in mindest gleichgroßer Furcht leben und die mit einem viel
größeren Risiko leben, von Bomben in Stücke gerissen zu werden. Der 16-jährige
Junge, der letzte Woche von einem israelischen Bulldozer zerdrückt wurde,
während dieser einen Obsthain vernichtete, damit er nicht Qassamraketenwerfern
Deckung gibt, erhielt eine lakonische Bemerkung von Seiten der Armee: das wäre
ein „bedauerlicher Kollateralschaden gewesen, er
hätte nicht dort sein sollen.“
Am Vorabend
des Neuen Jahres – vor zwei Wochen. – gab es eine Überraschung von Ismail
Haniyeh, dem Hamas-Führer im Gazastreifen und Ministerpräsidenten von einem der
beiden rivalisierenden palästinensischen Regierungen. Über internationale
Mittelsmänner schlug Haniyeh vor, mit der Olmert-Regierung
über eine sofortige und bilaterale Waffenpause zu reden und bot an, dies
auch den kleineren Gruppen wie dem islamischen Jihad,
(von denen meist das Schießen ausgeht) aufzuerlegen.
Haniyehs Angebot wurde nicht nur abgelehnt, sondern
einfach vom Tisch gefegt. Tatsächlich gab es unmittelbare bemerkenswerte
Aktionen: eine militärische Offensive vor Ort und eine wirtschaftliche
Offensive über die Banksitzungssäle (während gleichzeitig die Gespräche mit Abu
Mazen stattfanden).
Dann traten
wenigstens die Mainstream –Schriftsteller, von Amos
Oz und A.B. Yehoshua angeführt, in Aktion: sie
veröffentlichten einen deutlichen Aufruf zu einer sofortigen
Waffenpause mit der Hamas.
So weit kamen wir
heute, am Donnerstag den 27. September: mittags während der faulen Sukkot-Feiertage, an denen einige von uns versucht sind, das
Radio auszuschalten und uns von der Welt ein bisschen zurückzuziehen, brachen
dringende Anrufe über uns herein: “Habt Ihr gehört? 11 Tote im Gazastreifen. 11
Tote! Wir müssen etwas tun.“
Und die
unerträglich gewöhnliche Routine begann noch einmal: eilige Erkundigungen
zwischen Friedensgruppen über Ort und Zeitpunkt und dann Stunden von
Telefongesprächen, dem Schreiben und Absenden von Emails,
Pressemitteilungen…das Malen und Schreiben von Postern und Plakaten und dann
schnell nach Tel Aviv –Zentrum ( inzwischen waren es
12 Tote).
Dann waren wir von
Gush Shalom, die diese
Aktion initiierten, zusammen mit Anarchisten gegen die Mauer, die
Frauenkoalition für den Frieden, die Hadash-Jungkommunisten
und der Veteran Lativ Dori
von Meretz und noch ein paar Leute, die zu keiner
besonderen Gruppe gehören. Zusammen waren wir etwa 120 Leute.
Auf der einen
Seite die neuen Verteidigungsministeriumstürme mit dem Hubschrauberlandeplatz
auf dem Dach …auf der andern Seite die Azrielle
Zwillingstürme mit ihrer riesigen Einkaufsmail, der Stolz Tel Avivs, das Symbol
der Reichen… Dazwischen die Beginstraße, eine Hauptverkehrsader, durch die zu
jeder Zeit Tausende von Autos fahren - und wir, die wir unsere
Poster und Flaggen (israelische + palästinensische) schwenkten und einstimmig
mit lauten Stimmen sangen und riefen …:
„Blockade- nein!
Waffenstillstand – ja!“ – „Keine Panzer und keine Qassams
– Waffenstillstand jetzt!“ „Beendet das Blutvergießen – Waffenstillstand
jetzt!“ „Die Blockade des Gazastreifens ist ein Kriegsverbrechen!“ „Beendet die
wirtschaftliche Strangulierung von Gaza!“ – „Es gibt keine militärische Lösung
in Gaza!“ „Waffenstillstand in Sderot und
Gaza!“ – „Hamas ist ein Partner für einen Waffenstillstand!“ – „In Gaza und Sderot wollen die Kinder leben!“ „Barak,
Barak hey, hey ,hey wie viele Kinder hast du heute getötet?” „Israel
und Palästina – zwei Staaten für zwei Völker!“ – „Alle Minister sind
Kriegsverbrecher!“ – Ehud, Ehud
– man wartet auf euch in Den Haag!“ – „Die Besatzung ist eine Katastrophe – Frieden
ist die Lösung!“
Zwei
Motorradfahrer fuhren sehr schnell vorbei und versuchten, eine Gush-Shalom-Flagge an sich zu reißen. Etwas später lehnte
sich eine Frau gefährlich weit aus einem Wagen und rief: „Viel Glück – ich
denke wie ihr!“
Bald erschien die
Polizei mit drei Patrouillenwagen, verhandelte kurz und war mit dem
Versprechen zufrieden, dass wir nach einer Stunde wieder gehen…sie führte sogar
den Mann weg, der mit verzerrtem Gesicht schrie: „Warum erlaubt ihr diesen
Verrätern ….“
Am Ende gab es
noch einen Dialog mit einem vorbeigehenden älteren Paar:
Der Mann:
„Weshalb demonstriert ihr hier?“
Aktivist: „Haben
sie nicht gehört: heute gab es 11 Tote im Gazastreifen?“
Die Frau: „Elf?
Von uns?“
Aktivist: „Nein
wir sind die Schuldigen“. (kurze Stille)
Der Mann: „Ja, die
Regierung – aber dies wird nichts helfen“.
Aktivist:
„Wahrscheinlich nicht – aber einer muss anfangen zu schreien!“
(dt. und etwas gekürzt:
Ellen Rohlfs)