Israel Palästina Nahost Konflikt Infos
Uri Avnery, 23. Januar 2016
WIE ES
wohl bekannt ist, ist Israel ein „Jüdischer und demokratischer Staat.“
Das ist die offizielle
Bezeichnung.
Nun ….
WAS DAS
Jüdische betrifft, so ist es eine neue Art Jüdischkeit, eine Mutation.
Seit etwa
2000 Jahren sind Juden als weise, schlaue, friedliebende, humane,
progressive, liberale, sogar sozialistische Menschen bekannt.
Wenn man heute diese
Attribute hört, fällt einem nicht
der Staat Israel als erstes ein. Weit davon entfernt.
Was „demokratisch“ betrifft,
so stimmte dies mehr oder weniger
bei der Gründung des Staates 1948 bis zum 6-Tage-Krieg von 1967, als
Israel leider die Westbank, den Gazastreifen, Ost-Jerusalem und die Golanhöhen
eroberte. Und natürlich die
Sinai-Halbinsel, die später an Ägypten zurückgegeben wurde .
(Ich sage „mehr oder weniger“
demokratisch, weil es nirgendwo auf der Welt einen vollständig demokratischen
Staat gibt.)
Seit 1967 ist Israel eine hybride
Schöpfung geworden – halb demokratisch, halb diktatorisch. Wie ein Ei, das zur
Hälfte frisch, zur Hälfte verrotten ist.
Die besetzten Gebiete –
erinnern wir uns - bestehen
mindestens aus vier verschiedenen Kategorien:
(a)
Ost-Jerusalem, das 1967 von
Israel annektiert wurde und jetzt
offiziell Teil von Israels Hauptstadt ist. Seine palästinensischen Bewohner sind
nicht als israelische Bürger akzeptiert worden. Sie sind nur „Einwohner“, ohne
jegliche Bürgerrechte.
(b)
Die Golanhöhen, früher ein
Teil Syriens, die von Israel annektiert wurden . Die paar arabisch-drusischen
Bewohner, die dort blieben, sind zögerliche Bürger Israels.
(c)
Der Gazastreifen, der von
Israel und Ägypten (die gemeinsame Sache machen) vollkommen von der Welt
abgeschnitten ist. Die israelische Flotte schneidet es auf der See ab. Das
Minimum, das die Bewohner zum Überleben brauchen, darf durch Israel kommen. Der
verstorbene Ariel Sharon zog die
wenigen jüdischen Siedlungen aus dem Gebiet heraus, das nicht von Israel
beansprucht wurde, weil dort zu viele Araber sind.
(d)
Die Westbank (des
Jordanflusses), die die israelische Regierung und
Israelis vom rechten Flügel mit ihren biblischen Namen „Judäa und
Samaria“ nennen, ist die Heimat des größten Teils des palästinensischen Volkes,
wahrscheinlich etwa 3,5 Millionen. Es ist dort, wo die Hauptschlacht sich
abspielt.
VOM ERSTEN TAG
der 1967-Besatzung beabsichtigen Israelis vom rechten Flügel die Westbank an
Israel zu annektieren. Mit dem Slogan „Das ganze Erez Israel“ begannen sie eine
Kampagne, um dieses ganze Gebiet zu annektieren, die palästinensische
Bevölkerung zu vertreiben und so viel wie
möglich jüdische Siedlungen
dort aufzubauen.
Die Extremisten
verbergen nie ihre Absicht, dieses Land ganz von Nicht-Juden zu reinigen
und ein Groß-Israel vom Mittelmeer
bis zum Jordanfluss zu errichten.
Dieses Ziel zu erreichen, ist
sehr schwierig. 1948, während unsres sog. „Unabhängigkeitskrieges“ eroberte
Israel ein weit größeres Gebiet als ihm von den Vereinten Nationen zugestanden
wurde, wurde aber vergeben. Die Hälfte der palästinensischen Bevölkerung des
Landes wurde vertrieben oder floh. Das Fait accompli wurde mehr oder weniger von
der Welt akzeptiert, weil es mit militärischen Mitteln in einem Krieg erreicht
wurde, der von arabischer Seite begonnen wurde, und weil es so nah am Holocaust
geschah.
