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Uri
Avnery, 24.Januar 2015
ES GAB
da einen Witz über einen Sadisten und einen Masochisten.
„Hau
mich! Schlag mich! Stoß mich!“ bittet der Masochist inständig den Sadisten.
Der
Sadist lächelt grausam und antwortet langsam: „Nein!“
DAS
REFLEKTIERT mehr oder weniger im Augenblick die Situation an unserer Nordgrenze.
Eine
israelische Drohne hat einen kleinen Hisbollah-Konvoi wenige Meilen jenseits der
Grenze mit Syrien auf den Golanhöhen bombardiert. 12 Menschen wurden getötet.
Einer von ihnen war ein iranischer General. Ein anderer war der sehr junge
Hisbollah-Offizier, der Sohn von Imad Mughniyeh, einem sehr hochrangigen
Hisbollah-Offizier, der vor etwa sieben Jahren auch von Israel getötet worden
war, und zwar durch eine Auto-Explosion in Damaskus.
Das
Töten des iranischen Generals war (jetzt) nicht beabsichtigt.
Es sieht aus, als ob der israelische Nachrichtendienst nicht wusste, dass
er und vielleicht fünf andere
iranische Offiziere der Revolutionsgarde im Konvoi waren. Ein israelischer
Armee-Offizier gab dies indirekt zu. Ein zweiter anderer widersprach dem ersten.
Er
entschuldigte sich natürlich nicht. Man kann sich nicht entschuldigen, wenn man
nicht offiziell zugibt, der Täter gewesen zu sein. Und Israelis entschuldigen
sich natürlich nicht. Niemals. Eine
weithin sehr rechts gerichtete Partei bei der gegenwärtigen Wahl
hat dies in einen Wahlslogan
verwandelt: „Keine Entschuldigungen!“
Das
gewünschte Opfer des Angriffs war der 25jährige Jihad Mughniyeh, ein niedriger
Hisbollah -Offizier, dessen einziger Anspruch auf Ruhm
sein berühmter Familienname war.
UNMITTELBAR NACH dem gezielten Töten fragte man sich: Warum? Warum jetzt? Warum
überhaupt?
Die
israelisch-syrische Grenze (oder besser die Waffenstillstandslinie) ist seit
Jahrzehnten die ruhigste Grenze Israels gewesen. Keine Schießerei. Keine
Vorfälle. Nichts.
Assad,
der Vater, und Assad, der Sohn, achteten darauf. Sie waren nicht daran
interessiert, Israel zu provozieren. Nach dem Yom Kippur-Krieg (1973), der mit
einem sehr großen syrischen Überraschungserfolg begann und mit einer
vollständigen syrischen Niederlage
endete, wünschten die Assads kein neues Abenteuer mehr.
Selbst
als Ariel Sharon 1982 den Libanon angriff, intervenierten die syrischen Truppen,
die im Libanon stationiert waren, nicht. Aber da eine von Sharons Kriegszielen
die Vertreibung der Syrer aus dem Libanon war, hat er selbst das Feuer eröffnen
müssen, um sie am Kampf zu beteiligen. Dieses Abenteuer endete aber mit einem
syrischen Erfolg.
Jede
Absicht Bashar al-Assads, die er sogar gehabt hätte, um Israel zu provozieren
(und es sieht so aus, als hätte er nie eine gehabt), verschwand, als der
syrische Bürgerkrieg vor mehr als vier Jahren begann. Bashar al-Assad und die
verschiedenen rebellischen Fraktionen waren vollauf mit ihrem blutigen Geschäft
befasst. Israel konnte sie kaum interessieren.
WARUM
ALSO griff Israel einen kleinen Konvoi von Assads Verbündeten an – die Hisbollah
und den Iran? Es ist unwahrscheinlich,
dass sie keine aggressive Absicht gegen Israel vorhatten. Wahrscheinlich waren
sie dabei, das Gebiet für den Kampfgegen die syrischen Rebellen
auszukundschaften.
Die
israelische Regierung und die Armee gaben keine Erklärung ab. Wie konnten sie,
nachdem sie offiziell diese Aktion nicht zugegeben hatten, dies tun? Selbst
inoffiziell gab es keinen Hinweis.
Aber da
gibt es einen Elefanten im Raum: die israelischen Wahlen.
