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Eine Konföderation? Warum nicht?
Uri Avnery,
21.11.09
IN
DIESEN Tagen jährt sich zum 5. Mal der Mord an
Yasser Arafat. Ich erinnere mich
deshalb wieder besonders an unser
letztes Gespräch im Ramallah-Compound ein paar Wochen
vor seinem Tod. Er war es, der den
Gedanken einer dreifachen Föderation –
Israel, Palästina und Jordanien vorbrachte. „Und vielleicht sollte sie auch den
Libanon mit einschließen, warum nicht?“
Es war derselbe Gedanke, den er bei unserem ersten Treffen in Beirut im Juli
1982 geäußert hatte - mitten in der Schlacht.
Er erwähnte den Terminus Benelux, das Bündnis zwischen Belgien, den
Niederlanden und Luxemburg, das der europäischen Union vorausging.
In
letzter Zeit ist der Begriff „Föderation“ wieder in Mode. Einige Leute glauben,
dass er als eine Art Kompromiss zwischen
der „Zwei-Staaten-Lösung“ - mittlerweile weltweiter Konsens - und der
„Ein-Staatenlösung“, die sich in einigen
radikalen Kreisen des linken Spektrums großer Beliebtheit erfreut, dienen
könnte. „Föderation" klingt wie eine Wunderlösung; denn er
vereinigt beides: die Zweistaaten-Lösung, wie auch die einer Einheit. Zwei in
einem, einer in zwei.
DAS
WORT "Föderation“ ängstigt mich nicht. Im Gegenteil. Ich benützte es in
diesem Zusammenhang schon vor 52 Jahren.
Am
2. Juni 1957 veröffentlichte ich in meinem Magazin Haolam
Hazeh den ersten detaillierten Plan für einen
unabhängigen palästinensischen Staat, der neben Israel entstehen würde. Die
Westbank war damals unter jordanischer, und der Gazastreifen unter ägyptischer
Besatzung. Ich schlug vor, den Palästinensern zu helfen, die Besatzer
loszuwerden. Nach meinem Plan würden die beiden Staaten, der israelische und
der palästinensische, eine Föderation bilden. Ich dachte, sie könnte den Namen
"Jordanische Union“ tragen.
Ein
Jahr später, am 1.September 1958 erschien ein Dokument mit dem Namen „Das
Hebräische Manifest“. Ich bin stolz auf meinen Anteil an seiner Entstehung. Es
war ein umfassender Plan für eine grundsätzliche Veränderung des Staates Israel
in all seinen Aspekten - eine Art
Generalüberholung. In seiner Bereitschaft, die Grundlagen des Staates und das
damit verbundene Denken neu zu überprüfen, gibt es seit der Gründung
Israels bis heute keine Parallele zu
diesem Dokument. Unter seinen Autoren waren Nathan Yellin-Mor,
der Ex-Chef der Stern-Gruppe, Boaz Evron, Amos Kenan
und mehrere andere.
Für
das Kapitel über den israelisch-arabischen Frieden war ich verantwortlich. Es besagt, dass ein souveräner
palästinensischer Staat neben Israel entstehen, und die beiden Staaten eine Föderation bilden
sollten, die schrittweise mehr und mehr der staatlichen Kompetenzbereiche
übernehmen würde. Ich erfand sogar ein neues hebräisches Wort, um den fremdsprachigen
Begriff „Föderation“ zu ersetzen: „Ugda“
(Gruppierung) und schlug vor, das Gebilde solle „Jordan Föderation“ heißen – Ugdat
ha-Yarden“ auf hebräisch und „Ittihad
al-Urdun“ auf arabisch. (Leider hat der Terminus „Ugda“
keine Wurzeln geschlagen. Stattdessen adoptierte die Armee das Wort für eine
Division, die eine Gruppierung von Regimentern oder Brigaden ist.)
Am
Morgen nach dem Sechs-Tage-Krieg, in dem das ganze Land zwischen Mittelmeer und
dem Jordan unter die Kontrolle der israelischen Armee gekommen war, rief eine neue politische Bewegung - die „Israelisch-Palästinensische
Föderation" - zur sofortigen Schaffung eines palästinensischen Staates
neben Israel auf. Die Gründer waren mehr oder weniger dieselben Leute, die „das
Hebräische Manifest“ verfasst hatten.
Nachdem
diese historische Gelegenheit versäumt worden war und die Besatzung immer rigoroser wurde, benützte ich den
Terminus Föderation nicht mehr. Ich hatte das Gefühl, dass es beiden Parteien
Angst einjagte. Die Israelis fürchteten, dass hinter dem Wort ein Komplott
stecke, das auf die Errichtung eines
bi-nationalen Staates abziele – eine Idee, die vom überwiegenden Teil der
jüdischen Israelis zurückgewiesen wird. Die Palästinenser fürchteten, dass man
damit eine ständige israelische Besatzung vertuschen wolle.
