Uri Avnery, 3.11.07
JAUCHZET, FROHLOCKED! Die Außenministerin hat entschieden, in ihrem
Stab
ein Sonderkomitee
einzurichten, das sich mit den „Kernfragen“ des Friedens mit den Palästinensern
befassen soll.
Doch, doch. Als Vorbereitung
für das Treffen in Annapolis hat der
Ministerpräsident die Außenministerin mit den Verhandlungen mit der
palästinensischen Behörde beauftragt.
Man könnte fragen: ist es nicht
die selbstverständlichste Sache der
Welt, dass sich das Außenministerium mit Außenpolitik befasst?
Nun, dies mag für andere
Länder selbstverständlich sein. In
Israel ist es überhaupt nicht selbstverständlich.
SCHON IN den ersten Jahren
des Staates war das Außenministerium die Zielscheibe für Spott. Einer meiner
Freunde verfasste einen (im Hebräischen)
einprägsamen Vers, den man etwa so
übersetzen kann: „Das Außenministerium/ ist sehr wichtig/ denn was würden
seine Angestellten/ ohne es tun?“
Der Staat wurde im Krieg geboren. Seine Helden waren
die Armeekommandeure. Der Architekt des Staates David Ben-Gurion
legte bereits damals die Richtung fest,
in die sich der Staat bis auf den
heutigen Tag bewegt. Bis zu seinem
letzten Tag im Amtssitz war er beides: Ministerpräsident und
Verteidigungsminister. Er hat nie seine Verachtung für das Außenministerium
verborgen.
Die ganze damalige
Generation teilte diese Verachtung. Richtige Männer mit einem echten Sabra-Akzent gingen zur Armee, wurden General und
bestückten dann das Verteidigungsministerium. Schwächlinge mit einem
angelsächsischen oder deutschen Akzent gingen ins Außenministerium, wurden
Botschafter und Bürohengste. Jeder konnte den Unterschied erkennen.
Das fand auch seinen Ausdruck
in persönlichen Beziehungen: Ben-Gurion schikanierte
den ersten Außenminister, Moshe Sharett, in dem er
einen potentiellen Rivalen sah. Und
tatsächlich, als Ben-Gurion sich 1953
entschied, sich vorübergehend von seinem
Amt zurückzuziehen und in die Wüstensiedlung Sde Boker zu gehen, wurde Sharett
Ministerpräsident. Er zahlte dafür einen teuren Preis: als Ben-Gurion
aus seinem selbst gewählten Exil
zurückkam, hatte Sharett nichts mehr zu sagen, und während der Vorbereitung
zum Sinaifeldzug, entließ er ihn einfach.
Er vermachte das
Außenministerium Golda Meir, aber ließ
auch sie links liegen. Der Sinai-Suez-Feldzug wurde von dem jungen
Shimon Peres, dem Generaldirektor des Verteidigungsministeriums und Ben-Gurions
ergebenem Diener, vorbereitet. Er half, das französisch-britisch-israelische
Komplott für den Angriff auf Ägypten zu
schmieden. Als Gegengabe für die Bereitschaft, den Franzosen in ihrem Krieg
gegen die algerischen Aufständischen beizustehen, schenkten uns die Franzosen
den Atomreaktor in Dimona. All dies geschah hinter
dem Rücken des Außenministers.
Dies ging all die Jahre so.
Die wichtigen Probleme der außenpolitischen Beziehungen wurden vom
Ministerpräsidentenbüro und dem Verteidigungsministerium behandelt – mit Hilfe des Mossad.
Unsere Botschafter rund um die Welt erfuhren erst über die Nachrichten davon.
Das mag keine israelische
Besonderheit sein. Heutzutage führen die Präsidenten und Ministerpräsidenten
ihre eigene Außenpolitik. Schnelle Flüge, das internationale Telefon und die E-mails versetzen
sie in die Lage, direkt mit einander in Kontakt zu treten. In fast allen
Ländern verwandelten sich die Außenminister
mit zunehmendem Tempo in Laufburschen (Laufmädchen).
In unserm Land ist das
besonders ausgeprägt, weil die Armee in unserm nationalen Leben eine zentrale
Rolle spielt. Im israelischen Kartenspiel übertrumpft ein General zehn
Botschafter. Die Einschätzungen der Armeenachrichtendienste und die Berichte
des Mossad übertrumpfen alle Dokumente des
Außenministeriums – wenn diese überhaupt von jemandem gelesen werden.
ICH KONNTE nicht anders als
lachen, als ich von Zipi Livnis
Entscheidung las, sie habe einen Friedensstab gegründet.
