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Abe, Isaak & Bibi
Uri
Avnery, 15. Juli 2017
DIE GANZE
Sache könnte ein riesiger Witz gewesen sein, wenn er nicht real gewesen wäre.
Ganz
Israel wurde davon ergriffen, die Linke, die Rechte
und das Zentrum. Alle Zeitungen und Fernseh-Netzwerke, ohne Ausnahme.
Das war
es: Die UNESCO hat die
Machpelah-Höhle in Hebron zum
palästinensischen Weltkulturerbe erklärt.
ICH MUSS
zugeben,ich fiel auch in die Falle. Die Nachricht war so klar und so einfach,
seine Aufnahme so einheitlich, dass auch
ich dies gedankenlos aufnahm.
Es stimmt, es war ein bisschen seltsam, aber es geschehen noch seltsamere
Dinge.
Die
„Höhle von Machpelah“ ist gar keine Höhle. Es ist ein großes Gebäude, das die
Araber Ibrahimiyah, die Moschee von
Ibraham nennen und im Zentrum von Hebron liegt, das die Araber
Al-Khalil nennen, der Freund Gottes ( womit Abraham gemeint ist.).
Nach der
Bibel kaufte Abraham, der Vorfahre der Juden, den Ort von seinem lokalen
Besitzer (einem Hethiter) als Erbbegräbnis für seine Frau Sarah. Als seine Zeit
kam, wurde auch er dort begraben, wie auch sein Sohn Isaak mit seiner Frau Rivka
und sein Enkel Jakob mit seiner Frau Leah.(Seine andere Frau, Rachel, ist der
Sage nach auf dem Weg nach Bethlehem beerdigt.)
Und
jetzt kommt die UNESCO, der anti-semitische kulturelle Zweig der antisemitischen
UN und erklärt, dass dies eine palästinensische heilige Stätte sei.
Gibt es
bei Judenhetze keine Grenze?
Ein
Tsunami von Emotionen überschwemmte Israel. Die Juden waren im Protest
vereinigt. Jeder machte seiner Wut so laut wie möglich Luft. Selten wurde solch
eine Einmütigkeit gesehen.
FALLS ICH
einen Augenblick still gehalten hätte, um nachzudenken, würde ich
gemerkt haben, dass die ganze
Sache Unsinn ist. Die UNESCO teilt Orte nicht Nationen zu.
Weltkulturerbe-Stätten sind das Erbe der ganzen Welt. Als Formalität erwähnen
diese Erklärungen noch, in welchem Land jedes Weltkulturerbe liegt.
Die
heilige Kirche in Nazareth liegt in Israel, aber sie „gehört“
nicht Israel. Die Gräber von heiligen jüdischen Rabbinern in Russland
oder Ägypten gehören nicht Israel. Die UNESCO sagte nicht, dass die Machpelah-al
Haram-Ibrahimi-Stätte den Palästinensern gehört. Sie sagt aus, dass sie in
Palästina liegt.
Warum
Palästina? Weil nach dem Internationalen Gesetz die Stadt Hebron ein Teil
Palästinas ist, das von der UN als ein Staat unter Besatzung anerkannt wurde.
Auch nach israelischem Gesetz ist Hebron nicht ein Teil des eigentlichen
Israels, sondern unter militärischer Besatzung.
Ich bin
einem ehemaligen Israeli mit Namen Ilan Landau dankbar, der
in den USA lebt. Er machte sich die Mühe, las den Originaltext und sandte
uns Emails, um unsern Eindruck zu korrigieren. In dem Augenblick, in dem ich
dies las, schlug ich mich an die Stirn. Wie konnte ich nur so dumm gewesen sein!
