Die Sprache der Gewalt
Uri Avnery, 25.8.07
BALD NACHDEM Ariel Sharon zur
Macht kam, begann er damit, eine allgemeine Meinungsumfrage in Auftrag zu
geben. Das Ergebnis behielt er für sich. In dieser Woche gelang es einem
Reporter von Israels Fernsehkanal 10, einen Teil davon zu erfahren.
Unter anderem wollte Sharon
wissen, was die Öffentlichkeit über die Friedensfrage denke. Er dachte nicht im Traum daran, selbst diesen
Weg des Friedens zu gehen, doch war es für ihn wichtig, über die Trends
informiert zu sein.
Bei diesen Umfragen
wurde eine Frage gestellt, die
inhaltlich den abschließenden Vorschlägen Clintons sowie der Genfer Initiative
nahe kamen: Sind Sie für einen Frieden, der einen palästinensischen Staat
einschließt, mit einem Rückzug aus fast allen besetzten Gebieten, mit der
Aufgabe der arabischen Stadtteile Ost-Jerusalems und der Auflösung der meisten
Siedlungen?
Die Ergebnisse waren sehr
instruktiv. 2002 unterstützen 73% (dreiundsiebzig Prozent) diese Lösung. In den
nächsten zwei Jahren wurde die Unterstützung weniger, wurde aber immer noch von
der Mehrheit akzeptiert. 2005 sank der Prozentsatz der Befürworter unter die
50%-Linie.
Was hat sich in diesen Jahren
verändert?
Der Fernseh-Interviewer wies
auf den Zusammenhang hin: 2002 hatte die
zweite Intifada ihren Höhepunkt erreicht. Es gab häufig Anschläge in israelischen Städten, bei
denen Menschen ums Leben kamen. Die Mehrzahl in Israel wollte eher den Preis
des Friedens als weiter mit
Blutvergießen zahlen.
Später ging die Intifada
zurück und mit ihr die Bereitschaft der israelischen Öffentlichkeit für einen
Kompromiss. 2005 führte Sharon die „unilaterale Trennung“ vom Gazastreifen aus.
Den Israelis schien es so, als könnten sie ohne ein Abkommen mit den
Palästinensern auskommen. Die Bereitschaft zum Frieden sank unter die 50% Linie.
EIN BEKANNTES israelisches
Schlagwort sagt: „Die Araber verstehen nur die Sprache der Gewalt.“ Diese
Meinungsumfrage bestätigt, was viele Palästinenser denken: dass es die Israelis selbst sind, die keine andere
Sprache verstehen.
Natürlich stimmen beide
Versionen.
Ich habe oft gesagt, dass der
israelisch-palästinensische Konflikt ein Zusammenstoß zwischen einer unwiderstehlichen Kraft und einem unbeweglichen Objekt ist. Ein
Zusammenstoß ist eine Sache von Gewalt.
Der gegenwärtige
beklagenswerte Zustand der Palästinenser, von denen die eine Hälfte unter
Besatzung lebt und die andere Hälfte als Flüchtlinge, ist die direkte Folge der
palästinensischen Niederlage im Krieg von 1948. Der erste Teil dieses Krieges
von Dezember 1947 bis Mai 1948 war ein direkter Zusammenstoß zwischen dem
palästinensischen Volk und der hebräischen Gemeinschaft (dem „Yishuv“). Dieser endete mit einer völligen Niederlage der
Palästinenser. (Als die Armeen aus den benachbarten arabischen Ländern im Mai
sich dem Kampf anschlossen, wurden die Palästinenser in diesem irrelevant.)
