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Udi Aloni (Direktor
von „Junction 48“
Als ich
am 4. April in Berlin landete, wurde mir klar, dass es das erste Mal nach dem
Mord von Juliano Mer-Khanis war, dass ich nicht eine Gedächtnisfeier für ihn
halten würde. Ich dachte, dass ich im Flugzeug eine Flasche Black Label kaufen
werde. Es war Jul’s Lieblings-Whisky und diesen in derselben Nacht mit Mariam
Abu Khaled austrinken werde. Sie ist seine wunderbaren Schülerin, die heute eine
erfolgreiche Schauspielerin in Berlins Maxim Gorki Theater ist. Wir würden
unsere Lieblings-Erinnerungen erzählen, dann weinen und danach lachen.
Julianos
Mord vor fünf Jahren vor dem Freedom Theater (im Jeniner Flüchtlingslager), das
er mit Liebe und unendlichem Talent aufbaute, veränderte unser Leben
vollständig. Das Geräusch jener fünf Kugeln die durch die Luft flogen und seinen
Körper durchdrangen, wiederholen sich heute in meinem Kopf
- ihre Wellen informieren meine politische und künstlerische Arbeit von
heute.
Doch das
Schicksal hat seine eigenen Pläne. Als ich in Berlin landete, lud mich ein
palästinensischer Freund von mir zu
einer Veranstaltung zu Ehren von Juliano ein.
Bevor
ich weiterschreibe, lasst mich zunächst
Mariam Abu Khaled, eine
afro-palästinensische Schauspielerin aus dem Jeniner Flüchtlingslager
vorstellen. Eine wunderbare Person,
die Juliano unter seine Fittiche nahm, als sie 17 war. Mariam eroberte die Bühne
vom ersten Augenblick an. Ich traf sie das erste Mal, als ich mich mit Jul im
Flüchtlingslager traf, während wir am „Alice im Wunderland“ arbeiteten, in dem
Mariam die böse rote Königin spielte.
Als
Juliano ermordet wurde, blieben wir traumatisiert und wie Waisen zurück. Der
arabische Frühling wurde schnell zu einem grausamen Winter und wir zogen uns mit
12 Studenten nach Ramallah zurück. Sie wurden zum zweiten Mal Flüchtlinge und
ich Ashkenazi-israelischer Jude in einer palästinensischen Stadt. Unsere streng
mit einander verbundene Gruppe brachte
„Warten auf Godot“ auf die Bühne und auch unsern Film „Kunst/ Gewalt“.
Wir
hatten das Gefühl, dass Juliano die ganze Zeit mit uns war. Überall, wo wir
hinkamen, entdeckten wir eine andere
Gemeinschaft von Künstlern, die sich an ihn erinnerte und weiter sein
Vermächtnis fortführten. Zunächst glaubten wir, dass
wir darum kämpfen mussten – doch jetzt ist klar, dass es viele
Gemeinschaften gibt, die sich an ihn erinnerten und die weiterhin die Verbindung
aufrecht hielten zwischen einer hohen Qualität von Kunst und radikaler Politik.
Oder wir sagten im Freedom-Theater: Qualität ist Widerstand.
Zwischen Yarmuk und Berlin
Fünf
Jahre ohne Juliano. Mariam und ich sitzen bei der Gedenkfeier in Berlin. An der
Wand ist ein Photobild von Jul. Um uns herum sind Palästinenser. Den meisten von
ihnen sind wir nie vorher begegnet (Und wir dachten, wir kennen die meisten der
Aktivisten). Wir wurden gebeten, ein paar Worte zu sagen. Ich sagte sehr wenig.
Dann wurde uns plötzlich klar, dass die Palästinenser, die hier mit uns saßen
vom Yarmouk-Flüchtlingslager in
Syrien sind und dass Deutschland ihnen Asyl gewährte, nachdem sie vor dem
Massaker der ISIS geflohen waren.
Ein
palästinensischer Freund aus Acco, der mit uns war, fragte nach ihren
Familien-Mitgliedern in Yarmouk. Plötzlich wurde die Geschichte der Nakba
lebendig, schließlich sollten sie nach Palästina zurückkehren
und nicht nach Berlin fliehen.
Ein
Flüchtling singt ein wunderschönes
Lied von Umm Kulthum, begleitet von einem Keyboard und wir wurden sehr traurig.
Wir machten die Erfahrung einer kollektiven Tragödie. Die Yarmouk-Flüchtlinge,
die um uns herumsaßen und jeder von ihnen
sagte, aus welcher Stadt oder aus welchem Dorf sie in Palästina kamen und
wie sie von Juliano erfuhren und kamen,
um an den jüdisch-palästinensischen Märtyrer zu denken.
Eine
Botschaft von einem palästinensischen Pianisten aus Yarmuk wartete auf mich.
Sein Klavier wurde von ISIS verbrannt und er erhielt in Berlin ein neues. Er bat
mich, ihn bei einem Treffen mit dem Bürgermeister zu begleiten und ich erinnerte
mich an die deutsch-jüdischen Nachbarn von damals, als ich noch ein Kind war.
Sie spielten jeden Tag um 4 Uhr Klavier und sehnten sich nach ihrer Heimat. Sie
waren gerade noch rechtzeitig geflohen, bevor die große Dunkelheit über ihr Land
kam. Man stelle sich die große Hoffnung und den Wunsch nach Vergebung vor, die
ein palästinensischer
Flüchtling aus Yarmuk hat, um einen jüdischen Israeli einzuladen, um mit ihm ein
Gedenken des Pianisten mit dem Bürgermeister von Berlin zu feiern. Mariam und
ich weinten und lächelten, dass die Flüchtlinge sich an Juliano erinnerten.
Plötzlich begann der Sänger ein Dabke-Lied und ein großer Kreis bildete sich vor
Juls Photo. Ich, ein israelischer Jude begann ein Dabke-Tanz in Berlin mit
palästinensischen Flüchtlingen, die aus dem Libanon und aus Syrien vertrieben
wurden und jetzt nach Berlin flohen, statt in ihre Heimat zurück zu kehren. Sie
lehrten mich die Grundschritte und hielten mich sorgfältig an meinen Händen.
Ich
erinnerte mich, dass ich einmal schrieb, dass mich Edward Said lehrte, wie ich
an Bi-Nationalismus denken sollte, doch Juliano lehrte mich die ersten
Tanzschritte, um Bi-Nationalismus an meinem Körper zu denken. Ich wurde einmal
von Mitgliedern der „Popular Front
for the Liberation of Palestine“
gefragt, warum wir auf dem Terminus Bi-Nationalismus bestehen, statt auf Einen
Staat- - eine Person – eine Wahl. Wir erklärten, dass Bi-Nationalismus die
universalen Werte von PFLP einschließt, aber auch die Werte, die sich in den
besonderen Identitäten von Juden und Palästinensern gründen, die dieses Land
teilen.
Heute
ist die Antwort auf diese Frage relevanter als je, denn unsre Fähigkeit über den
Bi-Nationalismus und einen Staat als zwei Vorstellungen zu denken, completiert
einander. Juliano war 100%ig Palästinenser, 100%ig Jüdisch und 100%ig Mensch.
Ich schulde ihm so viel, er lehrte mich, dass ein anderes Leben möglich ist.
Udi
Aloni ist der Direktor von „Junction 48“