Uri Avnery in München - Bericht einer
beeindruckenden Begegnung
Am vergangenen Dienstag war der bekannte
israelische Journalist, Schriftsteller und Friedensaktivist Uri Avnery auf
Einladung der Gesellschaft für Außenpolitik in München zu Gast.
Avnery ist mehr als nur einer
von so vielen Journalisten und Beobachtern, die den Nahostkonflikt mehr oder
weniger von außen betrachten. Er hat den Nahostkonflikt gelebt, und lebt ihn
immer noch. So war er während des Unabhängigkeitskriegs, der in den 40er Jahren
von den im damaligen britischen Mandat Palästina ankommenden Juden gegen Briten
und Araber geführt wurde, Mitglied der bewaffneten Kampf- und Terrorgruppe Irgun. Die Irgun wurde vor
allem durch den verheerenden Anschlag
auf das King-David-Hotel in Jerusalem bekannt, in dem sich zu dem Zeitpunkt das
Hauptquartier der britischen Besatzer befand.
Als es dann 1948 nach der
Gründung des jüdischen Staates zum Krieg gegen die Armeen Ägyptens,
Saudi-Arabiens, Jordaniens, des Libanon, des Irak und Syriens kam, war Avnery
wieder an der Front mit dabei, als Soldat in der israelischen Armee IDF.
Nach dieser militärischen Karriere versuchte Avnery, seinem Land auch auf
friedlichem Wege zu dienen. Er hielt 10 Jahre lang einen Sitz im israelischen
Parlament, der Knesset. Seine Amtszeit dauerte jeweils von 1965 bis 1973 und
von 1979 bis 1981. Schon damals machte er sich für den Frieden stark. So
stellte er sich als praktisch einziger Parlamentsabgeordneter öffentlich gegen
die ehemalige israelische Premierministerin Golda Meir, die behauptete es gebe
in Wahrheit gar kein palästinensisches Volk.
Seine Antwort darauf gab er am Dienstag schmunzelnd so wieder: “Auch wenn fünf
Millionen Menschen nur irrtümlicherweise denken, sie seien ein Volk,
sind sie eben doch eines.” Ein anderes Mal riskierte Avnery mehr als nur sein
Ansehen für den Frieden, als er sich mit dem PLO-Chef Jassir Arafat in Beirut
traf, um über den Frieden zu reden. Avnery bemerkte, damals hätten sechs
israelische Kabinettsmitglieder deshalb seine Verhaftung gefordert. Immerhin
nicht seine Exekution, wie es heutzutage der israelische Minister für
strategische Angelegenheiten, Avigdor Lieberman, für
angemessen hält.
Wenn Avnery vor dem Hintergrund des nunmehr über 60 Jahre dauernden
israelisch-palästinensischen Konflikts als Friedensaktivist bezeichnet wird
(und sich selbst so bezeichnet), dann ist er dies nicht aus einer Position des
Pazifismus heraus. Er ist in erster Linie ein Patriot, der für sein Land und
dessen Volk eine blühende Zukunft will. Und für ihn ist klar, dass diese
Zukunft nicht aus weiterer Unterdrückung gegenüber den Palästinensern und
anderen arabischen Nachbarn entstehen kann, sondern einzig und allein aus
Gerechtigkeit.
Schon gar nicht ist Avnery ein antizionistischer Jude wie zum Beispiel die
Glaubensgemeinschaft Neturei
Karta, die der Ansicht ist, die Juden dürften
erst dann wieder einen eigenen Staat im Nahen Osten haben, wenn Gott sie von
ihren Sünden frei gesprochen hat. Im Gegenteil, Avnery ist Zionist. Dies
antwortete er auf eine entsprechende Frage aus dem Publikum und dass es dabei
auch darauf ankommt, was denn ein Zionist ist. Er sei insofern ein Zionist, als
dass er sich einen jüdischen Staat Israel wünscht. Und um dessen Existenz und
Legitimität zu erhalten, will er endlich gerechten Frieden schaffen.
Die Vorstellung Avnerys am Dienstag war nun nicht so
ausführlich, aber da galt es schließlich auch das Wort möglichst zügig an ihn
selbst weiterzugeben. Was, als er zum ersten Mal das Wort ergriff, wohl einige
Zuhörer überraschte, das war sein beinahe fehlerfreies Deutsch. Während einige
der heutigen Knesset-Kollegen die deutsche Sprache verteufeln und deutsch
sprechenden Ehrengästen die kalte Schulter zeigen, weiß Avnery es besser. Er
weiß dass Deutsch nicht mit einer ewigen Schuld belegt ist, und kritisiert
dahingehende Äußerungen anderer israelischer und jüdischer Persönlichkeiten.
