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Bananen – (Die israelische
Armee)
Uri Avnery, 4.7. 09
NICHT JEDEN Tag und nicht einmal alle zehn Jahre
tadelt der Oberste Gerichtshof den Militärgeneralanwalt. Das letzte Mal geschah
dies vor 20 Jahren, als der Generalanwalt sich weigerte, eine ordnungsgemäße
Anklage gegen einen Offizier auszusprechen, der seinen Männern befahl, einem
gefesselten Palästinenser Arme und Beine zu brechen. Der Offizier behauptete,
dies als seine Pflicht anzusehen, nachdem der Verteidigungsminister Yitzhak Rabin dazu aufgerufen hatte, „ ihnen die Knochen zu
brechen“.
Nun in dieser Woche geschah es wieder. Das Oberste
Gericht fällte eine Entscheidung, die soviel wie eine Ohrfeige ins Gesicht des
augenblicklichen Generalanwalts der Armee war, dem Brigadegeneral, Avichai Mendelblit.
Der betreffende Vorfall ereignete sich in Ni’alin, einem Dorf, dem ein großer Teil seines Landes
durch die Mauer geraubt worden war. Wie ihre Nachbarn in Bilin
demonstrieren die Einwohner gegen den Zaun. Gewöhnlich sind die Reaktionen der
Armee in Ni’alin sogar noch gewalttätiger als in Bilin Es wurden dort schon vier gewaltlose Demonstranten
getötet.
Bei diesem besonderen Vorfall nahm Oberstleutnant Omri Borberg sich einen
palästinensischen Demonstranten vor, der mit gefesselten Händen und verbundenen
Augen auf dem Boden saß, und sagte zu einem seiner Soldaten: „Lasst uns etwas
beiseite gehen und ihm einen Gummi geben!“. Er befahl dem Soldaten, aus
unmittelbarer Nähe mit einer Gummikugel auf ihn zu schießen.
Für diejenigen die es nicht wissen: „Gummikugeln“
sind mit dünnem Gummi ummantelte
Stahlkugeln. Aus größerer Entfernung verursachen sie schmerzhafte Verletzungen.
Aus der Nähe abgeschossen, können sie tödlich sein. Offiziell ist es Soldaten
erlaubt, sie höchstens bei einem Minimalabstand von 40 Metern anzuwenden.
Ohne zu zögern, schoss der Soldaten dem Gefangenen
in den Fuß, obwohl dies offenkundig ein illegaler Befehl war, dem ein Soldat
nach dem Armeegesetz nicht gehorchen darf. Nach der klassischen Definition des
Richters Binyamin Halevy - wie im Falle des Kafr Kassem-Massakers 1956
- schwebt über solchen Befehlen „die schwarze Fahne der Illegalität“. Der
Gefangene Ashraf Abu-Rakhma, wurde getroffen und fiel
zu Boden.
Die seit langer Zeit sich an Demonstrationen in Ni’alin und Bilin Beteiligten
wissen, dass solche und ähnliche Vorfälle immer wieder geschehen. Aber der Abu-Rakhma-Fall war aus einem Grund ein besonderer: er wurde von
einer jungen einheimischen Frau von einem Balkon in der Nähe des Verbrechens
mit einer der Kameras photographiert, die den Dorfbewohnern von B’tselem, einer israelischen Menschenrechtsorganisation,
für solche Fälle überlassen wurde.
So beging der Oberstleutnant eine nicht zu
vergebende Sünde: er wurde auf frischer Tat ertappt und dabei fotografiert.
Wenn allgemein Friedensaktivisten solche Untaten enthüllen, greift der
Armeesprecher in seinen Lügensack und kommt mit dem einem oder anderen
verlogenen Statement („er hat den
Soldaten angegriffen“, „er versuchte ihm die Waffe wegzunehmen“, „er
widersetzte sich der Verhaftung“) Aber selbst der beste Sprecher konnte nicht
leugnen, was klar auf dem Film gesehen wird.
Als der militärische Generalanwalt entschied, den
Offizier und den Soldaten wegen „unziemlichen Verhaltens“ strafrechtlich zu
verfolgen, riefen Abu-Rakhma und einige israelische
Menschenrechtsorganisationen den Obersten Gerichtshof an. Der Richter riet dem
Armeeanwalt, die Anklage zu verändern. Er weigerte sich, und so kam die Sache
noch einmal vor Gericht.
