Eine Warnung an Tony Blair
Uri Avnery, 28.7.07
IN DER vergangenen Woche gab
James Wolfensohn Haaretz ein langes Interview.
Er schüttete sein Herz aus und fasste
mit erstaunlicher Offenheit seine Monate als Sonderbeauftragter der US,
Russlands, der EU und der UN ( also des “Quartetts“)
in diesem Lande zusammen. Es war derselbe Job, den man jetzt Tony Blair
anvertraut hat. Dem Interview könnte man auch die Überschrift geben: „Eine
Warnung an Tony“.
Unter anderem enthüllte
er, er
sei praktisch von der Clique der Neo-Kons
gefeuert worden, deren ideologischer Führer Paul Wolfowitz
ist.
Was Wolfensohn und Wolfowitz gemeinsam haben, ist ,
dass sie beide Juden sind und denselben Namen haben: Sohn des Wolfs, der eine
in der deutschen und der andere in der
russischen Version. Und beide waren in der Vergangenheit Direktoren der
Weltbank.
Aber hier endet auch schon
die Ähnlichkeit. Diese beiden Söhne des Wolfs sind fast in jeder Hinsicht grundverschieden. Wolfensohn ist eine
sympathische Erscheinung mit viel persönlichem Charme. Wolfowitz lässt
fast automatisch Opposition in einem entstehen. Dies wurde deutlich, als
sie hinter einander die Weltbank leiteten: Wolfensohn war sehr beliebt, Wolfowitz wurde gehasst. Die Amtszeit des ersten wurde
verlängert – eine seltene Auszeichnung -
letzteren ist man bei der nächstbesten
Gelegenheit wieder los geworden, angeblich wegen einer
Korruptionsaffäre. Er hatte für seine
Freundin ein astronomisch hohes Gehalt arrangieren können.
Wolfensohn könnte von Peter
Ustinow gespielt werden. Er ist ein moderner Renaissancemensch: ein
erfolgreicher Geschäftsmann, ein großzügiger Philanthrop, früher ein
olympischer Sportler ( Fechten) und ein Offizier bei
der Luftwaffe (Australien). In mittlerem Alter begann er noch (unter dem Einfluss von Jacqueline du Pré) Cello zu spielen. Die Rolle von Wolfowitz
verlangt nicht mehr Finesse als die eines durchschnittlichen Schauspielers, der
in einem Western einen Bösewicht spielt.
Doch abgesehen von
persönlichen Charakterzügen, gibt es in ihrer Ideologie einen himmelweiten
Unterschied. Für mich personifizieren sie die beiden Extreme der heutigen jüdischen Realität. Wolfensohn
gehört zum humanistischen, universalistischen, optimistischen, die Welt
umarmenden Trend im Judentum, ein Mann des Friedens und des Kompromisses, ein
Erbe der generationenlangen Weisheit. Wolfowitz –
andrerseits - gehört zum fanatischen Judentum, das sich im Staat Israel und den
mit ihm verbundenen Gemeinden entwickelte, ein Mann mit anmaßender Arroganz,
Hass und Machtrausch. Er ist ein radikaler Nationalist – wobei nicht ganz klar
ist, ob er dem amerikanischen oder israelischen Nationalismus anhängt oder ob
er die beiden überhaupt trennt.
Wolfowitz ist der Bannerträger der Neo-Kons,
die meisten von ihnen Juden, die die USA in den irakischen Krieg stießen, Kriege im ganzen Nahen Osten ausrichten, den
israelischen Ministerpräsidenten raten, ja nichts an Land aufzugeben und bereit
sind, bis zum letzten israelischen
Soldaten zu kämpfen.
Um kein Missverständnis
aufkommen zu lassen: ich kenne weder den einen noch den anderen persönlich. Ich
bin Wolfowitz nie persönlich begegnet und hörte
Wolfensohn nur einmal in Jerusalem bei einer Konferenz des Israelischen Rates für auswärtige
Beziehungen. Ich gebe aber zu, dass er mir auf Anhieb sympathisch war.
WOLFENSOHN kam einige
Monate, bevor Ariel Sharon den sog.
