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Dies ist Gaza

 

Amira Hass, Haaretz 27.11.08

 

Wenn  nicht Stromsperre herrscht, der ganze Stadtteile im Dunkeln lässt, dann ist es das Wasser, das  die oberen Etagen  nicht erreicht, oder es ist  das Gas zum Kochen, das zu Ende gegangen ist. Wenn man einen  elektrischen Generator hat, bei dem ein kleines Teil gebrochen ist, weil  schon vor der  drei Wochen andauernden Belagerung Israel verboten hatte, Ersatzteile für Autos, Maschinen und elektrische  Haushaltsgeräte zu schicken – dann funktioniert auch dieser nicht.

 

Und wenn man es irgendwie fertig gebracht hat, Geld für einen  durch die Tunnel geschmuggelten Generator zu finden (der Preis hat sich seit dem letzten Monat verdoppelt oder verdreifacht) – dann geht es auf Kosten einer Heizung ( natürlich nicht elektrisch),  auf kosten von Englischstunden, Kinderkleidung und/ oder Arztbesuchen.

 

Dies ist Gaza im November 2008. Genau so wie Gaza ist es auch mit  der Leere der Vorratshäuser der UNWRA  bestellt. Und die Bauern säten und wässerten ihre Felder und konnten nichts vermarkten, weder ihre Tomaten, noch die Guaven oder Erdbeeren, weil Israel es verboten hat. Es ist auch die Gelassenheit, mit der die Menschen die plötzliche Dunkelheit hinnehmen und die Witze darüber, dass in den Kühlschränken nicht mehr viele Lebensmittel verderben.

 

In Gaza hat man  die Fähigkeit, sich in jeder Situation Witze zu erzählen. Es ist auch die brennende Beleidigung, seit drei/ vier Tagen kein fließendes Wasser mehr zu haben – und doch gehen die Kinder sauber gekleidet zur Schule.

 

Gaza ist die lange Nasser-Straße, die über ein Jahr für den Verkehr gesperrt war . Ihr Asphalt ist herausgerissen und sie ist  voller Löcher und Sandhügel. Als Israel  es nicht mehr zuließ, irgendein Bau- und Rohmaterial in den Streifen zu bringen, hörten die Renovierungsarbeiten auf dieser Durchfahrtsstraße auf, die auch die Hauptzufahrtsstraße für drei Krankenhäuser ist. Und diese sind ständig in Gefahr, nicht mehr zu funktionieren, wenn irgendein Teil kaputt geht.

 

In Gaza ist es auch üblich: dass Eltern  ihre Kinder ohne Angst alleine lassen oder sie auf den Spielplatz lassen, auch wenn er weit entfernt liegt. Oder sie lassen sie allein zur Großmutter ins Flüchtlingslager gehen – parallel zu Nasserstraße.

 

In Gaza werden Fatahanhänger in einer Universität von der Polizei gegriffen oder die Polizei schließt eine Nacht lang  ein Restaurant, weil sein Besitzer nicht im voraus  ein Symposium angemeldet hat, das in seinen Räumen stattfindet und bei dem  Hamasredner teilnehmen, das jedoch von einem Forschungszentrum organisiert ist, das mit Ramallah verbunden ist.

In Gaza zwingen Lehrer die Schulmädchen, ein Kopftuch zu tragen, obwohl ranghohe Beamte behaupten, dass dies nicht die Politik des Bildungsministeriums sei. Es gibt Übertreibungen und falsche Gerüchte. Und nach Berichten von Fatahverhafteten wären Kameras im Verhörraum angebracht, um sicher zu gehen, dass  Verhöre sich nach dem Gesetz richten. Es ist die Überraschung, als die „Hamas“-Polizei gestohlenes Eigentum zurückbringt, noch bevor darüber berichtet wurde, dass es gestohlen sei.

 

In Gaza gibt es bei Fatahanhängern das Gefühl,  ihnen  sei die Macht gestohlen worden und  Angst vor dem Sicherheitsapparat. Auf der andern Seite  ist das Selbstvertrauen der Hamas. Es werden Vergleiche gemacht zwischen den Einschüchterungsmethoden aus der Yasser Arafats-Ära, und es werden Informationen über die Unterdrückung der Hamasaktivitäten in der Westbank ausgetauscht.

 

In Gaza herrscht in der ganzen Öffentlichkeit – einschließlich den Fatahmitgliedern – Zorn und Ärger über die absichtliche Vernachlässigung und Gleichgültigkeit Ramallahs  gegenüber dem Gazastreifen und dem Schicksal seiner Bewohner.

In Gaza träumen die einen davon, wegzugehen und die andern, die seit Jahren wegen Ausbildung oder wegen der Arbeit weg sind,  vermissen ihn. Gaza bedeutet, dass Menschen nicht zu ihren Familien zurückkehren können und wenn sie dann doch ein Loch gefunden haben, durchzukommen, sie hier gefangen sitzen und auf Bewegungsfreiheit völlig verzichten müssen.

Alles ist sehr intensiv hier.

„Wir messen unser Leben nach Minuten, nicht nach Tagen oder Wochen,“ sagte ein Fatahmann. Sein Leben ist seit Juni 2007 auf den Kopf gestellt und wird auf Grund des politischen Bruches jeden Tag neu auf den Kopf gestellt. Er sprach zu Fatahleuten, wie er selbst einer ist und  war davon überzeugt, dass es den Hamas-Leuten in der Westbank genau so geht, auch sie messen ihr Leben nach Minuten.

Aber seine Beschreibung passt für jeden. Die Veränderungen sind so plötzlich, gewalttätig, schnell und häufig, dass der einzelne keine Kontrolle mehr darüber hat, ob es sich um hohe Politik handelt oder nur um Waschzeiten.

 

In Gaza versuchen die Menschen ein normales Leben zu führen, obwohl Israel ihnen anormale Gefängniszeiten, Isolierung vom Rest der Welt  und  eine immer schlimmer werdende Situation aufdrängt bis zu einem Zustand der demütigenden Abhängigkeit von internationalen Hilfsprogrammen.

 

(dt. Ellen Rohlfs)