Adam Keller, Occupation magazin, 6. Mai 2008
5. Mai 2008: Wieder ein
Telefonanruf vom Beduinen-Aktivisten Nuri Al-Okbi. Noch einmal – wie
schon so viele Male in den beiden letzten Jahren – erzählt er von einem
weiteren Überfall durch die Polizei auf den entlegenen Negevwüstenort,
wo Nuri eine hartnäckig andauernde Nachtwache auf dem
Land, auf dem er geboren wurde, hält. Während er eifrig dabei ist, ein neues
Zelt aufzubauen, weil die Polizei das andere konfisziert hat, erzählt er über
sein Mobiltelefon die Geschichte seines Lebens und Kampfes.
Nuri al Okbi wurde 1942 geboren
und verbrachte seine frühe Kindheit in Arakib im
nördlichen Teil der Negevwüste. Der 1948er-Krieg machte aus britischen Untertanen, die das Kind Nuri und
seine Stammesfamilie waren, zu solchen des neuen Staates Israel. Zunächst
schien es, keinen großen Unterschied im
täglichen Leben zu geben.
Nuris Leute hatten sich nicht an dem Krieg beteiligt.
Damals sahen sie sich selbst auch gar
nicht als Palästinenser. Sie waren nur einfach der Al-Okbi-Stamm,
der seit vielen Generationen in Al Arakib lebte
und so recht und schlecht von einem
Stück Wüste lebte. Das es keine Art von
Bewässerung gab, konnte und wollte
außer Beduinen niemand das Land haben. Aber für diese Beduinen war dies
Land sehr kostbar. Al-Okbis einziger Wunsch war, in Ruhe gelassen zu
werden - egal welche Regierung sich über
dem Land erhob. Sie wollten ihr eigenes Leben nach ihren Gesetzen, Sitten und
Gebräuchen aus undenklichen Zeiten leben.
Anfangs sah es auch so aus. Sheik Suliman Hamid
al-Okbi, NVater war unter
den 16 Stammesführern, die die Beer Sheba Erklärung
unterzeichneten, mit der sie dem Staat Loyalität zusicherten. Und der Staat von
seiner Seite aus versprach die Traditionen und Sitten der Beduinen zu
respektieren.
Das Gericht, dass jeden
Montag und Donnerstag in Sheik Sulimans
Wohnplatz ausgeführt wurde, zu dem Beduinenstämme von
weit her kamen, damit ihre Streitigkeiten
geschlichtet
werden, bekam die offizielle
Anerkennung. Nuri erinnert sich noch gut an diese
Tage, wenn die israelische Flagge feierlich gehisst wurde und wenn das Schild
auf arabisch und hebräisch über der Tür
hing: „Staat Israel – Sitzung des Stammesgerichtes“. 1949 erhielten Nuris Eltern, wie alle Erwachsenen, die offizielle
Nachricht, dass sie als Bürger Israels auch das Recht hätten, für die Knesset,
Israels neu geschaffenes Parlament, zu stimmen und dass sie sich selbst am dazu
bestimmten Tag beim Al-Arakib-Wahllokal
einfinden sollten.
Nuri hat noch immer dieses vergilbte alte Formblatt der
Regierung - ein konkreter Beweis dafür , dass es
Zeiten gab, zu denen der Staat Israel offiziell die Verbindung der Al-Okbis zu Al-Arakib anerkannte.
Diese Zeiten änderten sich zwei Jahre nach diesen bemerkenswerten ersten
demokratischen Wahlen im demokratischen Staat Israel. Ab Mitte 1951 begannen Soldaten täglich zu
kommen, sie schossen in die Luft, zuweilen töteten sie Hunde und Esel und
verlangten lautstark, die Al-Okbis mögen in eine
andere Gegend, die man für sie bestimmt hat, ziehen.
Nuris Vater wollte seinen Anwalt in Jaffa treffen und
bereitete eine richterliche Berufung vor. Aber zu jener Zeit standen die
arabischen Bürger noch unter Militärregierung und brauchten eine besondere Reisegenehmigung, wenn
sie außerhalb ihres unmittelbaren Gebietes reisen wollten. Ein anderes
vergilbtes Dokument, das Nuris privates Archiv
bewahrt, ist ein kurzer Brief vom Büro
des Militärgouverneurs in Beer Sheba: ‚Antrag auf
eine einmalige Reisegenehmigung nach Jaffa – Zweck: Besuch bei einem Anwalt –
Entscheidung: Antrag abgelehnt.’
Am 13. November 1951 kamen
die Soldaten noch einmal, diesmal in Begleitung von Armee-LKWs,
auf die die Al-Okbis
klettern mussten. Es wurde ihnen gesagt, sie müssten nur für ein halbes
Jahr weggehen – was sie zu recht skeptisch machte.
