„Der Tumult und das Schreien verebbt...“
Uri Avnery, 1.12.07
„DER
TUMULT und das Schreien verebbt,/ die Kapitäne und
Könige fahren ab...“ schrieb Rudyard Kipling in seinem unvergesslichen Gedicht: „Damit wir sie
nicht vergessen“ („Schlusshymne“).
König
George verschwand sogar bevor der Tumult abebbte. Sein Hubschrauber trug ihn
dem Horizont entgegen, so wie das treue Ross den Cowboy am Ende des Filmes in
den Sonnenuntergang hinein trägt. Zu
diesem Zeitpunkt liefen die Reden in der Versammlungshalle noch auf vollen
Touren.
Dies
symbolisiert das ganze Ereignis. Die Abschlussverlautbarung verkündete, dass
die USA die Verhandlungen beaufsichtigen, dass sie als Schiedsrichter die
Implementierung der Vereinbarungen beäugen und allgemein als Richter während
des Gesamtprozesses fungieren werden. Alles hängt also von den Staaten ab. Wenn
sie es wollen – wird viel geschehen. Wenn sie es nicht wollen, wird sich gar
nichts tun.
Das
lässt nichts Gutes ahnen. Es gibt keine Anzeichen, dass George Buch sich hier
wirklich engagiert, um etwas zu erreichen – abgesehen von netten Fotos. Es gibt
Leute, die glauben, dass die ganze Show nur dafür veranstaltete wurde, damit
sich die armselige Condoleezza Rice
ein wenig besser fühlt, deren Bemühungen als Außenministerin allesamt
gescheitert sind.
Selbst
wenn Bush gewollt hätte, hätte er denn etwas tun können? Ist er denn überhaupt
in der Lage dazu, Druck auf Israel auszuüben – angesichts der starken
Opposition von Seiten der Pro-Israel-Lobby und vor
allem von Seiten der christlich-zionistischen Öffentlichkeit, zu der er selbst gehört ?
Ein
Freund erzählte mir, dass er während der Konferenz das vom
Fernsehen übertragene Prozedere bei ausgeschaltetem Ton verfolgte, um
die Körpersprache der Hauptakteure genau beobachten zu können. Auf diese Weise
entdeckte er interessante Details: Bush und Olmert
berührten sich viele Male – aber zwischen Bush und Mahmoud Abbas gab es fast
keinen körperlichen Kontakt. Außerdem war während all der gemeinsamen Treffen
die Distanz zwischen Bush und Olmert kleiner als
zwischen Bush und Abbas. Manchmal liefen Bush und Olmert
voraus und Abbas hinterher.
Das
ist die ganze Geschichte.
SHERLOCK
HOLMES sagte bei einem seiner Fälle, dass die Lösung mit „dem eigenartig
nächtlichen Vorfall mit den Hunden“ zu tun haben müsse. Als er darauf
hingewiesen wurde, dass die Hunde gar nichts getan täten, antwortete er: „Genau
dies ist der seltsame Vorfall.“
Jeder,
der verstehen will, was in Annapolis geschehen (oder
nicht geschehen) ist, wird die Lösung in der Tatsache finden, dass die Hunde
nicht bellten. Die Siedler und ihre Freunde verhielten sich ruhig, gerieten
nicht in Panik, regten sich nicht auf, verteilten keine Poster mit Olmert in SS-Uniform – so wie sie es nach Oslo mit Rabins
Abbild getan hatten – alles in allem begnügten sie sich mit dem obligatorischen
Gebet vor der Klagemauer und einer sehr kleinen Demonstration in der Nähe der
Wohnung des Ministerpräsidenten.
Das
heißt, sie waren nicht beunruhigt. Sie wussten, dass nichts passieren wird,
dass es kein Abkommen geben wird über die Auflösung auch nur eines
armseligen Außenposten. Und auf die Vorhersage der Siedlerführer kann
man sich verlassen. Wenn es nur die geringste Chance gegeben hätte, dass man
mit dieser Konferenz Frieden erreicht hätte, dann hätten sie ihre Anhänger in
Massen mobilisiert.
DIE
HAMASBEWEGUNG andererseits hat
Massendemonstrationen in Gaza und in der Westbank organisiert. Die Hamasführer
waren tatsächlich sehr beunruhigt.
