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Ein Besuch in Al-Araqib, das Wüstendorf, das sich weigert, ausradiert zu werden.

Alice Rothchild ,

 

1.7. 13  Mondoweiss

 

Heute machen wir die lange Fahrt  in den Süden in die Negevwüste , um uns mit Thabet Abu Ras von Adalah, dem Rechtszentrum für die Rechte arabischer Minderheiten in Israel, und mit arabischen Beduinengemeinschaften zu treffen, die kurz vor der Umsiedlung stehen.

Ich lerne immer von der Landschaft und mir ist bekannt, dass alles Palästinensische, was zufällig 1948 vorhanden war, umbenannt wurde; doch heute lerne ich eine neue Verdrehung dieser linguistischen Auslöschung kennen. Auf der Schnellstraße sehen wie Straßenschilder auf Hebräisch, Englisch und Arabisch. Es stellt sich heraus, dass die arabischen Namen tatsächlich aus dem Hebräischen transskribiert wurden und so ein völlig anders Wort im Arabischen geschaffen wird – eine De-Arabisierung der Namen von historischen Orten . So wird Jerusalem – auf Hebräisch – Yerushalayim in arabischer Transkription Yerushalayim  anstatt A-Quds genannt, der arabische Name für Jerusalem. Wenn man darüber nachdenkt, bedeutet dies, dass  die Araber nicht nur unsichtbar sind, sondern dass sie tatsächlich als Immigranten gelten und nicht vor dem Staat Israel wirklich hier waren, der nun alles umbenennt.

Wir trafen uns mit Thabet, einem politischen Geologen und Direktor des südlichen Büros von Adalah, der an der Schnellstraße mit zwei Volontären wartete. Das Land ist ziemlich flach, knochentrocken und ganz klar eine Wüste. Wir wenden uns von der modernen Schnellstraße ab  zu dem nicht eingezeichneten und nicht anerkannten Dorf Al-Araqib, holpern über eine ungeteerte, steinige  Straße, voller Sand und tiefen Löchern, fahren an Reihen von vor kurzem gepflanzten Eukalytusbäumen auf der einen Seite der Straße entlang und einem Friedhof und Zelten von Beduinen und Schuppen auf der anderen Seite. Wir halten an einem großen flachen Zelt, das aus großen Plastikplanen über Holzplanken gelegt besteht. Wir setzen uns auf lange Teppiche und Kissen.. Wir werden dem Sheich und Haia Noach, dem Exekutiv Direktor des Negev-Koexistenz-forums für zivile Gleichheit, vorgestellt. Der Sheikh trägt ein langes, schwarzes Gewand, arabische Kopfbedeckung und wenn sein Handy klingelt, ist ein bekanntes Tangojingle.

Während uns bitterer Kaffee angeboten wurde, der in einer Grube mitten im Zelt bereitet wurde, erklärte uns der Sheich in lebendigen Details die vielen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, die gegen sein Dorf 52 mal begangen wurden und das 52. Mal wieder aufgebaut wurde. 1999 begannen die Israelis die Ernte auf seinen Feldern mit giftigen Chemikalien zu besprühen und wiederholten dies fünf Mal. Die Chemikalien  hatten Auswirkungen auf die Felder, Tiere starben und es gab mehr Missgeburten. „Wo war die UN, die die Menschenrechte beschützt?“ fragte er. Wir werden eingeladen, einen Videofilm von einem Computer herunterzuladen  vor und nach der chemischen Behandlung der Ernte. Der Computer ist über einen Steckkontakt mit einem unterstützenden Balken verbunden. Er nimmt an, dass es der Rassismus im israelisch medizinischen System sei, das jede Forschung  dieser medizinischen Katastrophe verhindert hat.

Am 2, Juni 2010 kamen israelische Militärkräfte, unterstützt von Helikoptern, Hunden und Pferden und ebneten das Dorf ein. Er nennt dies ein „Nazi-Verbrechen“. Mit seinen dicken braunen Händen gestikuliert er beim Sprechen. Er beschreibt die Zerstörung,  wo Häuser eingeebnet, Lebensmittel, Milch, Medizin zerstört  und 4500 Frucht- und Olivenbäume und Weinstöcke ausgerissen wurden.  „Wir sind Menschen. Wir haben keine Arbeitslosigkeit. Wir leben von unsern Feldern.“  Er sagt, es sei erstaunlich, dass die Israelis  aus  in der Wüste lebenden unabhängigen Bauern  von Armut geschlagene Fabrikarbeiter machen will, die von jüdischen Bossen kontrolliert werden und in Reservat-Städten leben sollen. Es gibt eine zweite Runde Kaffee und Tee.

Sechs Monate nach der Zerstörung des Dorfes kamen 40 LKWs an und brachten allen Schutt weg, und das Gericht befahl den Beduinen, auf ihren Friedhof umzuziehen. Die Israelis töteten 100 Schafe und 16 arabische Pferde. Im Augenblick gibt es nur einen sicheren Ort für die Familien: den Friedhof, an dem wir vorbeigekommen sind. Sie leben dort ohne Wasser und ohne Strom: „ Die  Toten beschützen die Lebenden.“ Die Israelis  bepflanzten dann das Beduinenland mit  Reihen von Eukalyptus-Bäumen, dem „Botschafter-Wald“; und ausländische Botschafter werden ermutigt, hier Bäume im Namen ihres Landes zu pflanzen. Der Sheich wurde vom südafrikanischen Botschafter besucht, der diese Politik verurteilt und sich weigerte, einen Baum zu pflanzen. Was für eine bittere Ironie, als ein großer Wassertank kam und anfing,  die jungen Bäume zu wässern – aber für Menschen gibt es kein Wasser. Tatsächlich ist es Juden und Arabern verboten, die Beduinen mit Wasser zu versorgen. Den Beduinen wurde  vom Gericht eine Geldstrafe für Polizeikosten auferlegt, weil sie in einen Angriff verwickelt gewesen seien. Ein anderer Wassertanker kam.

