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Uri Avnery, 19.7. 14
ERST
JETZT verstehe ich ganz, was für ein Bösewicht Winston Churchill wirklich war.
Fünf
Jahre lang hielt er die Bevölkerung Londons unter
den nicht aufhörenden
Bombenangriffen der deutschen Luftwaffe fest. Er benützte die Bewohner Londons
als menschliches Schutzschild in seinem (??) wahnsinnigen Krieg. Während die
zivile Bevölkerung den Bomben und Raketen ausgesetzt war, ohne den Schutz eines
„Iron Domes“ versteckte er sich in seinem Bunker unter Downing Street 10.
Er hielt
alle Bewohner Londons als Geiseln. Als die deutschen Führer einen
großzügigen Friedensvorschlag machten, wies er sie aus verrückten
ideologischen Gründen zurück. So
verurteilte er sein Volk zu einem unvorstellbaren Leiden.
Von Zeit
zu Zeit tauchte er aus seinem
unterirdischen Versteck auf, um sich ein Bild vor den Ruinen zu machen, und dann
kehrte er in die Sicherheit seines Rattenlochs zurück. Aber zu den Londonern
sagte er: „Zukünftige Generationen werden sagen, dass dies eure beste Stunde
war!“
Die
deutsche Luftwaffe hatte keine Alternative, als die Stadt zu bombardieren. Ihre
Kommandeure verkündeten, sie würden nur militärische Ziele angreifen, wie die
Häuser der britischen Soldaten, wo militärische Beratungen stattfanden.
Die
deutsche Luftwaffe rief die Londoner Bevölkerung auf, die Stadt zu verlassen,
und viele Kinder wurden tatschlich evakuiert. Aber die meisten Londoner
beachteten den Aufruf Churchills, zu bleiben – so wurden sie zu
„Kollateralschäden“.
Die
Hoffnungen des deutschen Oberkommandos, dass das Zerstören ihrer Wohnungen und
das Töten ihrer Familien die Leute
von London dahin verführen würde, einen Aufstand zu machen, Churchill und
seine kriegstreibende Bande hinauszuwerfen, nützte nichts. Die primitiven
Londoner, deren Hass auf die Deutschen stärker war als ihre Logik, folgten in
perverser Weise den Instruktionen des feigen Churchill. Ihre Bewunderung
für ihn wuchs von Tag zu Tag und am Ende des Krieges, war er fast zu einem Gott
geworden.
Eine
Statue von ihm steht sogar heute vor dem Parlament in Westminster.
VIER
JAHRE später hatte sich das Rad gedreht. Die britische und amerikanische
Luftwaffe bombardierten
deutsche Städte und zerstörten ( große Teile von ihnen) sie vollkommen.
Kein Stein blieb auf dem anderen. Berühmte Paläste/Gebäude wurden flach gebombt,
kulturelle Schätze wurden ausgelöscht. „unbeteiligte Zivilisten“ wurden in
Stücke gerissen, zu Tode verbrannt oder verschwanden einfach. Dresden, eine der
schönsten Städte Europas, war innerhalb weniger Stunden in einem „Feuersturm“
total zerstört.
Das
offizielle Ziel war, die deutsche
Kriegsindustrie zu zerstören, aber das wurde nicht erreicht. Das wirkliche Ziel
war die zivile Bevölkerung zu terrorisieren, um sie dahin zu bringen, ihre
Führer abzusetzen und zu kapitulieren.
Das
geschah nicht. Tatsächlich wurde der einzige ernsthafte Aufstand gegen Hitler
von ranghohen Armeeoffizieren ausgeführt (und schlug fehl). Die zivile
Bevölkerung erhob sich nicht. Im Gegenteil. In einer seiner Schmähreden gegen
die „Terrorpiloten“ erklärte
Goebbels: „Sie können unsere Häuser zerstören, aber sie können unseren Geist
nicht brechen!“
Deutschland kapitulierte erst im allerletzten Augenblick. Millionen Tonnen
Bomben genügten nicht. Sie stärkten nur
die Moral der Bevölkerung und ihre Loyalität zum Führer.
UND
nun zu Gaza.
Jeder
fragt: wer wird diese Runde gewinnen?
Die auf
jüdische Art und Weise beantwortet werden muss – durch eine andere Frage: wie
soll man dies beurteilen?
