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Uri Avnery, 13.Februar 2016
ES IST
nicht leicht, ein Araber in Israel zu sein.
Es ist
nicht leicht, eine Frau in der arabischen Gesellschaft zu sein.
Es ist
nicht leicht, ein Araber in der israelischen Politik zu sein.
Es ist
sogar noch weniger leicht, eine arabische Frau in der Knesset zu sein.
Hanin
Soabi ist all dies zusammen. Vielleicht ist es deshalb, dass sie immer lächelt –
Es mag das Lächeln von jemandem sein, der schließlich gewonnen hat.
Es kann
sehr ärgerlich sein. Ärgerlich und provokativ.
In
diesen Tagen hat Soabi etwas erreicht, von dem keine arabische Frau in Israel
jemals geträumt hat: das ganze Land spricht über sie. Nicht eine Stunde, nicht
einen Tag lang, sondern wochenlang.
Der
größte Teil der jüdischen Israelis hasst sie. Soabis Lächeln triumphiert
HANIN GEHÖRT
zu einem großen Familien-Clan, der mehrere Dörfer bei Nazareth dominiert. Zwei
Soabis sind Mitglieder der Knesset in deren frühen Tagen gewesen – einer war ein
Vassall der damals herrschenden zionistischen Labor-Partei gewesen, der andere
ein Mitglied der linken zionistischen Mapam-Partei. Er war es, der den
denkwürdigen Satz prägte: „Mein Land ist mit meinem Volk im Krieg“.
Hanin
Soabi ist ein Mitglied der Balad („Heimat“)-Partei, eine arabische,
nationalistische Partei, die von Asmi Bishara , einem
israelisch-palästinensischen Intellektuellen gegründet wurde. Bishara war ein
Bewunderer von Gamal Abd-al-Nasser und seiner pan-arabischen Vision. Als der
Shin Bet im Begriff war, ihn unter irgendeinem Vorwand zu verhaften, floh er aus
dem Land, indem er behauptete, er leide an einer ernsten Nierenerkrankung und
das Gefängnis würde sein Leben gefährden.
Er
hinterließ eine Knesset-Fraktion von drei Mann, eine der drei arabischen
Fraktionen von ähnlicher Größe. Alle waren eine ständige Irritation für ihre
jüdischen Kollegen. Deshalb erfanden sie ein Rechtsmittel. Ein neues Gesetz
wurde erlassen, das die
Knesset-Mitgliedschaft jeder Partei verweigert, die nicht genügend Stimmen für
eine Vier-Mitglieder-Fraktion
gewann. (Ein größeres Minimum hätte die Orthodoxe jüdische Partei gefährdet.)
Die
Logik war einfach: die drei kleinen arabischen Fraktionen hassten sich
gegenseitig. Eine war kommunistisch (mit einem jüdischen Mitglied), eine war
islamistisch und eine war nationalistisch (Balad).
Aber
siehe da: unter der Bedrohung der Vernichtung können sich sogar Araber
vereinigen. Sie bildeten eine „Gemeinsame Liste“ („Gemeinsam“ nicht
„Vereinigte“) und gewannen so 13 Sitze – drei mehr als vorher. Sie sind jetzt
die drittgrößte Fraktion in der Knesset, direkt nach Likud und Labor, ein
Ärgernis für viele ihrer Kollegen.
DIES IST
der Hintergrund der letzten Empörung.
Seit
Monaten ist Israel jetzt mitten in einer Mini-Intifada. In den zwei früheren
Intifadas handelten „Terroristen“ in
Gruppen unter Befehlen von Organisationen, die leicht infiltriert wurden. Dieses
Mal handeln einzelne alleine oder zusammen mit Cousins, denen man vertrauen
kann, ohne vorherige Anzeichen. Die israelischen Kräfte (Armee, Polizei, Shin
Bet) haben keine vorherige Information über irgendetwas und waren deshalb nicht
in der Lage, diese Handlungen zu verhindern.
Außerdem
sind viele der heutigen „Terroristen“ Kinder – Jungen und Mädchen - die nur ein
Messer aus der Küche ihrer Mutter mitnehmen und ganz spontan losrennen und den
nächsten Israeli angreifen. Einige von ihnen sind 13, 14 Jahre alt. Einige der
Mädchen nahmen Scheren mit. Alle wissen, dass sie höchst wahrscheinlich an Ort
und Stelle von Soldaten oder vorbeigehenden bewaffneten Zivilisten erschossen
werden.
