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Uri
Avnery, 31.1.2015
VIELE
MALE fragen mich Leute: „ Sind Sie ein Zionist?“
Meine
übliche Antwort ist: „ Das hängt davon ab, was Sie unter Zionismus verstehen“.
Dies ist
ganz ernst gemeint. Der Terminus „Zionismus“ kann sehr Verschiedenes bedeuten.
Wie z.B. der Begriff Sozialismus. Francois Hollande ist ein Sozialist. Auch
Joseph Stalin war einer.
Gibt es
da eine Ähnlichkeit?
ALS ICH
jung war, gab es einen Scherz, der in Deutschland die Runde machte: „Ein Zionist
ist ein Jude, der einen zweiten Juden um Geld bittet, damit ein dritter Jude in
Palästina siedeln kann.“ Mein Vater war so ein Zionist. Das war natürlich vor
der Nazi-Machtergreifung. Ich habe den Verdacht, dass diese Definition heute für
viele amerikanische Juden zutrifft.
Theodor
Herzl, der Gründer der zionistischen Bewegung, wollte nicht wirklich
nach Zion, einem Hügel in Jerusalem, gehen. Er liebte Palästina überhaupt
nicht. Im ersten Entwurf der zionistischen Bibel, „Der Judenstaat“, schlug er
wegen seines milden Klimas Patagonien als bevorzugte Gegend für den jüdischen
Staat vor. Auch weil diese nach einem genozidalen Kampf mit Argentinien wenig
bevölkert war.
Auch als die Bewegung sich nach Zion
wandte, bedeutete es für verschiedene Leute Verschiedenes. Einige wünschten,
dass das Land nur ein geistliches Zentrum für die Juden werde. Andere wünschten,
es würde eine sozialistische Utopie. Wieder andere wünschten, es werde eine
nationalistische Bastion mit militärischer Macht.
Die
Erneuerung der hebräischen Sprache, die ein so integraler Teil unseres Lebens
wurde, war überhaupt kein Teil des zionistischen Projektes. Herzl, dessen
anfänglicher Ehrgeiz es war, ein großer deutscher Schriftsteller zu werden,
dachte, dass wir in Zion Deutsch sprechen würden. Andere wollten lieber Jiddisch
sprechen. Der fanatische Wunsch, das Hebräische wieder zu beleben, kam von
unten.
Selbst
der Wunsch, einen jüdischen Staat zu gründen, war nicht einstimmig. Einige
begeisterte Zionisten, wie Martin Buber träumten von einem bi-nationalen Staat:
halb arabisch, halb jüdisch.
„Praktische“ Zionisten wünschten
den zionistischen Traum durch beharrliche Besiedlung des Landes zu erfüllen;
„Revisionistische Zionisten wollten sofort eine internationale „Charter“
Religiöse Zionisten wünschen einen Staat, der sich auf die jüdische Religion
gründet und von ihr beherrscht wird. National-religiöse Zionisten glauben, dass
Gott die Juden wegen ihrer Sünden ins „Exil“ge schickt hatte. Sie wollten Gott
durch ihre Taten zwingen, den Messias jetzt zu schicken. Atheistische Zionisten
erklären, die Juden seien eine Nation, keine Religion und wollten nichts mit dem
jüdischen Glauben zu tun haben. Und so weiter.
WAS
BEDEUTET Zionismus heute? Das Wort ist in Israel weit verbreitet, ohne dass man
viel darüber nachdenkt. Fast jede Partei wünscht, zionistisch zu sein, und
brandmarkt ihre Gegner als Anti-Zionisten – eine schwere Anklage in der
israelischen Politik. Nur kleine Minderheiten an den Rändern lehnen die Ehre ab.
Die Kommunisten auf der einen Seite, die Ultra-Orthodoxen auf der andern Seite.
(Diese glauben, es sei eine große Sünde, in das Land Israel in großer Anzahl
ohne Gottes ausdrückliche Erlaubnis zurückzukehren.)
Für
viele Israelis bedeutet Zionismus nichts weiter als israelischer Patriotismus.
Wenn man wünscht, dass Israel als „Jüdischer Staat“ (was auch immer dies
bedeutet) besteht, dann ist man ein Zionist. Man muss auch glauben, dass Israel
ein Teil des „jüdischen Volkes“
weltweit ist und seine Führung als eine Art Kommando-Zentrum fungiert. In der
heutigen Terminologie „Der
nationale Staat des jüdischen Volkes“.
In einem
weiteren Sinn kann Zionismus den tiefen Glauben bedeuten, dass alle Juden auf
der Welt schließlich nach Israel kommen, entweder freiwillig oder durch den
Antisemitismus vertrieben. Der unvermeidliche Sieg des Antisemitismus‘ in jedem
Land wird vorausgesetzt. Deshalb wird jede reale oder eingebildete antisemische
Welle mit geheimer Genugtuung begrüßt
(„Wir sagten es doch!“) –
wie die gegenwärtige in Frankreich.
WO STEHE
ich?
Ein paar
Jahre vor der Gründung des Staates Israel erklärte eine Gruppe junger Leute
dieses Landes, meistens Künstler und Schriftsteller, sie seien keine Juden,
sondern Hebräer. Sie erhielten den Spitznamen „Die Kanaaniter“.