Am neuen für sie bestimmten
Wohnort wurde ihnen ein Stück Land gegeben, das von der Armee vorbereitend gepflügt worden war. Es war Land, das zufällig seit
undenklichen Zeiten der Wohnort und Besitz eines anderen Beduinenstammes war.
Die Stammesleute kamen zu Sheik Suliman, der ihnen
versicherte, dass die Al-Okbis nicht das Land anderer
Stämme berühren würden. Und sie hielten ihr Wort, obwohl sie selbst so in
bittere Armut gerieten.
1954 ging Sheik Suliman zurück nach Al-Arakib, dem Wohnort, den einst der Staat Israel als
Gerichtshof anerkannte. Er erinnerte den Militäroffizier daran, dass das halbe
Jahr, von dem er gesprochen habe, längst
vorbei sei. Er wurde daraufhin verhaftet und nach Beer Sheba
gebracht. Er sah sein altes Heim nicht mehr – es wurde bald danach abgerissen
und total von Regierungsbulldozern
zerstört.
Nuri Al-Okbi wuchs unter
Bedingungen von Exil und Enteignung auf. Da sie nicht mehr in der Lage waren,
ihren Lebensunterhalt durch Landwirtschaft in der Wüste zu erwerben, sind viele
der jungen Al-Okbis – genau wie von anderen
Wüstenstämmen – nach Lod (Lydda)
gezogen. Als junger Mann eröffnete Nuri eine
Autowerkstatt und konnte durch Autoreparaturen
seine Familie unterhalten. Er gründete auch die „Gesellschaft für die
Rechte der Beduinen in Israel“, erste Bemühungen dieser Art, ein Projekt, das
mit sehr wenig Geld auskommen muss und in einem baufälligen Büro in der
Altstadt von Beer Sheba wirkte – mit der Hilfe von einigen
engagierten jüdisch-israelischen Freiwilligen so wie der verstorbene Toma Sik.
Seit Jahrzehnten kämpft Nur Al-Okbi unermüdlich für die Rechte der Negev-Beduinen im
allgemeinen und versucht, die Stämme mit ihren uralten ungleichen Loyalitäten
in einem gemeinsamen Kampf zu vereinen; denn
alle sind von der Regierungspolitik der Enteignung und Diskriminierung
betroffen. Er vergaß nie den Verlust von Al-Arakib
und die quälende Erinnerung seines eigenen Stammes an die brutale
Entwurzelung. Erst 1990 tauchte das
Problem deutlich und sichtbar wieder
auf.
Es war als Omer, ein blühender Vorort von Beer Sheba sich sehr schnell ausdehnte und jedes
Grundstück rund herum äußerst begehrenswert wurde. Genau dort lag aber auch das
Lager der Tarabin Al-Sana-Beduinen,
die 1950 von ihrem ursprünglichen Land vertrieben worden waren
. Der Bürgermeister von Omer Moshe Badash begann eine
intensive Lobbyarbeit, um den al-Sana-Stamm dort
wegzubekommen, um für mehr Villen von Omar Platz zu schaffen. Und die Regierung
genehmigte einen Plan, in dem die Al-Sanas nach … al Arakib, auf
dem alten Besitz der Al-Okbis wieder angesiedelt
werden sollten.
Die Al-Sanas
waren nicht begeistert über das Angebot von Al-Okbis
Land. Nachdem sie dies abgelehnt haben, stellte Nuri al-Okbi und seine Leute offiziell einen Antrag an die Regierung, dass man das Land
denen zurückgeben solle, die dort gelebt haben. Eine Zeitlang versprachen 2001 Beamte der Barak-Regierung, sich der Sache ernsthaft anzunehmen . Aber als Sharon 2001 an die Macht kam, wurde
das Wohnungsministerium dem ultra-nationalistischen Effi Eitan
von der national-religiösen Partei
übergeben, der stattdessen einen größeren Teil des Al-Arakib-Gebietes
für eine neue ausschließlich jüdische Gemeinde bestimmte - für Giv’ot Bar (‚Wilde Hügel’)
In einer halb militärischen
Operation wurden übernacht eine Reihe von Wohnwagen gebracht und Givot Bar wurde bei einer Feier eingeweiht, bei der der
Minister Ehrengast war. Nuri Al-Okbi
beobachtete zornig mit einigen anderen Demonstranten diese Feier von den Ruinen des Hauses seiner Kindheit –
aus 2km Entfernung.