Nicht
weil sie fürchteten, dass bei diesem Treffen Frieden erreicht werden könnte.
Sie sorgten sich wegen einer ganz anderen Gefahr: dass es das einzige wirkliche
Ziel der Konferenz sei, eine israelische Invasion in den Gazastreifen
vorzubereiten.
Ami
Ayalon, ein früherer Admiral, der einmal behauptete,
ein Mann des Friedens zu sein und jetzt ein Labor-Mitglied im
Regierungskabinett ist, erschien während der Konferenz im israelischen
Fernsehen und sagte dort ganz offen: Er sei für die Konferenz; denn sie
legitimiere diese Operation.
Der
Gedankengang ist folgender: um seine Verpflichtung gemäß der Road Map zu erfüllen, muss „Abbas die terroristische
Infrastruktur“ in der Westbank und im Gazastreifen zerstören. „Terrorismus“
bedeutet Hamas. Da Abbas nicht in der Lage ist, den Gazastreifen selbst zu
erobern, wird es die israelische Armee in seinem Namen tun.
Das
mag zwar kostspielig werden. In den vergangenen paar Monaten wurden große
Mengen Waffen aus Ägypten durch Tunnel unter der Grenze hindurch in den Gazastreifen geschleust. Viele
Menschen auf beiden Seiten werden ihr Leben verlieren. „Aber was soll man tun?
Es gibt doch keine Alternative.“
Hamas
ist auf jeden Fall sehr beunruhigt – und das nicht ohne Grund.
Während
sich Hamas auf diese Konfrontation vorbereitet, sind die Hamasführer in ihrer
Tonlage noch schriller geworden in ihren Aufrufen gegen diese Konferenz, zu der
sie nicht eingeladen worden waren. Sie erklärten, Abbas sei ein Kollaborateur
und Verräter, und Hamas würde weder Israel jemals anerkennen noch ein
Friedensabkommen mit diesem Staat akzeptieren.
ICH
KANN mir in meiner Vorstellung eine Konferenz der Friedensgegner ausmalen –
eine Art Anti-Annapolis. Nicht eine Routinekonferenz,
die von Mahmoud Ahmadinejad in Teheran geplant wurde,
zu der aber nur Araber eingeladen werden, sondern ein gemeinsames Treffen aller
Friedensgegner von beiden Seiten. Khalid Mashal und Ismail Hanije würden Avigdor Liberman, Effi Eytam und Benny Eilon gegenüber
sitzen und gemeinsam abwägen, wie man die „Zwei-Staaten-Lösung“ verhindern
könne.
Wenn
ich dazu eingeladen werden würde, diese Konferenz zu moderieren, dann würde ich
folgendermaßen beginnen: Meine Herren (Damen sind natürlich nicht dabei),
lassen Sie uns mit den Punkten beginnen, in denen Einverständnis herrscht und
erst danach die Punkte ansprechen, in denen es kein Einverständnis gibt. Sie
stimmen also alle darin überein, dass das Land zwischen dem Mittelmeer und dem
Jordan zu einem einzigen Staat verschmelzen soll (allgemeines Kopfnicken). Sie,
die palästinensischen Herrschaften stimmen zu, dass die Juden die volle
Gleichberechtigung erhalten sollten (Kopfnicken auf der palästinensischen
Seite).Und Sie, die israelischen Herrschaften, stimmen darin überein, dass die
Araber die volle Gleichberechtigung erhalten sollen. (Kopfnicken auf der
israelischen Seite des Tisches). Und natürlich sind sie damit einverstanden,
dass es völlige Religionsfreiheit für alle geben soll (allgemeines Kopfnicken).
Wenn
dem so ist, meine Herren, dann gibt es doch nur eine Sache, über die es noch
kein Einverständnis gibt: ob der Staat nun Palästina oder Israel heißen soll.
Lohnt es sich deshalb zu streiten und Blut zu vergießen? Einigen wir uns doch
auf einen neutralen Namen, etwa Isratin oder Palael.
ZURÜCK
ZUM Weißen Haus: Wenn sich die drei politischen Verantwortlichen bei ihren
geheimen Beratungen darauf geeinigt haben sollten, dass die israelische Armee
den Gazastreifen zurückerobern soll, so wäre das eine sehr schlechte Nachricht.