Wir sind
jetzt mitten im Wahlkampf. Könnte es sein, dass es irgendeine Verbindung
zwischen dem Wahlkampf und dem Angriff gibt?
Und ob!
ZU
BEHAUPTEN, unsere Führer könnten eine Militäraktion befehlen, um ihre Chance
beim Wahlkampf zu erhöhen, grenzt an Verrat.
Doch
geschah dies schon vorher. Tatsächlich geschah es bis jetzt bei vielen unserer
19 Wahlkämpfen.
Die
erste Wahl fand statt, als wir (1948) noch im Krieg waren. David Ben Gurion, der
Kriegsführer, gewann natürlich einen großen Wahlsieg.
Die
zweite Wahl fand während des Kampfes gegen die arabischen „Infiltranten“ statt
mit fast täglichen Vorfällen entlang der neuen Grenze. Wer gewann? Ben Gurion.
Und so
ging es weiter. Als 1981 Menachem Begin die Bombardierung des irakischen
Atommeilers befahl, wagte
jemand, ihm zu unterstellen, die Aktion hänge mit der kommenden Knesset-Wahl
zusammen. Diese gab Begin die Gelegenheit für eine seiner größten Reden. Begin
war ein hervorragender Redner nach
europäischer (und sehr un-israelischer) Tradition.
Mit
„Juden!“ wandte er sich an seine Zuhörer. „Ihr kennt mich seit vielen Jahren.
Glaubt ihr, dass ich unsere tapferen Jungs auf eine gefährliche Mission
schicken würde, wo sie getötet werden oder noch schlimmer – in Gefangenschaft
dieser menschlichen Tiere geraten könnten, nur um Stimmen zu gewinnen?“ Die
Menge brüllte zurück: „Nein!“
Selbst
die andere Seite machte mit. Die Ägypter und Syrer machten 1973 ihren
Überraschungsangriff an Yom Kippur – mitten im israelischen Wahlkampf.
Nach dem
Mord an Yitzhak Rabin 1995 stand sein Erbe, Shimon Peres, auch vor einem
Wahlkampf. Während seiner kurzen Regierungszeit brachte er es fertig, einen
Krieg zu beginnen und zu verlieren. Er fiel in den Libanon ein und bombardierte
während des Kampfes versehentlich ein UN-Flüchtlingslager. Das war das Ende des
Krieges und von Peres‘ Herrschaft. Benjamin Netanjahu siegte.
ALS
LETZTE Woche der Drohnenangriff bekannt wurde, waren das Land und die Armee
aufgefordert, sich für einen Krieg vorzubereiten.
Entlang
der Grenze verbreitete sich Spannung. Massiver Truppenaufmarsch fand statt.
Panzer- Brigaden bewegten sich nach Norden. Der „Eiserne Dom“,
Anti-Raketen-Batterien wurden nahe der Grenze positioniert. Alle Medien
bereiteten die Öffentlichkeit auf eine sofortige Racheaktion der Hisbollah und
des Iran vor.
Hier ist
es, wo der Scherz aktuell wird. Netanjahu erwartete direkt, dass Hassan
Nasrallah, der Hisbollah-Chef, als Vergeltungsmaßnahme Galiläa bombardieren
würde. Nasrallah reagierte nur mit einem hintergründigen Lächeln.
Rache?
Sicherlich. Aber nicht jetzt. Ein andermal vielleicht. Und an einem andern Ort.
Vielleicht in Bulgarien, wo seinerzeit israelische Touristen aus Rache für Imad
Mughniyehs Ermordung, getötet wurden. Oder gar in Argentinien, wo der
Staatsanwalt, der die Zerstörung der zwei israelisch-jüdischen Zentren, die vor
20 Jahren stattfand, untersuchte, erschossen aufgefunden wurde. Die blutigen
Attacken vor 20 Jahren in Buenos Aires wurden nach einer anderen israelischen
Aktion im Libanon der Hisbollah und dem Iran zugeschrieben.
Warum
ahndet Nasrallah die Drohnenaktion nicht jetzt? Wenn man mit einer feindlichen
Rache-Aktion rechnet, ist es sehr frustrierend, wenn sie nicht termingemäß
eintrifft.
UM DIES
zu verstehen, muss man sich den Wahlkampf genauer ansehen.
