Nakba-Ausstellung in Aachen, zur Stellungnahme der DIG:

 

1.     zwei Völker mit dem gleichen Anspruch kämpften um dasselbe Land

 

Tatsächlich waren zum Zeitpunkt der Balfour-Erklärung (1917) nur ca. 10% der Bewohner des späteren britischen Mandatsgebiets jüdische Einwohner, zum Zeitpunkt der UN-Teilungsresolution (1947) waren es ca. ein Drittel. Die ganz überwiegende Mehrheit von ihnen waren seit den 1880-er Jahren aus Europa nach Palästina eingewandert, während die allermeisten palästinensisch-arabischen Einwohner dort seit Jahrhunderten lebten (Tafel 1+2). 

 

2.     die Ausstellung bagatellisiert den Angriff der arabischen Staaten auf den durch Beschluss der Vereinten Nationen legitimierten neu gegründeten Staat Israel

 

Die Ausstellung unterscheidet zwei Phasen nach Verabschiedung der UN-Teilungsresolution vom November 1947: die erste Phase geht bis zur Ausrufung des Staates Israel im Mai 1948 (Bürgerkrieg zwischen palästinensischen und zionistischen Milizen, Tafel 4+5), die zweite Phase endet im Sommer 1949 mit den Waffenstillstandsverhandlungen (erster arabisch-israelischer Krieg, Tafel 6-8). Die zweite Phase wird ebenso behandelt wie die weitgehend unbekannte erste Phase (fast die Hälfte der insgesamt ca. 750.000 palästinensischen Flüchtlinge wurde hier bereits vertrieben, 200 arabische Ortschaften wurden erobert und entvölkert, darunter alle größeren arabischen Städte, dem arabischen Staat laut Teilungsresolution zustehendes Territorium wurde bereits erobert). Die Unterlegenheit der zionistischen bzw. israelischen Seite ist ein Mythos, der in der Ausstellung belegt wird (Tafel 4+6).

 

3.     Territorial hat sich das Staatsgebiet Israels durch den 1948-er Krieg nur marginal geändert

 

Laut UN-Teilungsresolution sollte der jüdische Staat ca. 56% des ehemaligen britischen Mandatsgebiets umfassen (Tafel 3). Nach dem 1948-er Krieg hatte sich das Territorium auf die heutigen ca. 78% vergrößert. Damit hatte sich der neu gegründete jüdische Staat fast die Hälfte des für den arabischen Staat vorgesehen Territoriums einverleibt (Tafel 7). Das ist keinesfalls marginal.

 

4.     Die Vertreibung der Palästinenser ist ein Mythos

 

Nicht die Vertreibung der Palästinenser ist ein Mythos (die israelische Armee selbst gibt eindrucksvolle Zahlen an: von den 370.000 bis Ende Mai 1948 geflohenen bzw. vertriebenen Palästinensern wurden fast 75% durch Einwirkung zionistischer Milizen oder israelischer Truppen vertrieben, Tafel 5), sondern die Behauptung, sie seien freiwillig oder auf Befehl der arabischen Führer gegangen. Diesen Mythos haben u.a. die gänzlich unverdächtigen Autoren Friedrich Schreiber und Michael Wolffsohn entzaubert (Tafel 5).

 

5.     Nirgends hatten es die Palästinenser von Anfang an so gut wie in Israel

 

Die Lage der palästinensischen Israelis war nur am Rande Thema der Ausstellung. Es werden dort nur die ca. 150.000 bis 200.000 palästinensischen Israelis erwähnt, die, obwohl sie israelische Staatsbürger sind, bis heute nicht in ihre Heimatdörfer in Israel zurückkehren dürfen, die sie während der Nakba verlassen mussten (Tafel 11). Ergänzend zur Ausstellung ist festzuhalten ist auch, dass für alle palästinensischen Israelis bis 1966 das Kriegsrecht mit den vielfältigsten schwerwiegenden Benachteiligungen galt.

 

6.     Die arabischen Staaten gaben den palästinensischen Flüchtlingen keine Rechte

 

Die palästinensischen Flüchtlinge erhielten im Gegensatz zur Behauptung der DIG sehr wohl die jordanische Staatsangehörigkeit. Die Rolle Syrien und Libanon wird auf Tafel 11 beschrieben.

 

 

Zur Stellungnahme der Evangelischen Kirche:

 

1.     Die Ausstellung blendet die Zeit zwischen 1948 und heute völlig aus

 

Sie war nicht Thema der Ausstellung. Es wird allerdings in der Ausstellung auf die sehr unterschiedliche Situation der palästinensischen Flüchtlinge in den arabischen Ländern und in Israel eingegangen, die eine pauschale Verurteilung der arabischen Staaten nicht zulässt. In Jordanien haben sie die Staatsbürgerschaft bekommen, in Syrien haben sie genauso viele bzw. so wenig Rechte wie die Syrer auch, nur sind sie keine Staatsbürger, nur im Libanon sind die palästinensischen Flüchtlinge ohne Zukunftsperspektiven an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Hierzu trägt ganz wesentlich der christliche Bevölkerungsteil im Libanon bei.

