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Uri Avnery, 20. Februar 2016-
DIREKT NACH
der Gründung Israels erschien Gott David Ben Gurion und sagte zu ihm: „Du hast
meinem Volk gegenüber Gutes getan. Äußere einen Wunsch und ich will ihn dir
erfüllen“.
„Ich
wünsche mir, dass Israel jüdisch, demokratisch sei
und das ganze Land zwischen
Mittelmeer und Jordan umfassen soll,“ antwortete Ben-Gurion.
„Das ist
selbst für mich zu viel“ rief Gott aus. „Aber ich will dir zwei von den drei
Wünschen erfüllen. Du kannst wählen zwischen einem jüdischen und demokratischen
Israel in einem Teil des Landes.
Einen demokratischen Staat im ganzen Land, das nicht jüdisch ist
oder ein jüdisches Israel im ganzen Land, das nicht demokratisch ist.“
Gott hat
seine Meinung nicht verändert.
WÄHREND ICH
das schreibe, ist Benjamin Netanjahu völlig
damit beschäftigt, ein neues Gesetz zu erlassen, ein Gesetz, das in der
Geschichte Israels ein Wendepunkt sein würde. Die Öffentlichkeit sieht in
belustigter Weise zu, als ob es in Kamchatka geschieht.
Dieses
Gesetz würde (ich könnte „wird“ sagen) 90 von 120 Knesset-Mitgliedern in die
Lage versetzen, einige oder alle andern Mitglieder aus der Knesset zu
vertreiben. Die Gründe für solch eine Entscheidung sind nebelhaft:
Unterstützung von „Terrorismus“
- durch reden als auch durch
handeln, Aberkennung des jüdischen Charakters des Staates Israel und Ähnliches.
Wer
entscheidet? Die Mehrheit natürlich.
Der
unmittelbare Anstoß, dieses Gesetz vorzuschlagen, wurde durch die drei
arabischen Knesset Mitglieder ausgelöst, die die Eltern von arabischen
„Terroristen“ im annektierten Ost-Jerusalem besuchten. Ich habe dies in meinem
letzten Artikel erwähnt. Sie hatten einen guten Vorwand – ihnen zu helfen die
Leichname ihrer Söhne, die an Ort und Stelle erschossen wurden,
zurückzubekommen. Aber der offensichtliche Grund war, zu kondolieren.
Jetzt
mag behauptet werden, dass eine trauernde Mutter eine trauernde Mutter ist,
ungeachtet der Ursache des Todes ihres Sohnes und dass zu kondolieren eine
menschliche Tugend ist. Aber das mag für Likud-Mitglieder zu humanistisch sein.
In den
guten alten Zeiten, als wir die „Terroristen“ waren und die Briten die Besatzer,
würde ich gewiss einem Nachbarn kondoliert haben, dessen Sohn während eines
Irgun-Überfalls erschossen worden ist. Ich denke, die Briten würden mich deshalb
nicht verhaftet haben.
Nach dem
Gesetz sind Knesset-Mitglieder immun vor Strafverfolgung wegen irgend- eines
Aktes, der mit ihren Pflichten übereinstimmt. Für Knesset Mitglieder ist ein
Besuch bei ihren Wählern unter solchen Umständen solch ein Akt. Deshalb ist ein
neues Gesetz nötig.
Und was
für ein Gesetz!
„MAN STELLE
sich so etwas in England oder in den US vor“,
donnerte Netanjahu, „ein Parlamentsmitglied oder ein Kongressmann, der
Terroristen unterstützt.“
„Man
stelle sich so etwas in Großbritannien oder den US vor,“ würde ich erwidern,
„ein Gesetz, das drei Viertel des
Parlaments oder Kongresses erlaubt,
andere rauszuschmeißen!“
Netanjahu wurde in den US erzogen.
Ganz sicherlich wurde ihm beigebracht, dass Demokratie nicht nur bedeutet, dass
die Mehrheit regiert. Adolf Hitler wurde wahrscheinlich
von der Mehrheit unterstützt. Demokratie bedeutet, dass
die Mehrheit die Rechte der Minderheit respektiert, einschließlich des
Rechtes der freien Rede.