In einer Entscheidung, die für ihre scharfe
Ausdrucksweise ungewöhnlich war, fanden die drei Richter (einschließlich einer
Richterin und einem religiösen Richter) in dieser Woche, dass die Anklage
„unpassendes Verhalten“ selbst unpassend war. Sie ordneten für beide, den
Offizier und den Soldaten, eine weit strengere strafrechtliche Anklage an, um
allem militärischen Personal klar zu machen, die Misshandlung eines Gefangenen
„stehe nicht im Einklang mit dem Geist des Staates und der Armee “.
Nach solch einer Ohrfeige hätte sich eine
anständige Person verschämt zurückgezogen. Aber nicht Mendelblit.
Der bärtige und eine Kippa tragende Brigadegeneral
ist ein persönlicher Freund des Generalstabschefs Gaby Ashkenasi
und erwartet jeden Augenblick, zum Generalmajor befördert zu werden.
Vor kurzem weigerte sich der Generalanwalt, einen
ranghohen Offizier anzuklagen, der vor Gericht – zugunsten eines
Untergeordneten - behauptete, es sei rechtens, Palästinenser physisch zu
misshandeln.
Ashkenasi verdankt seinem Generalanwalt sehr viel – auch aus anderen Gründen. Mendelblit hatte sich sehr darum bemüht, die
Kriegsverbrechen, die während des letzten Gaza-Krieges begangen worden waren,
zu vertuschen: von Ashkenasis Kriegsplan bis zu den
Verbrechen der einzelnen Soldaten. Keiner wurde vor Gericht gestellt, keiner
wurde ernsthaft verhört.
AM TAG, an dem die Entscheidung des Obersten
Gerichtes, Mendelblit betreffend, veröffentlicht wurde,
machte ein anderer Brigadegeneral Schlagzeilen. Seltsam genug ist, dass auch er
den (nicht häufigen) Namen Avichai hat, einen Bart
und eine Kippa trägt.
In einer Rede vor religiösen Soldatinnen drückte
der Chefrabbiner der Armee, Brigadegeneral Avichai Rontzky seine Meinung aus, Armeedienst sei für Frauen nach
der jüdischen Religion verboten.
Da jede jüdische junge Frau in Israel gesetzlich
verpflichtet ist, zwei Jahre Armeedienst zu tun – und Frauen erfüllen viele
wichtige Aufgaben in der Armee – war dies ein aufrührerisches Statement. Aber
keiner war von diesem Rabbiner wirklich überrascht.
Rontzky wurde für diesen Posten vom früheren Generalstabschef Dan Halutz gewählt. Er wusste was er tat.
Der Rabbiner kommt nicht aus einer religiösen
Familie. Er war tatsächlich sogar ganz „säkular“, Mitglied einer Elite-Einheit,
als er erleuchtet und „wiedergeboren“ wurde. Wie viele dieser Art, machte er
nicht nur halbe Sache, sondern ging ins Extrem, wurde ein Siedler und eröffnete
eine Yeshiva (religiöses Seminar) in einer der
fanatischsten Siedlungen.
Rontzky entsprach dem Geist der Person, die ihn ernannt hatte. Man erinnere
sich nur an das, was der Luftwaffengeneral auf die Frage antwortete, was er
fühle, wenn er eine Eintonnenbombe auf einen
Wohnbezirk abwerfen würde. Er antwortete: „ein leichtes Zittern des Flügels“.
Bei einer Diskussion über die Frage, ob man am Schabbat
einen verletzten Palästinenser behandeln dürfe, schrieb Rontzky:
das Leben eines Nicht-Juden ist sicher wertvoll … aber der Schabbat
ist wichtiger.“ Das bedeutet, dass ein sterbender Goy am Schabbat
ärztlich nicht behandelt werden solle.. Und dieser
Terminus „Goy“ ist deutlich mit
abfälligen Assoziationen verbunden.