Ihr
Grundsatz war, dass die hebräisch sprechenden jungen Leute in diesem Land nicht
ein Teil der weltweit jüdischen Gemeinschaft sind, sondern eine separate neue
hebräische Nation. Sie wollten nichts mit den Juden zu tun haben. Einige ihrer
Veröffentlichungen. klingen geradezu antisemitisch. Sie verstanden die
hebräische Nation -- nach einer kleinen Zeitspanne von ein paar tausend Jahren –
als eine Fortsetzung des ursprünglich biblisch kanaanitischen Volkes. Daher der
Spitzname.
Vier
Jahre später gründete ich eine andere Gruppe mit dem Spitznamen
„Kampf-Gruppe“. Wir proklamierten auch, wir seien eine neue hebräische
Nation. Aber im Gegensatz zu den
Kanaanitern gaben wir zu, dass diese neue Nation ein Teil des jüdischen Volkes
sei, so wie die Australier z.B. ein Teil der angelsächsischen Kultur sind.
Wir
widersprachen auch den Kanaanitern bei einem anderen entscheidenden Element der
Doktrin. Die Kanaaniter leugneten die Existenz einer arabischen Nation oder
arabischen Nationen. Wir erkannten den arabischen Nationalismus an, und
erklärten, dass die arabische Nation bei der Schaffung einer neuen semitischen
Region der natürliche Verbündete der hebräischen Nation sei.
Bald
danach wurde Israel gegründet. Vor 40 Jahren
wurde ich in einem Verleumdungsfall von einem Richter gebeten, meine
Haltung gegenüber dem Zionismus zu definieren.
Mit
meiner Antwort erfand ich den Terminus „Post-Zionismus“. Ich bezeugte, dass die
zionistische Bewegung eine historische Bewegung mit unglaublichen Erfolgen sei:
eine total neue Gesellschaft, eine alt-neue Sprache, eine neue Kultur, eine neue
Wirtschaft, neue soziale Modelle wie den Kibbuz und den Moshav. Aber der
Zionismus habe auch große Fehler gemacht, besonders gegenüber dem
arabisch-palästinensischen Volk.
Doch
dies ist Geschichte, sagte ich. Mit der Schaffung des Staates Israel hat der
Zionismus seine Aufgabe erfüllt. Israelischer Patriotismus muss ihn nun
ersetzen. So wie man das Baugerüst wegnimmt, wenn das Gebäude fertig ist, so hat
der Zionismus seine Nützlichkeit überlebt und sollte ausrangiert werden.
Das ist
auch heute meine Überzeugung.
DIE
GANZE Frage ist nun wieder hoch gekommen: wegen der Entscheidung der neuen
gemeinsamen Wahlliste der Labor-Partei und Zipi Livnis Gruppe, die sich
offiziell selbst „das zionistische
Lager“ nennen.
Auf der
pragmatischen Ebene ist dies ein kluger Schritt. Die Parteien des rechten
Flügels klagen die des linken Flügels immer an, sie seien unpatriotisch, ja
sogar verräterisch, ein fünfte Kolonne. In unserm Fall wird die Linke angeklagt,
anti-zionistisch zu sein. So ist es sinnvoll, eine neue vereinigte Liste
„Zionisten“ zu nennen. Nicht „eine“
zionistische Partei, sondern „die“ zionistische Partei.
(Mit
derselben Logik nannte sich eine sehr moderate französische Partei einmal
„Radikale Partei. Das Wort „demokratisch“ ist in offiziellen Namen
mehrerer kommunistischer Länder erschienen und die deutschen Faschisten nannten
sich „Nationalsozialisten“) Indem sie sich ihrer beständigen Anhänger sicher
sind, hoffen sie durch die falsche Benennung Stimmen vom Rande anzuziehen.)
Ein
negativer praktischer Aspekt des Namens der Labor-Liste ist, dass sie so die
arabischen Bürger automatisch ausschließt. Für Araber, egal wo, ist Zionismus
ein Synonym für Bosheit. Der Zionismus nahm ihnen ihr Land weg, der Zionismus
vertrieb die arabischen Palästinenser und führte die Nakba durch, der Zionismus
diskriminiert die arabischen Bürger Israels in allen Lebensbereichen.
Sehr
wenige arabische Bürger stimmten
immerhin in der Vergangenheit für die Labor-Partei, und
diese kümmern sich nicht um den Zionismus als
Namen. Alle arabisch politischen Kräfte
im Land, einschließlich der kommunistischen Hadash-Partei, die auch eine Anzahl
jüdischer Mitglieder hat, vereinigten sich in dieser Woche zu einer allgemein
arabischen Liste. Es wird erwartet, dass diese fast alle arabischen Stimmen
ernten wird.
(Dies
ist übrigens eine der Ironien israelischer Politik. Die
„Israel-Unser-Heim“-Partei von Avigdor Lieberman, die von manchen als
faschistisch angesehen wird, wünschte, dass die Araber aus der Knesset
vertrieben werden. Da man zur Kenntnis nahm, dass keine der drei arabischen
Listen 3,25% der Stimmen erreicht,
gaben sie ein Gesetz heraus, das die Schwelle erhöht, um in die Knesset zu
kommen. Als Folge davon vereinigten sich alle arabischen Parteien, die sich
sonst gegenseitig verachten, in einer allgemeinen Liste, die 10% oder mehr
erreichen kann.)
Abgesehen von den Orthodoxen wird dies die einzige selbst ernannte
anti-zionistische Partei sein. Jeder von der sehr rechten national-religiösen
Jüdische Heim-Partei bis zur sehr linken Merez-Partei erklären sich zu
überzeugten Zionisten.
So ist es geradezu ein Staatsstreich,
dass Herzog und Livni mit dem begehrten Etikett wegrennen.