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Der Bestechungsfall

 

Uri Avnery, 2.1.16

ALS DER  Staat Israel gegründet wurde, tat der neue Außenminister Mosche Sharett etwas, das für völlig normal gehalten wurde. Er verkaufte seine Privatwohnung.

In seiner  neuen Funktion wurde ihm eine offizielle Wohnung zugestanden. Eine bescheidene, unnötig zu sagen.

Sharett dachte, es gehöre sich für einen öffentlichen Beamten nicht, eine private Wohnung zu halten, wenn man auf öffentliche Kosten lebt.

Er behielt das Geld, das er für seine private Wohnung erhielt nicht für sich. Stattdessen gab er es mehreren Menschenrechts-Organisationen – genau denen, die jetzt unter heftigen Regierungs-Angriffen leiden und  als „Linke“ bezeichnet werden, ein Etikett kaum weniger negativ als  „verräterisch“.

Heute würde solch ein Akt als verrückt angesehen werden. Warum? Der gegenwärtige Ministerpräsident lebt in einer offiziellen Residenz und hält noch zwei weitere Häuser: das eine ist eine Luxusvilla in einer  Kolonie von Reichen-

In vieler Hinsicht war Sharett eine Ausnahme. Er wurde in der Ukraine  als Mosche Shertok geboren , kam mit 10 Jahren nach Palästina, lebte einige Jahre in einem arabischen Stadtteil, wo er arabisch lernte; diente während des 1. Weltkrieges in der ottomanischen Armee und  wurde der zionistische Experte für ausländische Beziehungen. All dies war ganz ungewöhnlich: fast kein zionistischen Führer kannte Araber noch liebte sie; sie verstanden kein Arabisch und sahen die Araber  von Anfang an als Feinde an.

Damit dies nicht als Schmeichelei eines Bewunderers verstanden wird, muss ich hinzufügen, dass Sharett mich überhaupt nicht liebte und dass er einige sehr unfreundliche Dinge über mich sagte, die ich  mit einigen  unfreundlichen  Bemerkungen meinerseits erwiderte.

Doch konnte ich  es nicht unterlassen, mich in dieser Woche an seine Ehrsamkeit zu erinnern. Und zwar an dem Tag, an dem das Oberste Gericht in Israel einen früheren Ministerpräsidenten  wegen Bestechung ins Gefängnis  steckte.

ALS DIES  geschah, freute sich der Angeklagte Ehud Olmert  fast.

Ein niederes (untergeordnetes) Gericht hat ihn wegen einer viel größeren Bestechung  für schuldig befunden und verurteilte ihn  zu einer längeren Gefängnisstrafe. Das Oberste Gericht hat, nachdem es den Fall so lang wie möglich hinaus geschoben hatte, die Straftat reduziert und die Gefängnisstrafe von 6 Jahren auf bloße 1,5 Jahre reduziert. Wie in Israel üblich, wird ein Drittel  der Strafe wegen guten Betragens im Gefängnis erlassen. So wird er wahrscheinlich nur ein Jahr sitzen.

Halleluja.  Der frühere Ministerpräsident wird nur ein Jahr im Gefängnis verbringen, wo er einen früheren Staatspräsidenten von Israel treffen wird, der wegen Vergewaltigung  dorthin geschickt worden ist.

Der gegenwärtige Ministerpräsident und seine Frau stehen unter gerichtlicher Untersuchung, weil sie Regierungsgelder zum Bezahlen  für die Kosten seiner beiden privaten Häuser benützt hatten. Der gegenwärtige Anwalt der Netanjahus hat den Staatsanwalt um ein privates Gespräch gebeten, in dem er ihn bat (nach einer geschriebenen Bemerkung) die Untersuchung zu unterlassen, weil seine Frau Sarah  psychische  Probleme  habe. Der Staatsanwalt  weigerte sich, ihn zu sehen, aber die Sache zieht sich noch hin.

Übrigens: der allmächtige  Staatsanwalt (in Israel der „Rechtliche Berater der Regierung“ genannt), war vor seiner Ernennung, der  private Anwalt der Netanjahu-Familie. Er wird seine Amtszeit in einem Monat beenden, wenn er von dem  jetzigen Kabinett-Sekretär ersetzt werden wird, einer Person, die den Netanjahu noch näher steht.

