Machsom Watch Matria[1] – Juni 2007
Machsom
Watch – eine Organisation israelischer Frauen gegen die Besatzung und für
Menschenrechte, die sich mit einem der härtesten Aspekte der Besatzung befasst
– der Einschränkung der Bewegungsfreiheit der Palästinenser in den besetzten
Gebieten.
Wovor haben sie Angst?
Die Straßensperre von
Imrecha-Mevo Dotan befindet sich östlich der Straßensperre von Rechan, an der
Straße, die von Jenin in Richtung des israelischen Staatsgebietes führt. Hier
werden zu allen Stunden des Tages und besonders am Morgen all jene
kontrolliert, die zur Sperre von Rechan und von dort in das Grenzgebiet
zwischen dem Sicherheitszaun und der "Grünen Linie" oder nach Israel
selbst unterwegs sind. Aufgrund einer Militärverordnung, die Israelis (mit
Ausnahme der Siedler von Chermesch und Mevo Dotan) das Passieren der Sperre von
Rechan verbietet, ist es uns nicht möglich, zur Sperre von Imrecha zu kommen. Diese
Sperre hat jedoch an Bedeutung gewonnen, seit die Kontrolle über die Sperre von
Rechan in zivile Hände übergegangen ist und bereitet viele Probleme. Die
Palästinenser, die im Grenzgebiet oder in Israel arbeiten, warten morgens eine
Stunde auf die Öffnung der Sperre von Imrecha und können erst dann ihren Weg
zur Sperre von Rechan fortzusetzen, die bereits eine Stunde vorher geöffnet
wurde. (Juni-Zusammenfassung der Straßensperren im Norden)
Und warum? Was soll die
Militärverordnung, die Israelis – es sei denn sie sind Siedler – verbietet, die
Sperre von Rechan zu passieren? Was wollen sie verbergen? Und vor wem? Warum
ist es verboten hinzusehen, und wer hat Angst vor der Veröffentlichung des
Gesehenen? In den letzten Monaten erleben wir immer weiter reichende Versuche,
uns von den Sperren zu vertreiben. Das beginnt mit absurden Sätzen wie:
"Sie stören uns" – "Das ist meine Sperre" – "Wenn Sie
hier sind, nimmt 'ihr' (d. h. der Palästinenser) Selbstbewusstsein zu und sie
werden frech" – "Stellen Sie sich hinter den Block, hier fahren Autos
vorbei", und endet mit der offenen Drohung: "Ich spreche höflich mit
Ihnen", d. h.: "Wenn Sie nicht sofort von hier verschwinden, werde
ich nicht mehr höflich zu Ihnen sein". Oder: "Wenn Sie nicht
verschwinden, schließen wir die Sperre, und niemand kommt durch".
All jenen, die diese
Anweisungen geben, sagen wir laut und deutlich: Sie werden uns nicht von den
Sperren vertreiben. Die weißen Linien, die sie auf die Straße zeichnen und die
wir nicht überschreiten dürfen, werden uns nicht daran hindern, Tag für Tag
über den Alltag der Besatzung und ihr Unrecht zu berichten.
"Und ihr werdet Wasser
schöpfen in Freude"?
Die Bewohner von Salem, Deir
al-Chatab, Asmut, Beit Dajan und Beit Furik haben kaum eigene Wasserquellen. Der
größte Teil des Bodens und der Weidefläche dieser Dörfer befinden sich jenseits
der "Madison-Achse" genannten Straße, die die Dorfbewohner nicht
überqueren dürfen. Sie halten Schafen und Ziege. Dieses Kleinvieh weiß nichts
von Erlassen und Siedlungen, aber es will Wasser trinken.
Niemand bestreitet, dass der
Boden hier Privatbesitz der Palästinenser ist, aber die Armee, die den Siedlern
von Elon More willfährig ist, verbietet ihnen, die Straße zu überqueren, die
sich zwischen den Dörfern und ihren Feldern befindet.
Die Armee beobachtet jede
Bewegung auf der Straße, und sobald ein Hirte sie mit seiner Herde überquert,
erscheinen die Soldaten mit Jeep, Gewehren und Schlägen. Sie müssen sich nicht
besonders beeilen – die Schafe verstehen keine Militärverordnungen und fliehen
nicht. A. S., der uns auf nicht asphaltierten Wegen zu den Feldern und zum
Brunnen führt, hat seine Anschrift von Salem auf Beit Dajan umgeschrieben,
damit er seine Herde auf der anderen Seite der Apartheidsstraße weiden kann. Eine
Armeepatrouille erwischte die Frau seines Bruders mit der Herde und
beschlagnahmte ihren Personalausweis; danach hielten sie sie zweieinhalb
Stunden an der Sperre fest.
Wir trafen den Hirten, der mit
seiner Herde die "Madison-Achse" auf dem Weg zum Brunnen überquert
hatte. Heute morgen haben die Soldaten mit scharfer Munition auf ihn
geschossen, ihm einige Schläge verpasst (damit er lernt, es nicht wieder zu
tun), ihn zu Boden geworfen und ihn mit seiner Herde auf die westliche Seite
der verbotenen Straße zurückgeschickt. Dass die Schafe trinken müssen, ist
nicht das Problem der Armee. Der Hirte, seine Herde und wir überquerten das
Distelfeld, dessen Ränder eine schmale, leuchtende Kette von Blüten schmückte,
und die Straße, und dann gingen wir alle zum "Brunnen". Die Schafe
gingen Wasser trinken, und wir bekamen Tee und Schatten.
