Israel Palästina Nahost Konflikt Infos
Stärkt Israel absichtlich die Hamas?
Amira Hass, Haaretz, 17.11.2008
Wir wollen uns nicht
mit dem Zählen der Tonnen Reis, Mehl und Kochöl
befassen, die sich noch im Gazastreifen befinden, nachdem dieser wieder
10 Tage hermetisch abgesperrt war und alle Übergänge in die Enklave geschlossen
waren. Wir wollen nicht die Kinder zählen, die auf ein nahrhaftes Essen des
UN-Hilfswerkes warten und auch nicht die Familien, die an ihrer Türschwelle
Lebensmittelpakete der Hamas vorfinden. ( da gibt es
Leute, die darauf schwören, dass diese Lebensmittel nur denen gegeben werden,
die zu Hamas gehören oder diese unterstützen.
Wir wollen auch nicht die Leute zählen, die von ihren Familien abhängig
sind.
Es gibt Lebensmittel
im Gazastreifen, und es wird weiter welche geben. Glaubt denn jemand wirklich
daran, dass Israel , der Staat der Juden, es erlauben wird, 1,5 Millionen Menschen
gegenüber gleichgültig zu sein, sie hinter Stacheldrahtzäunen und Wachtürmen
auf einem engen Streifen zusammengedrängt Hungers sterben zu lassen?
Wir wollen nicht an
die Dunkelheit denken und wie Kinder ihre Schulaufgaben bei Kerzenlicht oder
mit einer Kerosinlampe machen ( oder nicht machen).
Lassen wir auch die Diskussion über die schwerwiegenden Umweltrisiken
beiseite – Verschmutzung des Grundwassers und der Küstengewässer – denen
die Menschen des Gazastreifens und von Ashkelon
ausgesetzt sind und zwar als direkte Folge der absichtlichen Brennstoffmängel
oder auch der Weigerung Israels, Rohre
zu liefern, die die Wasser- und Abwässer-Infrastruktur erhalten. Ich will jetzt
auch nicht beschreiben, wie die Abwässer direkt ins Meer fließen
, weil es nicht genügend Strom gibt, um die Kläranlagen in Betrieb zu
halten. Reden wir nicht über die Ängste, dass die Abwässer im Winter in die
Wohnbezirke zurückfließen, weil notwendige Ersatzteile für die Kläranlagen nicht
geliefert werden.
Wir wollen uns auch
nicht damit befassen, wie das Leben der Palästinenser fast auf die Ebene von
Tieren reduziert wird, zu einem humanitären Problem, bei dem leicht zu beweisen
ist, dass es noch schlechter sein könnte.
Die Überlegungen
über die Palästinenser und die Methoden, wie sie mit der Blockade fertig
werden, sollte in eine Diskussion über
die Israelis münden – über jene, die die Politik machen und die vielen Leute,
die sie eifrig ausführen, über die vielen Bürger, die sie unterstützen und ermutigen. Statt über Quantitäten von Brennstoff und Mehl zu
diskutieren, sollte man über die Logik reden, die hinter der Belagerung steht
und über jene, die sie auferlegen.
Die Leute im
israelischen Kabinett, im Verteidigungsministerium und im Shin
Beth Sicherheitsdienst wissen sehr wohl, was sie tun, wenn sie alles andere -
außer kleine Mengen von
Grundnahrungsmitteln oder Medikamenten – verbieten, die Grenzübergänge zu
passieren, wenn sie verbieten, dass Rohmaterial nicht ein-, und landwirtschaftliche
und industrielle Güter nicht ausgeführt werden dürfen und auch den normalen
menschlichen Verkehr zu Studienzwecken, aus medizinischen Gründen, wegen Arbeit oder Familie verhindern.
Man unterschätze sie
nicht und setze ihr Urteilsvermögen nicht herab. Sie wussten sehr genau, als sie vor mehr als zwei
Jahren die dichteste Absperrung des Gazastreifens seit 1991 beschlossen, dass
die Industrie zusammenbrechen, die Landwirtschaft verkümmern, zehn Tausende
junger Leute arbeits- und hoffnungslos werden würden, dass es sehr schwer werden würde, die Schulen
weiter zu führen und so die Ausbildung sehr leiden würde, dass die Abwässer
zurückfließen und ins Trinkwasser einsickern, dass das Wasser die oberen Etagen von Wohngebäuden nicht mehr
erreichen würde .
Diese Politik wurde
der israelischen Öffentlichkeit in halboffizieller Weise als gerechtfertigte Strafe der Palästinenser
dargestellt, weil sie die Hamas gewählt hatten, (und zur Hölle mit dem
Völkerrecht!). ‚Vierteloffiziell’ wissen wir, dass man erwartet oder
voraussagt, die Belagerung würde die
Bevölkerung von Gaza dahin bringen, die Hamas so zu hassen und ihre
Herrschaft über den Gazastreifen zu einem Ende bringen
(nachdem sie die Herrschaft über die Westbank verloren hatte) . Das hoffte auf
jeden Fall die Ramallah-Regierung.
Die Bevölkerung des
Gazastreifens hat die Nase voll von der Hamasregierung. Sie hat sich vor allem gegenüber Fatahmitgliedern als
ein Regime der Angst und Erpressung erwiesen. Aber die Art von (isr.) Straftaktik,
die im Augenblick dort praktiziert wird, stärkt die Hamas. Statt die Bewegung
nach ihrer Fähigkeit, Regierungsgeschäfte durchzuführen und
Regierungsverpflichtungen zu übernehmen und für das Wohlbefinden der
Bevölkerung zu sorgen, kann die Schuld
für jede Bekundung von Unreife und Stümperhaftigkeit dem Mangel an
Strom/Kraftstoff gegeben werden, der durch die Belagerung verursacht wird.
Das Volk empfindet,
dass die Regierung ein Teil davon ist. Wie das Volk so ist die Regierung ein
Ziel für die Grausamkeit der Besatzung. Diese brutale Besatzung befreit die
Hamas auch davor, sich mit dem Widerspruch zwischen der Bühne (der Befreiung
des ganzen Palästina) und ihrer Integration in die von den Oslo-Abkommen
geschaffenen Institutionen (trotz ihrer Ablehnung des Oslo-Abkommens)
auseinander zu setzen . Wenn Israel das Leben von Frühgeburten gefährdet und
Geschäftsleute Pleite gehen lässt, einschließlich Oslo- und
Yasser-Arafat-Unterstützer, dann kann sich die Hamas-Regierung selbst ihrem
Wesen nach als eine der Besatzung
Widerstand leistende darstellen. Die
außergewöhnlichen Bedingungen der extremen Belagerung und der Abtrennung des Gazastreifens von der Westbank (noch eine absichtliche
israelische Politik) haben die Möglichkeit, neue allgemeine palästinensische Wahlen
abzuhalten, in weite Ferne gerückt. Die Hamas kann so ihre Herrschaft mit
Zwang, Lohn, Wohlfahrt und der tröstenden Kraft der Religion untermauern.
(dt. Ellen Rohlfs)