Israel Palästina Nahost Konflikt Infos
Uri
Avnery, 5.12.15
ES WAR
wunderbar.
Ich ging
zum ersten Mal nach der Operation nach drei Wochen an den Strand.
Es ist ein Spaziergang von fünf Minuten von meiner Wohnung.
Das Meer
war still, ganz ruhig. Eine milde Sonne schien am Horizont, nicht zu heiß, nicht
zu kalt, gerade so, wie wir es gern haben. Ein kühler Wind, nicht zu kalt,
wehte.
Ich
schlürfte eine Tasse „Americano“ Kaffee und dachte, dass alles in der Welt zum
Besten stand.
ABER
NATÜRLICH war es das nicht. In
der Tat war alles schlecht, am schlechtesten von allen Welten.
Jenseits
des blauen Meeres im weit entfernten Paris
beriet sich die größte
Versammlung der Führer der
Welt, wie man den Planet vom Klimawandel retten könne. Unser eigener Benjamin
Netanjahu war dort mit einer riesengroßen Delegation, obwohl die meisten
Israelis, einschließlich Netanjahu
für dies Problem nur Verachtung hatten und das sie
für ein gefälschtes Problem für
verwöhnte Länder halten, die keine echten Probleme haben , wie wir sie in Mengen
haben.
Er ging
nur deshalb hin, um Hände zu schütteln,
und um dieses Bild des Händeschütteln
mit den größten Führern der Welt, einschließlich den Arabern, um so die
Lüge für all jene zu verbreiten, die
Israels wachsende Isolierung in der Welt bedauern.
Aber all
dies war Augenwischerei. Israel, das Land das ich liebe, ist in großer Gefahr.
Tatsächlich ist es in mehr Gefahren .Nicht nur in einer.
Während ich
auf das Meer hinausschaute, dachte
ich über die drei großen Gefahren nach, die ich spürte und die ich selbst nicht
im Krankenhaus vergessen konnte.
Die
erste Gefahr: Israel wird ein Apartheidstaat (Was
schon in den besetzten palästinensischen
Gebieten die Situation ist.)
Früher
oder später wird die eingebildete Grenze zwischen Israel und „den Gebieten“
völlig verschwinden. Noch besteht sie in legalen Termini. Doch
wie lange noch?
Zwischen
dem Mittelmeer und dem Jordan leben israelische Juden und palästinensische
Araber jeder in mehr oder weniger gleicher Zahl – etwa 6,5 Millionen
Dies wird ein Apartheidstaat in der schlimmsten Bedeutung des Wortes.
Falls
Israel schließlich gezwungen werden könnte, den arabischen
Bewohnern die gleichen
Rechte zu gewähren, wie das Recht zu wählen (etwas das sehr, sehr weit entfernt
scheint).
Dies
würde ein Staat mit ständigem Bürgerkrieg sein. Diese beiden Völker
haben nichts gemeinsam -
sozial, kulturell, religiös, ökonomisch – außer ihrem gegenseitigen Hass.
Die zweite Gefahr wird
von Daesh (IS, ISIL, ISIS) symbolisiert. Alle benachbarten Staaten
mögen sich unter dem schwarzen Banner von Allah
vereinigen und sich gegen uns
wenden. Es geschah vor 900 Jahren, als der große
Salah-ad-Din (Saladin) die arabische Welt gegen die Kreuzfahrer
vereinigte und sie ins Meer warf. (Saladin war kein Araber, sondern ein Kurde
aus dem nördlichen Irak.)
Während
Israel auf diese Eventualität
wartet, bleibt Israel bis an die Zähne bewaffnet mit massenweise Atombomben und
wird immer mehr militarisiert, spartanisiert, religiös, fanatisch, ein jüdisches
Spiegelbild des islamischen Kalifats.
Die
dritte Gefahr mag die schlimmste sein: diese wachsende Zahl von jungen, wohl
erzogener, talentierter Israelis werden in die USA und Deutschland auswandern
und hinter sich die
wenig-gebildeten, primitiveren, weniger produktive Bevölkerung zurücklassen.
Dies geschieht schon. Fast alle meine Freunde haben Söhne und Töchter, die im
Ausland leben.
Übrigens
die Entfernung scheint den „Patriotismus“ wachsen zu lassen – in der Tat
Netanjahu bemüht sich
jetzt darum, das Wahlrecht Israelis zu gewähren, die ständig im Ausland leben.
Er glaubt offensichtlich, dass die meisten von ihnen
für die extreme Rechte wählen.
Und wie
ist es mit der Zukunft des Globus? Zur Hölle mit ihm!
SEHR WENIG
Leute reden über diese Gefahren.
Stillschweigend stimmen sie darin überein, dass es da keine Lösung gibt. Warum
sollen wir uns also darüber die
Köpfe zerbrechen?
Aber da
gibt es noch eine Gefahr, über die jeder endlos redet: das Auseinanderbrechen
der israelischen Gesellschaft.
Als ich
jung war und der israelische Staat noch nicht geboren, waren wir entschlossen,
eine neue Gesellschaft zu schaffen, tatsächlich eine neue Nation, eine
hebräische Nation. Wir mieden das Wort „Jüdisch“, weil wir anders waren als die
jüdische Welt – erdgebunden, territorial, national.