„Trennungsplan“ in die Tat umsetzte, in dieses Land. Er sagt heute, dass die
Trennung mit Erfolg gekrönt worden wäre, „wenn der Rückzug vom zweiten Teil der
Trennung begleitet worden wäre, die meinem Verständnis nach, eine unabhängige
Entität geschaffen hätte, die ein palästinensischer Staat geworden wäre.“ Er
glaubt – und ich meine fälschlicherweise – dass dies die Absicht Sharons
gewesen wäre, den er im Gegensatz zu seinem Nachfolger als Ministerpräsident
respektiert.
Wolfensohn stellte sich einen
blühenden Gazastreifen vor, wirtschaftlich sich weiter entwickelnd, nach allen
Richtungen hin offen, ein Modell für die Westbank und als Basis für den neuen Staat. Zu diesem Zweck
sammelte er 8 Milliarden Dollars. Nicht wie andere Idealisten investierte er mehrere Millionen seines
eigenen Geldes in die Gewächshäuser, die die Siedler zurückgelassen hatten, und
hoffte, sie könnten eine Basis für die palästinensische Wirtschaft werden.
Er stand bei der Zeremonie
neben Condoleezza Rice, als
das Dokument unterzeichnet wurde, das den Weg für eine glänzende Zukunft ebnen
sollte: das Abkommen für die Öffnung der Grenzübergänge. Die Grenzübergänge
zwischen dem Gazastreifen und Israel sollten wieder weit geöffnet werden;
Israel übernahm endlich die im
Oslo-Abkommen enthaltene Verpflichtung
zu erfüllen, (das es bis jetzt verletzte): die lebenswichtige Verbindung
zwischen dem Gazastreifen und der Westbank zu öffnen. An der Grenze zwischen
dem Gazastreifen und Ägypten hatte bereits eine europäische Einheit die
Kontrolle übernommen.
Und dann brach das ganze
Gebäude zusammen. Die Durchfahrt zwischen dem Streifen und der Westbank blieb
hermetisch versiegelt. Die andern Grenzübergänge wurden immer häufiger
geschlossen. Die Produkte aus den Gewächshäusern ( zusammen
mit Wolfensohns Investment) gingen den
Bach hinunter. Die angeschlagene Wirtschaft des Streifens zerfiel immer mehr;
der größte Teil der 1,4 Millionen Bewohner gerieten mit 50% Arbeitslosigkeit
ins Elend. Die unvermeidliche Folge war der Aufstieg der Hamas.
Wolfensohns Klage betont die
immense Bedeutung der Grenzübergänge. Ihre Schließung – angeblich aus
Sicherheitsgründen – bedeutete den Tod für die Wirtschaft im Gazastreifen
und auf längere Zeit hin auch für die
Hoffnung auf friedliche Beziehungen zwischen Israel und den Palästinensern. Vor
dem Hamas-Sieg sah Wolfensohn mit eigenen Augen die schreckliche Korruption,
die an den Grenzübergängen herrschte. Beziehungen zwischen Israelis und
Palästinensern basierten offen auf Bestechung. Die palästinensischen Produkte
konnten nicht passieren, ohne dass den Kontrollleuten beider Seiten etwas gezahlt wurde.
Wolfensohn machte wenigstens teilweise die
Palästinensische Behörde – also die Fatah -
für den Aufstieg der Hamas verantwortlich. Sie war vom Krebs der
Korruption befallen. Der Sieg der Hamas bei den demokratischen Wahlen in der
Westbank und im Gazastreifen überraschte ihn überhaupt nicht.
WAS BRACHTE diese
idealistische Person dazu, aufzugeben?
Er gibt einer Person die
Schuld, die zur Clique von Wolfowitz gehört: Elliott Abrams. Wie Wolfowitz ist auch Abrams Jude, ein Neo-Kon, ein
radikaler Zionist, der bei den israelischen Rechten beliebt ist. Er wurde von
Präsident Bush zum stellvertretenden Berater für die nationale Sicherheit
ernannt, verantwortlich für den Nahen Osten. Mit dieser Ernennung – so sagt
Wolfensohn - waren alle Teile der mit Condoleezza Rice abgemachten
Abkommen im Eimer. Die Übergänge wurden
geschlossen, Hamas kam an die Macht.
