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In Tel Aviv
kommt der Antisemitismus wieder zum
Vorschein
Gideon Levy, 14. 05. 2009
Antisemitismus
kommt wieder zum Vorschein. Nicht in Warschau, München oder Paris. Und die Anti
Defamation Liga muss keinen Alarm schlagen. Es ist
nämlich hier bei uns zu Hause im grünen Ramat Aviv,
dem fortgeschrittensten Vorort von Tel Aviv. Die
Ankunft einer Handvoll ultra-orthodoxer
Juden in diesem wunderschönen, bescheidenen und ruhigen Stadtteil hat eine wenig schöne Welle von Rassismus den
dünnen Schleier von Offenheit und Großzügigkeit dieser scheinbar linken
Gemeinschaft weggerissen. Wenn sich auf diese Weise jemand gegenüber israelischen Arabern
benommen hätte, hätten die Bewohner Zeter und Mordio geschrieben. Aber da es
sich um Haredim ( orthodoxe
Juden) handelte, hatte man die Samthandschuhe ausgezogen, denn es ist (schon
fast) üblich, die „Schwarzen“ anzugreifen.
Sie stehen
an den Straßenecken - der Himmel steh
uns bei !- und
bieten Männern die Möglichkeit an, Tefillin ( Gebetsriemen) umzulegen: Welch
ein Skandal. Sie haben ein paar Wohnungen gemietet, um darin zu schlafen und
vielleicht auch die Tora zu lehren: was für eine Katastrophe. Eine Handvoll
unter den säkularen Bewohnern des Viertels: Die wollen wohl unser Viertel
übernehmen! Es ist schon wie in Beit Shemesh. Der Jargon im „Aktionskomitee“ des Viertels
erinnert an längst vergessene Zeiten. Seine Website spricht von „ an Haredim vermietete Wohnungen, um Druck auf die
Grundbesitzer auszuüben.“
Welche Art
von Druck genau? Warum, um Gottes
willen? Warum die Angst? Haben Haredim wie jede
andere Minderheit nicht das Recht, in diesem Stadtteil zu leben? Nein, nicht wenn es sich um Haredim handelt - so die Schlagkraft der Linken. Was
nationalistische Israelis den Arabern tun, tun die Linken gegenüber den
Ultra-Orthodoxen. Da gibt es keinen Unterschied. Dämonisierung,
Entmenschlichung, Schrecken einjagende Taktiken und das Säen von Hass.
Der Hass
gegen den anderen ist derselbe, egal, ob der andere Mohammed oder Leibele heißt, ob er eine Keffijeh
oder ein Shtreimel trägt. Es macht keinen
Unterschied, ob der Rassist ein araber-hassender Kahanist oder ein Haredim-Hassender
Linker ist. Er ist und bleibt ein Rassist.
Stell dir
vor, solch ein Komitee würde in einer europäischen Stadt operieren und gegen neue jüdische Bewohner und Mieter eines
Stadtteils sein. Wir würden aufschreien. Aber es gibt schon „Patrouillen“ in Ramat Aviv von aufgeklärten, berühmten Eltern und
herzzerreißende Zeugnisse. „Verführte Minderjährige !“ schreien Schlagzeilen auf der Website, als
ob sie Pädophile denunzieren. Worum geht es?
Dass ein Haredim versuchte, einem 13 Jährigen
einen Gebetsriemen umzulegen?
Dies ist
kein lokales Problem. Die Haltung der Haredim ist
landesweit. Es ist eine engstirnige Gemeinschaft, konservativ und streng, nicht
gerade mein Fall. Die meisten von ihnen machen keinen Militärdienst( in
Übereinstimmung mit dem Gesetz, das Säkulare (!) verabschiedeten). Einige von
ihnen arbeiten auch nicht (weil sie die Thora studieren ER)
und die meisten leben in großer Armut. „Sie
saugen die Gesellschaft aus.“. Wir können sie verurteilen – so viel wir
Lust haben – ohne des Rassismus’ verdächtigt zu werden. Und so werden sie zu
Opfern von Rassismus. Die meisten werden aus früher gemischt bevölkerten
Stadtteilen Tel Avivs vertrieben und bleiben nur
noch rund um die Sheinkinstraße.
Was für ein wunderbarer Anblick: eine Mutter bringt drei Kinder auf einem
Fahrrad zur Schule, ein Lehrer mit einem dicken Vollbart, Jiddisch die
Umgangssprache, gegenseitige Hilfe und andere traditionelle Gebräuche neben dem
Säkularismus in seiner Hochform. Multikulti.
Man muss
sie nicht lieben oder sich mit ihren merkwürdigen Führern identifizieren oder
die politische Macht ihrer gerissenen Geschäftemacher bewundern. Man muss sich
ihrer Gewalt widersetzen, wenn sie geschieht, sie sonst aber nehmen, wie sie
sind, so lange sie sich nach dem Gesetz richten. Sie sind bei weitem den
Siedlern vorzuziehen, die viel gewalttätiger sind und die in unserer Mitte eine viel größere Katastrophe angerichtet
haben, eine Plage für zukünftige Generationen, aber gegen die kein so bitterer
Hass gerichtet ist. Und weiß man warum? Weil der Kampf gegen die Siedlungen und
die Besatzung nicht im allgemeinen Konsens liegt und deshalb Mut erfordert
und hohe persönliche Kosten verlangt.
Der Hass
gegen die Haredim liegt im Konsens. Sie anzugreifen,
kostet nichts. Das wird als normales Verhalten angesehen. Und deshalb haben die
Leute von Ramat Aviv, meine lieben Nachbarn - zu
feige für einen wichtigeren und gerechteren Kampf - ein Aktions-Komitee gegen
die Haredim gegründet. Aber dieses Komitee von Ramat Aviv liegt nicht nur im Trend von Ramat
Aviv. Es ist nicht nur ein Problem eines einzelnen liberalen Stadtteils. Dies
ist ein Problem der ganzen israelischen Gesellschaft.
Bis wir lernen, auch diese anzunehmen, die
anders und ungewöhnlich sind, können wir
uns nicht eine tolerante und gerechte Gesellschaft nennen. Hass auf Haredim in
Ramat Aviv oder
auf Araber in Safed ist dieselbe Krankheit.
Trägt die Kassiererin in deinem Supermarkt einen Hijab. So ist das erfreulich. Als nächstes lass sie
einen Hut oder eine Perücke tragen!
(dt. Ellen Rohlfs)