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Zwei Staaten oder Apartheid

 

John Dugard, 12. August 2009, Huffington Post

Vorsitzender des Unabhängigen Fact Finding Commitees von Gaza*

 

Seit langem sind in Israel dieselben rassistischen Abrechnungen und Umwandlungen überfällig, die die USA in der 60er und Südafrika während der 90er Jahre durchmachte. Das duale Rechtssystem, das in den besetzten Gebieten vorherrscht und die jüdischen Siedler begünstigt und zum Nachteil der Palästinenser ist, ist im 21. Jahrhundert inakzeptabel. Israels Siedler müssen  sich entscheiden, ob sie sich ans Völkerrecht halten wollen und die besetzten Gebiete verlassen oder aber dort  bleiben wollen – wie es ihnen vom palästinensischen Ministerpräsidenten Salam Fayyad angeboten wurde –  allerdings unter palästinensischem Gesetz.

 

Zwei Staaten mit Sicherheit und Recht für Israelis und Palästinenser sind heute in Reichweite. Wir müssen  alles in unserer Macht stehende tun, um dieses Ergebnis möglichst schnell zu erreichen. Verzögerungen spielen in die Hände von Neinsagern und jenen, die Zeit gewinnen wollen, um den Frieden zu verzögern und um mit der Siedlungspolitik in der Westbank  und Ost-Jerusalem  fortzufahren. Dies würde einen zusammenhängenden und lebensfähigen  palästinensischen Staat unmöglich machen

 

Wenn ein palästinensischer Staat nicht zustande kommt und die Palästinenser  sich mit einer permanenten apartheidähnlichen Realität abfinden müssen, dann werden viele von uns, die wir die entmutigenden Widrigkeiten in Südafrika überwanden, sich verpflichtet fühlen, einen Staat zu unterstützen, der sich auf Gleichheit für alle gründet. Lasst uns darum zwei Staaten für zwei Völker beschließen – und zwar während der Obama-Regierung.

 

Zweifellos werde ich  dafür, dass ich offen für die Rechte der Palästinenser, für Israels Sicherheit und  für ein Ende der Besatzung eintrete, beschimpft werden. Die Rhetorik, die diesen Konflikt umgibt, ist äußerst hitzig. Mary Robinson, die am 12. August (von Präsident Obama) mit der Freiheitsmedaille ausgezeichnet wurde, wird zur Zeit von Organisationen wie der AIPAC, der Anti-Defamation-Liga (ADL) und  der zionistischen Organisation von Amerika dafür diffamiert, dass sie sich energisch  für die Menschenrechte der Palästinenser engagiert hat. Sie hat Besseres verdient, und das Weiße Haus tut recht daran, sie vor Anhängern eines phantasierten Israel zu verteidigen, das angeblich nichts Unrechtes tut.

 

Sie ist damit nicht allein. Der Stabschef des Weißen Hauses Rahm Emanuel und der  Chefberater David Axelrod werden auch angegriffen. Der israelische Ministerpräsident Binyamin Netanyahu verspottet sie als „selbsthassende Juden“. Israelische Siedler sprechen regelmäßig über Präsident Obama als einem „Kuschi“, ein bösartiger, beleidigender Ausdruck für Menschen mit dunkler Hautfarbe. Erzbischof Desmond Tutu, eine der großen moralischen Autoritäten unserer Zeit, ist als „anti-jüdischer und anti-israelischer Schandfleck“ von zionistischen Organisationen Amerikas bezichtigt worden, und letzte Woche sprach  Abraham Foxman von der ADL über ihn als einen Israel-Beschimpfer ( Israel-basher). Diese Ausdrucksweise ist nur die Spitze des Eisbergs. Das Antisemitismus-Etikett wird so überstrapaziert, dass es Gefahr läuft, an Bedeutung zu verlieren,

 

Die Bereitschaft des Weißen Hauses Robinson und Tutu die Freiheitsmedaille zu verleihen, lässt mich fragen, ob die Obama-Regierung solchen Organisationen eine Botschaft sendet, dass Obama sich nicht einschüchtern lässt und daran festhält, Amerikas nationales Interesse voranzubringen wie z.B. den israelischen Siedlungsstop - und in weiterem Sinn - einen gerechten Frieden in Nahost.

