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Fröhliche Chanukka? Nein danke!

 

Avigail Abarbanel, 

 

Tlaxcala  12.12.12.

 

Seitdem ich Israel verlassen habe, wünschen mir um diese Zeit herum wohlmeinende höfliche Leute „fröhliche Chanukka“. Aber ich feiere Chanukka nicht, weil es ein Fest ist, das meine Werte und meine Ethik beleidigt. Die Leute denken, es sei eine jüdische Version von Weihnachten  – aber das ist ein Irrtum.

 

Das Chanukkafest feiert die Wiedereinweihung des jüdischen Tempels in Jerusalem als Teil eines erfolgreichen Aufstandes gegen den griechischen Besatzer  in Judäa in der Zeit von 175 bis 134 BC. Nach Alexanders Tod wurde das griechische Empire geteilt und Judäa wurde ein Teil des Seleukidenreiches, das Jerusalem in eine griechische Stadt verwandelte mit einem Gymnasium, der jüdische Tempel wurde in einen Tempel für den griechischen Gott Zeus verwandelt und die jüdische Religion brutal unterdrückt. Praktiken, wie die Torah lesen, die Beschneidung und das Einhalten des Sabbath wurden verboten und mit Todesstrafe bestraft.

 

Der Aufstand, der von Judas Makkabäus und seinen Brüdern geleitet wurde, wurde als ein Krieg gegen die Seleukidenarmee geführt, aber anfangs wurden jüdische Kollaborateure ermordet, die die griechische Kultur und Religion angenommen hatten. Diese Guerillagruppe war in viele Schlachten verwickelt, und am Ende war Judäa in der Lage, sich selbst als römischer Ablegerstaat zu errichten und sich von den Griechen zu befreien. Während einer der Schlachten konnte eine Bande von Rebellen eine kleine Seleukidengarnison besiegen, die den Tempel bewachte. Sie nahm den Tempel wieder ein und weihte  ihn neu als jüdischen Tempel. Das Wort Chanukka kommt  aus dem  Hebräischen und heißt: „wieder neu einweihen“.

Dieses Ereignis wird  beim  Chanukkafest als Wunder Gottes gefeiert; es haben sich auch noch ein paar andere Mythen  darum gebildet. Einer davon ist der Mythos des kleinen Gefäßes mit heiligem Olivenöl, das in einer Ecke des Tempels gefunden wurde und das wunderbarer Weise die acht Feiertage den Menorah-Leuchter  leuchten ließ. Der Universitätsprofessor der Bar-Ilan-Universität  lehrte uns über Chanukka: es sei ein Teil eines jüdischen Festes, von dem keiner weiß, wie der Mythos entstanden sei, aber er sitzt fest. Er wird jedes Jahr kleinen Kindern in Israel und in jüdischen Gemeinden  in aller Welt erzählt, um dem erfolgreichen Aufstand gegen die Griechen einen göttlichen Segen zu verleihen.

 

Das Problem, das ich ( und viele andere jüdische Festivals) mit Chanukka haben, ist, dass ich mich weigere, ein Blutbad zu feiern, Krieg zu verherrlichen und Mord egal an wem zu rechtfertigen, selbst im Namen unserer eigenen Befreiung oder unseres Überlebens. Viele jüdische Feste gründen sich rund um Geschichten unserer Befreiung von Unterdrückung und  dem Triumph über jene, die uns vernichten oder uns  nur eine sehr harte Zeit geben wollten. Meinem Geschmack nach erfreuen sich zu viele am Töten von anderen und rechtfertigen das, was sie  im Namen des Überlebens unserer jüdischen Identität  tun (Ich feiere auch nicht Pesach, weil ich mich nicht über den Tod aller Erstgeborenen der Ägypter freuen kann, oder Purim, als Hamman und seine zehn Söhne ermordet wurden , weil sie planten, Juden zu töten.)

