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Zerstörung von Al-Arakib, Juni
2014
Gadi Algazi
Liebe Freunde,
dies ist eine jener Mails, die ich gern vermeide zu senden.
Einige unter euch haben unsere Arbeit gegen Enteignung der Beduinen
innerhalb der Grünen Linie verfolgt (Es gibt ein weiteres immenses Projekt,
dessen Ziel es ist, Beduinen, die im Westjordanland leben, zu vertreiben, viele
von ihnen Flüchtlinge aus dem 1948iger Krieg; viele von ihnen leben im
Jordantal, wo enteignete Beduinen, einschließlich vieler Kinder, für praktisch
Nichts in Siedlerplantagen arbeiten.) Während der letzten vier Jahre aber haben
wir (www.tarabut.info) uns auf die Arbeit
mit Beduinen, die israelische Bürger sind, konzentriert; sie sind die am meisten
verarmte und diskriminierte Gruppe innerhalb Israels.
Wir – zusammen mit unseren Freunden aus dem Negev
Coexistence Forum and Rabbis for Human Rights -- haben insbesondere eine
Gemeinschaft im Negev unterstützt, nur wenige Meilen nördlich der Stadt Beer
Sheva gelegen: Al-Arakib. Sie sind 1951-1952 vertrieben worden, manche konnten
jedoch unweit der Ländereien ihrer Vorfahren bleiben und waren nach und nach in
der Lage dorthin zurück zu kehren, da die israelischen landwirtschaftlichen
Siedlungen das Interesse an diesen Ländereien verloren.
Der Staat Israel war mächtig genug zu
vertreiben, auszutreiben, zu enteignen – zumindest auf dem Papier – aber er war
nicht imstand genug, die südlichen Teile des Landes effektiv zu kolonisieren.
Im Jahr 2000 begannen auf einander folgende israelische
Regierungen mit Hilfe des Jüdischen Nationalfonds einen Zermürbungskrieg gegen
die Beduinen. Ehemals als „gute Araber“ betrachtet, loyal und fügsam, wurden sie
zum „Feind im Inneren“, die „zu
viele Kinder“ zur Welt brächten, kriminalisiert und als „Eindringlinge“ in
„Staatsland“ (das in aller Regel enteignetes Beduinenland ist) bezeichnet. Der
Jüdische Nationalfonds wurde in diesen Kampagnen als Vorreiter benutzt, er
pflanzte dürre Bäume auf Beduinenland, um einseitig Eigentumsansprüche zu
markieren und ganze Bereiche für Beduinen- Landwirtschaft unbrauchbar zu machen.
Die Menschen des betroffenen Dorfes, al-Arakib, hatten zwei
Vorteile, wenn sie ihre Rechte auf das Land wieder einforderten:
Einige waren an einen Ort nur wenige
Kilometer nördlich ihrer Ländereien vertrieben worden, und sie konnten sich um
den 1914 errichteten und intakt gebliebenen Friedhof wieder zusammenfinden.
Dort begann ein Zermürbungskrieg:
Besprühung mit Herbiziden aus der Luft mit langfristigen
Gesundheitsschäden für die Menschen (2002-2003), Zerstörung ihrer
Ernten, wiederholte Hauszerstörungen,
etc. Ich werde das hier nicht erneut aufzählen (ein älterer Text aus dem Jahr
2010, der dringend der Aktualisierung bedarf, nachdem ich so viel in Gesprächen
mit den alten Leuten und aus den Archiven erfahren habe, kann hier
( s.link im.Original)
gefunden werden). Im Juli 2010 wurde das ganze Dorf zerstört, etwa 350 – 400
Menschen verloren ihre Wohnung. Von einer Zerstörung dieses Ausmaßes innerhalb
Israels Staatsgebiet ist seit 1949 nicht berichtet worden. Seit 2010 wurden die
Hütten, die die Bewohner wieder aufgebaut hatten, fast 70 Mal zerstört. Im
Januar / Februar 2011 versuchten die Behörden eine Lösung gewaltsam voran zu
treiben, indem eine Reihe von
täglichen Angriffen auf die verbliebenen Familien durchgeführt wurde: Tränengas,
Prügel, Schwammgeschosse, Inhaftierung
(s.hier). Die
meisten Familien mit kleinen Kindern verließen die Gegend; einige wenige blieben
und mussten Zuflucht zum Muslimischen Friedhofsareal suchen.
Der Rechtsstreit dauert an.
Für Beduinen ist es beinahe unmöglich bei Gerichten zu gewinnen. Vor der
Übernahme der staatlichen Macht, hatten Zionisten die Rechte der Beduinen am
Land anerkannt und Land von ihnen
gekauft. Heute ist es so gut wie
unmöglich für Beduinen zu beweisen, dass sie Land besitzen, aber selbst wenn sie
das tun, ist vor Dutzenden von Jahren das verbliebene Land konfisziert worden
gemäß den Auflagen des berühmt-berüchtigten „Land Erwerbsgesetzes“ (1953) und
des „Gesetzes über die Besitztümer der Abwesenden“ (1950).