Es
sollte daran erinnert werden, dass der ursprüngliche Teilungsplan durch die
UN-Vollversammlung am 29.November 1947
ebenfalls als eine Art Föderation
gedacht war - freilich ohne sie so zu benennen. Sie sah die Errichtung
eines jüdischen und eines arabischen
Staates vor und einen Sonderstatus für
Jerusalem, das von der UN verwaltet werden sollte. All diese Entitäten sollten
Teile einer wirtschaftlichen Union werden, die Zölle, Währung, Bahnverbindungen, Post, Häfen, Lufthäfen u.a.
abdecken sollte. Dabei hätte es sich praktisch um eine Föderation gehandelt.
DAS
HAUPTPROBLEM mit dem Wort „Föderation“ ist, dass es keine allgemein gültige
Definition besitzt. In verschiedenen Ländern versteht man darunter völlig
verschiedene Herrschaftssysteme. Dasselbe trifft für „Konföderation“ zu.
Keine
zwei Länder in der Welt gleichen einander
und keine zwei Konföderationen sind dieselben. Jeder Staat und jede
Föderation hat sich auf Grund ihrer besonderen historischen Entwicklung und
spezifischen Umstände gebildet und
spiegelt das Volk wider, das ihn bzw. sie geschaffen hat.
Das
Wort „ Föderation“ kommt vom Lateinischen „foedus“,
Vertrag. Im Wesentlichen ist eine Föderation ein Pakt zwischen verschiedenen
Staaten, die sich entschlossen haben, in bestimmten Dingen gemeinsam zu
handeln. Die USA sind eine Föderation, auch Russland ist eine Föderation. Was
haben die beiden gemeinsam?
Die
Vereinigten Staaten sind theoretisch eine freiwillige Vereinigung von Staaten.
Die Staaten haben viele Rechte, aber der Konföderation steht ein einziger Präsident mit einer immensen Macht vor. Tatsächlich ist
es ein Staat. Als die Südstaaten 1860 versuchten, sich von den Nordstaaten zu trennen und eine
eigene Konföderation zu bilden, schlug
der Norden die "Rebellion" in einem brutalen Krieg nieder. Heute
schwören jeden Morgen Millionen von Schülern in den Vereinigten
Staaten den Treueid auf die Flagge der „einen Nation unter Gott“.
Russland
ist offiziell eine Föderation, aber der Terminus wird ganz anders verwendet.
Moskau ernennt die Gouverneure der Provinzregierungen, und Vladimir Putin
beherrscht das Land wie ein traditioneller Gutsherr. Als Tschetschenien versuchte, sich von der
„Russischen Föderation“ abzutrennen, wurde
es sogar noch brutaler vernichtet
als der Süden im amerikanischen Bürgerkrieg. (Dies hinderte Putin nicht, zwei Provinzen des benachbarten Georgien, die sich
abgetrennt hatten, zu unterstützen).
Deutschland
definiert sich als „Bundesrepublik“. Es
besteht aus Ländern, die ein großes Maß an Autonomie haben. Die Schweiz nennt
sich selbst „Eidgenossenschaft“ (Confédération auf
Französisch), seine Kantone haben auch viel Autonomie. Aber es ist auch ein sehr vereinigtes Land.
Allgemein
wird angenommen, dass eine Föderation eine engere Verbindung ist, während eine
„Konföderation“ eine lockerere Verbindung ist. In Wirklichkeit sind diese
Unterschiede sehr verschwommen. Es scheint, dass die Amerikaner und Russen, die
Deutschen und die Schweizer sich vor allem über ihren vereinigten Staat und nicht über ihre jeweilige Provinz, den
Kanton oder das Bundesland identifizieren. Mit Ausnahme der Bayern, natürlich.
Das
neue Europa ist in allen praktischen Zwecke eine
Konföderation, aber seine Gründer nannten es nicht so. Sie wählten den weniger
eindeutigen Namen „Europäische Union“.
Warum? Vielleicht weil sie dachten, die
Begriffe „Föderation" und
„Konföderation“ seien überholt. Vielleicht sahen sie diesen Begriff auch als zu verpflichtend an. Der Begriff „Union“
verpflichtet seine Mitglieder zu nichts Besonderem, und sie können ihn dann einstimmig mit Inhalt füllen und von
Zeit zu Zeit verändern. Wenn das Lissabon-Abkommen schließlich ratifiziert wird,
wird sich die Union wieder ändern.
ES
MACHT deshalb keinen Sinn, allgemein über eine
israelisch-palästinensische „Föderation“
zu diskutieren, ohne von Anfang an genau
zu definieren, was damit gemeint ist.
Dasselbe Wort kann - von verschiedenen Leuten benutzt - Verschiedenes, ja sogar
Gegensätzliches bedeuten.