Die
klassische Definition von Sieg ist:
Die Seite, die auf dem Schlachtfeld bleibt, hat die Schlacht gewonnen. Aber hier
hat sich niemand bewegt. Die Hamas ist noch immer dort – und Israel auch.
Carl von
Clausewitz, der preußische Kriegstheoretiker, erklärte mit dem berühmten Wort, „
ein Krieg sei nur die Fortsetzung der
Politik mit anderen Mitteln“. Aber in diesem Krieg hat keine der beiden Seiten
klare politische Ziele. Also kann der Sieg nicht auf diese Weise beurteilt
werden.
Die
intensive Bombardierung des Gazastreifens hat keine Kapitulation der Hamas
gebracht. Auf der andern Seite hat die intensive Raketenkampagne der Hamas, die
den größten Teil Israels betraf, auch keinen Erfolg gehabt. Der überwältigende
Erfolg der Raketen, die in Israel überall hinreichen, hat sich mit dem
überwältigenden Erfolg der „Iron Dome“-Gegenraketen, die sie abfangen,
getroffen.
Bis
jetzt ist es also eine Pattsituation.
Aber
wenn eine winzige Kampfkraft in einem winzigen Gebiet eine Pattsituation mit
einer der mächtigsten Armeen der Welt erreicht, so könnte dies als Sieg
angesehen werden.
DER
MANGEL an einem israelischen politischen Ziel, ist das Ergebnis von konfusem
Denken. Die israelische Führung, beide die politische und militärische, weiß
nicht wirklich, wie sie mit der Hamas umgehen soll.
Es mag
schon vergessen worden sein, dass Hamas weithin eine israelische Schöpfung
ist. Während der ersten Jahre der Besatzung, als jede politische
Aktivität auf der Westbank und im Gazastreifen verboten war und unterdrückt
wurde, konnten sich Palästinenser nur in
der Moschee treffen und gemeinsam planen.
In jener
Zeit wurde die Fatah als Israels Erzfeind angesehen.
Die israelische Führung dämonisierte Yasser Arafat, den
Erz-Erz-Terroristen . Die Islamisten, die Arafat hassten, wurden als weniger
übel angesehen, ja, sogar als geheime Verbündete.
Ich
fragte einmal den Shin-Bet-Chef, ob seine Organisation Hamas geschaffen habe.
Seine Antwort: „Wir haben sie nicht geschaffen. Wir tolerierten sie.“
Das
änderte sich erst ein Jahr nach dem Start der ersten Intifada, als Scheich Ahmad
Yassin, der Hamasführer, verhaftet wurde. Seitdem
hat sich natürlich die Realität vollkommen verändert. Fatah ist nun ein
Verbündeter von Israel, was die Sicherheit betrifft,
und die Hamas ist der Erz-Erz-Terrorist.
Aber
stimmt das?
Einige
israelische Offiziere sagen, wenn die Hamas nicht existieren würde, dann müsste
sie erfunden werden. Hamas kontrolliert den Gazastreifen.
Sie kann verantwortlich für das gehalten werden, was dort geschieht. Sie
sorgt für Gesetz und Ordnung. Sie ist ein zuverlässiger Partner für eine
Feuerpause.
Die
letzten palästinensischen Wahlen, die unter internationaler Aufsicht gehalten
wurden, endeten mit einem Sieg der Hamas in der Westbank und im Gazastreifen.
Als der Hamas aber die Macht entzogen wurde, nahm sie den Gazastreifen mit
Gewalt. Nach allen zuverlässigen
Berichten erfreut sie sich der Loyalität der großen Mehrheit in den
besetzten Gebieten.
Alle
israelischen Experten stimmen darin überein, dass,
falls das Hamas-Regime im Gazastreifen fallen würde, weit extremere islamische
Splittergruppen den Streifen mit seinen 1,8 Millionen Bewohnern übernehmen und
in ein komplettes Chaos tauchen/ führen
würde. Die militärischen Experten mögen das nicht.
Das
Kriegsziel, falls man es als solches bezeichnen kann, ist nicht, die Hamas zu
zerstören, sondern sie an der Macht zu lassen, wenn auch in einem viel
schwächeren Zustand.