Die überhitzte pro-israelische Rhetorik dieser Woche offenbart den Fanatismus des Sprechers oder der Organisation.  Die routinemäßige Verwendung solcher Bezeichnungen  wird auch dazu ausgenützt, um  viele gute Leute davon abzuhalten, sich selbst im israelisch-palästinensischen Friedensprozess zu engagieren. Viel zu viele Menschen, die ausgesprochene Befürworter der Beendigung des Apartheidregimes in Südafrika waren, haben sich aus diesem Disput herausgehalten, um nicht als anti-jüdisch, anti-semitisch oder als selbsthassende Juden bezichtigt zu werden. Die Terminologie ist für die, die es betrifft, grausam und schmerzlich, obwohl die meisten wissen, dass diese Ausdrucksweise nur als politische Waffe benützt wird, um sie zum Schweigen zu bringen. Ich bin davon überzeugt, dass diese Taktik des Zum-Schweigen-bringens dahin gewirkt hat, die Freiheit der Palästinenser zu verzögern.

 

Präsident Obama hatte Recht, als er in seiner Kairo-Rede erklärte: „Die Palästinenser müssen den Weg der Gewalt verlassen. Widerstand durch Gewalt und Morden ist falsch und führt nicht zum Erfolg. Jahrhunderte lang haben die Afro-Amerikaner unter der Peitsche der Sklaverei und der Demütigung der Rassentrennung gelitten. Aber es war nicht die Gewalt, die ihnen volle und gleiche Rechte bescherte. Es war Gewaltlosigkeit, die ihnen zum Sieg verhalf und ihnen Rechte und Gerechtigkeit auch in Südafrika brachte.

 

Ich möchte nur hinzufügen, dass die Saat eines mächtigen und verändernden gewaltlosen Kampfes von der Westbank  bis zum Gazastreifen  tatsächlich schon sichtbar wird. Ich bin Palästinensern und Israelis begegnet, die regelmäßig ihr Leben aufs Spiel setzen, um gewaltlos gegen die Ungerechtigkeit der israelischen Expansion und  der Hauszerstörungen zu demonstrieren. Müssen wir erst auf ein humanitäres Boot der „Befreit-Gaza-Bewegung“ warten, das gefährlich, ja tödlich gerammt wird, oder auf ein Sharpville-Massaker ** im palästinensischen Dorf Bilin bevor ( in den Medien) ein Schlaglicht auf den gewaltfreien Mut der Palästinenser und Israelis geworfen wird, die gegen Israels Belagerung des Gazastreifens und die landraubende Mauer protestieren, die weiter illegal palästinensisches landwirtschaftlich genütztes Land in der Westbank an sich reißt? Zu viele junge Menschen, die meisten davon Palästinenser, sind in Bilin  bereits getötet oder zu Krüppeln gemacht worden.

 

Israels unkluger Versuch, in Ost-Jerusalem demographische Fakten zu schaffen, indem man palästinensische Familien aus ihren Häusern vertreibt, wird auf Dauer nicht Israels Interessen dienen, sondern wird in aller Welt immer mehr Menschen zweifeln lassen, ob Israel ehrlich daran interessiert ist, mit seinen palästinensischen Nachbarn Frieden zu schließen.

 

Israel muss sich in den nächsten Wochen entscheiden, ob es weiter unbeschränkt über die Palästinenser herrschen will oder vom dualen Rechtssystem und der Apartheid Abstand nehmen will, was sich unter der Führung von Ministerpräsident Netanyahu anscheinend eher noch ausgeweitet hat.

 

*John Dugard ist südafrikanischer Rechtsprofessor, ehemaliger UN-Sonderberichterstatter für Menschenrechte in den besetzten palästinensischen Gebieten.

 

(dt. Fritz Edlinger und Ellen Rohlfs)