Die
UNESCO-Resolution ist fair und korrekt. Sie bemerkt, dass die Stätte allen drei
monotheistischen Religionen heilig ist. Deswegen hat ein jüdischer Fanatiker –
ein Siedler aus Amerika
- 29 betende Muslime 1994
dort ermordet. Jüdische Fanatiker
siedeln in der Nähe. (Kirjat Arba)
IST DER
Ort wirklich heilig? Das ist eine dumme Frage. Ein Ort ist so heilig, wie die
Menschen glauben, dass er heilig ist
Sind
Abraham und seine Nachkommen wirklich hier beerdigt?
Selbst
das ist irrelevant. Viele Leute – mich eingeschlossen – glauben, dass der erste
Teil der Bibel bis in die assyrische Ära fiktiv ist. Das macht die Bibel nicht
weniger wunderbar. Sie ist das schönste Werk der Literatur auf Erden. Wenigstens
in der (Original ) hebräischen Fassung.
Selbst
wenn jemand glaubt, dass Abraham, Isaak und Jakob wirkliche Personen waren,
würde es zweifelhaft sein, dass sie dort beerdigt worden sind. Eine ganze Schule
von Archäologen glaubt, dass der Begräbnisplatz irgendwo anders in Hebron ist,
nicht das Gebäude. Die Gräber dort
sind die von muslimischen Sheikhs.
Egal,
wie es ist – Millionen glauben, dass die biblischen Vorfahren in der Höhle
beerdigt sind. Für sie ist die Stätte heilig und sie liegt mitten im besetzten
Palästina.
Aber
wenn man die Bibel wörtlich nimmt, dann sollte man auch
den Vers 9 im 25. Kapitel der Genesis lesen: „Und Abraham gab seinen
Geist auf und starb in einem guten Alter und seine Söhne Isaak und Ismael
begruben ihn in der Machpelah-Höhle“.
Wenn ich
Leute darauf aufmerksam machte, die israelische Schulen besucht haben, waren sie
zu tiefst entsetzt. Weil dieser Vers in keiner israelischen Schule erwähnt wird.
Er existiert nicht.
Warum?
Weil Ismael der Vorfahre der Araber ist, wie Isaak der Vorfahre der Juden. Wir
lernten, dass Sarah unsere Urmutter ist, die in der Bibel als echtes Scheusal
beschrieben wird und die ihren gehorsamen Mann, Abraham, dahin bringt, seine
Konkubine Hagar und deren Sohn Ismael in die Wüste zu schicken, um dort
vor Durst zu sterben. Aber ein Engel rettete sie und sie verschwanden, obwohl
die Bibel noch eine lange Liste seiner Söhne
gibt.
Die
Enthüllung, dass die Bibel tatsächlich das Gegenteil sagt, ist schockierend.
Ismael ist nicht verschwunden, irgendwann im Laufe der Jahre machte er mit Isaak
Frieden. Die beiden Söhne beerdigten ihren Vater gemeinsam.
Dies
verändert die Geschichte vollkommen.
Es bedeutet, dass die Bibel die Araber auch rechtens zu Erben der
Machpelah-Höhle macht, Seite an Seite mit den Juden und den Christen.
ICH GLAUBE
nicht, dass Binjamin Netanjahu jemals diesen Vers gelesen hat. Er weiß nur, was
jeder israelische Schüler weiß. Die strenge orthodoxe Linie.
In
dieser Woche auf der Höhe der UNESCO-Hysterie hat Netanjahu etwas Bizarres
gemacht: Mitten in einer formellen Kabinettssitzung, zog er aus seiner Tasche
eine Kippah, setzte sie auf und
fing an, aus der Bibel vorzulesen (natürlich, nicht den vorher erwähnten Vers).
Er schaute positiv glücklich aus. Er zeigte den verdammten Goyims, dass sie alle
Antisemiten seien.
Glaubt
Netanjahu wirklich (wie ich denke), dass dieser Teil der biblischen Legende
Geschichte ist? Falls ja, dann hat er den Verstand eines 10Jährigen. Falls
nicht, dann ist er ein Betrüger. Auf jeden Fall ist er ein sehr fähiger
Demagoge.
