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„Wer bekennt und
lässt“
Uri Avnery,
10.6. 2017
IM TUMULT
der letzten paar Tage im Zusammenhang mit dem 50. Jahrestag der „Vereinigung“
Jerusalems, erklärte einer der Artikel,
dass „sogar der Friedensaktivist Uri Avnery“ in der Knesset für die
Vereinigung der Stadt gestimmt hat.
Das ist wahr.
Ich habe versucht, die Umstände in meiner Autobiographie „Optimistisch“
darzulegen. Aber nicht jeder hat das Buch gelesen und bis heute ist es nur auf
Hebräisch erschienen.
Deshalb soll
ich noch einmal versuchen, dieses seltsame Votum zu erklären-
zu erklären – nicht zu rechtfertigen.
AM DIENSTAG,
den 27.Juni 1967, zwei Wochen nach dem 6-Tage-Krieg ging es mir nicht gut. Ich
hatte eine Grippe und Rachel, meine Frau, gab mir eine Menge Medizin. Ganz
unerwartet rief man mich von der Knesset an und sagte mir, dass die Knesset
gerade eine Debatte angefangen hat, in der es um die Vereinigung von Jerusalem
geht, die aber nicht auf der Agenda erschien.
Ich sprang aus
dem Bett und fuhr wie ein Verrückter von Tel Aviv nach Jerusalem, etwa 65 km.
Bei der Ankunft wurde mir erzählt, dass die Liste der Redner schon geschlossen
worden sei. Aber der Vorsitzende Kadish Luz, berühmt wegen seiner Fairness,
setzte meinen Namen noch auf die Liste.
Ich hatte nur
ein paar Minuten zum Nachdenken. Mein parlamentarischer Assistent, Amnon
Zichroni riet mir dagegen zu stimmen oder wenigstens mich der Stimme zu
enthalten. Es war keine Zeit mehr, die führenden
Mitglieder meiner Partei „ die Haolam Hazeh – neue Kraft“ , zu
konsultieren. Ich entschied mich auf der Stelle und die Entscheidung war, dafür
zu stimmen.
Das war
hauptsächlich eine instinktivmäßige Reaktion. Sie kam zutiefst aus meiner Seele.
Aber der erstaunliche Triumpf, sah nach drei Wochen voller Sorgen und Ängsten,
in nur sechs Tagen sah wie ein Wunder aus.
Die ganze jüdische Bevölkerung befand sich in Ekstase. Diese Stimmung
ging über alle teilenden Grenzen hinweg.
Ost-Jerusalem
war das Zentrum der Massen-Ekstase. Es war wie ein Tsunami. Massen strömten zur
Klagemauer, die seit 19 Jahren
unerreichbar war. Beide, die Gläubigen wie auch die Ungläubigen wurden
angesteckt.
Ich empfand,
dass eine politische Bewegung, die beabsichtigt, die Massen
für eine neue Perspektive zu gewinnen,
nicht außerhalb des Volkes stehen
kann. Mit solch einem Sturm
konfrontiert, kann sie nicht
abseits stehen.
Ich selbst
war von dem emotionalen
Sturm nicht unberührt. Ich liebte
Jerusalem. Vor der Teilung des Landes während des 1948er-Krieges, in dem
Jerusalem geteilt wurde, war ich oft durch
die Gassen der arabischen Stadt-Teile
gewandert. Nach diesem Krieg sehnte ich mich nach der Altstadt in einer
fast physischen Weise. Als die Knesset Sitzung hatte, pflegte ich oft
im King-David-Hotel zu wohnen,
das die Altstadt überblickte, und ich erinnere mich an viele Nächte, als ich am
Fenster stand und dem Bellen weit entfernter Hunde lauschte, das die
Stille jenseits der
Mauer durchbrach - und ich
sehnte mich .
Aber außer den
Emotionen, gab es auch eine
logische Überlegung.
Schon 1949
sofortnach dem Krieg – in dem Israel gegründet wurde -
begann ich, mich für die
„zwei-Staaten-Lösung“ einzusetzen. - das
Aufbauen eines unabhängigen
Staates Palästina ,Seite an Seite mit dem Staat Israel
als zwei gleiche Staaten im
Rahmen einer Föderation.