Das war natürlich eine
militärische Niederlage, aber ihre
Ursachen gingen weit über den engen militärischen Bereich hinaus. Sie
wurde durch den Mangel an Zusammengehörigkeit in der palästinensischen
Gesellschaft jener Zeit verursacht; ihre Unfähigkeit, eine funktionierende
Führung und ein vereinigtes
militärisches Kommando aufzubauen, ihre militärischen Kräfte zu mobilisieren
und zu konzentrieren. Jede Region kämpfte für sich allein – ohne Koordinierung
unter einander. Abd-al-Kader Husseini im Jerusalemer
Raum kämpfte unabhängig von Fawzi al-Kakji
im Norden. Der Yishuv dagegen war vereint und streng
organisiert und gewann deshalb – trotz der Tatsache, dass die
Bevölkerungszahl nur halb so groß wie
die der arabischen Bevölkerung in
Palästina war.
DIE HAMASFÜHRER verspotten Mahmoud Abbas und seine
Unterstützer in Ramallah, die einen israelischen Rückzug ohne
bewaffneten Kampf erwarten.
Sie weisen darauf hin, dass
sogar das Oslo-Abkommen (das sie ablehnen) nur dadurch erreicht wurde, dass ihm
sechs Jahre der ersten Intifada vorausgegangen waren,
was Yitzhak Rabin zur Überzeugung brachte, eine militärische Lösung sei nicht
möglich?
Sie betonen mit Nachdruck,
dass im Jahr 2000 Ehud
Barak die Truppen aus dem Süd-Libanon nur wegen des
überwältigenden Erfolges der schiitischen Guerillas herausholte.
Ihre Schlussfolgerung : auch
ein palästinensischer Staat innerhalb der Grenzen von 1967 kommt nicht
zustande, wenn der „palästinensische
Widerstand“ den Israelis nicht genügend Verluste und Schaden zufügt, um sie davon zu überzeugen, es sei in
ihrem eigenen Interesse, sich aus den besetzten Gebieten zurückzuziehen.
Die Israelis – so sagen sie –
werden nicht einen einzigen Quadratmeter aufgeben, ohne dazu gezwungen zu
werden. Sharons Umfrage mag sie in ihrer Überzeugung stärken.
Die Leute um Abbas reagieren
mit Spott gegenüber Hamas, weil diese glaubt,
sie könne gegen Israel mit Waffengewalt gewinnen.
Sie weisen auf die immense
Überlegenheit der israelischen Armee hin. Nach ihnen haben alle gewalttätigen
Aktionen der Palästinenser für Israel
nur den Vorwand geliefert, die Besatzung
zu verstärken, mehr Land zu rauben und die Not der besetzten Bevölkerung zu vergrößern.
Und tatsächlich ist die
persönliche Situation der Palästinenser auf der Westbank und im Gazastreifen
jetzt unvergleichlich viel schlimmer als
es am Vorabend der ersten Intifada war, als sie noch
jeden Ort im Land erreichen, in allen Städten Israels arbeiten, am Strand von
Tel Aviv baden und vom Flughafen Ben-Gurion abfliegen
konnten.
Beide Argumente enthalten
Anteile der Wahrheit. Yasser Arafat
verstand dies. Deshalb tat er alles, um die Palästinenser um jeden Preis
zusammenzuhalten, die israelischen Friedenskräfte zu ermutigen und
internationale Unterstützung zu erhalten, ohne die Abschreckung des
„bewaffneten Kampfes“ aufzugeben. Dies gelang ihm bis zu einem gewissen Punkt –
die Folge davon war seine Beseitigung.
DIE PALÄSTINENSER, die sich
um das Schicksal ihres Volkes Sorgen machen, fragen sich, wo das noch hinführen mag.
Ihre Situation hat einen so tiefen Punkt erreicht, wie seit 20
Jahren nicht. Sie sind fast in aller Welt politisch isoliert. Die israelische Öffentlichkeit ist
gleichgültig geworden und unter einem verlogenen Mantra
vereint: „Wir haben keinen Partner“. Im israelischen Friedenslager sind viele entmutigt. Und was
noch schlimmer ist, die palästinensische Nationalbewegung hat sich in zwei
Fraktionen geteilt. Und es scheint so, als ob der gegenseitige Hass von Tag zu Tag zunähme.