Dank seines hartnäckigen Widerstands wurde Al-Arakib zum
ersten Fall, in dem Beduinen einen ernst zu nehmenden Rechtsstreit über ihre
Landrechte ausgefochten haben. Sie kamen drei Mal bis zum Obersten Gerichtshof,
und die Fälle sind noch immer anhängig. Mit anderen Worten, wir haben noch nicht
verloren, und der Staat kann nicht die automatische Registrierung ihres
konfiszierten Lands als „Staatsland“ fordern
(der Kampf, muss ich anfügen, bezieht sich auf ein winziges Gebiet, aber
die Auswirkungen sind für alle Beduinen Gemeinden weitreichend).
Dies mag einer der Gründe sein, weswegen die staatlichen
Behörden jüngst in eine neue Phase ihres Versuchs eintraten, das Dorf
buchstäblich vom Angesicht der Erde auszulöschen und Familien in die nahe
gelegene Beduinen Township Rahat zu treiben, die für Beduinen in den 1970igern
gebaut wurde, als Teil eines Projekts, ihre Verbindung zu ihren Ländereien zu
unterbinden und sie in erzwungene Proletarisierung zu führen.
Eine andere, vielleicht noch gewichtigere Überlegung ist, dass Israel
2005-2006 ein massives Siedlungsprojekt für die südliche Landeshälfte, die Wüste
Negev, ausrief. Dieser Plan machte es
notwendig, „das Beduinen Problem zu lösen“, das heißt vor Ort war die
erforderliche tabula rasa zu schaffen,
um Siedler und Inverstoren anzuziehen.
Dies Projekt nahm über die Jahre verschiedene Namen an. Seine jüngste
Inkarnation als „Prawer Plan“ verlangte die Vertreibung von geschätzt 30.000 –
40.000 Beduinen im Negev und die Zwangs-Lösung für deren Landrechte. Al-Arakib
wurde zum Symbol des Beduinen Widerstands. Der Plan musste 2013 aufgrund
massiver Proteste widerrufen werden. Die Politik des Staates in Bezug auf die
Beduinen änderte sich erneut, diesmal von einem massiven Projekt zu einem
tag-täglichen Zermürbungskrieg. In diesem Krieg bleibt Al-Arakib ein Hauptziel.
Damit bin ich bei den Ereignissen der letzten Woche
angelangt. Während der vergangenen
drei Jahre seit den gewaltsamen Angriffen der ersten Monate des Jahres 2011,
haben die verbliebenen Familien mit ihren kleinen Kindern im Areal des Friedhofs
ihre Lager aufgeschlagen. Seit Mai 2014 vermehrten sich die Anzeichen, dass die
Behörden drauf und dran sind, eine rote Linie zu überschreiten, die Familien
innerhalb des Friedhofsgeländes anzugreifen und ihre improvisierten Wohnungen zu
zerstören. Den Menschen von al-Arakib gelang es, seit der vollständigen
Zerstörung ihres Dorfs, vier Jahre
lang durchzuhalten, zwölf Jahre seit den ersten Angriffen der staatlichen
Behörden. Al-Arakib hat den Behörden
zufolge zu verschwinden.
Die Räumungsbefehle für die Wohnungen im Friedhofsgelände
waren nichtig; sie bezogen sich auf andere Hütten, die in der Vergangenheit
zerstört worden waren. Aber egal: Die Richter zögerten, Landkarten zu erörtern,
dem Druck des Staates zu widerstehen, und einer von ihnen, ein Siedler, zeigte
sich übereifrig, seine Pflichten
zu erfüllen und autorisierte die völlige Zerstörung von Hütten im Gelände
in bloßer Anwesenheit staatlicher Bevollmächtigter, mit anderen Worten in
Abwesenheit des Anwalts der Bewohner (12. Juni 2014). Innerhalb von Minuten
kamen Polizei, polizeiliche Sondereinheiten, Bulldozer und Lastwagen in das
Friedhofsgelände hinein.
Die Bewohner wurden in die Moschee
getrieben und eingekesselt. Unter ihnen eine junge Mutter mit ihrem 40
Tage alten Baby, eine andere mit einem eben 8 Monate alten Kleinkind, und
mehrere sehr alte Frauen und Männer. Wir – etwa 20 Aktivisten --
waren bei ihnen. Ich kann die Ereignisse hier zwar zusammenfassen, bin
aber immer noch zu erschüttert, um im Einzelnen zu erzählen, was geschah. Ich
lege daher ein paar Fotos bei.
Die Bewohner sahen zu wie alles, was sie in den Jahren des
Kampfes aufbauen konnten, in Stücke zermalmt wird, zu Staub zermahlen. Einige
Wohnungen wurden angezündet. Wasser Container wurden entleert, dann konfisziert.