Mehrere andere führende politische Koryphäen stehen wegen diesem und jenem auch unter  juristischer Untersuchung.  Einer von ihnen ist Sylvan Shalom, der Innenminister und stellvertretende Ministerpräsident, der letzte Woche zurücktreten musste, weil er unter dem Verdacht steht, sechs Frauen, die unter ihm gearbeitet haben, vergewaltigt oder belästigt zu haben.

Der für die Abteilung und all diese  Untersuchungen verantwortliche Polizeioffizier ist gerade wieder eingesetzt worden, nachdem er auch  wegen  sexueller Belästigung von weiblichen Offizieren  suspendiert worden war.

Das erinnert mich an eine Anekdote, die ich vor vielen Jahrzehnten gehört habe: Ein Politiker näherte sich dem Bildungsminister, einem Mitglied der Labor-Partei: „Gratulieren Sie mir! Ich bin gerade frei gesprochen worden!“ worauf der Minister trocken antwortete: „Seltsam. Ich bin nie freigesprochen worden!“

SEIT DAMALS hat sich Israels öffentliche Moral radikal verändert. Ehud Olmert ist vielleicht  der  typischste Vertreter.

Sein Vater war ein Untergrundkämpfer des Irgun und als Menachem Begin seine politische Partei Herut (Freiheit) im neuen Staat  gründete, wurde der Vater in die Knesset gewählt.

Ehud wurde ein paar Tage nach dem Ende des 2. Weltkrieges geboren  und wuchs  im Stadtteil auf, der von Ex-Irgun-Mitgliedern in der Nähe von Haifa aufgebaut wurde. All diese Stadtteile waren sehr arm, was vielleicht  Ehuds lebenslanges Verlangen nach Geld und kostbaren Dingen erklärt. Die Tatsache, dass er nie in einem Krieg diente, erklärt den leichten Finger  auf dem Abzug.

Er schloss sich natürlich Begins Partei an, aber als ein neuer Stern erschien, sah er  für ein schnelleres Vorankommen eine Chance. Der Stern war Shmuel Tamir, auch ein früheres Irgun-Mitglied, der Jura studierte, als er von den Briten nach Afrika exiliert wurde. Tamir war  äußerst strebsam und als er dachte, er sähe eine Chance, Begin  zu stürzen und als Parteiführer zu ersetzen, machte er bei der Parteikonferenz einen Putsch. Der viel jüngere Olmert folgte ihm umgehend.

Beide haben falsch geurteilt. Der gütig aussehende Begin fletschte seine Zähne. Der Putsch  kollabierte. Tamir und seine Anhänger wurden hinausgeworfen. Sie gründeten eine kleine neue Partei, „freies Zentrum“ genannt. „Zentrum“ , weil sie die nationalistische  Ideologie des rechten Flügels von Begin angriffen und  sich selbst ins moderate Zentrum setzten.

Bald danach brach der Sechs-Tage-Krieg aus  und Israel  wurde ein Empire mit  sehr großen besetzten Gebieten und siehe da  - buchstäblich über Nacht wurde das  „freie Zentrum“ die extremste Partei des rechten Flügels, die Annexion predigte und Begin der Sanftheit und Mäßigung  anklagte.

 

ICH WAR zu dieser Zeit ein Mitglied der Knesset und sah Olmert  zum ersten Mal, als er ein Junior-Assistent von Tamir war. Er ging immer hinter ihm her und trug seine Akten und Bücher.

Aber Tamir unterschätzte diesen eifrigen jungen Mann. Als er einen anderen  jungen Assistenten bevorzugte, spaltete Olmert die kleine Partei in zwei noch kleinere, unter einem anderen älteren Führer. Dann spaltete er diese Partei auch, warf ihren Führer hinaus und nahm sie selbst. Als ihm klar wurde, dass dies zu nichts führen würde, schloss er sich wieder Begin an und wurde auf die Kandidatenliste gesetzt.

Er hätte langsam in den Rängen vorwärts kommen können, aber er war ungeduldig. So sprang er von der Knesset ins Jerusalemer Gemeindebüro und griff den   legendären, aber gealterten Teddy Kollek an. Er wurde zum Bürgermeister von Jerusalem gewählt, eine prominente und unübersehbare Position.