Die Pumpstation wurde mit
amerikanischen Spenden gebaut. S., der für die Station verantwortlich ist,
erzählte von seinem Sohn, der lebenslänglich im Gefängnis von Beerscheva
einsitzt, von den Schwierigkeiten bei den Besuchen im Gefängnis und von der
Demütigung, bei der Rückkehr zu nächtlicher Stunde die Soldaten darum bitten zu
müssen, die Sperre von Beit Furik zu öffnen, um nach Hause zu kommen – all das,
obwohl die Besuche unter Schirmherrschaft des Roten Kreuzes stattfinden. Die
Sperre von Beit Furik wird um 22.00 geschlossen, und wenn sich ihr die
Autobusse nach der langen Fahrt nach Beerscheva und zurück spät nachts nähern,
eröffnen die Soldaten sofort das Feuer – denn was haben Palästinenser in einem
Bus zu suchen, der sich der Sperre nach 22.00 nähert?
Auch Muhammad kommt. Auch er
hat eine kleine Herde. Vor zwei Tagen haben sie auch ihn auf der verbotenen
Straße erwischt, auch ihm haben die Soldaten den Personalausweis abgenommen,
und auch ihm haben sie befohlen, ihn an der Sperre von Beit Furik abzuholen.
Große Wasserkanister werden
jeden Tag vom "Brunnen" nach Salem gefahren – auf einem über eine
halbe Stunde langen Umweg durch die Sperre von Beit Furik. Früher bekam Salem
Wasser über die israelischen Wasserleitungen, aber jetzt wird der größte Teil
des Wassers nach Elon More geleitet, und nach Salem gelangt nur noch ein dünner
Wasserstrom, der nicht ausreicht. Aber auch den Siedlern von Elon More reicht
das Wasser nicht. Sie wollen mehr:
Östlich von Elon More, einige
hundert Meter vom Tor der Siedlung entfernt, befindet sich ein Brunnen, der
"Maajan Kebir" heißt. Er gehört den Einwohnern von Deir al-Chatab. Eine
Leitung führt vom Brunnen ins Dorf, und dort wird das Wasser in einem kleinen
Becken gesammelt und reicht (in etwa) für den Hausgebrauch der Einwohner. Vor
einiger Zeit haben die Siedler von Elon More ein kleines Becken neben der
Leitung gegraben, die Leitung zerschnitten und das Wasser in ihr Becken
umgeleitet, damit ihre Kinder einen Spielplatz für die Ferienzeit haben. Nach
Intervention von Freiwilligen aus den Kibbutzim wurde
die Leitung repariert, und das Wasser floss wieder nach Deir
al-Chatab. Aber nicht lange ... Die Leitung wurde
erneut zerschnitten, und das Wasser wird wieder in den Swimming Pool von Elon
More umgeleitet. (Beit Furik, östlich von Nablus, 30.7.2007)
An den "humanitären"
Notfalldienst der Armee - Zur Kenntisnahme
Frauen stehen vor einem großen
Problem, denn die Menschenmasse, die sich am Morgen vor der Sperre drängt,
setzt sie Berührungen mit den Männern aus. Zwei Männer wenden sich an uns und
bitten uns, dafür zu sorgen, dass eine getrennte Reihe für die Frauen
eingerichtet wird. Auch eine der Freiwilligen des "Ökumenischen
Begleitprogramms in Palästina und Israel" berichtet von der unangenehmen
Erfahrung inmitten der Masse der Männer. Auch wenn nur wenige Frauen die Sperre
passieren, muss ein Weg gefunden werden, die Frauen aus dem Gedränge
herauszuholen. (Betlehem, 3.6.2007)
Draußen, außerhalb der Sperre,
befindet sich eine große Menschenmenge. Die Straße ist voll mit Autos und
Bussen, die auf die Arbeiter warten, die die Sperre noch in Richtung Jerusalem
passieren müssen. Vier Kontrollpunkte sind offen. Wir hören, wie eine Soldatin
die Leute anschreit, einer hinter dem anderen zu stehen. Wir treffen drei
Freiwillige des Ökumenischen Begleitprogramms aus Schweden, Norwegen und
Deutschland. Eine von ihnen berichtet, dass die ersten schon um 1.00 nachts zur
Sperre kommen und draußen die ganze Nacht auf alten Zeitungen schlafen, um
einen guten Platz in der Schlange zu erwischen, wenn die Sperre um 5.00
geöffnet wird. Der Gang, der von der Mauer in die Sperre hineinführt (und den
wir nicht betreten dürfen), ist sehr eng, und so kommt es dort zu Gedränge und
Stößen. Die Freiwillige wurde schon einmal verletzt, als sie im Gedränge gegen
die Wand gepresst wurde. Manche Männer sind bereit, den Frauen Vortritt zu
lassen, aber andere nicht, obwohl es üblich ist, die Frauen als erste durch zu
lassen. Die Freiwillige berichtet, dass die Leute am letzten Schabbat an der
Sperre warten mussten, während der für die Kontrolle zuständige Soldat in seine
Zeitung vertieft war und mit den Wartenden darüber diskutierte, dass sie am
Schabbat nicht zu arbeiten haben. Nach einiger Zeit ersetzten ihn seine
Vorgesetzten durch einen anderen Soldaten. (Betlehem, 6.6.2007)
[1]
"Matria" ist abgeleitet von dem hebräischen Verb
"lehatria", das "(als Alarmzeichen) in die Posaune/ins Horn
blasen" und "Protestgeschrei erheben" bedeutet.