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Uri Avnery, 9. Mai 2015
BENJAMIN
NETANJAHU scheint jetzt
von jedermann verachtet zu sein. Fast so sehr wie seine Ehefrau Sarah’le
die sich einmischt
Vor
sechs Wochen war Netanjahu der
große Sieger. Im Gegensatz zu allen Volksbefragungen erlangte er im letzten
Augenblick, einen überraschenden Sieg 30
von 120 Knesset-Sitzen, und ließ die Laborpartei („Das Zionistische
Lager“ genannt) weit hinter sich zurück.
Diese
übrigen Sitze kamen nicht von der Linken. Sie kamen von den nächsten
Konkurrenten, den Parteien der Rechten.
Trotzdem war es ein großer persönlicher
Triumpf. Netanjahu ließ keinen Zweifel daran, dass netanjahu jetzt der Meister
der Welt sei. Sarah‘le strahlte. Netanjahu ließ keinen Zweifel daran, dass er
nun der Herrscher sei und dass er die Dinge nach seinen Wünschen
regeln würde
In
dieser Woche hatte er seine wohl verdiente Strafe. Am allerletzten Tag der ihm
zur Verfügung stehenden Zeit, die ihm das Gesetz für eine neue Regierung ließ,
war er nahe dran zu verzweifeln.
EIN
ALTES hebräische Sprichwort drückt es kurz und bündig so aus: „Wer ist ein Held?
Der aus einem Feind einen Freund macht.“
In
diesem Sinn ist Netanjahu ein Gegenheld. Er hat ein spezielles Talent, aus
Freunden Feinde zu machen. Sarah’le ist darin für ihn eine große Hilfe. Winston
Churchill gab einmal einen Rat, dass man in dem Augenblick des Sieges großmütig
sein solle. Großmut ist aber keine von Netanjahus herausragenden Tugenden. Er
machte klar, dass er, und allein er, jetzt der Herr sei.
Direkt
nach der Wahl bestimmte Netanjahu, dass die nächste Regierung eine enge
Koalition der Orthodoxen mit den rechtesten Parteien sei, die in der Lage seien,
endlich all die Dinge zu tun, die er wirklich zu tun wünsche: diesem
Zwei-Staaten-Unsinn ein Ende zu setzen, den Obersten Gerichtshof kastrieren, die
Medien mundtot zu machen und vieles mehr.
Alles
ging nun hervorragend. Netanjahu
war vom Staatspräsidenten instruiert worden, die nächste Regierung zu bilden,
die Koalitionsgespräche gingen reibungslos voran und die Konturen der Koalition
wurden klar: Likud, die Ashkenazi-Orthodoxe Torah-Partei, die orientalisch
orthodoxe Shas-Partei, Moshe Kahlons neue wirtschaftliche Reformpartei, Naftali
Bennetts nationalistisch-religiöse Partei und Avigdor Liebermans Ultrarechte
Partei. Alle zusammen eine komfortable 67-zu 120 Sitze-Knesset.
Parteichefs müssen einander nicht lieben, um eine Koalition bilden. Sie müssen
sich nicht einmal mögen. Aber es ist
wirklich nicht sehr gemütlich, in einer Regierung
zusammenzusitzen, wenn man einander hasst und sich gegenseitig verachtet.
DER
ERSTE, der eine Bombe warf, war Avigdor Lieberman. Lieberman wird nicht für
einen „echten“ Israeli gehalten. Er
sieht anders aus, spricht mit einem sehr dicken ausländischen Akzent, seine
Gesinnung scheint auf andere Weise zu wirken. Obwohl er seit Jahrzehnten in
Israel lebt, wird er noch immer für „einen Russen“ gehalten. Tatsächlich kam er
aus Sowjet-Moldavien.
Es gibt
eine Redensart, die Stalin zugesprochen wird: Rache serviert man am
besten kalt. An diesem Dienstag, 48 Stunden vor Ende der vom Gesetz
festgelegten Regierungsbildung,
warf Lieberman seine Bombe.
Bei der
Wahl verlor Lieberman mehr als die Hälfte seiner Sitze an den Likud. Seine
Partei schrumpfte auf sechs Sitze zusammen. Trotzdem sicherte ihm Netanjahu zu,
dass er seinen Posten als Außenminister behalten könne. Es war eine billige
Konzession, da Netanjahu alle bedeutenden entscheidenden auswärtigen
Angelegenheiten selbst trifft.