Kollek, ein Labormann war ein aggressiver Nationalist. Unmittelbar nach dem Sechs-Tage-Krieg zerstörte er  die arabische Nachbarschaft nahe der Westmauer, um den großen Platz zu schaffen. Er baute den jüdischen Stadtteil im neu annektierten Ost-Jerusalem. Zum Glück erfüllte er nicht die Idee seines alten Mentors, David Ben Gurion: die alten ottomanischen Mauern Jerusalems, ein Symbol der Stadt zu zerstören. Ben Gurion, schon etwas senil, bestand darauf, dass diese nicht jüdisch genug wäre.

Olmert, der  ehemalige Zentrist, der dann wieder radikaler Zentrist wurde, wurde wieder radikal. Er gründete mehr jüdische Stadtteile in Ost-Jerusalem einschließlich der äußerst kontroversen Har Homa-Siedlung. Meine Freunde und ich  organisierten einen langen, aber am Ende erfolglosen Kampf gegen sie. Jetzt überblickt diese  scheußliche  Siedlung Bethlehem.   

Es war nicht die einzige architektonische Scheußlichkeit während Olmerts Regierungszeit in Jerusalem. Ein anderer, noch schlechterer, hat geholfen, ihn in dieser Woche zu stürzen.

 

IM ZENTRUM von West-Jerusalem war ein hügeliger Hang, der von Bauunternehmern  begehrt wurde. Eine Gruppe  dieser Leute verbreiteten rechts und links Schmiergelder, um die Lizenz zum Bauen eines riesigen Hausprojektes, das sich„Holyland“ nannte zu bekommen

Diese Scheußlichkeit wurde tatsächlich gebaut. Es besteht aus einer Gruppe von Hochhäusern und einem sogar  noch hässlicheren  Turm mit vielen Stockwerken, von dem man ganz Jerusalem überblicken konnte, einschließlich der heiligen Stätten. Der Bürgermeister war u.a, angeklagt worden, eine große Bestechung empfangen zu haben. Doch zu dieser Zeit war Olmert  schon weit vorangekommen. Er verließ den Gemeinderat und kehrte in Begins Partei zurück und wurde wieder Knesset-Abgeordneter, half  Ariel Sharon, die Partei zu teilen (nun Likud genannt) und schuf eine neue Partei („Kadima“, Vorwärts) 

Als Sharon an die Macht kam, erwartete Olmert, dass er das bedeutsame Finanz-Ministerium  erhält; aber Sharon war  gezwungen, dieses an Benjamin Netanjahu zu übergeben. Olmert musste sich mit dem weniger bedeutenden Handelsministerium zufrieden geben. Als Trostpreis   übertrug Sharon Olmert den Titel eines  Stellvertreters des Ministerpräsidenten.

Das war ein leerer Titel, und Olmerts Kollegen lachten hinter seinem Rücken. Doch nicht lange. Sharon fiel plötzlich in ein dauerndes Koma und bevor  sich  jemand rühren konnte, übernahm Olmert als Vertreter die Macht und dann als nächster das Amt des Ministerpräsidenten. Er war an seinem Ziel angekommen.

Aber seine Missetaten holten ihn ein. Ein Haufen von Korruptions-Skandalen  zwang ihn, am Ende abzudanken. Im letzten Augenblick bot er der palästinensischen Führung  verführerische Konzessionen – doch nun war es zu spät. Die Palästinenser entschieden, dass sein politisches Ende nahe war und warteten darauf, mit seinem Nachfolger zu verhandeln.

In jener Zeit verteidigte sich ein Dutzend Korruptions-Anschuldigungen in der Luft. Er verteidigte sich selbst, indem er in jedem Falle anklagte, indem er immer behauptete, dass er nichts darüber wisse, dass alles hinter seinem Rücken geschehen war.

Aber am Ende holten ihn seine Taten ein. Als seine loyale  Sekretärin ihn verlassen hatte, um sich selbst zu retten, öffnete sie ihren Mund und sagte aus. Das war zu viel.

Nach einer sehr langen juristischen Schlacht wurde die letzte Entscheidung in der letzten Woche vom Obersten Gericht  getroffen. Olmert wurde für eine der vielen Bestechungsfälle für schuldig  befunden, deren er verdächtigt wurde und ins Gefängnis geschickt.

Ich liebte diesen Mann nie sehr, weder politisch noch persönlich. Doch muss ich gestehen, dass  ich in diesem Augenblick weder Freude noch Befriedigung empfinde.

Er tut mir leid.

( dt. Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)