1957, nach dem
Sinai-Krieg veröffentlichte ich zusammen mit Natan Yellin-Mor, dem früheren
Führer der Lehi-Untergrund (d.h. die Stern-Gruppe), dem Schriftsteller
Boaz Evron und anderen ein Dokument mit Namen „Das hebräische Manifest“ über das
ich noch heute stolz bin. In jener Zeit waren
Ost-Jerusalem und die Westbank
Teil des
jordanischen Königreichs. U.a.
sagte das Dokument:
„21. Das ganze
Erez Israel (Palästina) ist die Heimat von zwei Nationen – die hebräische, die
ihre Unabhängigkeit im Rahmen des Staates Israel
erhalten hat und die arabisch-palästinensische, die noch nicht
die Unabhängigkeit erreicht hat.
Der Staat Israel wird politische und
materielle Hilfe der Befreiungsbewegung der palästinensischen Nation
… anbieten, die sich darum
bemüht, einen freien Palästinensischen zu errichten, der ein Partner
für den Staat Israel sein wird. …
…..„22. Es
wird eine Föderation von den Teilen von Erez-Israel (Palästina) gegründet, die
die Unabhängigkeit all der Staaten, die Teile davon sind absichert“
Nach diesem
Plan sollte Jerusalem eine vereinigte Stadt geworden sein, die Hauptstadt
Israels, die Hauptstadt Palästinas und die Hauptstadt der Föderation.
In jener Zeit
sah dies wie eine ferne Vision aus. Aber nach dem 1967-Krieg war die Vision
plötzlich real geworden. Das jordanische Regime war
besiegt. Keiner glaubte
ernst, dass die Welt Israel
erlauben würde, die Gebiete, die es erobert hatte, zu behalten. Es schien mir
klar, dass wir gezwungen werden würden, sie zurückzugeben, wie wir dies nach dem
vorigen Krieg - im
Sinai-Krieg von 1956 taten.
Ich war davon
überzeugt, dass diese Situation uns die historische Gelegenheit geben würde,
unsere Vision zu realisieren. Damit
dies geschieht, mussten wir zuerst
die Rückkehr der Gebiete an
Jordanien verhindern. Die Vereinigung
der beiden Teile Jerusalems sah für mich wie der logische erste Schritt aus.
Umso mehr als in dem vorgeschlagenen Gesetz die Wörter „Annexion“ und
„Vereinigung“ nicht erschienen. Es
sagte nur, dass die israelischen Gesetze dort angewendet würden.
All dies ging
während dieser paar Minuten, die ich hatte, durch meinen Kopf. Ich näherte mich
dem Rednerpult und sagte: „Es ist kein Geheimnis, dass ich und meine Kollegen
für die Vereinigung des Landes in einer Föderation des Staates Israel und eines
zukünftigen palästinensischen Staates, der in der Westbank und im Gazastreifen
entstehen muss, sind eine Föderation,
deren Hauptstadt das vereinigte Jerusalem als Teil des Staates Israel sein
wird“.
Die letzten
Worte waren natürlich ein Fehler. Ich hätte sagen sollen: „als ein Teil des
Staates Israel und des Staates Palästina“:
DIE GRÜNDE
für diese Abstimmung waren logisch, wenigsten zum Teil, aber die ganze
Abstimmung sah mir im Rückblick wie ein schwerer Fehler aus. Nach einer kurzen
Zeit entschuldigte ich mich öffentlich. Ich habe diese Entschuldigung viele Male
wiederholt.
Innerhalb
einer kurzen Zeit wurde es ganz klar, dass der Staat Israel nicht davon träumte,
den Palästinensern zu erlauben, einen
eigenen Staat zu errichten, und noch weniger, die Herrschaft über Jerusalem zu
teilen. Heute ist es klar, dass vom ersten Tag an–
noch unter der Regierung der Labor-Partei, die von Eshkol geführt wurde – es
Absicht war, diese Gebiete für immer oder so lang wie möglich zu behalten.