2.     Es fehlen Lösungsvorschläge, es wird implizit das Rückkehrrecht für alle palästinensischen Flüchtlinge gefordert

 

Lösungsvorschläge auszuarbeiten, war nicht Aufgabe der Ausstellung. Weder wird das Rückkehrecht aller palästinensischen Flüchtlinge gefordert noch die Existenzberechtigung Israels in Frage gestellt. Beides wird in die Ausstellung hineininterpretiert. Der Schlüssel ist ein Symbol palästinensischer Identität, deshalb muss er Teil einer Nakba-Ausstellung sein (s.a. das Schlüsselloch, das Zochrot als Logo für seine Arbeit wählt, Tafel 11). Die Anerkennung des Rückkehrrechts ist völkerrechtlich festgeschrieben. Das Völkerrecht wurde nach dem Zweiten Weltkrieg unter dem Eindruck von millionenfacher Vertreibung und von millionenfachem Völkermord geschaffen, eben um eine Wiederholung für die Zukunft, wenn möglich, auszuschließen. Wenn nicht Willkür oder das Recht des Stärkeren die Weltpolitik beherrschen soll, müssen wir dafür sorgen, dass das Völkerrecht keinen Schaden nimmt.

 

3.     Der Begriff der „ethnischen Säuberung“ ist historisch unangemessen und trägt nicht zur Aussöhnung bei

 

Dies ist eine Einschätzung, die man natürlich haben kann. Die Ausstellung will aber keine weichgespülte, unserem verinnerlichten Geschichtsbild entgegen kommende Darstellung geben, sondern eine pointierte, über die diskutiert werden soll. Sie ist eben eine „schmerzhafte Reise in die Vergangenheit“. Aussöhnung in voller Anerkennung beider Narrative ist schmerzhaft. Die Frage ist, wer entscheidet, was angemessen ist. In der Ausstellung wird die Einschätzung aus palästinensischer Sicht dargestellt und auf die Beurteilung von Ilan Pappe verwiesen, desgleichen auf Autoren, die „nur“ von Vertreibung sprechen (s.a. auch Zitate von Ben Gurion und Benny Morris, Tafel 5). Unabhängig davon, wie die Palästinenser zu Flüchtlingen wurden, muss man sich bei der Begriffsdiskussion auch die Frage stellen, warum Israel nicht bereit war, einen einzigen Flüchtling zurück zu nehmen.

 

4.     Zu widersprechen ist dem mehr postulierten Zusammenhang zwischen Shoah und Nakba

 

Dieser Zusammenhang ist nicht zu leugnen. Der Holocaust wurde in Israels Unabhängigkeitserklärung von 1948 ausdrücklich als Begründung für einen jüdischen Staat herangezogen. Erst die Ermordung von Millionen Juden durch den deutschen Nationalsozialismus in Europa hat dem bis dahin unter den Juden wenig anerkannten Zionismus den Auftrieb gegeben, der für die Staatsgründung essentiell war. Erst mit dem Aufkommen des NS-Regimes und in dessen Folge nahm die jüdische Einwanderung exorbitant zu. Ohne die Shoah dürften die Vereinten Nationen anders entschieden haben. Erst die Shoah kann Verständnis wecken für das aggressive Vorgehen der zionistischen Milizen vor Mai 1948 und der israelischen Soldaten nach Mai 1948. Anders ließe sich das völkerrechtswidrige Vorgehen schwer rechtfertigen. Dass für die zionistische bzw. israelische Führung, allen voran für Ben Gurion, ein jüdischer Staat mit mehr als 40% Nichtjuden, wie es der Teilungsplan vorsah, nicht akzeptabel war, ist eine Tatsache.

 

  1. Jüdische Einwanderer werden als zu verschiebende Masse dargestellt

 

Das ist eine Wertung, der ich nicht zustimmen kann (s. Tafel 2, 5. Alija). In Bezug auf die Juden in den arabischen Ländern, dem politischen Druck, der auf ihnen lastete und der zu ihrer Auswanderung nach Israel führte, werden gern Ursache und Wirkung verwechselt. Der Zionismus und die daraus folgende israelische Staatsgründung gegen den erklärten mehrheitlichen Willen der einheimischen palästinensischen Bevölkerung und die Vertreibung Hunderttausender Palästinenser war die Ursache, der politische Druck in den arabischen Ländern auf die jüdische Bevölkerung war die Folge (Tafel 9). Die Einwanderung aus den arabischen Ländern nach Israel wurde von der israelischen Regierung im übrigen nach Kräften gefördert. So ließen sich im Irak ab März 1950 Zehntausende Juden zur Auswanderung registrieren. Eine Luftbrücke brachte sie nach Israel. Es gibt daher auch keine Forderungen auf Rückkehr der jüdischen Einwanderer in die arabischen Länder von israelischer Seite. Eine Aufrechnung von palästinensischen Flüchtlingen und jüdischen Einwanderern erscheint daher unzulässig.

 

 

 

Um die Diskussion fortzusetzen und das Gespräch weiterzuführen habe ich die obigen Stellungnahmen verfasst.

Pfullingen, 11.5.2011

 

Ingrid Rumpf, verantwortlich für Inhalt und Konzeption der Ausstellung