Wie soll man
da herauskommen?
Uri Avnery, 17.11.07
DIE ANNAPOLIS-Konferenz ist ein Witz - obwohl ganz sicher kein
lustiger.
Wie eine
Menge politischer Initiativen hat auch diese – nach Analyse vorhandener
Anzeichen - mehr oder weniger zufällig
begonnen. George Bush war dabei, eine Rede vorzubereiten. Er suchte nach einem
Thema, das dieser ein wenig Substanz
verleihen könnte. Etwas, das die Aufmerksamkeit von seinem Fiasko im
Irak und Afghanistan ablenken würde. Etwas Einfaches, Optimistisches und etwas,
das problemlos geschluckt würde.
So kam
irgendwie die Idee eines „Treffens“ von führenden Politikern zustande, die den
israelisch-palästinensischen „Prozess“ in Gang bringen könnte. Eine internationale
Konferenz ist immer etwas Schönes – sie sieht im
Fernsehen gut aus, sie liefert haufenweise Phototermine, sie strahlt Optimismus
aus. Wir treffen uns - also sind wir.
So hat Bush
die Idee eines „Treffens“ ausgesprochen, um Frieden zwischen Israel und den
Palästinensern zu fördern.
Ohne
vorausgehende strategische Planung, ohne sorgfältige Vorbereitungen, ohne auch
nur irgend etwas.
Deshalb ging Bush in seiner Rede nicht in die Details: kein klares Ziel, keine
Agenda, keine Ortsangabe, kein Datum, keine Liste der Beteiligten. Nur ein
ätherisches Treffen. Allein diese Tatsache zeugt vom Mangel an Ernsthaftigkeit
des ganzen Unternehmens.
Das mag die
Leute schockieren, die nie aus der Nähe gesehen haben, wie Politik tatsächlich
gemacht wird. Es ist kaum zu fassen, mit welch unerträglicher Leichtfertigkeit
oft Entscheidungen getroffen werden, mit
welcher Unverantwortlichkeit führender Politiker und auf welch
willkürliche Art und Weise wichtige Prozesse in Gang gebracht werden.
VON DEM
MOMENT an, in dem diese Idee geboren wurde, konnte sie nicht mehr zurückgerufen werden. Der Präsident hat
gesprochen, die Initiative läuft. Es gibt ein Sprichwort: Ein Dummer wirft
einen Stein ins Wasser, ein Dutzend Weise können ihn nicht zurückholen.
Einmal
angekündigt, ist das „Treffen“ zu einem
wichtigen Unternehmen geworden. Die Experten aller Parteien
begannen hektisch, sich auf das vage definierte Ereignis vorzubereiten. Jede
Seite versuchte dieses, in die für sie
selbst günstigste Richtung zu steuern..
-
Bush und Condoleeza Rice wollten ein eindrucksvolles Ereignis, um zu beweisen,
dass die USA sich sehr um Frieden und Demokratie bemühen und dass
sie dabei Erfolge haben, wo der große
Henry Kissinger nur Fehlschläge einstecken musste. Jimmy Carter war es
nicht gelungen, den israelisch-ägyptischen Frieden auch zu einem
israelisch-palästinensischen Frieden zu machen. Bill Clinton war in Camp David
gescheitert. Wenn Bush Erfolge
nachweisen könnte, wo all seine
illustren Vorgänger Fehlschläge erlitten hatten, würde das nicht
beweisen, wer der Größte von allen ist?
-
Ehud Olmert benötigt dringend einen durchschlagenden politischen Erfolg, damit
die Erinnerung an sein elendes Scheitern im 2. Libanonkrieg verblasst, und
um sich selbst von den Dutzenden ihn wegen Korruption
verfolgenden Untersuchungen zu befreien.
Seine Ambitionen sind grenzenlos: er
möchte beim Händeschütteln mit dem König von Saudi Arabien photographiert
werden. Bis jetzt ist keinem israelischen
Ministerpräsidenten dieses Kunststück
gelungen.
-
Mahmoud Abbas
möchte der Hamas und den rebellischen Fraktionen seiner eigenen
Fatah-Bewegung beweisen, dass er
dort Erfolge vorweisen kann, wo der große Yasser Arafat scheiterte – als gleicher Partner unter den
Weltführern akzeptiert zu werden.
Dies könnte deshalb eine große, fast historische Konferenz
werden, wenn …
WENN NICHT all diese Hoffnungen Hirngespinste wären. Keine davon haben
irgendeine Substanz. Aus dem einzigen Grund: keiner der drei Partner hat
Kapital zu seiner Verfügung.