Das
Recht der freien Rede bedeutet nicht, das Recht
populäre Ansichten auszudrücken. Populäre Ansichten benötigen keinen
Schutz. Freie Rede bedeutet, das Recht, Ansichten zu äußern, die von der
Mehrheit verabscheut wird.
Sicherlich bedeutet es, dass Minderheiten ihre Ansichten mit friedlichen Mitteln
zum Ausdruck bringen dürfen. Und hier liegt der Hund begraben.
Jeder
versteht, dass das Recht der 90, 30 zu vertreiben, eine Bedrohung
für die Araber ist, aus der Knesset vertrieben zu werden. Die „arabische“
Fraktion in der gegenwärtigen Knesset besteht aus 13 Mitgliedern und wird
wahrscheinlich bei den nächsten
paar Wahlen größer werden.
(Es ist
ein bisschen kompliziert. Die „arabische“ Fraktion schließt ein jüdisches
Mitglied ein, das sehr respektiert wird. Die „jüdischen“ Fraktionen schließen
einige arabische Mitglieder ein, die bei
ernsten Angelegenheiten nicht wagen, ihren Mund aufzumachen.)
Dies ist
kein Gesetz gegen „terroristische“ Sympathisanten. Dies ist ein Gesetz gegen die
arabische Minderheit. Die Knesset wird jüdisch sein, ganz einfach nur jüdisch.
Kommen
wir zurück auf Gottes Versprechen mit Ben Gurion. Es wird ein jüdischer Staat im
ganzen Land sein, ohne demokratisch zu sein.
JUDEN SIND
seit dem babylonischen Exil etwa
vor 2500 Jahren Minderheiten
gewesen. Alle Juden sind Tausende von Jahren Minderheiten gewesen.
Man
sollte glauben, dass 80 Generationen ausreichen, um zu erfahren, wie ein Staat
sich gegenüber Minderheiten verhalten sollte. Tatsächlich könnte man geglaubt
haben, dass alle Staaten der Welt Delegationen nach Israel senden würden, um zu
lernen, wie Minderheiten behandelt werden sollten. Der Gründer des Zionismus,
Theodor Herzl hat sicherlich so gedacht und beschrieb die idyllischen
Beziehungen zwischen dem jüdischen Staat und seinen arabischen Bewohnern in
seiner futuristischen Novelle „Altneuland“. (siehe
Bemerkung am Ende)
Leider
ist dies nicht so geworden. Die Zeiten, als ein junges und frisches Israel
Progressive aus aller Welt anzog, um die Kibbuzim und Moschavim
(kooperative Dörfer) zu sehen, sind längst vorbei. (Es kam jetzt heraus,
dass Bernie Sanders, einer der US-Demokratischen Präsidentschafts-Kandidaten
einmal ein freiwilliger Arbeiter in einem Kibbuz war). Selbst bevor das
vorgeschlagene Gesetz erlassen wird, ist Israel eines der wenigsten
demokratischen Länder der westlichen Welt, zu der Israel gehören will.
In der
Westbank, die von Israel beherrscht wird, leben etwa 2,5 Millionen Menschen, die
ohne zivile und ohne Menschenrechte sind. Gerade in dieser Woche
beschrieb Amira Hass, die
mutige israelische Berichterstatterin der Besatzung wie eine komfortable Wohnung
einer palästinensischen Bürgerfamilie mitten in der Nacht von einem Militärtrupp
besetzt wird und ihr gesagt wurde, sie solle ihr Wohnzimmer sofort
räumen, damit es ein Armee-Außenposten werden kann – so sagte man ihnen.
Die Soldaten brachten ein tragbares chemisches WC
mit, aber urinierten selbst frei vom Balkon.
Wir
glaubten eine Zeit lang, dass Israel „die einzige Demokratie im Nahen Osten“
bleiben könnte, während es große Gebiete besetzt hält. Hielten die Briten nicht
hunderte Millionen Inder unterjocht, während das Heimatland ein
leuchtendes Beispiel für Demokratie blieb? Sicherlich, aber ein Engländer
benötigte mehrere Wochen, um von Liverpool nach Bombay zu segeln, genug Zeit, um
seine Persönlichkeit zu verändern, während wir nur fünf Minuten brauchen , um
von Israel in die Westbank zu kommen.
