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Leben
zwischen den Ruinen in Gaza
Amira Hass, 15.05.2009
Gaza
– Wadi Gaza ist eine sonst
landwirtschaftlich genützte Region südöstlich von Gaza-City. Die Ruinen des
Hauses der Familie Hussein al Aaidy sind deutlich zu
erkennen. Die Häuser ( und mehrere andere
Ruinenhaufen) liegen zerstreut auf den
Hügeln, dazwischen liegen faule Ziegen und Felder, die zwar gepflügt aber nicht
eingesät sind. Bis vor etwa neun Jahren waren diese Häuser von Obstgärten und
anderen Fruchtbäumen umgeben. Danach rissen die IDF-Bulldozer alles aus, um
die israelischen Siedler zu schützen,
die zur Siedlung Nezarim hier vorbei fuhren.
Die
Tausenden von Ruinenhaufen im Gazastreifen sind inzwischen zu einem Teil der
Landschaft geworden. Was die Aufmerksamkeit jetzt auf sich zieht, ist, wenn ein Ruinenhügel verschwindet. Das
Gaza-Bauamtsbüro hat schon sehr darum
gebeten, dass Ruinenschutt von
öffentlichen Gebäuden und Moscheen
weggeräumt wird. Bauunternehmer haben
damit begonnen, den Schutt beiseite zu räumen. Zelte wurde dort aufgebaut, um der Öffentlichkeit zu dienen
und für Gebete.
Aber
das ist die Ausnahme. Es gibt noch keinen Hinweis darauf, dass die Ruinen von 4000 Gebäuden und Wohnhäusern, die total
zerstört wurden, weggeräumt werden, solange
wie Israel nicht den Transport
von Baumaterial in den Gazastreifen genehmigt.
Das
Gazaministerium für öffentliche Arbeiten warnt auch
die Bürger davor, auf eigene Initiative den Schutt wegzuräumen: es sei zu
gefährlich. Mindestens 50 000 Menschen, Mitglieder von 8000 Familien, deren
Wohnungen zerstört worden sind, wissen, dass die vorübergehende Lösung ( fürs Wohnen), die sie jetzt gefunden haben,
wahrscheinlich eine auf lange Zeit sein wird.
„Und
das ist keine Lösung“, sagt Hussein Al-Aaidy, dessen
Familie nun auf mehrere Wohnungen verteilt ist, weit weg von dem Stück Land,
das sie vor Jahren gekauft und mit großem Eifer und viel Liebe kultiviert
hatten. Seine Mutter, 80, weigert sich, ihr Land zu verlassen.
Die
Vertreibung aus Ber Sheva
1948 hat ihr gereicht. Jetzt lebt sie für
sich in dem, was vorher ein Ziegenstall
war – die Ziegen waren geflohen
oder waren getötet worden. Ein Huhn hat überlebt und pickt auf dem Boden
des Ziegenstalls. Ihren restlichen Besitz hat sie in einem verrosteten Bus
untergebracht, den sie vor langer Zeit dorthin gezogen hatten. Sie kocht sich
Tee auf einem brennenden Abfallhaufen.
„Du
kannst die Ruinen der Häuser sehen, aber nicht die Ruinen in unseren Seelen,“ sagt Hussein, ein Mann in seinen 50ern. Er war ein Fatahaktivist, in den 70ern
ein Gefangener in Israel, der bei einem Gefangenenaustausch 1985 frei
kam. Nach seiner Entlassung arbeitete er
in verschiedenen Jobs, um für seine Familie ein Haus zu bauen.
Die
Al-Aaidys dachten, dass die Bodeninvasion von Israels
Gazakampagne so sein würde wie die vorausgegangenen:
dass das Bombardieren und Schießen außerhalb des Hauses stattfinden würde und
dass sie im Haus sicher sein würden. Die
Familie seines Bruders, der in der Nähe in Gebäuden mit Asbest- und Blechdach
lebte, kam am Samstag, den 3. Januar, zu ihnen, am Vorabend der Bodenoffensive und als das Bombardieren
intensiver wurde.