Wolfensohn beschuldigte Abrams offen, seine Arbeit
untergraben zu haben, um ihn aus seinem Amt zu entfernen. Es stimmt
zwar, dass das „Quartett“ nicht unter der Herrschaft von Abrams
steht, aber eine Person in dieser Position kann nicht ohne solide amerikanische
Unterstützung funktionieren. Gemeinsam
mit Ehud Olmert und Dov Weisglass, Sharons
Vertrauten, stieß Abrams ihn hinaus. Wolfensohns
Aktivitäten bedrohten ihre Pläne. Man erinnere sich, dass es Weisglass war, der
„das palästinensische Problem in Formaldehyd legen“ wollte.
Nach Wolfensohns Ansicht sind
beide Seiten an der augenblicklichen Situation Schuld; aber er gibt Israel ganz klar mehr Schuld, da es die stärkere
und aktivere Partei ist. Zweifellos ist
Israel sehr wichtig für ihn. Er hatte eine Menge Sympathie für dieses.
(Im 1. Weltkrieg war sein Vater Soldat
in den jüdischen Bataillonen, die von der britischen Armee aufgestellt und nach Palästina gesandt wurden).
Er gab der israelischen Zeitung Haaretz
das Interview, um eine ernste Warnung auszusprechen: Die Zeit arbeitet nicht
für uns. Die demographische Uhr tickt. Heute wird Israel von 350 Millionen
Arabern umgeben. Nach weiteren 15 Jahren werden es 700
Millionen sein. „Ich sehe keine Argumente, die die Idee unterstützen, dass
Israels Situation sich verbessern wird.“
Als Experte der globalen
Wirtschaft mit weltweiter Perspektive
konnte Wolfensohn darauf hinweisen, dass die Bedeutung der USA in der
Weltwirtschaft langsam abnimmt, während neue Wirtschaftsriesen wie China und
Indien wachsen.
Wir, die Israelis, denken
gern, dass wir das Zentrum der Welt seien. Wolfensohn, eine Person mit
weltweiten Verbindungen, piekst mit einer Nadel in den
egozentrischen Ballon. Schon jetzt, sagt er, betrachtet nur der
Westen das israelische Problem als so wichtig. Der größte Teil der Welt
ist ihm gegenüber gleichgültig. „Ich
habe mehr als 140 Länder besucht: Ihr seid dort gar nicht so wichtig.“
Selbst dieses begrenzte
Interesse wird sich in Luft auflösen. Wolfensohn streute Salz in die Wunde: „Es
wird ein Zeitpunkt kommen, an dem die Israelis und die Palästinenser gezwungen
sein werden, nur eine zweite Rolle zu
spielen … die Israelis und die Palästinenser müssen sich von der Idee
verabschieden, dass sie eine Broadway-Vorstellung geben. Sie geben nur in der Village
(in ländlicher Umgebung) eine Vorstellung --- weit -weit-weit -weg vom
Broadway.“ Da er wusste, dass dies das
Schlimmste ist, das man einem Israeli sagen kann, fügte er noch hinzu: „Ich
hoffe, dass ich mit dem, was ich sagte, nicht in Schwierigkeiten gerate, aber –
zum Teufel - das ist es, was ich glaube, und ich bin schon 73 Jahre alt.“
Ich glaube ihm, und ich
bin - zum Teufel – schon 83 Jahre alt.
DIE METAPHER aus der Welt des
Theaters scheint mir sogar noch passender als sich Wolfensohn selbst vorstellt.
Was jetzt im israelisch-palästinensischen
Konflikt geschieht, ist zum größten Teil Theater – und nicht das beste.
Die Schauspieler trinken aus
leeren Gläsern, sie rezitieren Texte, an
die sie nicht glauben, setzen ein falsches Lächeln auf und umarmen einander
herzlich, während sie einander verabscheuen.
Die beste Szene war die „Trennung“ vom Gazastreifen. Im
Gegensatz zu Wolfensohns Überzeugung war es nur eine Theatervorführung, bestenfalls ein Melodrama, von Sharon und den
Siedleranführern, der Armee und der Polizei dirigiert. Viele Tränen, viele
Umarmungen, viele Scheinschlachten. In dieser Woche wurde diese Vorstellung noch einmal in den
Medien gezeigt mit großem
Propaganda-Apparat, der zu zeigen versuchte, wie groß der Schmerz war, wie die
armen Evakuierten ohne Villa blieben und
wie viele Milliarden noch nötig sind. Die beabsichtigte Schlussfolgerung: es
ist einfach unmöglich, die Siedlungen in der Westbank aufzulösen.