Zum
Beispiel: Vor kurzem sah ich hier bei uns
einen Plan für eine Konföderation, in der jede Person das Recht haben
würde, in beiden Staaten zu siedeln, während er die Staatsbürgerschaft von
einem der beiden Länder besitzt. Ich kann mir kaum vorstellen, dass viele
Israelis oder Palästinenser damit einverstanden wären. Die Israelis würden
Angst bekommen, dass die Araber bald die Mehrheit innerhalb Israels stellen,
und die Palästinenser wären beunruhigt, dass israelische Siedler dann jeden Hügel zwischen Meer und Jordan in
Besitz nehmen könnten.
Bei
jeder Diskussion über Konföderation
wird hier die Angelegenheit der
Einwanderung zu einem bedrohlichen Zankapfel. Würde es dann Millionen von palästinensischen
Flüchtlingen erlaubt werden, auf israelisches Gebiet zurückzukehren? Würden
dann Millionen jüdischer Einwanderer den
Staat Palästina überschwemmen?
Dasselbe
gilt auch für den Wohnort. Könnte ein Bürger Palästinas in Haifa wohnen und ein israelischer Siedler
in Nablus, wie ein Pole jetzt in Frankreich, ein New Yorker in Miami, ein
Bewohner aus dem Kanton Zürich im Kanton Uri frei leben kann?
JEDER
VON uns, der die Idee der Konföderation näher betrachtet, muss genau wissen , was
er wünscht. Möchte er einen wunderschönen Plan auf Papier zeichnen, der
überhaupt keine Chance hat, realisiert
zu werden, weil er die Aspirationen beider „Partner“ ignoriert, oder sollte er
besser über realistische Optionen
nachdenken?
Tatsächlich
kann eine Föderation nur auf der Grundlage eines freien Abkommens zwischen den
beiden Parteien zustande kommen. Dies bedeutet, dass sie nur dann realisiert
werden kann, wenn jede der beiden Parteien – Israelis und Palästinenser - sie für sich als vorteilhaft ansieht und sie mit ihren nationalen Zielen vereinbar
ist.
Meiner
Meinung nach könnte ein praktischer Weg
zur Verwirklichung dieser Idee folgendermaßen aussehen:
1.
Stadium: ein souveräner
palästinensischer Staat muss entstehen. Dies muss allem anderen vorausgehen.
Die Besatzung muss enden, und Israel muss sich zur Grünen Linie zurückziehen
(wobei dies kleineren, gemeinsam vereinbarten Gebietstausch umfassen könnte).
Das gilt auch für Jerusalem.
2.
Stadium: die beiden Staaten müssen
eine gewisse Routine in fairen Beziehungen zueinander aufbauen und sich
daran gewöhnen, Seite an Seite zu leben. Dringend erforderlich sind wirkliche
Schritte der Versöhnung und der Heilung der Wunden der Vergangenheit ( z.B. die Schaffung einer „Wahrheit und
Versöhnungs-Kommission“ nach dem südafrikanischen Modell).
3.
Stadium : die beiden Staaten beginnen mit Verhandlungen zur Errichtung von
gemeinsamen Institutionen,, z.B. der Öffnung der Grenzen für freie Bewegung von
Mensch und Waren, eine wirtschaftliche Union, eine gemeinsame Währung, eine
Zollunion, die gemeinsame Benutzung der Häfen und Flughäfen, die Koordinierung
der ausländischen Beziehungen und so weiter. Es wird kein automatisches Recht für Bürger des einen Staates geben, im
anderen zu siedeln. Jeder Staat wird über seine eigene Einwanderungspolitik
entscheiden.
Die
beiden Parteien müssen gemeinsam entscheiden, ob sie als dritten Partner
Jordanien zum vorgeschlagenen Vertrag einladen wollen.
Solch
eine Verhandlung kann nur gelingen, wenn die Öffentlichkeit von beiden
Partnerstaaten überzeugt ist, dass die Partnerschaft Gewinn mit sich bringen wird. Da Israel der
wirtschaftlich und technisch stärkere Teil ist, muss es bereit sein, großzügige
Vorschläge zu machen.
4.
Stadium : je mehr Vertrauen sich zwischen
Parteien entwickelt, um so leichter wird es sein, die Partnerschaft zu
vertiefen und die Macht der gemeinsamen
Institutionen auszuweiten.
Vielleicht
könnten in diesem Stadium die
Bedingungen reif sein, eine weitere Verbindung in der ganzen Region zu gründen,
in ähnlicher Weise wie die europäische Union. Solch eine Vereinigung könnte die
arabischen Staaten, Israel, die Türkei und den Iran einschließen. Den Namen,
den ich in der Vergangenheit dafür vorschlug, war „Semitische Union“. Zwar sind
Türken und Iraner streng genommen keine semitischen Völker, aber das Buch des
Islam, der Koran, ist auf arabisch, einer semitischen Sprache, geschrieben und
spielt eine große Rolle in ihrer Kultur.
Dies
ist eine Vision für die Zukunft - sie kann realisiert werden. Um Barack Obamas Parole zu benützen (obwohl sie etwas an Glanz
verloren hat): Yes, we can!
(Aus
dem Englischen: Ellen Rohlfs und Christoph Glanz; vom Verfasser autorisiert)