Es
wäre besser gewesen, wenn man die Hamas mit in die Konferenz eingebunden hätte
– vielleicht nicht direkt, aber zumindest indirekt. Die Abwesenheit von Hamas
schafft einen gähnenden Abgrund in dieser Konferenz. Welchen Sinn hat es, wenn
vierzig Vertreter aus aller Welt da sind, wenn aber mehr als die Hälfte des
palästinensischen Volkes nicht vertreten ist? Dies um so mehr, als der Boykott
der Hamas diese Organisation nur weiter in die Ecke gedrängt hat, und sie damit
veranlasst hat, in ihrer Ablehnung dieses Treffens nur noch radikaler zu werden
und die palästinensische Öffentlichkeit dagegen aufzuhetzen.
Die
Hamas ist nicht nur bewaffnete Organisation, die momentan den Gazastreifen
beherrscht. Sie ist vor allem eine politische Bewegung, die die Mehrheit der
Stimmen des palästinensischen Volkes bei demokratischen Wahlen gewonnen hat –
nicht nur im Gazastreifen, sondern auch auf der Westbank. Das wird sich nicht
ändern, wenn Israel morgen den Streifen erobert. Im Gegenteil: es wird Abbas
als Kollaborateur in einem Krieg gegen das eigene Volk brandmarken und
tatsächlich die Verwurzelung der Hamas in der palästinensischen Öffentlichkeit
stärken.
Olmert
sagte, zuerst müssten alle „terroristischen Strukturen“ eliminiert werden und
erst danach könnte es Fortschritte in Richtung Frieden geben.
Das
zeigt, dass er keine Idee davon hat, was eine „terroristische Infrastruktur“
ist. Um so bedauerlicher ist dies für eine Person, deren Vater ( genau wie der Vater von Zipi Livni) ein hochrangiges Mitglied bei den Irgun-“Terroristen“ war. Es zeigt auch, dass es nicht der
Frieden ist, der auf seiner Liste oben auf steht – weil
dieses Statement eine tödliche
Landmine auf dem Weg zu einem Abkommen darstellt. Er spannt gewissermaßen den
Wagen vor das Pferd.
Die
logische Konsequenz müsste genau umgekehrt sein: Zunächst müssten wir ein
Friedensabkommen erreichen, das für die Mehrheit des palästinensischen Volkes
annehmbar ist. Das bedeutet (a) den Grund für einen palästinensischen Staat zu
legen, dessen Grenze die Grüne Linie ist (mit begrenztem Landtausch) und dessen
Hauptstadt Ost-Jerusalem ist, (b) das palästinensische Volk dazu aufrufen,
dieses Abkommen mit einem Referendum zu ratifizieren und c) die Hamas
aufzurufen, ihre Waffen niederzulegen und sich dem politischen System im neuen
Staat anzuschließen.
Wenn
es eine Absicherung dafür gäbe, dass der Verlauf der Dinge diesen Ideen folgen
würde, gäbe es auch eine vernünftige Chance, Hamas schon jetzt zu überzeugen,
den Prozess nicht zu zerstören und Abbas zu erlauben diesen voranzutreiben – so
wie die Hamas schon in der Vergangenheit ihn gewähren ließ.
Warum?
Weil die Hamas wie jede andere politische Bewegung von öffentlicher
Unterstützung abhängig ist. Zum jetzigen Zeitpunkt – wo die Besatzung sich täglich
verschlimmert und scheinbar alle Wege zu einem echten Frieden blockiert sind –
müssen die palästinensischen Massen davon überzeugt sein, dass der Weg der
Hamas, der Weg des bewaffneten Widerstandes, der einzige ist, der ihnen auch
nur einen Hauch Hoffnung bietet. Wenn die Massen hingegen davon überzeugt
werden könnten, dass der politische Weg von Abbas Früchte tragen und zu einem
Ende der Besatzung führen könnte, dann wäre auch die Hamas dazu gezwungen,
ihren Kurs zu ändern.