Aber er
ist nicht allein – weit davon entfernt. Der Präsident von Israel, ein sehr
netter Gentleman, wiederholte Netanjahus Anklagen der UNESCO.
So auch der Sprecher der Knesset, ein
Immigrant aus der Sowjetunion.
Es
dauerte vier Tage, bis einige israelische Kommentatoren den wahren Text der
UNESCO zitierten. Sie entschuldigten sich natürlich nicht, aber wenigstens
begannen sie, den aktuellen Text zu lesen. Verlegen und leise schlossen sich
ihnen einige andere Kommentatoren an. Die meisten ihrer Kollegen taten es nicht.
Eine
besondere Erwähnung verdient Carmel Shama Hacohen, Israels Botschafter bei der
UNESCO. Er ist nicht als Pfeiler
der Weisheit bekannt. Tatsächlich wurde er
zur UNESCO geschickt, um einem
Protégé des Außenministers zu erlauben, seinen Platz in der Knesset
einzunehmen.
Während
der UNESCO-Versammlung wurde Shama-Hacohen sehr aufgeregt. (sein wirklicher Name
war nur Shama, aber da dieser zu
arabisch klingt, fügte er den sehr jüdisch klingenden Namen Hacohen hinzu). Er
begann eine laute Auseinandersetzung mit dem palästinensischen Botschafter,
eilte dann zum Podium und schrie auch den Vorsitzenden an.
WILLIAM SHAKESPEARE
könnte – abgesehen von zwei Punkten -
all dies „Viel Lärm um
nichts“ genannt haben.
Der eine
Punkt zeigt, wie leicht es ist, das
ganze (jüdische) Israel, ohne Ausnahme in heiligen Zorn zu versetzen. Politiker
und Kommentatoren von Links und Rechts, von Ost und West, Religiöse und
Säkulare, vereinigt in einer wütenden Masse, selbst dann, wenn der Vorwand
falsch ist.
Solch
ein Ausbruch kann sehr ernste Folgen haben. Er löst alle inneren Bremsen.
Der
andere Aspekt ist sogar noch gefährlicher.
Auf der
Höhe des Tsunami kam es mir plötzlich, dass sich scheinbar alle sehr freuten.
Und dann wurde mir klar, warum.
Hunderte
Jahre lang wurden Juden in Europa verfolgt, deportiert und gefoltert. Es war ein
Teil der Realität. Sie waren daran gewöhnt. Antisemitismus aller Arten,
einschließlich einem mörderischen, war ein Teil der Realität. Der Sadismus der
Goyim traf sich mit dem Masochismus der Juden.
(Wie ich
in der Vergangenheit schon zu verstehen gab, ist dies ein Teil der
westlich-christlichen Kultur, die vielleicht von der Kreuzigungsgeschichte im
Neuen Testament ausging. Dies gibt es als solches nicht im Islam, da der Prophet
seine Anhänger ermahnte, die beiden andern „Völker des Buches“ – Juden und
Christen zu schützen.
Nach dem
2.Weltkrieg und dem Holocaust ist der alte bösartige europäische
Antisemitismus verschwunden oder in den
Untergrund getaucht. Aber Juden haben sich nicht daran gewöhnt. Sie sind sicher,
dass er irgendwo wieder auftaucht. Wenn es geschieht oder wenn es scheinbar
geschieht, sind Juden geneigt zu empfinden: „Ich sagte es euch ja!“
In
Israel ist dies noch komplexer. Der Zionismus wurde geschaffen, damit die Juden
ihre „Exil“-Komplexe los werden. Um uns in ein normales Volk zu verwandeln, in
„ein Volk wie jedes andere“.
Es
scheint, dass dies nicht ganz erfolgreich gewesen ist. Oder dass der Erfolg
unter der Verantwortung von Netanjahu und seiner Sorte
geschwunden ist.
Diese
Episode hat viele Juden glücklich
gemacht. Sie sagen sich: „Wir haben Recht! Alle Goyim sind Antisemiten!“
(dt.
Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)