Aufspaltungen sind bei
Befreiungsbewegungen nichts Ungewöhnliches. Es gab kaum eine
Befreiungsbewegung, die solch eine Krisis
nicht durchgemacht hat. Aber eine Situation, in der zwei gegensätzliche
Fraktionen die Kontrolle über zwei verschiedene Gebiete haben – noch dazu unter
feindlicher Besatzung – ist fast
unbekannt..
ES KÖNNTE hier interessant
sein, diese Situation mit der zu
vergleichen, die zwischen unseren eigenen Untergrundorganisationen vor der
Gründung des Staates Israel bestanden hat.
Es gibt einige Ähnlichkeiten (natürlich nicht
ideologisch): Fatah ist etwa wie die
große Hagana-Organisation, die von der offiziellen zionistischen Führung
kontrolliert wurde; Hamas und der islamische Jihad,
die die PLO-Führung ablehnen, sind wie der Irgun und
die Sterngruppe.
Fatahs Al-Aksa-Bataillone
können mit der Palmach verglichen werden, den
regulären Kampftruppen der Hagana.
Zwischen diesen hebräischen
Organisationen entwickelte sich auch ein glühender Hass. Die Haganaleute
betrachteten die Irgun-Anhänger als Faschisten, die Irgun-Kämpfer betrachteten die Haganaleute als Kollaborateure der britischen Besatzungsbehörde. Die
nationale Führung nannte den Irgun und die Sterngruppe „Spalter“, die offizielle Irgun-Bezeichnung für die Hagana war „Scheißkerle“.
Die Auseinandersetzungen
erreichten in der „Saison“ (Jagdsaison)
einen Höhepunkt, als die Hagana Irgun-Mitglieder entführte und der britischen
Geheimpolizei übergab, von der sie unter Folter verhört und dann in
Internierungslager in Afrika
deportiert wurden. Aber es gab auch eine kurze Periode, in der alle drei
Organisationen ihre Aktionen unter einer gemeinsamen Kontrolle koordinierten.
Es war die „hebräische Aufstandsbewegung“.
Israels Politiker erinnern
gern an den Altalena-Vorfall, als Ben-Gurion
den Befehl gab, ein Irgun-Schiff voller Waffen vor
der Küste Tel Avivs mit einer Kanone zu
beschießen. (Menachem Begin, der an Deck gekommen war, wurde knapp dadurch gerettet, dass ihn seine Männer
ins Wasser warfen). Warum wagt Abbas nicht dasselbe gegenüber der Hamas ?
Die Frage ignoriert eine
wichtige Tatsache: Ben-Gurion benützte die „heilige
Kanone“ (wie er sie nannte) erst, nachdem der Staat gegründet worden
war. Das ist ein gewaltiger Unterschied.
Der bittere Hass zwischen der Hagana und dem Irgun und bis zu einem gewissen Grad auch zwischen dem Irgun und der Sterngruppe verringerte sich während der ersten Jahre des Staates langsam. Heute sind in Tel Aviv Straßen nach den Kommandeuren aller drei Organisationen benannt.
Was noch wichtiger ist: die
Historiker neigen heute dazu, den Kampf aller drei als eine gemeinsame Kampagne
zu sehen, als wären sie koordiniert gewesen. Die „terroristischen“ Aktionen des
Irgun und der Sterngruppe ergänzten die illegale
Einwanderungskampagne der Hagana. Die wachsende Popularität des Irgun und der Sterngruppe überzeugte die Briten davon, dass
sie mit der offiziellen zionistischen Führung zu einem Modus vivendi kommen sollten, damit nicht die „Extremisten“ die
ganze hebräische Gemeinschaft übernähmen.
Diese Analogie hat natürlich
ihre Grenzen. Ben-Gurion war ein starker und
autoritärer Führer wie Arafat, während die Position von Abbas viel schwächer
ist. Menachem Begin war entschlossen, um jeden Preis einen Bruderkrieg zu
verhindern, selbst wenn seine Leute entführt und den Briten übergeben wurden.