Der Sheikh bestätigte, dass er eine Dokumentation habe, die belegt, dass der JNF für dieses Bäume-Anpflanzen auf ihrem historischen Land verantwortlich sei. Nachdem sie ihr Land verloren haben, fragt er: „Wo sollen wir leben? Was sollen wir essen?“ Sie haben auch keine Straßen und Schulen. Die Kinder müssen zu einer entfernt liegenden Stadt Rahat fahren, „ eine  gescheiterte Flüchtlingsstadt“ und die Familien graben weiter Brunnen auf der Suche nach Wasser. Er fragt: „Würde Israel  dies auch gegenüber einem jüdischen Bürger tun?“  Tatsächlich haben einzelne religiöse Juden  in diesem Gebiet Farmen erworben und die Regierung unterstützt sie mit allem. „Israel behandelt uns, als wären wir ein Sicherheitsproblem wie der Iran.“ Der Sheich erwähnt, dass im Augenblick 58 Rechtsfälle in israelischen Gerichten gegen ihn vorlägen, allein dafür, dass er auf seinem eigenen Land lebt. Er bittet eindringlich: „Wir wollen mit Juden zusammenleben. Die Kriminellen sind die Regierung und die Polizei.“ Viele israelische NGOs unterstützen den Kampf der Beduinen. Zum Beispiel  hat ADALAH dem israelischen Obersten Gerichtshof eine Petition vorgelegt, man möge damit aufhören, mit einem aus den USA stammenden chemischen Zeug die Ernte zu besprühen.

Azziz, der Sohn des Sheichs erklärt, dass das Dorf Araqib 1948 das 1. Mal  zerstört wurde, dass die Menschen aber blieben und um Anerkennung baten. Sie wurden bis 2010 meistens ignoriert. Dann begannen ernsthaft die Bemühungen, das Dorf total zu zerstören. Er beschrieb, wie die Soldaten früh um 4 Uhr kamen und 65 Hütten, 4500 Olivenbäume zerstörten und das Dorf dem Erdboden gleich machten. Vor diesem Vorfall waren wir hier 573 Personen. „Vor dem hatten wir alle Arbeit, wir bearbeiteten das Land, Weizen im Winter, Olivenöl, Käse, Milch, alles organisch.“ Jede Familie hatte noch kleine Nebenjobs. Er und seine Frau hatten noch 400 Hühner und verkauften Eier, die wöchentlich 600-700 Shekel einbrachten. Jetzt sind die Beduinen zu Sklaven geworden, die 12 Stunden arbeiten, ihre Frauen und Kinder vermissen. Der Prawer-Plan – der dafür bestimmt ist, die Siedlung der Beduinen im Negev zu“ regeln“, dabei aber die  Vorstellungen  im Völkerrecht ignorieren wie vorläufige Gerechtigkeit, halb-nomadische Eigentumsrechte und die Rechte der einheimischen Bevölkerung – der Prawer-Plan „Bedeutet uns zu töten, wir werden nicht weggehen. Es gibt keine andere Wahl.. Wenn wir gehen, werden wir sterben.“ Die Polizei droht damit, den Friedhof zu zerstören, der 1914 angelegt wurde.

Wir werden dann auch Haia Noach vorgestellt, die über Fürsprache und Bewusstseinskampagnen spricht. Sie ist schon mehrfach verhaftet worden, weil sie Beduinen geschützt hat.  Sie bestätigt, dass die meisten Israelis nichts wissen wollen, die Besatzung und den Rassismus in ihrer Gesellschaft verleugnen. Der Prawer-Plan ist eine neue Grenze für ein Konfliktgebiet:  Die Kontrolle über weite Teile des Landes nehmen, indem man Bäume durch den JNF pflanzt, Industriezonen  und Armeebasen  auf enteignetem Land schafft. Die Diskussion über die Moral des Aufforstungsprojektes ist jetzt zum Stillstand gekommen und hundert Tausende von Bäumen sind gepflanzt worden.

 Es gibt sogar eine evangelikale Gruppe, die mit dem JNF eine Million junger Bäume pflanzte, damit die Apokalypse  (der Messias) schneller kommt. Sie erinnert uns, dass die Landgesetze - die Konfiszierung erlauben, wenn Land nicht für eine gewisse Periode besetzt ist - der ansässigen Bevölkerung nicht bekannt ist, dass Beduinen oft die Eigentumsurkunde fehlt oder nur die traditionelle  Besitzurkunden haben, die  praktisch ignoriert werden. Und die Gerichtshöfe sind verwickelt mit Fällen und Gegenfällen. Sie hofft auf einen Rechtsdurchbruch, da es ein wachsendes Bewusstsein über die Rechte der indigenen Bevölkerung gibt. Still und heimlich hoffe ich das auch, Inshallah.

Alice Rothchild ist eine jüdisch amerikanische Ärztin. Ich bekanntestes Buch ist:“Gebrochene Versprechen, zerbrochene Träume“