„Wir
alle - 30 Personen - waren in einem der inneren Räume in der 2. Etage“, sagte Kamela am letzten Samstag. „Ich lag auf einer Matratze und
hatte einen dicken Schal um meinen Kopf gewickelt, weil es so kalt war.“
Etwa
um 8 Uhr abends durchdrang etwas die drei Stockwerke: eine Granate?, eine Rakete von
einem Helikopter oder einer Drone? Sie wissen es
nicht. Staub, Betonstücke und Schreien füllten den Raum, in dem sie dicht
zusammen gepfercht saßen. Kamela entdeckte später,
dass ihr Schal von Blut durchtränkt war.
Sie
war von einem Granatsplitter am Kopf verletzt worden; noch heute ist sie schwindelig, wenn sie aufsteht und geht. Sie
rannten vom teilweise zerstörten Haus zu einem Gebäude im Hof – in der
Hoffnung, dass die schießenden
Soldaten sie sehen und begreifen, dass
sie Zivilisten sind. Sechs Leute wurden
von Schrapnells
verletzt, Kamela, ihre Schwägerin und vier
Kinder. Sie telefonierten mit Freunden und Verwandten, um medizinische Hilfe zu
bekommen. Sie merkten aber, dass das IDF
nicht erlaubte, dass ein Ambulanzteam zu ihnen durchkommt.
Haaretz
begleitete die Bemühungen der Ärzte für Menschenrechte, ihnen zu helfen,
und berichtete live über die Situation:
sie waren fast ohne Lebensmittel, ohne Medikamente, mit nur wenig Wasser, es
war kalt und rund herum wurde geschossen und bombardiert. Erst am Freitag den
9.Januar, also fast sieben Tage, nachdem
sie verletzt worden waren – nach strapaziösen Verhandlungen mit den PHR
und Telefongesprächen Husseins mit Soldaten oder Offizieren der
Koordinierungsbehörde für den Gazastreifen wurde die erste Evakuierung erlaubt:
vier der Verletzten und vier Begleiter.
Die
Gesunden trugen die Verletzten
Sie
gingen etwa 1,5 km, die Gesunden trugen die Schwerverletzten auf Tragbaren. Die
Wunden der beiden Kinder Ragheda und Nur, die von Schrapnells am ganzen Körper verletzt waren, begannen sich
zu entzünden; sie begannen das
Bewusstsein zu verlieren. Vor ihrer Evakuierung hatte Hussein Raghedas Fleischwunde mit einem Messer behandelt - zwei
seiner Brüder hielten sie, als sie schrie und weinte. Mit Salzwasser sterilisierte er die Wunde. Die Großmutter Kamela
schüttelte ihren Kopf als sie uns das erzählte, als ob sie die Erinnerung daran
wegschütteln wollte.
Am
nächsten Tag, Samstagmorgen – eine Woche nach dem Beschuss – gingen auch die
Gesunden und die zwei verletzten Frauen. Es war ihnen klar, dass es gefährlich
ist, in der Gegend zu bleiben, da „wir
jeden Augenblick damit rechneten, dass
noch eine Granate auf uns fallen und uns verletzen oder gar töten könnte“, erklärte Hussein, wobei er sich fast
entschuldigte, dass er das Haus verlassen hatte. Dem Weggang gingen
Verhandlungen über Telefon zwischen Hussein, der Hebräisch spricht, und einem
Offizier oder Soldaten des Verbindungsbüros hin und her.
„Sie
wollten, dass wir einen 6km langen Umweg machen: doch ich weigerte mich“ erinnert er sich.
„Sie verlangten, dass wir nach Süden gehen , in die Gegend von Nezarim.
