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Gestohlene Kindheit: eine
palästinensische Geschichte
Die Welt ist unglaublich
gleichgültig gegenüber dem palästinensischen Leiden und demonstriert täglich
diese Politik der Gleichgültigkeit
Hatam Bazian, Aljazeera, 2.8.15
Ismail,
Zakaria, Ahed und Mohamrd sind vier Namen, die anscheinend zufällig sind und
keine besondere Bedeutung für die durchschnittliche Person in der Welt hat.
Doch
diese vier Namen sind im Gedächtnis der
Palästinenseersehr bekannt und eingeprägt. Sie sind die Kinder der Bakr-Familie
– sie waren zwischen neun und elf Jahre alt. Ich nehme es euch nicht übel, wenn
ihr euch nicht an diese Namen erinnert.
Die
Wahrheit ist, palästinensische Namen, Familien und Gesichter werden in einer
Welt nicht erinnert, deren allgemeine Meinung vom Bewusstsein
eines Nachrichtenzirkels
bestimmt wird. Ihre Geschichte
wurde nicht verbreitet. Ihrem Verlust wurde keine persönliche Note gegeben und
mit ihren Lieben wurde kein Interview gemacht.
Vor
einem Jahr wurde der 16jährige palästinensische Junge Mohammed Abu Khdeir von
jüdischen Extremisten in
Jerusalem als Racheakt lebendig verbrannt.
Am
letzten Freitag markiert das Verbrennen des 18 Monate alten Baby Ali Saad
Dawabsheh durch einen Brandanschlag
von Siedlern auf die Wohnung der Familie in Duma
den Jahrestag von Abus KhdeirsTod.
Die
Wahrheit ist, dass wir den Verlust
von palästinensischem Leben nicht betrauern. Wie erinnern uns nicht an die
Familien, die Häuser und Schulen, die systematisch ausgelöscht werden oder an
die Krankenhäuser und Ambulanzen, die chirurgisch gezielt angegriffen werden
oder die unzähligen ermordeten Individuen, die nur ihr Leben leben wollten.
Der Mord
an Cecil dem Löwen hat mehr globale Aufmerksamkeit und Aufrufe zu genauen
Untersuchungen erfahren, als die Bakr-Kinder,
Abu und Ali.
Systematisches Auslöschen
Doch wie
können wir dies tun? Wie können wir – unser globales Bewusstsein -
ja, unsere Augen von dem ständigen und systematisch
zugefügten palästinensischen Leid
abwenden?
Wie
entschuldigen wir Israels das Festhalten von 6000 palästinensischen politischen
Gefangenen – einige erst 11 Jahre alt -
und das Eingesperrt-sein von gewählten
palästinensischen Parlamentsmitgliedern?
Wie
erklären wir die unverhältnismäßige Antwort von Diplomaten, die nach Gaza
strömen, auf der Suche nach einem einzigen Soldaten, der nach Israels
Sommerangriff auf den Gazastreifen
gefangen genommen wurde.
Wo sind
die Delegationen, die versuchen,
die 1,4 Millionen Palästinenser aus dem Open-Air-KZ-ähnlichem Gefängnis des
Gazastreifens zu befreien? Frustriert
wende ich mich ab. Die Bakr-Kinder verdienen einen Moment des Gedenkens.
Sie
spielten an einem sonnigen Tag am Strand Fußball – eine kurze Atempause einer
Kindheit in Gaza, die imminent von der Unterdrückung, Angst und Gewalt
gekennzeichnet ist – als eine israelische Rakete in ihr Spiel fiel.
Journalisten, die kurz vorher mit den Kindern Fußball spielten, waren
Zeugen dieses Blutbades. Sie
bezeugten, dass es in dem Gebiet keine militärischen Aktivitäten gab,
aber trotzdem hielt das israelische Militär palästinensische Kämpfer für
diesen Vorfall verantwortlich – sie seien das beabsichtigte Ziel gewesen.
Nicht das erste, noch das
letzte Mal
Dies ist
nicht der erste, noch der letzte Mord, der vom israelischen Militär bei vollem
Tageslicht bei laufender Kamera durchgeführt wurde. Doch waren sie nie für ihre
Taten zur Rechenschaft gezogen worden.
Der
gewalttätige Verlust dieser vier Kinder belastet weiter mein eigenes Gewissen.
Auch ich spielte in meiner Jugend Fußball. An jedem freien Ort, der Hof, das
Treppenhaus waren mein Fußballfeld.
Für mich und meine Freunde in der Kindheit wurde jede freie Zeit vor und nach
der Schule zu einem erholsamen
Spiel, mit einer metaphorischen Halbzeit, die
für Gebete in der nahen Moschee benützt wurde.