Fairerweise sollte aber auch erwähnt werden, dass Avnery seinen deutschen
Geburtsnamen Helmut Ostermann abgelegt hat.
Das offizielle Thema des Vortrags von Avnery lautete “Israel und Palästina: Ist
Friede möglich?”. Dies war selbstverständlich eine rhetorische Frage, und
Avnery verbrachte einen Großteil des Vortrags damit, zu erklären warum ein
Friede nicht nur möglich, sondern langfristig unausweichlich ist.
Avnerys Vorstellung von einem gerechten Frieden - und
das ist eine Vorstellung, die er und seine diversen Mitstreiter schon seit
Jahrzehnten beinahe unverändert formulieren - ist schnell umrissen: Eine
Zweistaatenlösung mit den
Grenzen von vor 1967, einen souveränen palästinensischen Staat mit
Ostjerusalem als Hauptstadt, Israel müsste also (nicht nur seiner) Meinung nach
die Besetzung ganz Jersualems aufgeben. Genauso
müssten die Golanhöhen an Syrien zurückzugeben werden, denn “wir brauchen sie
einfach nicht”. Zu guter Letzt müssten die unzähligen illegalen
Siedler, ungefähr 400.000 an der Zahl, nach Israel zurückkehren, genauso
wie mindestens ein Teil der mittlerweile fünf Millionen palästinensischen
Flüchtlinge. Avnery legte Wert auf die Feststellung, dass es sich bei den
Flüchtlingen nicht um reine Statistiken oder ein “theoretisches Problem”
handelt, sondern um lebendige und leider kontinuierlich leidende Menschen.
Von Israel selbst zeichnete Avnery ein zweischneidiges Bild. Entschlossene
Kriegstreiber auf der einen, eine riesengroße Friedensbewegung auf der anderen
Seite.
Auf Seiten der Kriegstreiber steht zum Beispiel ein Knesset-Abgeordneter, der
laut Avnery kürzlich folgendes gefordert hat: Israel annektiert offiziell die
bislang “nur” besetzten Gebiete (und tilgt damit Palästina von der Landkarte).
Die dort lebenden Araber bekommen natürlich nicht die israelische
Staatsbürgerschaft, sondern werden Jordanier und auch langsam aber sicher
dorthin abgedrängt.
Zur israelischen Psyche allgemein und der unheilvollen Annahme vom auserwählten
Volk sagte Avnery: “Die Mehrheit der Israelis glaubt zwar nicht an Gott, aber
daran dass er ihnen das Land gegeben hat”.
Dem gegenüber steht die Friedensfraktion in Israel, von der Avnerys
Organisation Gush
Shalom ein Teil ist. Diese hat auf dem Höhepunkt
des Libanonkrieges 2006 bis zu 100.000 Menschen auf die Straße gebracht
(gemessen an der Einwohnerzahl Israels entspricht das mehr als einer Million
Demonstranten in Berlin, die gegen den Afghanistankrieg vorgehen würden). Als
er diese Demonstrationen ansprach, äußerte sich Avnery auch sehr verärgert
darüber, dass er während des Krieges praktisch keine angemessene
Berichterstattung über die Friedensbewegung registrieren konnte. In den
Massenmedien sei der Eindruck propagiert worden, ganz Israel sei für den Krieg
und die Art, wie er geführt wurde.
Wenig überraschend für einen Vortrag über den Nahostkonflikt kam Avnery auch
auf zwei wichtige Themen zu sprechen, die Israellobby
in den USA und den herbeigeredeten Konflikt mit
dem Iran. Zum Thema Israellobby umriss Avnery kurz, was Lesern dieser
Internetseite schon länger bekannt sein dürfte. Er erwähnte Mearsheimer und Walt und betonte, dass die Israellobby
sowohl aus einem jüdischen als auch einem christlichen Teil besteht.
Schlussendlich wiederholte Avnery, was er schon früher zum Thema geschrieben
hatte: Für ihn wedelt beim Thema amerikanischer Außenpolitik im Verhältnis zu
israelischen Interessen sowohl der Schwanz mit dem Hund als auch der Hund mit
dem Schwanz. Bei aller Lobbyarbeit zum Wohle Israels will er also nicht vergessen
wissen, dass auch die Interessen der amerikanischen Machthaber eine Rolle
spielen.
