Israel Palästina Nahost Konflikt Infos
Die wirkliche Bombe
Uri Avnery
28.September 2013
VOR
JAHREN verriet ich eines der größten Geheimnisse des Iran. Mahmoud Ahmadinejad
war ein Agent des Mossad.
Plötzlich hatten alle seltsamen Details seines Verhaltens einen Sinn. Seine
öffentlichen Phantasien über das Verschwinden Israels. Seine Leugnung des
Holocaust, was bis dahin nur typisch für einen Verrückten war. Sein
Sich-Rühmen von Irans nuklearen Fähigkeiten.
Cui
bono? Wem nützt es? Wer hatte Interesse an all dem Unsinn?
Da gibt
es nur eine vernünftige Antwort: Israel.
Sein
Sich-in-Pose-werfen stellte den Iran als einen Staat dar, der beides war,
lächerlich und unheimlich. Es rechtfertigte Israels Weigerung, den
nuklearen Nichtverbreitungsvertrag zu unterzeichnen oder
die Chemiewaffen-Konvention zu ratifizieren. Es lenkte die Aufmerksamkeit
von Israels Weigerung ab, über die Besatzung der palästinensischen Gebiete zu
diskutieren und sinnvoll Friedens-verhandlungen durchzuführen.
FALLS
ICH Zweifel an diesem internationalen Knüller gehegt hätte, hat sich dieser
jetzt aufgelöst.
Unsere
politischen und militärischen Führer beklagen fast offen das Ende von
Ahmadinejad.
Offensichtlich entschied der Oberste
Führer Ali Khamenei, dass ich Recht hatte, und
hat diesen Clown
beseitigt.
Es ist
noch schlimmer: er hat seine tödliche Feindschaft mit der zionistischen Entität
bestätigt, indem er eine Person wie Hassan Rohani in den Vordergrund
schob.
Rohani
ist das genaue Gegenteil seines Vorgängers. Wenn der Mossad gefragt worden wäre,
den schlimmsten iranischen Führer, den
sich Israel vorstellen könne, zu skizzieren, dann hätte er jemand wie ihn
vorgeschlagen .
Ein
Iraner, der den Holocaust anerkennt und
verurteilt! Ein Iraner, der eitel Freude und Sonnenschein anbietet! Ein Iraner,
der allen Nationen Frieden und Freundschaft anbietet – und sogar andeutet, dass
Israel mit eingeschlossen ist, wenn es nur die besetzten Gebiete aufgebe!
Könnte
man sich irgendetwas Schlimmeres vorstellen?
ICH
MACHE keinen Witz. Ich meine es todernst!
Ja, noch
bevor Rohani nach seiner Wahl seinen Mund öffnen konnte, wurde er rundweg von
Benjamin Netanyahu verurteilt.
Ein Wolf
im Schafspelz! Ein wirklicher Anti-Semit. Ein Betrüger, der die ganze Welt
täuscht! Ein hinterhältiger Politiker,
dessen teuflisches Ziel es ist, einen
Keil zwischen Israel und die naiven Amerikaner zu treiben!
Dies ist
die wirkliche iranische Bombe, bei weitem bedrohlicher als die Atombombe, die
hinter einer Nebelwand von Rohanis
freundlicher Rede gebaut wird.
Eine
Atombombe kann eine andere Atombombe abschrecken. Aber wie kann man einen Rohani
abschrecken?
Yuval
Steinitz, unser gescheiterter früherer Finanzminister und der gegenwärtig
für unsere „strategische
Angelegenheiten“ verantwortlich ist (Ja, wirklich!),
rief in Verzweiflung aus, dass die Welt vom Iran getäuscht werden wolle.
Benjamin Netanyahu nannte es eine „Honigfalle“.
Kommentatoren, die
„offiziellen Kreisen“ aus der Hand fressen (d.h. dem Büro des
Ministerpräsidenten) behaupten,
dass er eine existentielle Bedrohung darstelle.
All
dies, bevor er ein Wort geäußert hatte.
ALS
ROHANI schließlich seine große Rede bei der UN-Vollversammlung hielt, haben sich
alle verheerenden Vorahnungen als richtig erwiesen.
