Israel-Palaestina Nahost Konflikt Infos
Sage die Wahrheit oder
trage die Konsequenzen
Yossi Sarid, Haaretz, 2.2.07
Eine Flut guter Ratschläge
kamen bei Gabi Ashkenazi an, nachdem er zum Generalstabschef ernannt worden
ist. Ich habe Ashkenazi seit vielen Jahren gekannt und dass die Wahl auf ihn
fiel, scheint mir angemessen zu sein. Hier ist nun unserer dringende Bitte an
ihn: Bitte, Gabi, habe Erbarmen mit uns und schließe dich nicht den Reihen der
Enttäuscher an. Auf uns liegen schon Berge von Enttäuschungen und die IDF
gehört auch zu diesen Enttäuschungen. Vielleicht vor allem deshalb, weil unsere
Erwartungen zu hoch sind. Anstelle einer kleinen und klugen Armee erhielten wir eine große, dumme
und verlogene Armee. Ich möchte mich mit einem kleinen Rat begnügen: Ashkenazi
muss bei der Armee das Sagen der Wahrheit
wieder herstellen. Das ist meine ganze „Sicherheitsdoktrin“ mit einem
Blick.
Wann hat sich die IDF in die
Kultur der Lügen integriert, wann wurde sie ein unveräußerlicher Teil einer
Gesellschaft, die sich in Fälschungen suhlt? Es geschah nach 1967 – nach dem
glänzenden und ekelhaften Sieg – und es musste so kommen; denn dies geschieht
einer kämpfenden Armee, die eine Besatzungsarmee wird. Jede Besatzung ist ein
Raubtier. So etwas wie eine „aufgeklärte Besatzung“ gibt es nicht.
Und Ausreden werden für die
Schurkereien benötigt, um üble Taten zu rechtfertigen. Als sich das Ungeziefer
vermehrte und es keine Ausflüchte mehr
gab, dann gibt es keine Alternative mehr als die Lügen in Anspruch zu nehmen.
Sie sind die letzte Zuflucht für den
Räuber, der ausgeraubt wurde. Sogar anständige Leute beginnen dann zu lügen
gegenüber andern und vor allem gegenüber sich selbst.
Die IDF besetzte nicht nur
die Gebiete, sondern übernahm auch ihre Verwaltung. Alle Regierungen Israels
sahen davon ab, über das Schicksal der (besetzten) Gebiete und die zukünftigen Grenzen des Landes zu
entscheiden. Die IDF wurde – zu ihrem Nachteil - in dieses Vakuum gestoßen. Von
diesem Augenblick an war es nicht mehr möglich, die Politik von der Armee zu
nehmen oder die Armee aus der Politik herauszuhalten. Und die Politiker waren
zu ihrem Teil froh, die Uniformträger sich bücken zu sehen, wie sie die
Kastanien aus dem Feuer holten. Das war für die IDF nicht angenehm. Also hat
sie ihr Gesicht unter Farbe getarnt. So entstand die „Zivile Verwaltung“, die
in jeder Beziehung eine Militärverwaltung ist. Und die zivile Verwaltung musste
nicht nur ihre Misshandlung der Palästinenser zudecken, sondern auch noch die
Taten der jüdischen Siedler in den (palästinensischen) Gebieten während der
Generationen. Die Armee wurde ein Kollaborateur der Führer der Siedlerorganisation, deren Kunst
die Verlogenheit ist. Sie lügen nach rechts und nach links und die IDF
verschließt die Augen oder zwinkert mit den Augen und erlauben bewusst, dass
Mengen von Siedlungen wie Giftpilze auf gestohlenem Land aufschießen.
Und in der Zwischenzeit brach
der erste Libanonkrieg aus – „Operation Frieden für Galiläa“, der wie jeder
initiierte und opportunistische Krieg, den Namen „Frieden“ vergeblich führte.
Er wurde nach dem Bild seines Urhebers kreiert, nach Ariel Sharon, für den
Lügen eine Lebensweise war – wie für andere ein Weg des Todes.
Soldaten waren damals an der
Front und zwischen Beirut und Jounieh,
zwischen Bombardements und Bombenabwürfen lauschten sie den Berichten im Radio.
Unwillkürlich kamen sie zu dem Beschluss, dass in Jerusalem Leute über einen Krieg
berichten, während sie selbst mitten in einem völlig anderen steckten. Dieser
andere Krieg lief auf dem Pfad der Lügen, jenseits der 48 Stunden und der 40
km, die dem Volk vom Ministerpräsidenten Menachim Begin versprochen worden war.