Vor 51 Jahren – eine Woche
vor dem Sinaifeldzug – veröffentlichte ich einen Artikel mit der Überschrift
„Der weiße Generalstab“, der so etwas wie mein Flaggschiff wurde. Da es in Israel
in erster Linie darum geht, Frieden zu erlangen – so schrieb ich - ist es unannehmbar, dass es
kein professionelles Amt gibt, das sich ausschließlich damit beschäftigt. Ich
schlug vor, ein besonderes Ministerium
für den Frieden aufzubauen. Ich behauptete, das Außenministerium sei für
diesen Job nicht geeignet, da seine
Hauptaufgabe darin bestehe, den internationalen politischen Kampf gegen die
arabische Welt zu führen.
Um diese Idee populär zu
machen, schlug ich auch vor, dem „Khaki-Generalstab“, der Kriegsoperationen
vorbereitet, einen „Weißen Generalstab“ gegenüber zu stellen, der Friedensmöglichkeiten auslotet. So wie der
militärische Generalstab für jede militärische Situation vorausplant, so sollte
der weiße Generalstab
Friedensoperationen planen. Dieses Team sollte aus Experten für
arabische Angelegenheiten zusammengesetzt sein, sowie aus Diplomaten,
Psychologen, Ökonomen, Geheimdienstlern
etc
Zehn Jahre später wiederholte
ich diesen Vorschlag bei einer Knessetrede. Sie wurde später in einer
Anthologie für bedeutende Reden mit
aufgenommen. Ich wiederholte die Beobachtung, dass es in dem ganzen großen Regierungsapparat mit
seinen Zehntausenden von Mitarbeitern es kaum ein Dutzend Leute gab, die den
Auftrag hatten, für den Frieden zu arbeiten.
Dem ging eine ziemlich
amüsante Episode voraus: Eric Rouleau, einer der bedeutendsten französischen
Journalisten für den Nahen Osten, arrangierte in Paris ein geheimes Treffen zwischen dem tunesischen
Botschafter und mir. Es war, nachdem Habib Bourguiba, der legendäre Präsident Tunesiens, seine
historische Rede in Jericho gehalten hatte und darin zum ersten Mal die
arabische Welt dazu aufrief, mit Israel Frieden zu schließen. Ich bat den
Botschafter, seinen Präsidenten zu ermutigen,
mit dieser Initiative fortzufahren. Der Botschafter schlug einen Deal vor: Israel solle seinen Einfluss
in Paris nützen und die Franzosen dazu bringen, ihre Beziehungen mit Tunesien
zu verbessern (die damals an einem
Tiefpunkt angekommen waren), und im Gegenzug würde Bourguiba
seine Initiative fortsetzen.
Ich eilte nach Hause und bat
um ein dringendes Gespräch mit dem Außenminister Abba Eban.
Er brachte Mordechai Gazit mit, den Chef der Nahost-Abteilung. Eban hörte mir aufmerksam zu und antwortete mit ein paar
unverbindlichen Worten. Als wir gingen, brach Gazit
in Gelächter aus.
„Sie wissen nicht, was hier
los ist,“ sagte er, „Wenn Eban dies ernst genommen
hätte und seiner Abteilung die Order erteilt hätte, einen Bericht über die
französisch-tunesischen Beziehungen zu erstellen, gäbe es niemanden, der dies
tun könnte. Im ganzen Außenministerium gibt es kaum ein halbes Dutzend Leute,
die sich mit arabischen Angelegenheiten befassen.“
Ich hielt also jene Rede und
sprach später mit dem
Ministerpräsidenten Levy Eshkol und nochmals später
mit dem Ministerpräsidenten Ytzhak Rabin darüber – aber nichts geschah. Deshalb sei mir
erlaubt, der Initiative von Frau Livni eine gewisse
Skepsis entgegen zu bringen.
VOR KURZEM hat der frühere
Außenminister der USA Henry Kissinger ein Buch über den Beruf des Diplomaten
veröffentlicht. Er behauptet, dass die großen Außenminister einen viel größeren
Einfluss auf die Geschichte hätten, als Könige und Feldherren ihn je gehabt
hätten
Nun bin ich keiner der großen
Bewunderer dieses Mannes, der in meinem Alter ist und wie ich in Deutschland
geboren wurde. Manchmal frage ich mich nur: was wäre wohl geschehen, wenn sein
Vater nach Palästina und der meinige
nach Amerika ausgewandert wäre? Wäre ich zum Egomanen und Kriegsverbrecher
geworden und er ein israelischer Friedensaktivist?
Aber ich bin bereit, die
zentrale These des Buches zu akzeptieren:
ernsthafte Außenpolitik ist ohne ein klares, konsequentes und
langfristiges Ziel nicht möglich.
Die israelische
Außenministerin hat kein solches Ziel. Sie redet, erklärt und verkündet, aber
es ist überhaupt nicht klar, wohin sie unsere Außenpolitik führen würde, selbst
wenn es ihr erlaubt wäre, sie zu führen. Nach zwei Jahren im Amt ist ihr
politisches Erscheinungsbild blass und
konturlos.