Während
Ahmedinejad eine Massenflucht der Delegierten aus der Halle verursachte, füllte
Rohani sie. Diplomaten aus aller Welt
waren neugierig auf den Mann. Sie hätten die Rede ein paar Minuten später lesen
können, aber sie wollten ihn selbst sehen und hören. Sogar die US sandte
Abgeordnete, um anwesend zu sein. Keiner ging hinaus.
Keiner
d.h. außer den Israelis.
Den
israelischen Diplomaten wurde von Netanyahu befohlen, die Halle demonstrativ zu
verlassen, wenn der Iraner zu sprechen anfange.
Das war
eine dumme Geste. So vernünftig und effektiv wie der Wutanfall
eines kleinen Jungen, wenn ihm das Lieblingsspielzeug weggenommen wird.
Dumm,
weil dies Israel als Spielverderber
darstellte, und zwar zu einer Zeit, als die ganze Welt nach den kürzlichen
Ereignissen in Damaskus und Teheran von Optimismus ergriffen ist.
Dumm
auch, weil es die Tatsache erklärt, dass Israel zur Zeit total isoliert ist.
Übrigens, hat jemand bemerkt, dass Rohani während seiner halbstündigen Rede
ständig seine Stirne abgewischt hat? Der Mann hat offensichtlich gelitten. Ist
ein anderer Mossad-Agent in den Wartungsraum der UN geschlichen, um die
Klimaanlage abzuschalten? Oder war es nur die schwere Garderobe?
Ich
wurde niemals Priester, nicht nur,
weil ich ein Atheist bin (gemeinsam mit vielen Priestern, vermute ich), sondern
auch wegen der Verpflichtung, die entsprechenden schweren, geistlichen Gewänder
zu tragen, wie es in allen Religionen gefordert wird. Dasselbe gilt auch für
Diplomaten.
Schließlich sind alle Priester und Diplomaten auch Menschen (Wenigstens viele
von ihnen).
Nur ein
israelisches Kabinettmitglied wagte offen das Verhalten der israelischen
Delegation zu kritisieren: Yair Lapid. Was ist in ihn gefahren? Nun, Umfragen
zeigen, dass der aufgehende Stern nicht weiter aufsteigt. Als Finanzminister war
er gezwungen worden, sehr unpopuläre Schritte zu tun. Da er nicht über Dinge wie
die Besatzung und Frieden spricht, wird er als oberflächlich angesehen. Er ist
fast zur Seite geschoben worden. Seine unverblümte Kritik an Netanyahu könnte
ihn zurück ins Zentrum bringen.
Doch hat
er seinen Finger auf eine zentrale Tatsache
gelegt, dass Netanyahu und seine Mannschaft sich genau wie früher die
arabischen Diplomaten benehmen. Sie tun so, als lebten sie vor einer Generation.
Das bedeutet, dass sie in der Vergangenheit stecken geblieben sind. Sie leben
nicht in der Gegenwart.
In der
Gegenwart zu leben, heißt, dass Politiker etwas tun
müssen, was sie nicht gern tun: wieder nachdenken.
Die
Dinge ändern sich, langsam, sehr langsam, aber spürbar.
Es ist
viel zu früh, über die abnehmende Bedeutung des amerikanischen Empire viel zu
sagen, aber man braucht keinen Seismographen, um einige Bewegung in dieser
Richtung zu bemerken.
Die
syrische Affäre war ein gutes Beispiel. Vladimir Putin mag gern in Judo-Haltung
fotografiert werden. Beim Judo nützt man
den Schwung des Gegners, um ihn zu
Fall zu bringen. Das ist genau das,
was Putin tat. Präsident Obama hat sich selbst in die Ecke getrieben. Er hat
deutlich kampflustige Drohungen artikuliert und konnte nicht zurück. Aber die
US-Öffentlichkeit ist in keiner kriegerischen Stimmung. Putin befreite ihn aus
diesem Dilemma. Es hatte aber seinen Preis.