Der Anwalt, aufgeschreckt durch die einseitige Genehmigung der Zwangsräumung,
rief das Distriktgericht an. Die Israelische Behörde für Landverwaltung weigerte
sich, die Zerstörung zu stoppen und auf das Ergebnis der Gerichtsanrufung zu
warten. Sie befahlen den Zerstörungstrupps das Tempo der Zerstörungen zu
erhöhen. Als schließlich ein Richter eine gerichtliche Verfügung, die Zerstörung
zu verschieben, beibrachte, waren 95% der Gebäude bereits zerstört. Am späten
Nachmittag wurde uns, die wir von allen Seiten in der Moschee - eher ein zur
Seite offener Unterstand mit einem kleinen Minarett – umzingelt waren, klar,
dass angesichts des hohen Einsatzes an Ressourcen in diese Operation,
als koordinierter militärischer Angriff mit großer administrativer
Unterstützung durchgeführt, dieser
Tag wohl kaum zu Ende gehen würde ohne einige Gewaltanwendung und
Inhaftierungen. Sondereinheiten drangen in die improvisierte Moschee ein,
räumten sie unter Gewaltanwendung, zerstörten das Minarett und verhafteten
sieben Menschen – fünf Einwohner von Al-Arakib, darunter zwei Minderjährige, und
zwei jüdische Aktivisten, ein jüngerer aus Tel Aviv und Rabbi Arik Aschermann
von ‚Rabbis für Menschenrechte’.
Seit Donnerstag haben Menschen dort kampiert. Am folgenden
Tag, Freitag, wurden zwei junge Leute von der polizeilichen Sondereinheit
gekidnappt (ich habe kein anderes Wort dafür) und in Haft gesetzt wegen
„Übertretung“, das heißt weil sie dort waren. Am Sonntagmorgen wurden alle
improvisierten Hütten noch einmal zerstört und alle Wasserbehälter, die seit
Freitag dorthin gebracht worden waren, konfisziert.
Unsere Aktivisten waren dort, aber über Solidarität und bloße Anwesenheit
in den schlimmsten Momenten hinaus, können wir sehr wenig materielle
Unterstützung bieten. Es sei denn
wir finden Richter, die wirklich zuhören wollen, würde der Räumungsbefehl für
den Friedhof bis zum 12. Juli in Kraft
bleiben. Bis dahin erwarten wir weitere Zerstörungen, ständige Belästigungen und
vielleicht den Versuch seitens der Behörden, die gesamte Gegend neu zu
konzipieren – einen Zaun um die Gräber zu ziehen und zu erklären, der Rest des
Geländes sei nicht wirklich ein Friedhof und könne daher ebenso schonungslos
behandelt werden wie man es mit dem übrigen Gebiet getan habe.
Dies ist eine schwierige Zeit nicht nur für Al-Arakib.
Da die Farce der endlosen
„Friedensgespräche“ vorüber ist und Netanyahus Außenpolitik vor einem
Scherben-haufen steht, sollen die
Palästinenser innerhalb Israels und in den Besetzten Gebieten den Preis zahlen.
Die Zerstörung von Al-Arakib ist Teil einer umfassenderen Kampagne: Die Räumung
von Iqrit (einem winzigen Palästinensischen Dorf im Norden, dessen Bewohner
versucht haben, in ihr Dorf zurückzukehren, wo sie seit ihrer Vertreibung 1951
immer waren); der Beschluss eine harte Linie gegenüber dem Hungerstreik der
Palästinensischen Gefangenen zu fahren, einschließlich Zwangsernährung; der
Räumungsplan gegen Beduinen in der
Westbank und ein neuer Regierungsausschuss für Beduinen Angelegenheiten, der
unter der Kontrolle der extremen Rechten der extremen Rechten steht.
Ich sollte nicht in diesem Ton schließen. Die Geschichte
von Al-Arakib ist auch eine Geschichte von Mut, von täglichem Opfer, von Frauen,
die die Last dieses Kampfes über die Jahre hin tragen. Auf einigen der Fotos
könnt ihr ihre Gesichter sehen. Es ist wahrhaft unglaublich, dass von allen so
oft vergessenen Palästinensern in Israel
- weil man glaubt, es gebe Palästinenser nur in den Besetzten
Palästinensischen Gebieten oder als Flüchtlinge -
es ausgerechnet die Beduinen sind, die einen solchen Kampf angesichts der
überlegenen Kräfte eingegangen sind – die Beduinen, die doch selbst in
Bemühungen, die Geschichte Palästinas niederzuschreiben, nicht immer in Betracht
gezogen werden. Dabei gehören Palästinenser zu den wenigen einheimischen
Völkern, die sich Siedlerkolonialismus
gegenüber sehen, denen es gelungen ist, ein lebendiges, widerständiges,
trotziges politisches Subjekt zu bleiben.
Der Kampf geht nicht um kleine Bisschen und Stückchen, die einem
einheimischen Volk bleiben. Es geht immer noch um seine Zukunft und darum für
beide Völker hier eine andere Zukunft zu ermöglichen.
Gadi.
Tel Aviv, 12. Juni 2014
Fotos:
https://picasaweb.google.com/Gadi.Algazi/DemolishingAlArakibJune2014?authuser=0&authkey=GV1sRgCL3WxPymjrmSIQE&feat=directlink
Weiterleitung ist erwünscht.
Frühere Berichte sind unter unserer Website
www.tarabut.info zu finden