Die
bevorzugten Opfer sind Soldaten oder Siedler. Wenn diese fehlen, greifen sie
jeden Israeli, Mann oder Frau, den/die sie sehen an.
Die
mächtigen israelischen Sicherheitskräfte sind zugegebenermaßen hilflos gegen
diese Art von „Infantifada“ (wie
mein Freund
Reuven Wimmer sie nennt). In ihrer Verzweiflung tun die
Sicherheitskräfte, was sie in solchen Situationen immer tun: sie benützen
Methoden, die schon vielmals misslangen.
Abgesehen von Exekutionen an Ort und Stelle (gerechtfertigt oder nicht
gerechtfertigt) schließen diese Methoden die Zerstörung des Hauses der Familie
ein, um andere abzuschrecken, oder die Verhaftung der Eltern oder andere
Familienmitglieder.
Offen
gesagt, verabscheue ich diese Methoden. Sie erinnern mich an einen Nazi-Begriff
meiner Kindheit: „Sippenhaft“. Es ist barbarisch. Es ist auch äußerst unwirksam.
Ein Junge, der sich entschieden hat, sein Leben für sein Volk zu opfern, wird
von so etwas nicht abgeschreckt. Dafür gibt es keinen einzigen Gegenbeweis. Im
Gegenteil, es ist verständlich, dass solch barbarische Akte den Hass schüren und
zu mehr solchen Angriffen motivieren.
ABER DIE
scheußlichste und dümmste Maßnahme ist, die Körper der Toten zurück zuhalten.
Ich schäme mich fast, darüber zu schreiben.
Nach
fast jedem „terroristischen“ Akt wird der Leichnam des Täters – Erwachsener oder
Kind – von den Sicherheitskräften mitgenommen. Nach muslimischem Gesetz und
Brauch müssen Tote noch am selben Tag oder am nächsten beerdigt werden. Sie
zurückzuhalten, ist ein äußerst grausamer Akt. Unsere Sicherheitsdienste
glauben, dass dies zur Abschreckung beiträgt. Für Muslime ist dies ein äußerster
Akt von Frevel.
Dies ist
der Hintergrund des letzten Skandals. Die drei Balad-Mitglieder der arabischen
Fraktion besuchten die Familien der Täter einer „terroristischen“ Gewalttat,
deren Leichname zurückgehalten wurden. Ihre Version ist, dass sie zum
Diskutieren kamen, wie man die Leichname zurückerlangen könne. Die
Sicherheitskräfte bestanden darauf,
dass sie auch kondolierten und eine Gedenkminute hielten.
Die
Knesset war geschlossen wütend. Wie können sie das wagen? Mörder zu loben und
ihren Familien Sympathie zu zeigen?
Die
Balad-Mitglieder der gemeinsamen Fraktion sind außer Soabi mit ihrem Lächeln,
Bassal Gatas und Gamal Zahalka. Ich habe Gatas nie persönlich getroffen. Er ist
60 Jahre alt und ein christlicher Araber, ein Dr.ing. und ein Geschäftsmann. Er
war lange Zeit Mitglied der kommunistischen Partei, wurde aber rausgeschmissen,
als er auf seinem Recht bestand, die Sowjet Union zu kritisieren. Asmi Bishara
ist sein Cousin. Im TV macht er
einen sehr sensiblen Eindruck.
Gamal
Zahalka betrachte ich als persönlichen Freund. Einmal nahmen wir gemeinsam an
einer Konferenz in Italien teil und
unternahmen einige Ausflüge mit unsern Frauen. Ich habe ihn sehr gern.
Die drei
Balad-Mitglieder wurden für mehrere Monate aus der Knesset verbannt, abgesehen
vom Recht an Knesset-Abstimmungen teilzunehmen (Ein Recht, das nicht verweigert
werden kann. Jetzt schlägt man eine
neue Gesetzesvorlage vor, dass die Knesset - bei einer Mehrheit von90 der 120
Mitglieder - Mitglieder aus der Knesset
völlig hinauswirft.
Dies
bedeutet, dass - wenn das Oberste
Gericht diese Gesetzesvorlage nicht
für verfassungswidrig hält – die Knesset bald Araber-rein sein wird. Eine rein
jüdische Knesset für einen rein jüdischen Staat.
DAS WÜRDE
für Israel eine Katastrophe sein.