Unglücklicherweise,
hat die Annapolis Konferenz in keiner Weise dazu
beigetragen, solche Hoffnungen zu bestärken. Die palästinensische
Öffentlichkeit behandelte das Treffen genau wie die israelische, mit einer
Mischung aus Misstrauen und Verachtung. Es sieht ganz nach einer inhaltslosen
Show aus, die von einer lahmen Ente (dem amerikanischen Präsidenten)
veranstaltet wird, deren einziges Ansinnen es ist, in der Pose des Anführers
der Welt fotografiert zu werden. Und falls Bush tatsächlich eine weitere
UN-Resolution bewerkstelligen können sollte, hinter der er sich dann verstecken
kann – eine weitere Resolution, die von niemandem ernst genommen würde – es
würde rein gar nichts ändern.
Dies
gilt ganz besonders dann, wenn man israelischen Presseberichten Glauben
schenken darf, wonach die israelische Regierung große Erweiterungen der
Siedlungen plant und die Armeebosse heiß darauf sind, einen weiteren blutigen
Krieg zu beginnen, diesmal im Gazastreifen.
HAT
DIESES Spektakel also gar keinen positiven Aspekt gehabt? Wird es bereits
morgen vergessen sein, wie bereits Dutzende solcher Treffen in der
Vergangenheit vergessen wurden, so dass schließlich nur noch Menschen mit
außergewöhnlicher Gedächtniskraft sie auch nur als da gewesen erinnern werden?
Ich
bin nicht sicher, dass dem so ist.
Natürlich
handelte es sich nur um einen einzigen großen Wortschwall. Aber im Leben der
Nationen haben Worte durchaus ihren Wert.
Nahezu
die gesamte Menschheit war bei dieser Konferenz vertreten. China. Indien.
Russland. Europa. Nahezu alle arabischen Regierungen gaben ihre Unterstützung.
Und in dieser Runde wurde feierlich beschlossen, dass Frieden zwischen Israel
und einem unabhängigen und überlebensfähigen Staat Palästina hergestellt werden
muss. Ja, es ist richtig, dass die Bedingungen dafür nicht ausgesprochen
wurden, aber sie schwebten bereits gewissermaßen über der Konferenz. Alle
Teilnehmer wussten wie die Bedingungen lauten.
Die
Repräsentanten des israelischen Mainstreams fügten
sich diesem Konsens – zumindest pro forma. Vielleicht taten sie dies mit
heuchlerischer Gesinnung, vielleicht nur als List, vielleicht als gezielte Täuschung. Aber wie
unsere Weisen schon vor Urzeiten so schön formulierten: der, der die Tora nicht
um ihrer selbst willen annimmt, wird sie eines Tages um ihrer selbst willen
annehmen. Soll heißen: wenn jemand eine Idee aus rein taktischer Berechnung
annimmt, wird er doch dazu gezwungen sein, sie zu verteidigen, und wird sich so
schlussendlich selbst überzeugen. Ehud Olmert erklärte bereits auf seinem Rückweg: „Ohne die
Zwei-Staaten-Lösung, ist der israelische Staat erledigt.“
In
Verbindung dazu, muss festgestellt werden, dass bereits ein Wettbewerb unter
den Kabinettmitgliedern im Gange ist, und das ist ein gutes Zeichen. Tzipi Livni hat mehr als ein
Dutzend Expertenkomitees einrichten lassen, von denen ein jedes sich mit einem
bestimmten Aspekt des Friedens beschäftigt, von der Frage der Verteilung der Wasserressourcen
bis zur Zuweisung von Fernsehkanälen. (Für diejenigen mit gutem Gedächtnis:
dies geschieht nun 50 Jahre, nachdem ich die Errichtung eines solchen Gremiums
vorgeschlagen habe, das ich als Mitarbeiterstab der „weißen Generäle“ – im
Gegensatz zu den „Khaki-Generälen“ – bezeichnet wissen wollte.)
Ja,
die Annapolis Konferenz war nur ein kleiner Schritt,
der unter Zwang zustande kam. Aber es war dennoch ein winziger Schritt in die
richtige Richtung.
Das
Bewusstsein einer größeren Menschenmasse ändert sich nur im Laufe eines langen
und sehr langsamen Prozesses, mit der Geschwindigkeit tektonischer Platten.
Aber, wie schon Galileo Galilei vor sich hinmurmelte: „Und sie bewegt sich
doch!“.
(Aus
dem Englischen von Ellen Rohlfs und Christoph Glanz, vom Verfasser autorisiert)