Auf
einmal - ohne Provokation – berief
Lieberman letzten Montag eine
Pressekonferenz ein und macht eine plötzliche Ankündigung: Er würde sich der
neuen Regierung nicht anschließen.
Warum?
Liebermans persönliche Forderungen waren befriedigt worden. Die Vorwände waren
offensichtlich künstlich. Z.B. wünscht er, dass „Terroristen “ exekutiert werden
müssen, eine Forderung, die entschieden von allen
Sicherheitsdiensten klar widersprochen wird, die (ganz richtig) denken, dass das
Verursachen von Märtyrern eine sehr schlechte Idee sei. Lieberman möchte auch
junge Orthodoxe, die sich weigern, in der Armee
zu dienen, ins Gefängnis stecken – eine lächerliche Forderung
von einer Regierung erhoben
, in der die orthodoxen Parteien eine zentrale Rolle spielen, und so
weiter.
Es war
ein klarer und eklatanter Akt von Rache. Offensichtlich hatte Lieberman diese
von Anfang an getroffen, eine Entscheidung, die aber bis zum letzten
Augenblick geheim gehalten wurde, bis es für Netanjahu keine Zeit mehr gab, die
Zusammenstellung der Regierung zu ändern, z.B. durch das Einladen der
Labor-Partei.
Es war
tatsächlich wie eine kalt servierte Rache.
OHNE DIE
sechs Mitglieder von Liebermans Partei, hat Netanjahu noch immer eine Mehrheit
von 61, gerade genug, um die Regierung in der Knesset voranzustehen und
wenigstens ein Vertrauensvotum zu erhalten. Gerade so.
Eine 61
Stimmenregierung ist aber ein anhaltender Alptraum. Ich würde ihn nicht meinem
eigenen schlimmsten Feinde wünschen.
In solch
einer Situation kann keine Koalitionsmitglied ins Ausland reisen – aus Angst
dass die Opposition plötzlich eine Vertrauensbildung fordert. Für
Israelis ist das schlimmer als der Tod.
Der einzige Weg nach Paris für ein Koalitionsmitglied ist es, wenn dasjenige mit
einem Mitglied der Opposition ein Abkommen trifft, das
sagen wir mal, nach Las Vegas fliegt. Eine Hand wäscht die andere, sagt
das Sprichwort.
Aber es
ist ein viel schlimmerer Tag-und Nachtalptraum für einen König wie Netanjahu:
„in einer 61-Mitgliederkoalition ist „ jeder Bastard ein König“ sagt ein
hebräisches Sprichwort. Jedes einzelne Mitglied kann jeden Gesetzentwurf, den
die Regierung vorgelegt hat, vernichten und erlauben, viele
Oppositionsvorschläge zu gewinnen, wenn es sich selbst von einer wichtigen
Abstimmung fern hält.
Jeder
Tag wäre ein Kampftag mit vielen
Erpressungen. Netanjahu wäre gezwungen jeder
Marotte jedes Mitgliedes nachzugeben. Selbst in der griechischen Mythologie war
eine solche Folter nie erfunden worden.
DAS
ERSTE Beispiel wurde schon gleich am ersten Tag nachdem
Lieberman seine
Bombe geworfen hatte, gegeben.
Bennett,
der das Koalitions-Abkommen noch nicht
unterzeichnet hatte, fand sich selbst in einer Position, in der es keine
Netanjahu Regierung ohne ihn gab. Er durchwühlte sein Gehirn, um
seine Situation herauszufinden, ob nicht
noch etwas gäbe, das ihm noch nicht versprochen wurde (und um in dem Prozess
Netanjahu zu demütigen) Er kam mit der Forderung, dass Ayelet Schaked
Justizministerin werden solle.
Schaked
ist die Schönheitskönigin der neuen Knesset. Trotz ihrer 38 Jahre hatte sie eine
mädchenhafte Frische. Sie hat auch einen hübschen Namen: Ayelet bedeutet
Gazelle, Schaked bedeutet Mandel.
Ihre
Mutter war eine Lehrerein der Linken, aber ihr im Irak geborener Vater war ein
rechtes Likud-Mitglied vom Zentral-Komitee. Sie folgt seinen Fußstapfen.