1967 war die Situation völlig
anders. Die Ursachen des neuen Krieges
waren umstritten: David verwandelte sich in Goliath, ein weltweiter
kalter Krieg lief. Israels Eroberungen wurden nicht anerkannt, nicht einmal von
ihrem Schutzherrn, den USA.
Trotz verschiedener neuer
israelisch-arabischer Kriege, dem Ende des kalten Krieges und vielen andern
Veränderungen, hat sich diese Situation nicht verändert.
Israel nennt sich selbst
einen „jüdischen und demokratischen Staat“. Die Bevölkerung in „Groß-Israel“ ist
jetzt halb jüdisch und halb arabisch, wobei sich die Araber schneller vermehren.
Das eigentliche Israel ist mehr oder weniger demokratisch. In den besetzten
palästinensischen Gebieten herrscht eine diktatorische „ Militärregierung“ mit
Hundert Tausenden jüdischer Siedler, die versuchen, die
palästinensisch-arabische Bevölkerung mit allen erreichbaren Mitteln,
einschließlich betrügerischem Landkauf
und Terrorismus („Vergeltung“ genannt) zu vertreiben.
Im eigentlichen Israel gehört
die Regierung zur extremen Rechten mit einigen Elementen, die woanders
„faschistisch“ genannt würden. Das Zentrum und die Linke sind ohnmächtig. Der
einzige wirkliche politische Kampf
herrscht zwischen der radikalen
Rechten und der noch radikaleren
Rechten.
IN DIESER WOCHE
brach eine wütende Schlacht zwischen Benjamin Netanjahu und seinem
Verteidigungsminister Bogi Yaalon, beide von der Laborpartei
und Naftali Bennett, dem Führer
der“Jüdisches Heim“-Partei, aus. Bennett, ein ehrgeiziger Rechter macht kein
Geheimnis aus seiner Absicht, Netanjahu so bald wie möglich zu ersetzen.
Die Art und Weise der
Sprache, die von beiden Parteien benützt wird, würde
man sogar zwischen der
Koalition und der Opposition als extrem betrachten.
Zwischen Partnern der Koalitionsregierung
ist es - mild ausgedrückt – ziemlich
ungewöhnlich, selbst in Israel.
Verglichen mit diesem ist die
Sprache des Oppositionsführers Yitzhak Herzog praktisch höflich.
Bennett sagte, dass Netanjahu und
Ya’alon alte und überholte Ideen propagieren und
an „psychischer Paralyse“ leiden. Er behauptete, dass sie
Israels schwankenden Ruf in
der Welt nur noch mehr verschlechtern. Netanjahu und Yaalon, ein
früheres Kibbuz-Mitglied und
Stabschef der Armee klagten Bennett des Stehlens an. Nach ihnen würde Bennett,
sobald es im Kabinett eine gute Idee gäbe, aus dem Raum
rennen und behaupten, es
seien seine eigenen Ideen Yaalon
nannte Bennett "kindisch" und "unbesonnen".
Wer hat recht? Leider
alle.
Dazwischen steht bzw. sitzt
der gegenwärtige Armeechef Gadi Eisenkot, Sohn
marokkanischer Immigranten trotz seines
deutsch klingenden Namens. In Israel sind - seltsam genug - die
Armeechefs gewöhnlich moderater als
die Politiker.
Der General schlug vor, die
Lage der arabischen Bevölkerung in den besetzten Gebieten zu verbessern zum
Beispiel den Leuten in Gaza einen
Hafen zu bauen, damit sie mit der Welt im ganzen in Kontakt kommen könnten.
Erstaunlich.
ALL DIES
ereignete sich bei einer Konferenz der sogenannten Sicherheitsexperten, bei der
jeder und jede sich zu Wort melden kann.