11 Jahre
früher – nach dem Sinai-Krieg – ergab sich
David-Ben-Gurion den parallelen Ultimaten von Dwight Eisenhower und
Nikolai Bulganin , den Staatschefs der USA und der Sowjet Union. 105 Stunden
nach der Erklärung des „Dritten israelischen Königreichs“ verkündete Ben-Gurion
mit gebrochener Stimme im Radio, er wolle all die eroberten Gebiete
zurückgeben.
Es war
unglaublich, dass der schwache Eshkol siegen würde, wo der große Ben-Gurion
versagt hatte und an den eroberten Gebieten festhielt.
Aber im Gegensatz zu allen Erwartungen, gab es überhaupt keinen
Druck, etwas zurück zu geben. Die Besatzung dauert bis zum heutigen Tag.
Deshalb wurde
die Frage nie erhoben, ob die Gebiete dem Königreich von Jordanien zurück
gegeben werden oder in den Staat Palästina verwandelt werden sollte.
Übrigens als
in jenen Tagen der Ruhm unserer Generäle bis an den Himmel reichte, gab es
einige unter ihnen, die offen oder im Geheimen die Idee der Errichtung eines
palästinensischen Staates Seite an Seite mit Israel unterstützten. Der
freimütigste war General Israel Tal, der berühmte Panzer-Kommandeur. Ich
versuchte sehr dringend, ihn zu überzeugen, die Führung des Friedenslagers zu
übernehmen, aber er zog es vor, seine Bemühungen dem Bau des Merkava-Panzer zu
widmen.
Jahre später
versuchte ich es bei General Eser Weizman, den früheren Luftwaffen-Kommandeur
und den wirklichen Sieger des
1967er-Krieges. Seine nationalistischen Überzeugungen veränderten sich und
näherten sich denen unsrer Gruppe. Aber er zog es vor, Präsident von Israel zu
werden.
Sogar Ariel
Sharon spielte einige Jahre mit diesen Ideen. Er zog einen palästinensischen
Staat der Rückgabe an Jordanien vor. Er sagte mir, dass er in den 50erJahren,
als er noch in der Armee diente, dem Generalsstab vorschlug, die Palästinenser
gegen das jordanische Regime zu unterstützen. Er schlug das im Geheimen vor,
während ich dies öffentlich verlangte.
Aber all
diesem Theoretisieren konnte man nicht der Realität widerstehen: die Besatzung
vertiefte sich von Tag zu Tag. Die Bereitschaft, alle besetzten Gebiete
aufzugeben - sogar unter idealen Umständen - schwanden immer mehr dahin.
Was war auf
der andern Seite?
Ich hatte
viele Gespräche mit den (auch von mir) bewunderten Führern der arabischen
Bevölkerung Ost-Jerusalems, Faissal
al-Husseini. Die Idee eines vereinigten Jerusalems, der Hauptstadt von
zwei Staaten, zog auch ihn an. Wir entwarfen zusammen einen Aufruf in
diesem Geist. Wir redeten darüber natürlich auch mit Yasser Arafat und er war
damit vollkommen einverstanden, aber er war nicht bereit, dies in der
Öffentlichkeit zu bestätigen.
ZWEI WOCHEN
nach der Knesset-Abstimmung veröffentlichte ich in meinem wöchentliches
Magazin Haolam Hazeh einen neuen Plan und zwar unter der Schlagzeile „
Eine grundlegende, faire und praktische Lösung“. Im ersten Paragraphen stand:
„Es wird eine Föderation von Erez Israel (Palästina) geschaffen, die
den Staat Israel, den Gazastreifen und die Westbank einschließen wird,
die Hauptstadt davon wird
Groß-Jerusalem sein.“
Dieser Plan
wurde von erstaunlich 64 wohlbekannten israelischen Persönlichkeiten
unterschrieben, einschließlich dem Schriftsteller Dan Ben-Amotz, dem Humoristen
Uri Zohar, dem Friedenspiloten Abie Nathan, dem Verleger Amikan Gurevitch, dem
Bildhauer Yigal Tomarkin, dem Maler Dani Karavan,
Nathan Yellin-Mor, Kapitän Nimrod Eshel, Filmmacher
Alex Massis, Schriftsteller Boaz Evron, Journalistin Heda Boshes,
Kunstwart Yona Fischer und der berühmte
Pädagoge Ernst Simon, der nahe Freund vom schon verstorbenen
Martin Buber.