Und dann brach die erste
Intifada aus und die zweite Intifada und die Zahl der unschuldigen Opfer stieg
auf beiden Seiten und die „Probleme“, über die man sein tiefes Bedauern
auszudrücken üblich war, wurden mehr und mehr. Immer öfter wurden wir davon
unterrichtet, dass die IDF die Sache untersucht und nur all zu oft wurden wir
auch davon unterrichtet, dass die Ergebnisse verborgen sind. Aber wer sind wir
um uns zu beklagen? Wenn nicht einmal den trauernden Eltern die Wahrheit gesagt
wird – wie es jetzt wiederholt in einer Serie von Programmen – von Orna Ben-Dor
mit Hartnäckigkeit und Sensibilität vorbereitet - im Kanal 10 ausgestrahlt
wurde. Selbst die Eltern können sich nicht mehr länger auf die Version der IDF
verlassen und am Ende der Trauertage, die niemals enden, sind sie gezwungen,
hinter den gelöschten Spuren ihrer verlorenen Söhne nachzujagen.
So ist es kein Wunder, dass
Millionen israelischer Bürger beim 2. Libanonkrieg nach einer Eroberung (Bint
Jbeil), die nicht stattfand, und Munition (Streubomben) die nicht benützt
werden sollten, eher Hassan Nasrallah glaubten als den IDF-Sprechern. Im
Arsenal der IDF gibt es keine bessere Waffe
der Abschreckung als die Wahrheit
und genau wie das Gewehr und der Panzer muss sie täglich gereinigt
werden, sonst rostet sie. Lügende Armeen, die „ägyptische Berichte“ liefern
sind schwache Armeen, die ihre abschreckende Fähigkeiten verloren haben.
Gerüchte sagen, dass die Ägypter dies schon verstanden haben und deshalb nicht
mehr ihre Schuhe auf der Fluchtroute gelassen haben. Sind die Ägypten von
ehedem die Israelis von heute?
Wenn die Lüge erst einmal
feststeckt, dann ist sie wie eine ansteckende Krankheit und wie ein nicht
entfernbarer Tintenfleck. Sogar in den letzten Wochen wurde behauptet, dass die
IDF in den besetzten Gebieten Straßensperren aufgehoben habe, wie der
palästinensischen Behörde versprochen worden sei. Es war nichts geschehen.
Angeblich waren 40 der etwa 500 Straßensperren weggeräumt worden – sie waren
überflüssig und wurden seit langem nicht gebraucht. Und in Tel Rumeida
(Hebron), das jetzt besser unter Tel Sharmuta bekannt ist behauptet die IDF
weiter, eine Armee zu sein, die das Gesetz durchsetzt und in menschlichem
Geiste zu handeln. Die illegalen Außenposten sind nicht evakuiert worden und
werden auch nicht evakuiert, weil es für die IDF schwierig ist, ihre legitimen
Kinder zu Bastarde zu erklären, die aus verbotenen Verbindungen heraus geboren
wurden.
Von dem Augenblick an, als
die Armee freiwillig die dreckige Arbeit für
die Regierungs-zivile Ebene machte, konnte sie nicht mehr sauber sein.
Nicht nur die Lügner sind für die Lügen
verantwortlich: auch jene sind verantwortlich, die seit Jahren darauf bestehen,
die Nachforschungen/ Untersuchungen in den Händen der Armee zu lassen ohne
wirkliche Aufsicht und Überwachung; auch jene, die jede Skepsis abgewiesen
haben als ob es sich um eine Verfluchung handeln würde.
Die wichtigste Aufgabe wäre
jetzt zwei Kommandobereiche aufzubrechen: die Obersten Unverschämtheits- und
Verlogenheitskräfte (SCAMFORCE) und die Division, die alles (zu)deckt . Wenn
Ashkenazi es gelingt, diese aufzulösen, dann sind seine anderen Aufgaben fast
überflüssig – oder sind nicht mehr so dringend. Und wenn er sie belässt, werden
sie ihn zu Fall bringen und auf ganz Israel eine noch unsinnigere
Lasterhaftigkeit.
Gabi Ashkenazi ist – Gott sei
dank! – nicht allein in der Schlacht, die Wahrheit zu sagen. Er hat eine ganze
Anzahl von Partnern, sogar in der Armee. Es ist noch nicht alles verloren.
Junge Offiziere sind keine Kinder mehr. Sie spielen nicht mehr „sage die Wahrheit oder trage die Folgen!“ ,
als ob ein Entweder-Oder-Widerspruch in
ihren militärischen Aufträgen liegen
würde. In Kriegsspielen genau wie im Krieg selbst müssen die Wahrheit und die
Folgen, die Folgen und die Wahrheit aus ein und derselben Wurzel kommen.
(dt. Ellen Rohlfs)