Jeder
fünfte Israeli ist ein Araber. Die arabische Minderheit in Israel ist eine der
größten nationalen Minderheiten pro Kopf in der Welt. Solch eine Minderheit aus
dem politischen Prozess rauszuwerfen, wird die ganze Struktur des Staates
schwächen.
Als der
Staat gegründet wurde, glaubten wir, dass nach einer oder zwei Generationen die
Kluft zwischen den beiden Gemeinschaften sich schließen würde. Das Gegenteil ist
geschehen. In den frühen Jahren war die politische Zusammenarbeit zwischen Juden
und Araber in einem gemeinsamen Friedenslager stark und wurde stärker. Diese
Tage sind längst vergangen. Die Kluft ist breiter geworden.
Es gab
und gibt einen gegensätzlichen Trend. Viele Araber sind in wichtigen Berufen
integriert, wie z.B. in der Medizin. Als ich das letzte Mal im Krankenhaus war,
konnte ich nicht raten, ob der Chefarzt meiner Abteilung Jude oder Araber war.
Ich musste meinen (arabischen) Pfleger fragen. Er bestätigt mir, dass der sehr
freundliche Arzt Araber war. Ich fand, dass das arabische medizinische Personal
im Allgemeinen freundlicher war als das jüdische.
In
verschiedenen Berufen sind Araber mehr oder weniger integriert. Aber der
allgemeine Trend ist gegensätzlich. Wo einmal herzliche Beziehungen zwischen
Nachbarschaften oder zwischen politischen Organisationen bestanden,
lösten sich die Kontakte oder verschwanden ganz.
Es gab
Zeiten, in denen meine Freunde und ich fast jede Woche arabische Städte und
Dörfer besuchten. Nun nicht mehr.
Dies ist
insgesamt kein einseitiger Prozess. Beleidigt und seit langem zurückgewiesen,
haben arabische Bürger die Lust an Zusammenarbeit
verloren. Einige von ihnen sind islamistischer geworden. Die Ereignisse
in den besetzten Gebieten beeinflusst sie stark. Eine dritte und vierte
Generation von israelisch arabischen Bürgern ist stolzer und selbstbewusster
geworden. Sie sind sehr enttäuscht worden vom Versagen der jüdischen
Friedensbewegungen.
Die
arabischen Mitglieder aus der Knesset zu werfen ist - wie ein französischer
Politiker einmal berühmte Maßen sagte „ist schlimmer als ein Verbrechen – es ist
ein Fehler!“
Es würde
die Verbindungen des israelischen Staates von mehr als 20% seiner Bürger
trennen. Einige Israelis mögen davon träumen, die Araber allesamt aus dem Land
zu werfen – alle sechs Millionen von ihnen aus dem eigentlichen Israel, der
Westbank und dem Gazastreifen – doch dies ist ein Hirngespinst. Die Welt, in der
dies einmal möglich war, existiert nicht mehr.
Was
möglich ist und schon besteht, ist eine schleichende Apartheid. Sie besteht
schon in der Westbank und in Ost-Jerusalem und - wie es diese Episode zeigt –
sie wird auch im eigentlichen Israel Realität.
Die
Hysterie, die das Land nach dem „Besuch der Terroristen“-Familien heimgesucht
hat, hat auch die Labor-Partei und sogar Merez ergriffen.
Ich
setze „Terroristen“ in Anführungsstriche, weil sie nur für Juden Terroristen
sind. Für Araber sind sie Helden, Shahid. Muslime , die ihr Leben opfern, um die
Größe Allahs zu bezeugen.
Die
Frage ist natürlich, was ist die Aufgabe eines arabischen Knesset-Mitglieds? Die
Juden aufzuregen? Oder die Kluft zu schmälern und die Israelis zu überzeugen,
dass der israelisch-arabische Frieden möglich und erstrebenswert ist. Ich
fürchte, dass Soabis Lächeln nicht hilft, dieses Ziel zu erreichen.
FALLS IRGENDETWAS
so hat diese Affäre die Argumente für die „Zweistaaten-Lösung“ bestärkt. Lasst
jeden der beiden Staaten ein eigenes Parlament haben, in dem sie all die
Dummheiten begehen können, die sie wollen, und einen gemeinsamen
Koordinierungsrat, wo ernsthafte Entscheidungen getroffen werden können.
(Aus dem
Engl. Ellen Rohlfs; vom Verfasser autorisiert)