Dieses
Dokument – wie alle früheren Pläne, schlossen das Ziel mit ein, einen
regionalen Rahmen wie die europäische Union – die damals im Entstehen war -
zu schaffen.
(Übrigens,
seit kurzem hat sich in verschiedenen Zirkeln: eine neue ideale Lösung für den
Konflikt ausgebreitet: die Errichtung einer israelisch-palästinensischen
Föderation und eine „regionale
Lösung“. Ich nehme an, dass viele der neuen Fürsprecher dieser Lösung noch nicht
geboren wurden, als diese Dokumente veröffentlicht wurden. Wenn es so ist, muss
ich sie alle enttäuschen: all diese Ideen wurden schon vor langer Zeit
ausgesprochen. Dies sollte sie nicht entmutigen. Mögen sie gesegnet sein!)
IN DEN
kürzlichen Veröffentlichungen wurde auch erwähnt, dass ich vorschlug, das Lied
„Jerusalem von Gold“ als
Nationalhymne zu übernehmen.
Naomi Shemer
schrieb dieses wundervolle Lied für ein Jerusalem-Wettbewerb, als noch keiner
vom 1967er-Krieg bzw. von seinem Sieg träumte.
Ich liebe die
gegenwärtige Nationalhymne überhaupt nicht „Hatikvah“ („Die
Hoffnung“). Der Text ist über das Leben der Juden in der Diaspora, und
die Melodie scheint von einem rumänischen Volkslied zu stammen. Nicht zu
erwähnen ist die Tatsache, dass
mehr als 20% der israelischen Bürger Araber sind.(Vielleicht sollten wir von
Kanada lernen, die vor langem die britische Nationalhymne und Flagge aus
Rücksicht auf seine 20% französisch sprechenden Bürger änderten)
Ich entschied,
der Knesset Shemers Lied als
Nationalhymne vorzuschlagen. Nach dem
1967er Krieg war sie schon
zum Schlager der Massen geworden. Ich beantragte einen entsprechenden
Gesetzentwurf.
Das war
natürlich ein fragwürdiger Vorschlag. Shemer
erwähnte in ihrem Lied nicht, dass es in Jerusalem Araber gibt. Die Worte
haben einen starken nationalistischen Geschmack. Aber ich dachte, dass nachdem
die Idee einer neuen Nationalhymne akzeptiert wurde, wir den Text rechtfertigen
könnten.
Der
Knesset-Vorsitzende Luz war bereit den Gesetzentwurf anzunehmen und ihn auf die
Agenda zu setzen, doch nur Naomi
Shenter war damit einverstanden. Ich verabredete mich mit ihr und ich hatte mit
ihr in einem Cafe ein freundliches Gespräch mit ihr. Sie war nicht direkt
einverstanden, aber erlaubte mir zu erklären, dass sie nicht dagegen ist.
Während des
Gesprächs hatte ich das Gefühl, dass es eine unerklärte Zurückhaltung auf ihrer
Seite gab. Ich erinnerte mich Jahre später daran, als es herauskam, dass
berauschende Melodie nicht wirklich von ihr komponiert, sondern ein baskisches
Volkslied war. Sie tat mir leid.
UM DIE
Abstimmung des „Friedensaktivisten Uri Avnery“ für die „Vereinigung“ von
Jerusalem zusammen zu fassen, so war es ein großer Fehler. Ich möchte diese
Gelegenheit nützen, um mich noch einmal zu entschuldigen.
Ich bitte um
die Anwendung des biblischen Verses (Sprüche 28,13) „Wer seine Sünde bekennt und
lässt, der wird Barmherzigkeit erlangen.“
(dt. Ellen
Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)