Ich weiß
nicht, ob Putin solch ein guter Spieler ist, dass er sich
auf eine Nebenbemerkung
von John Kerry auf Bashar
Assad stürzte:
er habe eine Chance, auf chemische Waffen zu verzichten. Ich habe
ziemlich den Verdacht, dass dieses im Voraus arrangiert war.
So oder so, Obama
war gerettet, und Putin war wieder im Spiel.
Ich habe
über Putin sehr gemischte Gefühle. Er hat seinen tchetchenischen Bürgern
gegenüber das angetan, was Assad seinen
sunnitischen Bürgern jetzt antut. Seine Behandlung von Dissidenten, wie der
Pussy Riot Gruppe, ist abscheulich.
Aber auf
der internationalen Bühne ist Putin jetzt der Friedensmacher. Er hat den Stachel
aus der chemischen-Waffenkrise herausgezogen; und er könnte
möglicherweise, die Initiative ergreifen
und ein politisches Abkommen für den fürchterlichen Bürgerkrieg erreichen.
Der
nächste Schritt könnte sein, eine ähnliche Rolle in der iranischen Krise zu
übernehmen. Falls Khamenei zu der Schlussfolgerung kommen sollte, dass sein
nukleares Programm nicht so viel
wert ist, wie die durch die Sanktionen verursachte wirtschaftliche Misere, dann
mag er es an die US verkaufen. In diesem Fall könnte Putin eine lebenswichtige
Rolle spielen: zwischen zwei knallharten
Unterhändlern zu vermitteln, die eine Menge zu verhandeln haben.
(Es sei
denn, Obama verhält sich wie der
Amerikaner, der in einem persischen Bazar einen Teppich kaufte. Der Verkäufer
verlangte 1000 $, und der Amerikaner bezahlte, ohne zu feilschen. Als ihm gesagt
wurde, dass der Teppich nicht mehr als hundert Dollar wert sei, antwortete er:
„Ich weiß, aber ich wollte ihn bestrafen. Jetzt
wird er nicht schlafen können und sich verfluchen, dass er nicht 5000 $
verlangt hat)
WIE
PASSEN wir Israelis in diese sich verändernde Szene?
Zunächst
mal müssen wir anfangen nachzudenken,
auch wenn wir es lieber vermeiden würden.
Neue Umstände fordern neue Gedanken.
In
seiner eigenen US-Aussprache machte Obama eine klare Verbindung zwischen der
iranischen Bombe und der israelischen Besatzung. Diese Verbindung kann nicht
unberücksichtigt bleiben. Also greifen wir zu.
Die US
sind heute etwas weniger bedeutsam, als sie gestern waren. Russland ist etwas
bedeutsamer, als es gestern war. Wie AIPACs sinnloser
Angriff auf den Kapitol-Hügel während der syrischen Krise zeigt, ist auch diese
Organisation heute ein bisschen weniger mächtig.
Denken
wir noch einmal über den Iran nach. Es ist zu früh, zu folgern, wie weit sich
Teheran bewegen wird, wenn überhaupt. Aber wir müssen es versuchen. Räume zu
verlassen, ist keine Politik, sie zu betreten ist Politik.
Wenn wir
einige unserer früheren Beziehungen mit Teheran wieder herstellen oder eben nur
den Stachel aus der gegenwärtigen herausnehmen könnten, wäre dies ein
sehr großer Gewinn für Israel. Dies mit einer wirklichen
Friedensinitiative gegenüber den Palästinensern zu verbinden,
wäre sogar noch besser.
Unser
gegenwärtiger Kurs führt uns in die Katastrophe. Die gegenwärtigen Veränderungen
auf der internationalen und der regionalen Bühne könnten eine Veränderung des
Kurses möglich machen
Helfen
wir Präsident Obama, die amerikamische Politik zu
verändern, statt AIPAC dazu benützen,
dass er den Kongress terrorisiert,
damit er blind eine überholte Politik gegenüber dem Iran und den Palästinensern
unterstützt. Strecken wir vorsichtige Fühler
in Richtung Russland aus. Verändern wir unsere öffentliche Haltung, wie
die iranischen Führer es mit solchem
Erfolg tun.
Oder
sind sie klüger als wir?
(aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom
Verfasser autorisiert)