Ich weigerte mich . Schließlich ließen sie uns nach
Norden gehen in die Nähe der Karni-Kreuzung. Aber es
gab Bedingungen. Dass wir im Abstand von einem Meter gehen sollten, dass wir nicht anhalten, dass
wir die Kinder nicht runtersetzen,
die wir Erwachsenen auf dem Rücken
trugen, dass wir meine Mutter nicht absetzten, die zwei von uns zusammen trugen. Sie sagten mir: Wenn wir die
22 Leute, die das Haus verlassen haben, nicht zählen können, dann würde jemand
von einem Helikopter oder einem Panzer auf euch schießen.“
Eine
der Bedingungen war , dass sie eine weiße Fahne
trugen, was sie am meisten ängstigte. „Ich habe schon so viele Kriege
durchgemacht und keiner war so schwierig. In keinem wurden Leute getötet, die
weiße Fahnen trugen, so wie sie es jetzt tun,“
erklärte Kamela. „Und als wir gingen, war ich ganz
verzweifelt. Ich wollte, dass sie mich absetzen. Lasst mich auf der Straße und
dort werde ich sterben, sagte ich zu meinen Söhnen.“
Der
erschöpfte Konvoi lief etwa 700 m, wie
Hussein schätzte, dann kamen einige
Panzer. Ein Soldat stieg aus dem Panzer und zielte mit seinem Gewehr auf die
Kolonne und befahl uns anzuhalten. „Das war gut, denn auf diese Weise konnten
wir uns etwas ausruhen, wir konnten die Kinder und auch die Mutter absetzen“,
erinnerte sich Hussein lächelnd. Die Soldaten befahlen ihm, sich zu nähern.
„Ein Hund war bei den Soldaten. Sie entsicherten die Gewehre, als ob sie uns
etwas antun wollten. Ich sagte dem Soldaten:
„Wir gehen nach einer Abmachung, frage deinen Kommandeur“. Der Soldat
antwortete mir: ‚Ich werde niemanden kontaktieren.’
„So
warteten wir etwa 20 Minuten. In dieser Weise warten Menschen auf ihren Tod.“ Für die drei Kilometer, die wir zur Ambulanz
gehen mussten, brauchten wir anderthalb bis
zwei Stunden“– sie erinnerten sich nicht mehr so genau.
Und
seitdem können sie keinen Platz für sich finden, sagt Hussein. Als der
Angriff endlich stoppte, entdeckten sie überrscht,
dass die IDF ihr Haus in die Luft gesprengt hatte.
Von
der Schule, wo wir uns während des Angriffes verbargen, gingen wir zu
Verwandten, von diesen Verwandten zu anderen Verwandten. Von dort teilten wir
uns und mieteten Wohnungen. Die Kinder wechselten die Schule, sie konnten sich
nicht konzentrieren und zeigten kein Interesse. Alle ihre Bücher, Spiele und
Notebooks lagen unter den Trümmern, jeder ist
nervös, sie streiten, sie wollen nicht hier bleiben neben dem zerstörten
Haus. Nachts wachen sie vor Alpträumen
auf und schreien. Und unser Fall ist noch relativ milde. In unserer Familie gab
es keine Toten wie in anderen Familien.“ Hussein zeigt mir ein
elektronische Tafel, die er zwischen den Trümmern gefunden hatte,
offensichtlich von einer Rakete, die auf dem Haus gelandet war.
„Wenn
all dieses Wissen dafür bestimmt ist, um zu zerstören, dann wäre es wohl besser, zurück in die
vor-islamische Zeit der Ignoranz zu gehen“. ----
Der
IDF-Sprecher behauptet*: „Vom Augenblick des Angriffes wurde direkter Kontakt
zwischen den betroffenen Bewohnern und der Armee hergestellt und ein Versuch
gemacht, sie aus dem Gazastreifen zu evakuieren, damit sie medizinische
Versorgung in Israel erhalten können.
„Die
Bewohner wären bei der ersten Gelegenheit
evakuiert worden, bei der sie tödlichen Gefahren durch den Kampf in ihrem Gebiet ausgesetzt
worden waren. Um zusätzliche Informationen über den Angriff zu geben, hätten
wir genaue Koordinaten der Örtlichkeiten benötigt. Da wir diese nicht erhielten, waren wir nicht in der Lage, die
Sache zu klären.“
(dt.
Ellen Rohlfs ---* was für Lügen vom Militärsprecher !!!)