Die israelische Armee hat etwas, das
„Ethischer Kodex“ genannt wird. Der geistige Vater dieses Kodex, Professor Asa Kasher, rechtfertigte zwar die Brutalitäten der Operation
„Geschmolzenes Blei“; aber Rontzky ging noch viel
weiter: er sagte eindeutig, dass „wenn der Ethische Kodex nicht mit der Halacha (dem religiösen Gesetz) übereinstimmen würde, dann
muss man ganz bestimmt der Halalcha folgen.“
In einer von ihm verteilten
Veröffentlichung steht, es „ ist ein biblisches Verbot, selbst einen Millimeter
vom Land Israel wegzugeben“. Mit andern Worten behauptet der Chefrabbiner der
Armee, ein Brigadegeneral der IDF, dass die offizielle Politik der israelischen
Regierung eine Todsünde sei – angefangen von Ariel Sharons „Trennung“ bis zur
letzten Rede von Netanyahu über einen entmilitarisierten palästinensischen
Staat.
Der Höhepunkt aber wurde mit einer Broschüre
erreicht, die das Armee-Rabbinat während des Gazakrieges
an die Soldaten verteilte: „Gnade gegenüber einem grausamen Feind walten zu
lassen bedeutet gegenüber den unschuldigen und ehrenhaften Soldaten grausam zu
sein. Im Krieg wie im Krieg.“
Das war klare Aufhetzung zu Brutalität. Dies kann
als ein Aufruf zu Taten angesehen werden, die Kriegsverbrechen sind - es sind
dieselben Taten, für die sein Kollege, der militärische Generalanwalt, alles nur Mögliche getan hat, um sie zu
decken.
KEINER DER beiden bärtigen Brigadegeneräle würde
nur einen einzigen Tag im Amt bleiben, wenn sie nicht die volle Unterstützung
des Generalstabschefs hätten. Die Armee ist eine hierarchische Institution und
die volle Verantwortung für alles, was dort geschieht, fällt voll und ganz auf
den Chef zurück.
Gabi Ashkenasi gibt nicht
wie seine Vorgänger an und spricht nicht oft in der Öffentlichkeit. Falls er
politische Ambitionen haben sollte, dann verbirgt er sie gut. Aber während
seiner Amtszeit hat die Armee einen gewissen Charakter angenommen, der genau
von diesen beiden Offizieren vertreten wird.
Das fing natürlich nicht mit Ashkenasi
an. Er führte nur fort - und verstärkte
vielleicht - eine Tendenz, die schon
lange vorher angefangen hatte und die die israelische Armee nicht mehr
wiedererkennen lässt.
Der Gründer des Zionismus, Theodor Herzl, schrieb
bekanntermaßen in seinem Buch „Der Judenstaat“, das Gründungsdokument der
Bewegung: „Wir werden (unsere Geistlichen) in ihren Tempeln fest zu halten
wissen, wie wir unser Berufsheer in den Kasernen festhalten werden ….in den
Staat haben sie nichts dreinzureden.“
Nun geschieht genau das Gegenteil: die Rabbiner
haben in der Armee das Sagen, die Armeeoffiziere kommen aus den Synagogen.
Der harte Kern der fanatischen Siedler, der fast
vollkommen aus religiösen Leuten zusammengesetzt ist (viele von ihnen
„wiedergeborene Juden“), haben vor allem
entschieden, die Kontrolle über die Armee von innen her zu gewinnen. In
systematischer Kampagne, die in vollem Gange ist, dringen sie in das
Offizierskorps von unten, von den niederen Rängen bis zu den mittleren und von
dort in die oberen Ränge. Man kann in Statistiken ihren Erfolg von Jahr zu Jahr
verfolgen. Die Zahl der Kippa tragenden Offiziere
wird immer größer.
Als die israelische Armee gegründet wurde, bestand
das Offiziercorps hauptsächlich aus Kibbuzmitgliedern. Und sie wurden in der neuen hebräischen
Gesellschaft, die sich auf Werte der Moral und Kultur gründete, als die Elite
angesehen. Sie waren immer auch die ersten Freiwilligen für jede nationale
Aufgabe; aber es gab auch „technische“ Gründe dafür.