Die Führer der
Oppositionsparteien nahmen auch daran teil. Yitzhak Herzog von der Labor-Partei,
Yair Lapid von der Zentrum-Partei „Es gibt eine Zukunft“ und andere hatten das
Sagen, aber sie waren so langweilig, dass über ihre Reden nur um der fairness
willen berichtet wurde. Sie
grabschten von hier und dort einige Ideen
und nannten dies „mein Plan“
– und schoben den Frieden
- wenn überhaupt – auf eine sehr entfernte
Zukunft.
Frieden ist – soviel man weiß
- etwas Angenehmes, etwas, von dem
man träumt. Nichts für ernsthafte Politiker.
Was bleibt, ist ein wütender
Kampf zwischen der extremen Rechten und dem noch extremeren rechten Flügel.
Bennett, ein früherer
High-Tech-Unternehmer, trägt eine Kippa auf seinem kahlen Kopf (offen
gesagt, wundere ich mich immer, was sie dort hält, vielleicht
der reine Willen). Er verbirgt seine Überzeugung nicht, dass er den
flauen Netanjahu um der Nation willen so bald wie möglich ersetzen muss.
Bennett verklagte die
inkompetente, politische Führung, dass sie unsere
tapferen Soldaten und ihre Kommandeure
in Stich lässt – eine Anklage
direkt aus „Mein Kampf“, das dabei ist, auf Hebräisch zu erscheinen.
Netanjahus einzig möglicher
Nachfolge innerhalb seiner Likud-Partei ist Yaalon, ein Mann ohne irgendwelches
Charisma oder politisches Talent. Doch
damit Bennett und seine
Jüdische Heimat-Partei ans Ruder kommt, müssen sie die Likud-Partei
an die Wahlurne überwinden – eine
sehr schwierige Sache. Göttliche
Intervention mag nötig sein.
Wenn wir schon von göttlicher
Intervention sprechen: letzte Woche
kritisierte die schwedische Außenministerin Margot Wallström
Israels Rechtssystem, das verschiedene Rechte für Juden und Araber
hätte.
Netanjahu reagierte scharf –
wer hätte das gedacht: rein zufällig war
die schwedische Presse voller Geschichten über die Korruption von
Wallström, die für ihre
Regierungswohnung weniger Miete als
sie sollte, zahlen würde.
ALL DIES
könnte amüsierend sein, wenn
es nicht die Zukunft Israels beträfe.
Friede ist ein schmutziges
Wort. Das Ende der Besatzung ist nicht in Sicht. Die Vereinte (arabische) Partei
wird nicht einmal in Bezug gezogen. Dasselbe gilt beinahe
für Meretz.
Auf der Linken ist
Verzweiflung das Synonym für Faulheit. Dort gibt es eine sanfte Debatte über die
Idee, dass nur die Welt außerhalb Israels uns von uns selbst
retten kann. Dies wird jetzt
von dem geachteten früheren
Generaldirektor unseres Außenministeriums, Alon Lyel, propagiert. Ich glaube
nicht daran. Die Idee sich an Nichtjuden zu wenden, um die Juden vor sich selbst
zu retten, ist keine Idee, die große Popularität gewinnen wird.
Bennett hat in einem Punkt
recht: Stagnation, psychisch wie praktisch,
ist keine Lösung. Die Dinge müssen wieder in Bewegung kommen.
Ich hoffe inbrünstig, dass die junge
Generation neue Kräften und
neue Ideen hervorbringen wird, die Netanjahu, Bennett
und ihre Sorte
beiseiteschieben wird.
Was unsere
hoch-gelobte Demokratie
betrifft, so scheint es, dass seit Jahren eine von der Regierung finanzierte
Organisation einen privaten
Detektiv bezahlt hat, dessen Job es war, die Papierkörbe
von Friedensaktivisten durchzugehen, um Informationen über
Menschenrechts- und Friedensgruppen und Persönlichkeiten zu erhalten.
Zum Glück schredderich alles.
(dt. Ellen Rohlfs; vom
Verfasser autorisiert