Er wird
von zwei großen Blöcken durchgeführt – der rechte Flügel wird vom Likud
angeführt und die Mitte-links Partei von
der Labor-Partei. Die Linke hat unerwartet Triebkraft gesammelt, indem sich
Labor mit Zipi Livnis kleiner Fraktion vereinigt hat und jetzt unglaublicher
Weise den Likud bei den Meinungsumfragen überholt hat. Neben diesen beiden
Blöcken gibt es noch die Orthodoxen und die arabischen Bürger, die ihre eigenen
Agenden haben.
Die zwei
Hauptblöcke segeln unter verschiedenen Flaggen. Likud und Co segeln unter der
Flagge der Sicherheit. Die Öffentlichkeit glaubt, dass Netanjahu und seine
Verbündeten zuverlässiger seien, wenn
es zum Krieg kommt und dass sie unsere Armee groß und mächtig halten. Die
Öffentlichkeit glaubt auch, dass die Labor-Partei und ihre Verbündeten
effektiver sind, wenn es um die Wirtschaft geht, um Mieten und Ähnliches.
Dies
bedeutet, dass das Ergebnis von der Seite entschieden wird, der es gelingt, ihre
Agenda auf die Kampagne zu legen. Wenn der Wahlkampf von Problemen des Krieges
und der Angst beherrscht wird, dann wird wahrscheinlich die Rechte gewinnen.
Wenn andernfalls das Hauptproblem die Wohnung und der unverschämte Preis von
Hüttenkäse ist, hat die Linke eine Chance.
Dies ist
keine Sache von besonders akuter Auffassung, sondern von allgemeiner
öffentlicher Erkenntnis. Jede Rakete, die von Hisbollah oder Hamas abgeschossen
wird, ist eine Rakete für Likud. Jeder Tag mit ruhiger Grenze wird ein Tag für
Labor sein.
ES WAR
deshalb für viele Israelis ganz naheliegend, dass das plötzliche Aufflackern an
der Nordgrenze, das durch einen nicht provozierten israelischen Angriff
ausgelöst wurde, keinen Sinn macht, ein Wahltrick von Netanjahu und Co ist.
Viele
wussten es. Aber keiner wagte es auszusprechen. Die politischen Parteien
fürchteten, dass sie als diejenigen angesehen würden, die der Armee das Messer
in den Rücken stoße. Wenn man Netanjahu anklagt, einen größeren Krieg zu
riskieren, um eine Wahl zu gewinnen, ist das eine sehr ernste Angelegenheit.
Die
Labor-Partei veröffentlichte eine lahme Erklärung, die die Armee unterstützt.
Merez verhielt sich ruhig. Die arabischen Parteien waren eifrig damit
beschäftigt, eine vereinigte arabische Liste zu schaffen. Die Orthodoxen konnten
sich nicht weniger darum kümmern.
Gush
Shalom, dessen Mitglied ich bin, bereitete eine eindeutige Anklage zur
Veröffentlichung vor.
Und dann
wurde die Ruhe von einer total unerwarteten Seite unterbrochen.
General
Galant gab ein Interview, in dem er die Regierung direkt anklagte, die nördliche
Grenze für Wahlzwecke aufzuheizen.
Galant?
Unglaublich.
Joaw
Galant war während der grausamen Molten
Leads-(„geschmolzenes Blei“) Kampagne der Chef des südlichen Kommandos.
Danach wurde er von Netanjahu zum neuen Armee-Stabschef ernannt. Aber bevor die
Ernennung vollzogen werden konnte, wurde Galant angeklagt, er hätte
ein dem Dorf gehörendes Land für sein
palastartiges Haus enteignet. Er musste sich daraufhin, von seiner Ernennung
zurückziehen. Ich betrachtete ihn immer als einen durch und durch engagierten
Militaristen.
Vor zwei
Wochen erschien Galant plötzlich wieder auf der Bühne als Kandidat Nummer 2 und
zwar auf der Liste von Moshe Kachalons neuer Partei der Mitte ohne Ideologie
außer niedrigeren Preisen.
Galants
Behauptung über die Drohnenaktion verursachte einen Aufschrei
- er zog sie still zurück. Aber die Tat war getan. Galant hatte das Tor
geöffnet. Eine Horde von Kommentatoren stürmte hindurch, um die Anklage zu
verbreiten.
Galants
„galante“ Tat könnte den Wahlkampf ändern. Auf Englisch heißt „galant“ tapfer.
(Aus dem
Englischen: Ellen Rohlfs. vom Verfasser autorisiert)