Der Kern der Armee kam aus der
vorstaatlichen Palmach. Die Palmach-Kompanien stellten eine voll mobilisierte reguläre
Armee dar, Teil der militärischen Untergrund-Organisation, der Hagana. Sie
konnten nur in den Kibbuzim bestehen und frei operieren, weil dort ihre
Identität getarnt werden konnte. Deshalb kamen alle herausragenden Kommandeure
im Krieg von 1948 aus der Palmach, waren Kibbuzmitglieder oder standen ihnen nahe.
Diese taten alles, um die neuen Verteidigungskräfte
mit dem Pioniergeist einer moralischen und humanistischen Bürgerarmee zu
durchdringen – das ganze Gegenteil einer Besatzungsarmee. Die Realität war zwar
immer noch etwas anders, aber das Ideal war wichtig als Ziel, das man anstreben
sollte. Wie ich in meinem Buch von 1950 „Die andere Seite der Medaille“
aufzeigte, war die „Reinheit unserer Waffen“ immer ein Mythos. Aber das Ziel,
eine Armee mit humanistischen Werten zu sein, war wichtig. Grausamkeiten wurden
zugedeckt oder geleugnet, weil sie als Schande und als unehrenhaft angesehen
wurden und das eigene Lager beschmutzten.
Nichts außer Phrasen sind davon geblieben. Seit Beginn
der Besatzung im Jahr 1967 hat sich der Charakter der Armee vollkommen
gewandelt. Die Armee, die gegründet worden war, um den Staat vor Gefahren von
außen zu schützen, ist zu einer Besatzungsarmee verkommen, deren Aufgabe es
ist, ein anderes Volk zu unterdrücken, seinen Widerstand zu brechen, Land zu
enteignen, Landräuber, sog. Siedler zu schützen, Straßensperren zu besetzen,
täglich dort Menschen zu demütigen. Natürlich war es nicht nur die Armee, die
sich veränderte, sondern auch der Staat, der der Armee die Befehle gab, sowie
die anhaltende Gehirnwäsche der Medien.
In solch einer Armee findet eine natürliche Auslese
statt. Menschen mit hohem moralischem Standard, die differenzieren können,
verabscheuen solche Aktionen. Sie gehen früher oder später. Ihren Platz nehmen
andere Typen ein, Leute mit anderen Werten oder gar keinen Werten,
„professionelle Soldaten“, die „nur Befehlen gehorchen“.
Natürlich sollte man sich vor Verallgemeinerungen
hüten. In der Armee von heute sind nicht wenige, die davon überzeugt sind, eine
Aufgabe zu erfüllen, für die der ethische Kodex mehr ist als nur eine Sammlung
von scheinheiligen Phrasen. Diese Leute sind empört über das, was sie sehen.
Von Zeit zu Zeit hören wir ihre Proteste und sehen ihre Enthüllungen. ( z.B. die Gruppe: ‚Das Schweigen brechen’) Doch sind nicht es,
die den Ton angeben, sondern Typen wie Rontzky und Mendelblit.
DAS SOLLTE uns sehr beunruhigen. Wir können die
Armee nicht so behandeln, als wäre sie von einem fernen Stern, die uns nichts
angeht. Wir können uns nicht einreden: „Wir wollen nichts mit der Armee eines
Moshe Ya’alon, Shaul Mofaz, Dan Haluz und eines Gabi Ashkeansi zu tun haben“. Wir können diesem Problem nicht
unsern Rücken zuwenden. Wir müssen uns mit ihm aus einander setzen, weil es unser
Problem ist.
Der Staat braucht eine Armee. Auch wenn wir den
Frieden erreicht haben, werden wir eine starke und effektive Armee benötigen,
um den Staat zu schützen, bis der Frieden so tiefe Wurzeln schlägt und wir in
unserer Region eine regionale Körperschaft aufrichten können - vielleicht so
etwas wie die Europäische Union.
Die Armee sind wir. Ihr Charakter hat Einfluss auf
unser Leben, auf das Leben des Staates selbst. Es ist schon gesagt worden:
„Israel ist keine Bananenrepublik. Es ist eine Republik, die auf Bananen ausrutscht.“ Und auf was für Bananen!
(Aus dem Englischen Ellen Rohlfs, vom Verfasser
autorisiert)