Der Krieg gegen die Kinder von Gaza
Von Saree Makdisi
PalestineChronicle.com
Los Angeles Times – 22.9.2007
Eine ganze Generation von
Palästinensern in Gaza wächst behindert auf: physisch auf Grund der Ernährung,
weil sie nicht genug zu essen erhält; emotional, weil sie dem Druck ausgesetzt
ist, in einem quasi Gefängnis und mit der ständigen Bedrohung durch Zerstörung
und Vertreibung leben zu müssen; intellektuell und akademisch, weil sie sich
nicht konzentrieren kann, oder, selbst wenn sie das kann, weil sie versucht,
unter Umständen zu lernen und zu studieren, die kein Kind je aushalten müssen
sollte.
Auch schon, bevor Israel
in dieser Woche Gaza zum „feindlichen Gebiet“ erklärte, offensichtlich in
Vorbereitung auf das Abschneiden der noch übrig gebliebenen Brennstoff- und
Elektrizitätsressourcen für 1,5 Millionen Männer, Frauen und Kinder, war die
Situation grässlich.
Als Ergebnis der
israelischen Blockade auf die meisten Im- und Exporte und andere Maßnahmen, die
darauf ausgerichtet waren, die Bevölkerung zu bestrafen, sind 70 Prozent der
Arbeitskräfte Gazas arbeitslos oder ohne Einkommen, und nach Auskunft der
Vereinten Nationen leben 80 Prozent der Bewohner in äußerster Armut. Etwa 1,2
Millionen von ihnen sind für ihr Überleben von Tag zu Tag abhängig von der
Ernährungshilfe der U.N. oder internationaler Agenturen, ohne die, so Kirstie Campbell vom Welt-Ernährungs-Programm, „sie dazu
verurteilt sind zu verhungern“.
Eine zunehmende Anzahl
von palästinensischen Familien in Gaza können ihren Kindern nicht mehr als eine
magere Mahlzeit täglich geben, oft wenig mehr als Reis und gekochte Linsen.
Frische Früchte oder Gemüse sind außerhalb der Reichweite vieler Familien.
Fleisch und Geflügel sind unmöglich teuer. Gaza blickt in die reichen Gewässer
des Mittelmeers, aber Fisch ist auf dem Markt
nicht erhältlich, weil die israelische Marine die Bewegungen der Fischer von Gaza
eingeschränkt hat.
Eltern in Los Angeles,
die die letzten Wochen damit verbracht haben, von einem Schulanfangs-Sale
zum anderen zu rennen, könnten Schlimmeres tun als sich ein paar Minuten zu
gönnen, um an ihresgleichen im Gazastreifen zu denken. Als Ergebnis der
Belagerung ist Gaza nicht nur knapp an
Rohtextilien und anderen Basisgütern, sondern auch an Papier, Tinte und der
Grundausstattung für den Schulbetrieb. Ein Drittel der Kinder in Gaza haben das
Schuljahr ohne die notwendigen Schulbücher begonnen. John Ging, der Direktor
der Hilfswerke der UN, in dessen Schulen 200.000 Kinder in Gaza unterkommen,
hat gewarnt, dass die Kinder „hungrig und unfähig zur Konzentration“ in die
Schule kommen.
Israel sagt, dass seine
Maßnahmen in Gaza darauf gerichtet sind, Druck auf die palästinensische Bevölkerung
auszuüben, damit diese wiederum Druck auf jene ausüben soll, die derbe,
handgemachte Raketen von Gaza in die israelische Stadt Sderot
abschießen. Diese Raketenangriffe sind unrecht. Aber es ist ebenso unrecht, die
ganze Bevölkerung für die Aktionen einiger weniger zu bestrafen, Aktionen, die die Schulkinder von Gaza ebenso
wenig in der Lage sind zu stoppen wie ihre belagerten Eltern.
Es ist eine Verletzung
des internationalen Rechtes, mehr als eine Million Menschen für etwas kollektiv
zu bestrafen, das sie gar nicht getan hat. Nach der
Genfer Konvention, zu deren Signatarstaaten Israel gehört, hat Israel aktuell
die Verpflichtung, für das Wohlergehen der Menschen einzustehen,
die es willkürlich seit mehr als vier Jahrzehnten mit einer militärischen Besetzung
belegt hat. Stattdessen wurde das Gesetz mit einem Achselzucken zur Seite
geschoben. Israel hat wiederholt die
Aufforderungen des U.N. Sicherheitsrates ignoriert. Es hat den Internationalen
Gerichtshof in Den Haag weggeschickt. Was John Dugard,
der Spezialberichterstatter der U.N. für Menschenrechte in den besetzten
Ländern als „sorgfältig durchgeführte“ Strangulierung von Gaza bezeichnet – im
vollen Blick einer mitleidlosen Welt – ist explizit ein Teil der Strategie.
„Die Idee“, sagt Dov Weisglass,
ein israelischer Berater, „ist, die Palästinenser auf Diät zu setzen, aber
nicht, sie Hungers sterben zu lassen“.
(Übers.:
Gerhilde Merz)
Saree Makdisi ist Professorin für englische Literatur an der UCLA und Autorin von „Palästina umgestülpt: eine Alltagsbesetzung, herausgekommen bei Norton. (Dieser Artikel wurde zuerst in der Los Angeles Times publiziert und mit Erlaubnis der Autorin wieder veröffentlicht.)