Der
Fußball machte jeden auf dem Feld ebenbürtig
und verband alle Kinder der Nachbarschaft. Wir legten oft
unsere Pfennige zusammen, um zusammen einen neuen Ball zu kaufen.
Als
Kinder, die im Krieg aufwuchsen, hielten uns Proteste und politische Unruhen
nicht vom Spielen ab.
Für jene Augenblicke des Spiels, waren wir in der Lage,
die gewaltsame Welt um uns
zu vergessen und frei hinter dem
Ball her zu rennen.
Perioden
von Feuerpausen waren immer eine Gelegenheit, um ein schnelles Spiel zu beginnen
und etwas von unserer angespannten Kindheitsenergie nach langen Stunden, in
denen wir hinter geschlossenen
Türen uns im Keller verbargen, während die Kämpfe tobten.
Erschreckende Wahrheit
Die
erschreckende Wahrheit ist, dass die Bakr-Kinder hätten meine Freunde sein
können. Sie hätten meine Familie sein können. Auch ich hätte tragischer Weise
mein Leben verlieren können, während ich lachend und rennend
an einem ruhigen und sonnigen Tag am Strand spielte.
Der
Verlust der Bakr-Kinder ist wirklich nur ein weiterer Tropfen im Meer
israelischer Ungerechtigkeit. Ihr
Fall wird in der Menge der Beweise gegen Israel
und seiner illegalen Besatzung vergessen werden. Aber während die Welt
die Bakr-Kinder vergessen mag, Palästina wird sie nicht vergessen.
Die
Fakten sind klar. Der letzte Angriff auf Gaza war der dritte in acht Jahren –
1,4 Millionen Palästinenser wurden belagert. Innerhalb von 50 Tagen während des
Sommers 2014 führte Israel mehr als 6000 Luftschläge aus, die
gezielte Angriffe auf Wohn-
und andere Gebäude waren.
Nach dem
OCHA –Bericht (UN-Office zur Koordinierung
humanitärer Angelegenheiten)
hatten 142 Familien drei oder mehr Mitglieder bei der Zerstörung von
Wohngebäuden verloren. Im Ganzen gab es 742 Todesfälle.
Nach dem
UN-Ocha-Bericht war die palästinensische Todesrate bei 2220,
1492 von ihnen waren
Zivilisten, einschließlich 551 Kinder und 200 Frauen.
Es ist kaum zu verstehen
Der
Anteil der zivilen Todesfälle liegt bei 70%.
Ich kann es kaum verstehen, wie ein Regime mit solchen Brutalitäten
ungestraft davon kommen kann. Wer macht Israel dafür verantwortlich?
Zusätzlich zum Töten und Verstümmeln von Palästinensern, beschädigten die
Israelis im Gazastreifen 9644
Häuser schwer und rund 90
000 teilweise.
Gegenwärtig leben noch 100 000 Gazaner als Flüchtlinge auf ihrem eigenen Land
oder in ihren gefährlich
beschädigten Häusern - um wenigsten
ein wenig Schutz zu haben. Kein Wiederaufbau oder Hilfe
ist erlaubt worden. Jeder Versuch des Wiederaufbaus und der Erholung
wurde gestoppt, bevor er begann.
Wenn
Kinder zum Ziel und getötet werden, um eines politischen Vorteils willen, muss
eine entschiedene und kühne Aktion unternommen werden. Wir können nicht einfach
dabei stehen und zusehen, wie
Ungerechtigkeit weitergeht.
Da wir
den ersten Jahrestag von Israels letztem Angriff in Gaza begehen, müsste die
Welt mehr denn je die Bemühungen wie Boykott, Divestment und Sanktionen (BDS)
unterstützen. Verfahren müssten aufgenommen werden, um Israel für das Leiden von
Millionen verantwortlich zu machen.
Internationale Aufmerksamkeit
müsste auf die Notlage der Palästinenser gelenkt werden. Doch noch
einfacher: Kindern muss erlaubt werden, Kinder zu sein. Sie sollten niemals mit
Ängsten leben, in Kellern kauern, um sich vor Geschützfeuern zu schützen,
verstört Fußball spielen …
Die
Bakr-Kinder-Geschichte steht wie ein Denkmal für die Gleichgültigkeit der Welt
gegenüber dem palästinensischen Leiden. Die Kinder und das ganze
palästinensische Volk verdienen Gerechtigkeit.
Der
Autor ist Mitherausgeber und Gründer des Islamophobia Studies Journal und ist
Direktor des Islamophobia Research
and Dokumentation Project und Seniordozent
in der Abteilung für Nahöstliche und Ethnische Studien an der Universität
von Kalifornien, Berkeley.
(dt.
Ellen Rohlfs)