Ich glaube nicht, dass Hamasführer in
ähnlicher Situation so handeln würden.
Anders als der Irgun und seine unterstützende politische Partei, hat die
Hamas bei den demokratischen Wahlen die Mehrheit gewonnen.
Aber es ist möglich, dass in
der Zukunft, nachdem ein palästinensischer Staat entstanden sein wird,
Historiker sagen werden, dass die Fatah, Hamas und der islamische Jihad sich in Wirklichkeit ergänzt haben. Präsident Bush
drängt Ehud Olmert dazu,
Mahmoud Abbas gegenüber Konzessionen zu machen, um eine komplette Übernahme der
Westbank durch die Hamas zu verhindern.
Vielleicht ist es genau dies, dass Gaza zu Hamastan
wurde, was Abbas in die Lage versetzt,
seine Schwäche auszunützen und Dinge zu erreichen, die er auf andere Weise
nicht erreichen kann.
UM PRÄSIDENT Bushs Forderung nachzukommen, ist
Olmert jetzt auf jeden Fall bereit, mit Abbas so
etwas wie ein „Rahmenabkommen“ vorzubereiten, das die Prinzipien eines
Abkommens darlegt, das man später erzielen will – aber ohne Details oder einen
Zeitplan.
Nach durchgesickerten Informationen wird das
Abkommen mehr oder weniger Ehud Baraks
Vorschläge von Camp David wiederholen,
einschließlich einiger recht seltsamer wie z.B., die Souveränität Israels
„unterhalb“ des Tempelbergs. Der palästinensische Staat wird eine „vorläufige“
Grenze haben – die „permanente“ Grenze soll
irgendwann zu einem späteren Zeitpunkt festgelegt werden. Olmert verlangt,
dass die Trennungsmauer als „vorläufige“ Grenze dient. Dies ist übrigens das,
was wir von Anfang an sagten und was sogar vor dem Obersten Gerichtshof heftig geleugnet wurde: dass der Mauerverlauf
nicht Sicherheitsbelange berücksichtigt,
sondern allein dafür bestimmt war, dass
8% der Westbank von Israel annektiert werden. In diesem Gebiet wurden
die „Siedlungsblöcke“ errichtet. Es sind jene, die Präsident Bush großzügig versprochen hat, zu Israel zu schlagen.
Die ganze Sache ist für die
Palästinenser sehr gefährlich. Wenn solch ein Dokument tatsächlich fertig
gestellt wird, wird es zwar offiziell das Minimum sein, das die israelische
Regierung zu geben bereit ist, aber es kann auch dahin interpretiert werden,
dass es das Maximum ist, das Palästinenser fordern dürfen. Im politischen Leben
ist nichts dauerhafter als das
„Vorläufige“.
Es ist auch für die Israelis
gefährlich. Es könnte zur Illusion ermutigen, solch eine Lösung setze dem Konflikt ein Ende. Kein
Palästinenser wird dies als eine wirkliche
Lösung des Konfliktes ansehen - der Konflikt wird weitergehen.
Wie wird die öffentliche Meinung diesen Plan aufnehmen? Um dies zu erfahren, wird Olmert gewiss Meinungsumfragen in Auftrag geben. Wir kennen die Ergebnisse nicht. Wie Sharon wird er sie geheim halten.
(Aus dem Englischen: Ellen
Rohlfs, Christoph Glanz, vom Verfasser autorisiert)
Bei einer
Militäraktion Der
Verteidigungsminister
Schweigen bedeutet
In dieser Woche Ehud
Barak Es
wird zugelassen.
Wurden zwei Jungen Vorsitzender der
Laborpartei Dies ist
jetzt die Politik.
9 und 11 Jahre alt entschuldigte sich nicht
erschossen. Und drückte auch
kein Bedauern aus. Anzeige von Gush Shalom
in Haaretz am 24.8.07