- Bush ist
bankrott. Um in Annapolis Erfolg zu haben, hätte er
enormen Druck auf Israel ausüben müssen, um es zu zwingen, die nötigen Schritte
zu machen: der Errichtung eines echten palästinensischen Staates zuzustimmen,
Ost-Jerusalem aufzugeben, die Grüne Linie als Grenze wieder herzustellen (einen
geringfügigen Landtausch mit eingeschlossen), eine Einverständnis erzielende
Formel zum Flüchtlingsproblem zu finden.
Aber Bush ist überhaupt nicht in der Lage, auch nur den leichtesten Druck auf Israel
auszuüben, selbst wenn er es gewollt hätte. In den USA hat die Wahlkampagne
schon begonnen, und die zwei großen Parteien stehen wie Bollwerke gegen
irgendwelchen Druck auf Israel. Die jüdische und die
christlich-fundamentalistische Lobby werden gemeinsam mit den Neo-Cons nicht erlauben, dass ein Wort der Kritik über
Israel geäußert wird.
-
Olmert ist sogar in einer
noch schwächeren Position. Seine Koalition hält nur, weil es in der gegenwärtigen
Knesset keine Alternative gibt. Sie schließt Elemente mit ein, die man in
anderen Ländern als faschistisch bezeichnen würde. (Aus historischen Gründen
lieben die Israelis diesen Terminus nicht.) Er wird von seinen Partnern daran
gehindert, auch nur den winzigsten Kompromiss zu schließen – selbst wenn er
wirklich ein Abkommen erreichen wollte.
In der vergangenen Woche nahm die Knesset eine
Gesetzesvorlage an, die eine Zwei-Drittel-Mehrheit erfordert, wenn die Grenzen von
Groß-Jerusalem irgendwie verändert werden sollen. Das bedeutet, dass Olmert nicht einmal eines der am Rande liegenden
palästinensischen Dörfer, die 1967 an Jerusalem angeschlossen wurden, aufgeben
kann. Seine Koalitionspartner erlaubten ihm auch nicht, sich auch nur den
Kernproblemen zu nähern.
-
Mahmoud Abbas
kann sich nicht von den Bedingungen entfernen, die Yasser Arafat
- dessen Todestag in dieser Woche begangen wurde - festgelegt hat. Wenn er davon nur ein wenig
abrückte, würde er stürzen. Er hat schon den Gazastreifen verloren und kann
auch die Westbank verlieren. Auf der andern Seite, wenn er mit Gewalt drohte, würde er alles verlieren,
was er bekommen hat: die Gunst von Bush
und die
Kooperation mit den israelischen Sicherheitskräften.
Die drei Poker-Spieler werden sich an einen runden Tisch
setzen und so tun, als würden sie ein Spiel beginnen – während keiner von ihnen
einen Cent hat, um ihn auf den Tisch zu legen.
DER MAJESTÄTISCHE Berg scheint von Minute zu Minute kleiner zu werden Es ist gegen die Naturgesetze: je mehr wir
uns ihm nähern, um so kleiner sieht er aus. Was für viele zuerst wie ein
veritabler Mount Everest aussah, wurde danach zu einem gewöhnlichen Berg, dann
zu einem Hügel, und jetzt sieht er kaum noch wie ein Ameisenhaufen aus – und selbst
dieser schrumpft zusammen .
Zuerst sollten sich die Teilnehmer mit den „Kernproblemen“
befassen. Dann wurde angekündigt, dass eine wichtige Absichtserklärung
angenommen werden wird, dann wurde nur mehr eine Sammlung leerer Phrasen
vorgeschlagen. Nun ist selbst dies zweifelhaft.
Keiner der drei führenden Politiker träumt noch von
einem echten Ergebnis. Was sie jetzt
hoffen, ist, den Schaden so gering wie möglich zu halten – doch wie kommt man
aus solch einer Situation heraus?
Wie gewöhnlich ist unsere Seite bei dieser Aufgabe die kreativste.
Schließlich sind wir Experten beim Bau von Straßensperren, Mauern und Zäunen.
In dieser Woche wurde ein größeres Hindernis geschaffen als die Große Mauer
Chinas.
Ehud Olmert
verlangte, dass die Palästinenser vor den Verhandlungen, „Israel als jüdischen Staat“
anerkennen müssten. Ihm folgte sein Koalitionspartner, der ultra-rechte Avigdor Lieberman, der vorschlug, überhaupt gar nicht erst nach Annapolis zu gehen, bevor nicht die Palästinenser diese
Forderung im voraus erfüllten.
Prüfen wir kurz diese Forderung:
Von den Palästinensern wird nicht verlangt, dass sie den
Staat Israel anerkennen. Sie haben dies schließlich schon beim Oslo-Abkommen
getan – trotz der Tatsache, dass Israel noch nicht das Recht der Palästinenser
auf einen eigenen Staat mit der Grünen Linie als Grenze anerkannt hat.