Nuri verbrachte die nächsten zwei Jahre mit dem Versuch, diese Entscheidung rückgängig zu machen oder dass wenigstens das
restliche Land seinem Stamm zugeteilt wird. Vergeblich – ungeachtet der
vorgewiesenen Dokumente und Zeugenaussagen bestimmte der Richter am
Distrikt-Gerichtshof von Beer Sheba, dass es keine
Verbindung zwischen dem Al-Okbi-Stamm zu dem in Frage
kommenden Land gäbe und dass es ein Stück Staatsland sei, über das der Staat
bestimmen könne.
Es war nach dieser
juristischen Schlappe, dass Nuri sich entschied, auf
das Land seiner Vorfahren zurück zu gehen und dort zu bleiben, egal was kommt.
Im April 2006 war er zurückgekommen, richtete dort sein Zelt auf mit ein
paar wichtigen Dingen. Und dort ist er
noch nach mehr als zwei Jahren und
beabsichtigt, nicht aufzugeben. Immer und immer wieder kommt die gewöhnliche
Polizei, die Polizei gegen Aufstände und die sog. „Grüne“ und verwüsten den Platz, konfiszieren Nuris Zelt und Besitz. Er ist immer wieder schnell zurück,
errichtet mit Hilfe von Beduinen und jüdischen Freunden ein neues Zelt.
Bei einem dieser
Vertreibungen brach ihm ein brutaler Polizist seine Hand; Nuri
suchte medizinische Behandlung und reichte eine formelle Klage ein und war
sofort wieder zurück bei einem neuen Zelt mit seiner eingegipsten Hand.
Meistens sind die paar Habseligkeiten in seinem Besitz leicht zu ersetzen. Doch
einmal machte er den Fehler und bewahrte einen wunderschönen, handgewebten
Teppich von einigem Wert, dessen schnelle Konfiszierung ihn heute noch traurig
macht.
Bei vielen Gelegenheiten
kommen Unterstützer aus Israel oder aus dem Ausland zu seinem Protestzelt. Im
April des letzten Jahres – nachdem er
ein Jahre dort im Zelt war - fand genau dort eine Konferenz über Beduinenrechte statt. Hunderte
Teilnehmer verbrachten einen ganzen Tag dort
in großen Zelten, die extra für diesen Zweck errichtet wurden ( und später wieder abgebaut wurden, um nicht konfisziert zu
werden) . Vor einem Monat wurde der 2. Jahrestag seines Protestzeltes mit der Chelton Theatertruppe von der Tel Aviver
Universität mit einer Sondervorstellung
gefeiert: man spielte ‚Beduins’.
Die meiste Zeit jedoch ist Nuri allein dort. ‚Mir ist nie langweilig. Dies hier ist
meine Heimat, wie kann man sich in
seiner Heimat langweilen?’
Am Morgen des 15.Mai soll Nuri al-Okbi vor einer von der Regierung eingesetzten Sonderkommission, die von Richter Goldenberg
geleitet wird, aussagen und beauftragt werden, eine grundlegende Untersuchung
über die Situation der Negevbeduinen zu machen und einen Vorschlag zur Lösung
machen. Er wird im Detail seine eigene Geschichte, die seines Stammes und der
Beduinen im allgemeinen darstellen. Allerdings macht
er sich keine großen Illusionen über die Goldenberg Kommission.
Mittlerweile ist es für die
Polizei business as usual.
Gestern gab es einen neuen Überfall. Dieses Mal machten sie sich die Mühe und
zogen auch die Zeltheringe heraus, nachdem ihnen nach zwei Jahren klar wurde,
dass wenn sie die im Boden lassen, halfen sie Nuri,
ein neues Zelt schneller wieder aufzurichten.
Während ein Polizist mit seine Arbeit
beschäftigt war – auf seinem Namensschild stand Sharon Hermon – fragte er doch tatsächlich, ob Nuri
auch den 60 Jahrestag von Israel feiern wird. Darauf konnte Nuri
mit Mühe antworten: ‚Glaubst du, dass
ich etwas zu feien habe?’
Wenn das Feuerwerk über Tel
Aviv und Jerusalem aufleuchtet und die internationalen VIPs zum feierlichen
Empfang strömen, der von Präsident Shimon Peres organisiert wurde, wird Nuri Al-Okbi still seine
Nachwache in der Wüste halten und ein bisschen Gerechtigkeit von dem Staat
fordern, dessen Bürger er ist.
Nuri al-Okbi kann nicht über emails erreicht werden. Er kann nur Botschaften und
Unterstützung über die Schneckenpost bekommen: POB 50 212, Be’er Sheba. Und wenn man im Lande ist, ist man bei ihm herzlich
willkommen. (Telefon: 0545 465556 und er
wird kommen und den Besucher von Be’er Sheba abholen. )
( dt. Ellen Rohlfs)