Einmal versucht sie, Olmert von links her
anzugreifen, ein andermal von rechts. An einem Tag redet sie von der
Notwendigkeit, sich mit den „Kernfragen“
des Friedens zu beschäftigen, am andern Tag sagt sie, es sei für ein
Endabkommen noch nicht die Zeit
gekommen. Sie unterstützte den Libanonkrieg des letzten Jahres, aber kritisiert
ihn jetzt scharf. Nach der Veröffentlichung des Interimberichtes der Winograd-Kommission rief sie Olmert
zum Rücktritt auf – mit der Absicht, seinen Posten zu übernehmen, aber als
dieser kleine Putschversuch kollabierte, blieb sie in seiner Regierung und trug weiterhin die Verantwortung für seine
Aktionen und Unterlassungen.
Livni verachtet Olmert und Olmert verachtet Livni. Sie
kommen zwar beide „aus demselben Dorf“ – Ehuds Vater
und Zipis Vater waren beide ranghohe Mitglieder des Irgun. Beide wuchsen in derselben rechten politischen
Atmosphäre auf, beide tranken aus
derselben Quelle. Als Livnis Mutter vor ein paar
Wochen starb, standen sie beim Begräbnis neben einander und sangen die Betarhymne: „ Stille ist Schmutz/ opfre Blut und Seele/ für
den verborgenen Ruhm…“ (Betar war die Jugendbewegung des rechten Flügels, aus welcher
der Irgun
entstand.)
Die gegenseitige Verachtung
zwischen Ben Gurion und Sharett
und zwischen Rabin und Peres wiederholt sich nun noch einmal. Diese Beziehungen
haben einen erheblichen Einfluss auf die
Politik – nach dem berühmten Wort Kissingers: „In Israel gibt es keine Außenpolitik, es hat nur Innenpolitik.“ (Mir scheint, dass dies für
die meisten demokratischen Länder zutrifft, einschließlich der USA.)
Israels Außenpolitik wird von
internen Erwägungen geprägt: Olmert ist entschlossen, auf jeden Fall politisch zu überleben. Nachdem seine Regierung
ultrarechte und sogar faschistische Elemente einschließt, würde eine wirkliche
Bewegung in Richtung Frieden zu ihrer Auflösung führen.
WENN EINE Regierung kein
langfristiges Ziel hat, wie kann sie dann Politik machen? Kissinger gibt darauf keine Antwort. Ich habe eine:
Wenn es kein bewusstes Ziel gibt, dann übernimmt ein unbewusstes Ziel die Kontrolle, eines, das seit langem besteht und – auf
Grund von Trägheitskräften – fortfährt,
weiter zu bestehen.
Der genetische Code der
zionistischen Bewegung führt zu einem Kampf mit dem palästinensischen Volk um
den Besitz des ganzen historischen Palästina und um die Erweiterung der
jüdischen Besiedlung vom Meer bis zum Fluss. Solange dies nicht durch einen
nationalen Beschluss abgelöst und ein
anderes Ziel akzeptiert wird – durch eine klare, offene und langfristige
Entscheidung – wird es auf dieser Linie weitergehen.
Solch eine Resolution ist bis
jetzt nicht zustande gekommen. Die Minister sprechen über andere Möglichkeiten,
plappern über die „Zwei-Staaten-Lösung“ , werfen mit allerlei Sprüchen um sich,
machen Erklärungen und veröffentlichen
Statements, aber in Wirklichkeit wird
die alte Politik unvermindert fortgesetzt, als ob nichts geschehen sei.
Wenn eine andere Entscheidung
getroffen worden wäre, würde sich alles verändert haben – von der
„Körpersprache“ der Regierung bis zum Ton ihrer Stimme. Im Augenblick ist es
die Musik der Betarhymne, die den Ton der Musik
ausmacht.
Gibt es irgend
einen Beweis für Olmerts Absicht, keinen
wesentlichen Schritt in Richtung Frieden zu machen? Ja, den gibt es. Es ist
seine Entscheidung, Zipi Livni
mit den Kontakten mit den Palästinensern zu beauftragen.
Wenn Olmert
wirklich einen historischen Durchbruch wünschte, dann wäre er darauf bedacht,
den Erfolg auf die eigene Rechnung zu buchen. Wenn er dies aber seiner Rivalin
überlässt, dann bedeutet es, dass es aussichtslos ist.
IN DER LETZTEN Woche trat die
holländische Regierung mit der Bitte an das israelische Außenministerium heran,
den palästinensischen Blumenanbauern aus dem Gazastreifen den Export ihrer Waren ins Land der Tulpen zu ermöglichen.
Zipi Livni, die stellvertretende
Ministerpräsidentin und Außenministerin war nicht in der Lage, diese
bescheidene Forderung zu erfüllen. Die Armee hat es untersagt.
Im Gegensatz zum bekannten
Spruch glauben sie offensichtlich nicht an das Motto: „ Sag es mit Blumen.“.
(Aus dem Englischen: Ellen
Rohlfs und Christoph Glanz; vom Verfasser autorisiert)