Nein,
die Regierung Israels verlangt noch viel mehr: die Palästinenser müssen jetzt
anerkennen, dass Israel ein „jüdischer Staat“ ist.
Verlangen die USA als
„christlicher oder angelsächsischer Staat“ anerkannt zu werden? Hatte Stalin verlangt, die USA mögen die
Sowjetunion als „kommunistischen Staat“ anerkennen? Hat Polen je verlangt, als
„katholischer Staat“ oder Pakistan als „islamischer Staat“ anerkannt zu werden? Gibt es überhaupt einen Präzedenzfall eines
Staates, der die Anerkennung seines heimischen Regimes gefordert hatte?
Die Forderung ist per se lächerlich. Aber dies kann
leicht durch eine Analyse ad absurdum geführt werden.
Was ist ein „jüdischer Staat“? Das wurde bis jetzt nie
definiert. Ist es ein Staat mit einer Mehrheit
jüdischer Bürger? Ist es der „Staat des jüdischen Volkes“ – und meint
damit auch die Juden in Brooklyn, Paris und Moskau? Ist es „ein Staat, der der
„jüdischen Religion gehört“ - und wenn
es so ist, wie gehört er dann auch den säkularen Juden? Oder gehört er
vielleicht nur den Juden, die dem Rückkehrgesetz entsprechen – d.h. „Personen,
die eine jüdische Mutter haben und nicht
zu einer anderen Religion konvertiert sind“?
Diese Fragen sind noch nicht geklärt worden. Wird von den
Palästinensern erwartet, etwas anzuerkennen, was selbst in Israel noch ein
umstrittenes Thema ist?
Entsprechend der offiziellen Doktrin ist Israel ein
„jüdischer und demokratischer Staat“. Was sollen die Palästinenser tun, wenn –
nach demokratischen Regeln - eines Tages
meine Meinung übernommen wird und Israel ein „israelischer Staat“ wird, der allen seinen Bürgern gehört – und
ihnen allein? (Schließlich gehören die USA allen ihren Bürgern, einschließlich
den Hispano-amerikanern, den Afroamerikanern und
selbstverständlich den amerikanischen Ureinwohnern.)
Der Haken ist natürlich, dass diese Formel für Palästinenser
unakzeptabel ist, weil dies die anderthalb Millionen Palästinenser, die
israelische Bürger sind, in ihren
Rechten verletzen würde. Die Definition „jüdischer Staat“ macht sie –
bestenfalls - automatisch zu Bürgern
zweiter Klasse. Wenn Mahmoud Abbas und seine Kollegen diese Forderung annehmen
würden, dann würden sie ihren eigenen Verwandten ein Messer in den Rücken
stoßen.
Olmert & Co wissen
das natürlich. Sie stellen diese Forderung nicht, damit diese akzeptiert wird.
Sie stellen diese Forderung, damit sie nicht angenommen wird. Mit diesem Trick
hoffen sie, jede Verpflichtung los zu
sein, bedeutsame Verhandlungen erst zu beginnen.
Außerdem müsste Israel – nach der verstorbenen Road Map, die angeblich
von allen Seiten angenommen wurde – alle Siedlungen auflösen, die nach dem März
2000 errichtet wurden, und der Ausbau in allen anderen eingestellt werden. Olmert ist nicht in der Lage, dies zu tun. Gleichzeitig
müsste Mahmoud Abbas die „Terror-Infrastruktur“ zerstören. Abbas kann das genau
so wenig, so lange es keinen unabhängigen palästinensischen Staat mit einer
gewählten Regierung gibt.
Ich stelle mir vor, wie
Bush sich nachts in seinem Bett
wälzt und die Ghostwriter verflucht,
die ihm diesen elenden Satz über das Treffen in den Mund legten. Auf ihrem Weg zum Himmel werden sich seine Flüche mit denen von Olmert und Abbas
vermischen.
ALS DIE führenden
Politiker der jüdischen Gemeinschaft in Palästina dabei waren, am 14. Mai 1948 die Unabhängigkeitserklärung
zu unterschreiben, war das Dokument noch nicht fertig. Wie sie da vor den
(Kamera-) Augen der Weltöffentlichkeit und der Geschichte saßen, mussten sie
ein leeres Blatt unterzeichnen. Ich fürchte, dass so etwas Ähnliches in Annapolis geschehen wird.
Und dann werden alle in ihre jeweiligen Länder zurückkehren
– und einen tiefen Seufzer der Erleichterung ausstoßen.
(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs und Christoph Glanz, vom Verfasser
autorisiert)