Aber wie
– um Gottes Willen – macht man das?
DIE VOM
ultrarechten Flügel der Regierung verlangen jetzt, dass der ganze Gazastreifen
besetzt wird.
Darauf
antworten die militärischen Führer wieder mit einer Frage: Und was dann?
Eine
neue permanente Besatzung des Gazastreifens ist ein militärischer Alptraum. Es
würde bedeuten, dass Israel die Verantwortung zur Befriedung und Versorgung
von 1.8Millionnen Menschen (die meisten
von ihnen sind übrigens Flüchtlinge von 1948 und ihre Nachkommen) übernehmen
müsste. Ein dauernder Guerillakrieg würde daraus folgen. Keiner in Israel würde
dies wirklich wollen.
Besetzen
und dann verlassen. Das ist leicht gesagt. Die Besatzung als solche würde eine
blutige Operation sein. Falls die Doktrin „Molten Lead“ angenommen wird (??),
würde es bedeuten, dass mehr als tausend vielleicht mehrere tausend
Palästinenser getötet würden. Die
(ungeschriebene) Doktrin sagt, dass falls
100 Palästinenser getötet werden müssen, um das Leben eines israelischen
Soldaten zu retten, so sei es. Aber wenn die israelischen Todesfäll auf ein paar
Dutzend Toter ansteigt, dann würde sich die Stimmung im Lande vollkommen
verändern. Die Armee will dies nicht riskieren.
EINEN
MOMENT lang schien es am Dienstag, als wäre eine Waffenpause erreicht worden,
sehr zur Erleichterung von Benjamin Netanjahu und seinen Generälen.
Doch war
es eine optische Täuschung. Der Vermittler war der neue ägyptische Diktator,
eine Person, die von allen Islamisten
verabscheut wird. Er ist ein Mann, der viele Hunderte Muslim-Brüder getötet und
ins Gefängnis gesteckt hat. Er ist ein offener
militärischer Verbündeter Israels. Er ist ein
Klient/Kunde/ Bezieher amerikanischer
Großzügigkeit. Da Hamas außerdem zu
einem Sprössling der ägyptischen Muslim-Bruderschaft wurde, hasst sie der
General Abd-al Fatah-al-Sisi von ganzem Herzen und verbirgt dies auch nicht.
Also
statt mit Hamas zu verhandeln, tat er etwas äußerst Dummes: diktierte eine
Feuerpause nach israelischen Begriffen
ohne Hamas darüber zu
unterrichten. Hamas’ Führer erfuhren von der vorgeschlagenen Feuerpause
durch die Medien und wiesen sie sofort zurück.
Meine
eigene Meinung ist, dass es besser wäre, wenn die israelische Armee und Hamas
direkt mit einander verhandeln würden. Während der ganzen militärischen
Geschichte sind Feuerpausen von militärischen Kommandeuren
arrangiert worden. Die eine Seite schickt einen Offizier mit einer weißen
Fahne zum Kommandeur der andern Seite und arrangiert mit ihm die Feuerpause –
oder nicht. (Ein amerikanischer General antwortete
mit dem berühmt gewordenen
Ausdruck auf solch ein deutsches Angebot
mit „ Du spinnst wohl?“ (Nuts)) ??
Im
1948-Krieg war in meinem Abschnitt
der Front eine kurze Feuerpause, von
Major Yerucham Cohen und einem jungen ägyptischen Offizier mit Namen
Gamal Abd-al Nassar arrangiert worden.
Da dies
mit den augenblicklichen Parteien unmöglich erscheint, sollte ein wirklich
ehrenhafter Makler gefunden werden.
WAS WIRD
das Ende davon sein? Es wird kein Ende geben, nur eine Runde nach der anderen,
wenn nicht eine politische Lösung
angenommen wird.
Dies
würde bedeuten: stoppt die Raketen und die Bomben, beendet die israelische
Blockade, erlaubt den Menschen im Gazastreifen ein normales Leben zu leben,
fördert die palästinensische Einheit unter einer wirklichen Einheitsregierung,
führt ernsthafte Friedensverhandlungen, MACHT FRIEDEN.
(Der
erste Teil dieses Artikels wurde am Donnerstag in Haaretz veröffentlicht)
(dt.
Ellen Rohlfs, vom Verfasser ……