Bewusst
feierten wir den „Sabra“-Prototyp. Sabra ist das hebräische Wort für die
Kaktuspflanze, die wir für eine Pflanze aus unserem Land hielten (Obwohl sie
ursprünglich aus Mexiko kommt). Die Bezeichnung wurde der neuen Generation, die
im Lande geboren wurde, gegeben. Der Tsabar
wurde für praktisch gehalten, für sachlich, weit entfernt von jüdischer
Spitzfindigkeit. Unbewusst nahmen wir an, dass der neue Typ Aschkenasi sei,
blauäugig, von europäischer Abstammung.
Unter
diesem Banner schufen wir, was wir als neue hebräische Kultur ansahen. Diese
Kultur bestand für uns nicht nur aus Literatur, Dichtung, Musik und Ähnlichem,
sondern, auch aus militärischen und zivilen Normen.
Da gab
es eine Menge Dünkel, aber wir waren stolz, etwas völlig Neues zu schaffen. Es
half uns, auf unsern eigenen Füßen zu stehen, den 1948er-Krieg
(wenn auch gerade) zu gewinnen und den
Staat zu gründen.
Wir
brachten eine riesige Welle neuer Immigranten herein, und
hier ist es, wo der Trouble begann. Beim „Ausbruch des Staates“ wie wir
auf Hebräisch im Spaß sagten, waren wir rund 650 000 Seelen. In kurzer
Zeit brachten wir mehr als eine Million neuer Immigranten nicht nur die vom
Holocaust in Europa Übrig- gebliebenen, sondern fast alle Juden aus den
moslemischen Ländern.
Diejenigen, die zögerten, denen wurde nachgeholfen. Im Irak legten israelische
Geheimagenten Bomben in einige
Synagogen, um die Juden davon zu überzeugen, dass sie gehen müssen.
Wir
erwarteten, dass die neuen Immigranten so werden wie wir – wenn nicht gleich, so
doch in einer Generation. Dies geschah aber nicht. Die „Orientalen“ hatten ihre
eigene Kultur und Traditionen; sie hatten nicht den Wunsch „Tsabars“ zu werden.
Die
Hoffnung von Leuten wie David Ben Gurion, dass sich das Problem
innerhalb weniger Jahre von alleine lösen würde, erfüllte sich nicht. Im
Gegenteil, Abneigung und gegenseitige Antipathie wuchs mit der Zeit.
Heute ist es einer dritten
und vierten Generation mehr als vorher bewusst.
DANN GIBT
es noch das „National-religiöse“ Lager, diejenigen, die die gehäkelte Kippah
tragen.
Als der
Staat ausbrach, erwartete jeder, dass die Religion aussterben würde. Hebräischer
Nationalismus wurde übernommen; die jüdische Religion gehört in die Diaspora und
wird mit den alten Leuten, die in diesem Land daran festhalten, verschwinden.
Sie wurden mit freundlicher Verachtung behandelt.
Das
Gegenteil geschah. Der 1967erKrieg, der die israelischen Soldaten an die alten
biblischen Stätten brachte, ließ die Religion sprunghaft ansteigen. Er schuf die
Siedlerbewegung, übernahm das rechte Lager und ist jetzt eine
vorherrschende Macht im
israelischen Leben und in der Politik, und übernimmt langsam die all-mächtige
Armee.
Die
„Gehäkelten“- wie wir sie nennen – sind von den Orthodoxen
unterschieden, eine getrennte Bevölkerung, die in abgeschlossenen
Vierteln lebt, schwarze Hüte und Kleidung trägt. Sie lehnen den Zionismus ganz
und gar ab, aber nützen ihr
Wahlrecht, um den Staat zu zwingen, ihre zahllosen Kinder
zu unterstützen.
Nach dem
Zusammenbruch der Sowjetunion erreichte eine riesige Welle russisch-jüdischer
Immigranten das Land. Etwa jeder fünfte Israeli ist jetzt ein „Russe“ (Alle
früheren sowjetischen Länder eingeschlossen). Die meisten von ihnen verachten
alles, was nach Sozialismus
oder Links riecht und tendieren zur äußersten Rechten, zum Nationalismus und
sogar zum Rassismus.
All dies
zusätzlich zu den 20% israelischer Bürger, die Araber sind, die dazu oder nicht
dazu gehören. Sie haben sich mehr
integriert als viele realisieren, werden aber von vielen als Feinde angesehen.
Der Ruf „Tod den Arabern“ wird bei
Fußballspielen routinemäßig geschrien.
Der
Traum einer vereinigten, homogenen,
neuen hebräischen Nation ist lange tot. Israel ist jetzt eine sehr heterogene
Nation, eher wie eine Föderation von
getrennten „Sektoren“, die
einander nicht sehr mögen: Aschkenasis, Orientalen, National-Religiöse,
Orthodoxe, Russen und Araber mit vielen
Untergruppen.
Das eine
Band, dass die meisten dieser Sektoren vereinigt, ist die Armee, in der sie alle
(außer den Orthodoxen und den Arabern) zusammen dienen.
Und
dann, natürlich gibt es den einen großen Einiger: den Krieg.
(Aus dem
Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)