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100% menschlich – Fünf Jahre ohne Juliano Mer-Khanis

Udi Aloni  (Direktor von „Junction 48“)   +972

 

Als ich am 4. April in Berlin landete, wurde mir klar, dass es das erste Mal nach dem Mord von Juliano Mer-Khanis war, dass ich nicht eine Gedächtnisfeier für ihn halten würde. Ich dachte, dass ich im Flugzeug eine Flasche Black Label kaufen werde. Es war Jul’s Lieblings-Whisky und diesen in derselben Nacht mit Mariam Abu Khaled austrinken werde. Sie ist seine wunderbaren Schülerin, die heute eine erfolgreiche Schauspielerin in Berlins Maxim Gorki Theater ist. Wir würden unsere Lieblings-Erinnerungen erzählen, dann weinen und danach lachen.

Julianos Mord vor fünf Jahren vor dem Freedom Theater (im Jeniner Flüchtlingslager), das er mit Liebe und unendlichem Talent aufbaute, veränderte unser Leben vollständig. Das Geräusch jener fünf Kugeln die durch die Luft flogen und seinen Körper durchdrangen, wiederholen sich heute in meinem Kopf  - ihre Wellen informieren meine politische und künstlerische Arbeit von heute.

Doch das Schicksal hat seine eigenen Pläne. Als ich in Berlin landete, lud mich ein palästinensischer  Freund von mir zu einer Veranstaltung zu Ehren von Juliano ein.

Bevor ich weiterschreibe, lasst mich zunächst  Mariam  Abu Khaled, eine afro-palästinensische Schauspielerin aus dem Jeniner Flüchtlingslager vorstellen.  Eine wunderbare Person, die Juliano unter seine Fittiche nahm, als sie 17 war. Mariam eroberte die Bühne vom ersten Augenblick an. Ich traf sie das erste Mal, als ich mich mit Jul im Flüchtlingslager traf, während wir am „Alice im Wunderland“ arbeiteten, in dem Mariam die böse rote Königin spielte.

Als Juliano ermordet wurde, blieben wir traumatisiert und wie Waisen zurück. Der arabische Frühling wurde schnell zu einem grausamen Winter und wir zogen uns mit 12 Studenten nach Ramallah zurück. Sie wurden zum zweiten Mal Flüchtlinge und ich Ashkenazi-israelischer Jude in einer palästinensischen Stadt. Unsere streng mit einander verbundene Gruppe brachte  „Warten auf Godot“ auf die Bühne und auch unsern Film „Kunst/ Gewalt“.

Wir hatten das Gefühl, dass Juliano die ganze Zeit mit uns war. Überall, wo wir hinkamen, entdeckten wir eine andere  Gemeinschaft von Künstlern, die sich an ihn erinnerte und weiter sein Vermächtnis fortführten. Zunächst glaubten wir, dass  wir darum kämpfen mussten – doch jetzt ist klar, dass es viele Gemeinschaften gibt, die sich an ihn erinnerten und die weiterhin die Verbindung aufrecht hielten zwischen einer hohen Qualität von Kunst und radikaler Politik. Oder wir sagten im Freedom-Theater: Qualität ist Widerstand.

Zwischen Yarmuk und Berlin

Fünf Jahre ohne Juliano. Mariam und ich sitzen bei der Gedenkfeier in Berlin. An der Wand ist ein Photobild von Jul. Um uns herum sind Palästinenser. Den meisten von ihnen sind wir nie vorher begegnet (Und wir dachten, wir kennen die meisten der Aktivisten). Wir wurden gebeten, ein paar Worte zu sagen. Ich sagte sehr wenig. Dann wurde uns plötzlich klar, dass die Palästinenser, die hier mit uns saßen vom  Yarmouk-Flüchtlingslager in Syrien sind und dass Deutschland ihnen Asyl gewährte, nachdem sie vor dem Massaker der ISIS geflohen waren.

Ein palästinensischer Freund aus Acco, der mit uns war, fragte nach ihren Familien-Mitgliedern in Yarmouk. Plötzlich wurde die Geschichte der Nakba lebendig, schließlich sollten sie nach Palästina zurückkehren  und nicht nach Berlin fliehen.

Ein Flüchtling singt ein wunderschönes  Lied von Umm Kulthum, begleitet von einem Keyboard und wir wurden sehr traurig. Wir machten die Erfahrung einer kollektiven Tragödie. Die Yarmouk-Flüchtlinge, die um uns herumsaßen und jeder von ihnen  sagte, aus welcher Stadt oder aus welchem Dorf sie in Palästina kamen und wie sie  von Juliano erfuhren und kamen, um an den jüdisch-palästinensischen Märtyrer zu denken.

Eine Botschaft von einem palästinensischen Pianisten aus Yarmuk wartete auf mich. Sein Klavier wurde von ISIS verbrannt und er erhielt in Berlin ein neues. Er bat mich, ihn bei einem Treffen mit dem Bürgermeister zu begleiten und ich erinnerte mich an die deutsch-jüdischen Nachbarn von damals, als ich noch ein Kind war. Sie spielten jeden Tag um 4 Uhr Klavier und sehnten sich nach ihrer Heimat. Sie waren gerade noch rechtzeitig geflohen, bevor die große Dunkelheit über ihr Land kam. Man stelle sich die große Hoffnung und den Wunsch nach Vergebung vor, die  ein palästinensischer  Flüchtling aus Yarmuk hat, um einen jüdischen Israeli einzuladen, um mit ihm ein Gedenken des Pianisten mit dem Bürgermeister von Berlin zu feiern. Mariam und ich weinten und lächelten, dass die Flüchtlinge sich an Juliano erinnerten.

Plötzlich begann der Sänger ein Dabke-Lied und ein großer Kreis bildete sich vor Juls Photo. Ich, ein israelischer Jude begann ein Dabke-Tanz in Berlin mit palästinensischen Flüchtlingen, die aus dem Libanon und aus Syrien vertrieben wurden und jetzt nach Berlin flohen, statt in ihre Heimat zurück zu kehren. Sie lehrten mich die Grundschritte und hielten mich sorgfältig an meinen Händen.

Ich erinnerte mich, dass ich einmal schrieb, dass mich Edward Said lehrte, wie ich an Bi-Nationalismus denken sollte, doch Juliano lehrte mich die ersten Tanzschritte, um Bi-Nationalismus an meinem Körper zu denken. Ich wurde einmal von Mitgliedern der  „Popular Front for the Liberation of Palestine“  gefragt, warum wir auf dem Terminus Bi-Nationalismus bestehen, statt auf Einen Staat- - eine Person – eine Wahl. Wir erklärten, dass Bi-Nationalismus die universalen Werte von PFLP einschließt, aber auch die Werte, die sich in den besonderen Identitäten von Juden und Palästinensern gründen, die dieses Land teilen.

Heute ist die Antwort auf diese Frage relevanter als je, denn unsre Fähigkeit über den Bi-Nationalismus und einen Staat als zwei Vorstellungen zu denken, completiert einander. Juliano war 100%ig Palästinenser, 100%ig Jüdisch und 100%ig Mensch. Ich schulde ihm so viel, er lehrte mich, dass ein anderes Leben möglich ist.

Udi Aloni ist der Direktor von „Junction 48“