In Bezug auf den Iran gab Avery sich gelassen. Er gab
zu bedenken, dass Ahmadinedschad innerhalb Teherans
Machtstrukturen nicht der entscheidende Faktor sei, sondern die geistigen
Führer (landläufig und meist abschätzig auch Mullahs genannt). Und diese seien
weitaus vorsichtiger als der herausfordernde Präsident. Avnery würdigte - wie
schon einige umsichtige Kommentatoren vor ihm - die Tatsache, dass das
persische Reich seit 2000 Jahren keinen Angriffskrieg geführt hat. Und er geht
nicht davon aus, dass sich dies in Bälde ändern würde.
Eine der wichtigsten Botschaften, die Uri Avnery seinen Zuhörern an diesem
Abend mit auf dem Weg gab, ist für jeden von Belang, der sich Frieden und
Gerechtigkeit in Nahost wünscht: “Nur weil man für Palästina ist, bedeutet das
noch lange nicht, dass man gegen Israel ist - und umgekehrt”. Der Wunsch nach
Friede und Gerechtigkeit kann somit niemals gegen etwas gerichtet
sein, auch wenn die Aufrechterhalter der Ungerechtigkeit dies so gerne
behaupten. Nur wer einen gerechten Frieden - wie von Avnery beschrieben -
fordert, ist wirklich ein Freund sowohl der Israelis als auch der
Palästinenser, sowohl der Juden als auch der Araber.
Drei Eindrücke hinterließ der Vortrag vor allem: Zum Einen, und das ist der
Wichtigste, dass Uri Avnery eine herausragende Persönlichkeit ist. Möge jener
Gott, an den er übrigens nicht glaubt, ihm noch so lange ein gesundes Leben
schenken, wie er - also Avnery - es für wünschenswert erachtet. Der Vortrag
dieses Mannes war nicht nur inhaltlich mit dem besten Wasser gewaschen, das
Israel zu bieten hat, sondern auch seine großväterlich-verschmitzte
Art ließen sofort Sympathie aufkommen.
Der zweite Eindruck ist einer, der bei einer objektiven Betrachtung der Person
Uri Avnery nicht unter den Tisch gekehrt werden kann, wenngleich er die
Verdienste dieses Mannes um den Frieden nicht wirklich schmälert: Uri Avnery
ist - und vielleicht ist das seinem stolzen Alter geschuldet - im Hinblick auf
die Massenmedien (trotz seiner Kritik an der Berichterstattung über seine
Friedensbewegung) noch zu gutgläubig. Auf die sinngemäße Frage, was man denn
als - im Gegensatz zu ihm - relativ einflussloser Bürger für den Frieden tun
könne, antwortete Avnery: “Sie müssen versuchen, die öffentliche Meinung zu
beeinflussen”. Bis dahin hat er ja uneingeschränkt recht, aber dann: “Mit
Leserbriefen und dergleichen”. Da ging doch ein Schnauben durch den Saal,
wissen doch die meisten der Anwesenden, dass kaum ein wirklich wichtiger
Leserbrief abgedruckt wird.
Während seine allgemeine Einschätzung zum Iran und dessen Präsident Ahmadinedschad- wie bereits beschrieben - relativ umsichtig
war, so zitierte leider auch Avnery die zweite Lüge
des Jahrhunderts: Herr A. wolle “Israel von der Landkarte tilgen”. Auch die
von Avnery übernommene Aussage, Herr A. leugne den Holocaust, hätte bei einer
diesem Thema gewidmeten Debatte sicher einer Relativierung bedurft. Doch das
waren nicht die vordergründigen Fragen des Abends.
Der letzte Eindruck ist der, dass Avnery vielleicht zu optimistisch ist, was
den Fortgang des Nahostkonflikts angeht. Es wirkte so, als würde er selbst das
unterschätzen, was er gerade in seinem
neuesten Artikel “Die Mutter aller Vorwände” nennt: Der so genannte Krieg
der Zivilisationen und die von den üblichen Verdächtigen vorangetriebene
Blockbildung ‘Judentum-Christentum vs. Islam’ dient
den Herrschenden als Aufrechterhaltung des zerstörerischen und ultimativ
ungerechten Status Quo, so wie es früher die Blockbildung ‘West vs. Ost’ getan
hat. Und wenn sich die Welt ein halbes Jahrhundert von der Blockbildung ‘West
vs. Ost’ beherrschen lassen hat, wenn so lange die Leute verblendet waren und
die Herrschenden alle Ungerechtigkeiten damit legitimieren konnten, wie können
wir dann heute den neuen Vorwand, die neue Blockbildung, überwinden und
Gerechtigkeit schaffen?
DaRockwilda