Als ich aufwuchs, erfuhr ich so viele Geschichten darüber, wie unser Volk Besatzung und Unterwerfung widerstanden. Sie waren nicht immer in Schlachten und Kriege verwickelt. Manchmal waren sie dabei, der Unterwerfung zu widerstehen. …Eine der Geschichten, die mich als Kind tief bewegten war über Hanna und ihre sieben Söhne, die brutal einer nach dem anderen vor ihr ermordet wurden, weil sie sich weigerten, Schweinefleisch zu essen. Uns wurde in klarer Sprache beigebracht , dass man etwas tun müsse, um frei zu sein; man solle sich nicht einem Unterdrücker beugen, man solle keine Unterdrückung tolerieren oder einen Versuch, unsere Religion, unsere Art und Weise zu leben oder unsern nationalen Charakter zu verändern versuchen.

Angesichts der Realität von Israels Besatzung von Palästina finde ich die Heuchelei von Chanukka unerträglich. Es ist OK für uns Juden  (groß und spektakulär) unsere Bemühungen  zu feiern, unser eigenes Volk  von der Besatzung zu befreien, ganz gleich, was es kostet, egal, wer  auf unserer oder der anderen Seite am Leben bleibt oder zu Tode kommt. Aber es ist für die Palästinenser nicht OK. Keiner verurteilt Judas Makkabeus und seine Gefolgsleute als Terroristen. Sie werden als Freiheitskämpfer sogar mit einem  gerechten und sogar göttlichen Auftrag ungeachtet ihrer Brutalität verehrt. Die griechischen Besatzer werden  in der Geschichte von Chanukka boshaft verachtet, aber keiner denkt, dass es da ein Problem mit dem  jetzigen Besatzer Israel gibt.

An diesem Punkt werden Unterstützer Israels wahrscheinlich sagen, dass der Vergleich unfair sei. Israel sei keine Weltmacht wie es Griechenland war. Es versucht nur, ein sicherer Hafen für das lange Zeit verfolgte jüdische Volk zu sein. Aber macht es denn etwas aus, wenn hinter der Besatzung und Kolonisation ihre Verbrechen dieselben sind.

Etwas anderes ist in den Dokumenten hinter Chanukka ans Licht gekommen: es gab innerhalb der jüdischen Gemeinde und während dieser Periode einen blutigen Kampf. Es gab Korruption und unendliche Intrigen in Bezug auf die Stellung des Hohen Priesters und seiner Verwandten, Kollaboration mit den griechischen  Besatzern um Macht Stellung und Geld. So was geschieht immer, wenn ein Volk unter Besatzung lebt… das ist nie schön.

 

Wenn also Leute das palästinensische Volk kritisieren, dann halte ich mich raus und denke bei mir: „was erwartet man denn von ihm? Das geschieht, wenn ein Volk unter Besatzung lebt; sie reagieren wie Menschen unter ähnlichen Umständen reagiert haben – auch die Juden. Warum sollten sich die Palästinenser in anderer Weise verhalten als Juden damals oder die Franzosen während der Nazi-Besatzung, die Inder während der britischen Besatzung …

 

Ich mochte als Kind Chanukka, weil die Kinder ihren Spaß daran hatten: man zündet Kerzen an, singt schöne, wenn auch blutrünstige, traditionelle Lieder, und isst leckere Süßigkeiten ...und anderes Traditionelle aus Osteuropa, was eigentlich nicht jüdisch ist – aber in  Israel herrschte immer die ashkenazische Kultur vor. Als ich also vor Jahren all dies aufgab, war dies zwar ei bisschen traurig, aber es war ein sinnvolles Opfer und lässt mich nach meinen ethischen Grundsätzen leben.

Für die jüdischen Unterstützer Israels in aller Welt und besonders für die israelischen Juden  wird es  Zeit, aufzuwachen und die schreckliche Ironie beim Feiern von Chanukka zu  sehen, während Israel die Palästinenser  besetzt. Warum können sie nicht sehen, dass sie die Rolle der Griechen spielen und dass die Palästinenser auf dieselbe Art reagieren wie  damals jüdische Rebellen . Wenn jüdische Kultur unseren rebellischen und kompromisslosen Geist rühmt und feiert, warum  verachtet sie dann denselben Geist bei anderen?

 

(dt. und ein wenig gekürzt: Ellen Rohlfs)