Israel Palästina Nahost Konflikt Infos

 

Eine binationale Realität

 

Akiva Eldar, Haaretz, 7.7.08

 

Wie gut, dass auch diesmal der Terrorist nur ein  Einzelgänger war, ein Drogenabhängiger oder nur ein Spinner. So lange wie Jerusalemer Mörder nicht im Auftrag einer Terrorgruppe handeln. „Unkraut“ kann in jedem Garten wachsen. Auch wir hatten einmal einen seltsamen Arzt, der ein Massaker in einer Moschee ausführte; seine Familie errichtete ihm ein Ehrenmal, um den „Heiligen“ zu ehren. Keiner kam auf die Idee, das Haus seiner Familie zu zerstören, aus Gründen der „Abschreckung“ – und dies war gerechtfertigt. Wenn wir annehmen, dass dies der Fall eines Außenseiters war, dann wird das Zerstören des Hauses seiner Familie den nächsten Außenseiter genau so wenig abschrecken wie die Todesstrafe diejenigen abschreckt, die sich entscheiden, sich in einem Bus in die Luft zu sprengen, in der Hoffnung, bald Spaß mit 70 Jungfrauen im Paradies zu haben. Abschreckung ist relevant, wenn es sich um Einstellungen der Allgemeinheit handelt und nicht um Außenseiter der Gesellschaft.

 

Der Mörder in der Mercaz Harav Yeshiva und der Terrorist mit dem Bulldozer vertreten keine Organisation. Es ist noch schlimmer: sie spiegeln die Stimmung von Tausenden Bewohnern in Israels Hauptstadt wieder. Eine Terrororganisation könnte ausfindig gemacht  und  für illegal erklärt und ihre Führung verhaftet werden. Unzufriedenheit, die von ganz unten kommt, benötigt keine Anleitung und wird nicht von irgendjemand kontrolliert und ist deshalb viel schwieriger in Schach zu halten. So war es während der 1. Intifada und bis zu einem gewissen Grad auch während der 2. Intifada. Die Organisationen schafften nicht die Welle – sie ritten auf ihr.

 

Ein junger Palästinenser, der in einem der Stadtteile lebt, die außerhalb der Mauer gelassen wurde, sagte mir, dass jeden Morgen, wenn er zur Arbeit geht und er am Kontrollpunkt die vielen Menschen dort warten sieht, er sich wundert, dass es nur so wenig Terrorakte gibt. Und dies sagt ein Mann, der seine Kinder in ein Sommerlager mit israelischer Jugend schickt.

 

Zufällig oder vielleicht auch nicht zufällig kommen beide Täter, die in die Angriffe in Jerusalem verwickelt waren aus Stadtteilen an der Trennungslinie, wo das Leben der Bewohner vollkommen durch den Zaun verändert wurde, dessen Verlauf  kurzsichtig und ohne Sensibilität bestimmt wurde. Die Mauer, die Jerusalem umgibt, und deren totale Länge 170 km ist ( länger als die Entfernung nach Haifa), hat die meisten Jerusalemer Araber, vor allem die, die westlich davon leben, von ihren Verwandten in der Westbank getrennt. Etwa 60 000 Leute, die  außerhalb der Mauer leben, wurden von ihrem Lebensunterhalt, den Schulen und den Krankenhäusern in Jerusalem getrennt.

 

Die ständige, schleichende Annektierung von Land durch jüdische Stadtteile Ost-Jerusalems, einschließlich der Heiligen Stätten und der Altstadt – mit vollständiger Nichtbeachtung amerikanischer Forderungen – verwischt den Unterschied zwischen der Realität im „vereinigten“ Jerusalem und der Besatzung in der Westbank. Von einem politischen Standpunkt aus ist die Situation der Bewohner von Ost-Jerusalem besser als die ihrer Nachbarn in der Westbank.

 

Während man sich in Ramallah der Illusion  einer palästinensischen Regierung hingibt, hat die palästinensische Behörde schon ( wenige km weiter) in Shufat keinen  Stand mehr. Israel erfüllt seine Abmachungen nach Teil A der Road Map nicht, nach der die palästinensischen Institute in Ost-Jerusalem geöffnet werden sollten, und verhindert die Bildung  einer lokalen politischen Führung.

Die öffentliche Debatte um die Zerstörung der Häuser der Familien der Mörder macht noch auf ein ernsteres Problem aufmerksam. Es geht nicht um die Frage, warum die Familien der Jerusalemer Terroristen anders behandelt werden als die von Familien von Terroristen in der Westbank. Die Frage sollte sein, ob es eine echte Rechtfertigung gibt, sie anders zu behandeln. Gibt es denn wirklich einen Unterschied zwischen  jenen, die eine blaue  (israelische) Identitätskarte haben und den Bewohnern auf der Westbank? Veränderten die Zahlungen der Nationalen Versicherung auf der einen Seite und die Überwachung der palästinensischen Einwanderung andrerseits tatsächlich die Hoffnungen der Jerusalemer Araber oder ist die Politik der Vereinigung Jerusalems fehlgeschlagen?

 

Nach 40 Jahren ist für die Politiker die Zeit gekommen, endlich zu begreifen, dass das Zerstören von mehr arabischen Häusern und das Bauen von mehr Häusern für Juden Jerusalem nicht in eine  besser vereinigte Stadt wandelt . In Jerusalem wie an jedem anderen Ort zwischen Meer und Jordan existiert eine bi-nationale Realität, in der eine ethnische Gruppe mit Gewalt über eine andere ethnische Gruppe herrscht. Historisch gesehen hatten die israelischen Regierungen die arabischen Jerusalemer als feindlichen Überschuss behandelt. Die Politik der „fortschrittlichen/ aufgeklärten Besatzung“ wurde in ihrem Falle angenommen, obwohl sie sich im Rest der (besetzten) Gebiete als bankrott erwiesen hat. Von den Leuten erwartet man nun, dass sie dies zu schätzen wissen und deshalb zu loyalen Bewohnern des zionistischen Staates werden.

 

Vor vielen Jahren, sagte ein US-Diplomat, der in Jerusalem seinen Dienst tat, folgendes über die Araber in der Stadt: „Ihr werdet sie weder brechen noch kaufen können.“

 

Das Zerstören von zwei weiteren Häusern in Jerusalem wird auch eine andere oberflächliche Trennung zwischen den Palästinensern zunichte machen. Vielleicht wird uns dies zum Verständnis helfen, dass ein Abkommen in der Westbank ohne eine Lösung für Jerusalem eine gefährliche Illusion ist.

 

(dt. Ellen Rohlfs)