Der neue Schauspieler auf der
Bühne Tony Blair strahlt Charme und Freundlichkeit aus, umarmt und küsst. Wir,
die Zuschauer wissen, dass sein Los genau dasselbe sein wird wie das seines
Vorgängers. Wie dieser ist er der „Sondergesandte des Quartetts“ . Seine Instruktionen sind genau dieselben wie die von
Wolfensohn vor ihm: so viel wie nichts. Er soll angeblich den Palästinensern
helfen, „demokratische Institutionen“
aufzubauen, nachdem die USA und Israel systematisch die demokratischen
Institutionen zerstört haben, die nach den letzten palästinensischen Wahlen aufgebaut
worden waren.
Er hat Olmert
umarmt, Tzipi Livni
geküsst, Ehud Barak zugelächelt – und wir wissen, alle drei
werden ihr Möglichstes tun, seinen Auftrag zu unterbinden, bevor er eine
Position erreicht, die ihn befähigt, seinen wirklichen Traum , Friedensverhandlungen
so erfolgreich durchzuführen wie in
Nordirland.
Alles, was jetzt
geschieht, ist Theater. Olmert behauptet zwar, dass er wirklich „Abu Mazen retten“ wolle, während er das Gegenteil tut. Auf
Bushs Forderung hin erlaubte er - mit
viel Getöse - den Transfer von Tausend Gewehren
von Jordanien an Abbas, damit er die Hamas bekämpfen könne. Es versteht
sich von selbst, dass dies für einen
normalen Palästinenser wie Kollaboration mit dem Besatzer gegen den Widerstand (der Hamas) aussieht. Olmert vergrößert die Siedlungen, hält die „illegalen
Außenposten“ und schließt die Augen, während die Armee den Siedlern hilft, neue Außenposten einzurichten. Das ist ein
narrensicheres Rezept für einen Sieg der Hamas auch auf der Westbank.
Jeder weiß, dass es nur einen
Weg gibt, Abu Mazen zu stärken: sofort mit schnellen
und wirklichen Verhandlungen zum Aufbau eines Staates Palästinas in den
gesamten besetzten Gebieten mit der Hauptstadt Ost-Jerusalem zu beginnen. Keine
weiteren Diskussionen über abstrakte
Ideen, wie Olmert vorgeschlagen hat, nicht noch einen
Plan ( der 1001.), nicht einen „Friedensprozess“ , der
zu „neuen politischen Horizonten“ führen soll, und sicher keine weitere inhaltlose frömmelnde
Phantasien jenes Großmeisters von Heuchelei,
des Präsidenten Shimon Peres.
DIE NÄCHSTE Szene des Spiels,
für das alle Schauspieler ihre Texte lernen, ist die „Internationale Konferenz“
in diesem Herbst, entsprechend dem Spielplan von Präsident Bush. Condoleezza Rice wird den Vorsitz
übernehmen und es wird zweifelhaft sein, ob Tony, der neue Schauspieler,
überhaupt daran teilnehmen darf. Die Regisseure diskutieren noch darüber.
Wenn alle Welt eine
Theaterbühne ist, wie Shakespeare einmal schrieb, und alle Männer und Frauen
nur Schauspieler sind, die ihre Abgänge und Auftritte haben, dann stimmt dies
um so mehr für Israel und Palästina.
Sharon ist abgetreten, und Olmert trat auf,
Wolfensohn ist abgetreten, und Blair tritt auf, und alles ist wie Shakespeare
es in einem seiner Stück sagt: Wörter, Wörter, Wörter.
Wolfensohn kann sich nun die nächsten Akte des Spieles mit philosophischem Abstand betrachten - wir,
die wir in dieses Spiel verwickelt sind, können
uns dies nicht leisten, weil unsere Komödie eine Tragödie ist.
(Aus dem Englischen: Ellen
Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)