Die
mandeläugige Gazelle übertrifft die politischen Aktivitäten, die sich auf Hass
gründen, intensiven Hass auf Araber, Linke, Homosexuelle und ausländische
Flüchtlinge. Sie ist die Urheberin eines ständigen Stroms extrem rechter
Gesetzesentwürfen. Unter ihnen die scheußlichen Gesetzesvorlagen, die besagen,
dass der „jüdische Charakter“ Israels vor der Demokratie komme und alle
grundlegenden Gesetze ihr untergeordnet sind. Ihre Hetze gegen die hilflosen
Flüchtlinge aus dem Sudan und Eriträa, von
wo es ihnen irgendwie gelang, Israel zu erreichen,
ist ein Teil ihrer unermüdlichen
Bemühungen. Obgleich sie die Nummer zwei einer religiösen Partei ist, ist sie
ganz und gar nicht religiös.
Die
Beziehung zwischen ihr und Bennett begann, als beide Angestellte in Netanjahus
politischem Amt waren, als er Führer der Opposition war. Irgendwie zogen sich
beide den Zorn von Sarah‘le zu, die
nicht vergessen oder nicht vergeben kann. Übrigens
geschah dasselbe Lieberman und ebenso einem früheren Direktor, der ebenso
in Netanjahus Amt war
So heute
ist Zahltag. Netanjahu quälte Bennett während der Verhandlungen und ließ ihn
tagelang schwitzen. Bennett benützte die Gelegenheit, nachdem Lieberman Abschied
genommen hatte und eine neue Bedingung stellte, um sich der Koalition
anzuschließen: Schaked muss Justizministerin werden.
Netanjahu, nun jeder praktischen Alternative
beraubt, gab der offenen Erpressung nach. Entweder dies anzunehmen oder
-das war es dann schon - es war keine Regierung.
Nun
hatte die „Gazelle“ die Herrschaft den
Obersten Gerichtshof, den sie verachtet. Sie wird den nächsten Staatsanwalt
wählen(der hier in Israel als Juristischer Berater bezeichnet wird) und das
Komitee füllen, das die Richter ernennt.
Sie wird auch die Verantwortung für das Komitee der Minister haben, das
über die Gesetzesvorlagen entscheidet, die von der Regierung der Knesset
vorgelegt werden - und welche
nicht.
Keine
viel versprechende Situation für die „einzige Demokratie im Nahen Osten“.
NETANJAHU ist zu erfahren, um nicht zu wissen, dass er á la longue mit solch
einer wackeligen Koalition nicht lange regieren kann. Er benötigt
in nächster Zukunft wenigstens noch einen weiteren Partner. Aber wo ihn
finden?
Die
arabische Partei ist offensichtlich draußen. Auch Merez. So auch Yair Lapids
Partei und zwar aus dem einzigen Grund, weil Orthodoxe
nicht neben ihm in der Regierung sitzen wollen. Also bleibt nur die
Labor-Partei (oder das „Zionistische Lager“), übrig.
Offen
gesagt, bin ich davon überzeugt, dass Yitzhak Herzog diese gute Gelegenheit
ergreifen wird. Er muss inzwischen
wissen, dass er nicht der Volkstribun ist, der seine Partei zur Macht führen
wird Er hat nicht die Statur eines
Apollo noch die Stimme eines Netanjahu. Er hat niemals eine originelle Idee
vorgetragen, die zu einem erfolgreichen Protest führte.
Außerdem
hat sich die Labor-Partei nie durch Opposition
ausgezeichnet. Es war die Partei, die die Partei 45 durch
gehende Jahren an der Macht geführt hat
– vor und nach der Staatsgründung. Als Oppositionspartei ist sie pathetisch und
so ist auch „Buji“ Herzog.
Sich
Netanjahus Regierung in einigen Monaten anzuschließen, wäre
für Herzog ideal Da gibt es ja
nie einen Mangel an Vorwänden – wir haben wenigstens einmal im Monat eine
nationale Notlage, die erwartete Nationale Einheit fordert. Ein kleiner Krieg,
Probleme mit der UNA u.ä. (Obwohl John Kerry in dieser Woche dem israelischen
Fernsehen ein Interview gab, das ein Meisterstück von Erbärmlichkeit,
Bauchkraulen und Selbsterniedrigung war ).
Herzog
zu bekommen, würde nicht leicht sein. Labor ist kein
monolithischer Block. Viele seiner Funktionäre bewundern Herzog nicht,
betrachten Bennett als Faschisten und Netanjahu
als einen gewohnheitsmäßigen Lügner und BEtrüger. Aber die
Allüren einer Regierung sind stark; ein
Ministersessel ist so
bequem.
Meine
Wette: Netanjahu, der große Überlebende, wird überleben.
(dt.
Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)