DIE ARABISCHEN Bürger
im eigentlichen Israel machen 20 % der Bevölkerung aus. Sie sind der Rest einer
großen Mehrheit, die meisten von ihnen waren geflohen oder wurden vertrieben.
Dieser
Prozentsatz ist von Anfang des Staates an bis jetzt geblieben, eine Zeit, in der
die Bevölkerung von Israel um das
Zehnfache gewachsen ist.
Ein
Wunder? Beinahe. Das riesige natürliche Anwachsen der arabischen Bevölkerung hat
die jüdische Einwanderung ausbalanciert, die zunächst aus den islamischen
Ländern, dann aus Russland und zuletzt aus Äthiopien gekommen ist. Die Araber
sind immer noch 20%, wie Gott es voraussah.
Die erste Generation
„israelischer Araber“ – wie die Juden sie zu ihrem Missfallen nennen,
waren bescheiden und untertänig, noch immer geschockt von der immensen
Katastrophe, die über ihr Volk gekommen war. Um der Sicherheit willen wurden sie
einer „Militärregierung“ unterworfen, die die Bewegungsfreiheit einschränkte.
Ein Araber konnte nicht ohne schriftliche, militärische Genehmigung von einem
Dorf ins andere gehen, noch weniger einen Traktor kaufen
oder seinen Sohn zum Studieren schicken. Dieses System wurde erst nach 17
Jahren aufgehoben.
Man mag
sich fragen, warum ihnen das Stimmrecht überhaupt gewährt wurde. Nun, da sie so
gutmütig waren, entschied Ben Gurion, durch und durch Partei-Mensch, sie
würden die Mehrheit seiner
Partei bei den Wahlen abstützen.
Dies geschah tatsächlich.
Aber nun
gibt es eine dritte Generation arabischer Bürger. Nun gibt es arabische
Universitätsprofessoren, Chefärzte,
Unternehmer, sogar
Polizei–Kommandeure. Es gibt palästinensische Nationalisten, Islamisten,
Kommunisten. Sie haben Gefühle, Forderungen, ja sogar die Frechheit, volle
Gleichheit zu verlangen.
Das
würde in einer normalen Situation ein genügend großes Problem sein. Aber die
Situation hier ist nicht normal. Israels nationale Minderheit ist ein Teil des
palästinensischen Volkes, deren ganzes Gebiet die gegenwärtige israelische
Führung wegzunehmen wünscht.
GANZ HINTEN
in meinem Kopf habe ich ein Drehbuch für einen Film. Ich bin bereit, es
weiterzugeben.
Zwei
jüdische Brüder, nennen wir sie Abraham und David flohen aus Nazi-Deutschland.
David ging in die USA. Abraham nach
Palästina.
David
schließt sich natürlich der Bewegung von Martin-Luther-King an und wird
führender Aktivist für zivile Rechte und ist jetzt ein eifriger Mitkämpfer für
die Rechte von Minderheiten. Er unterstützt auch BDS, die
zum Boykott von Israels Siedlungen aufruft.
Abraham,
der sich selbst Rami nennt, ist ein Offizier in der israelischen Armee, ein
eifriger Nationalist und regelmäßiger Likud-Wähler, ein Bewunderer von
Netanjahu. Durch reinen Zufall (Dies ist schließlich ein Film) war er einmal
ein-Mitglied desselben Kibbuzes, in dem Bernie Sanders als freiwilliger Arbeiter
war.
Er hat
die Verantwortung für einen großen Teil der Westbank und ist zufällig
auch verantwortlich für die Order, nach der Palästinenser aus ihrer
Wohnung geworfen werden – aus
Sicherheitsgründen.
David
leitet eine amerikanische Menschenrechts-Delegation, die kommt, um das zu
untersuchen, was in den besetzten Gebieten geschieht. Rami hat die Aufgabe, dies
zu verhindern. Und so weiter.
AUF GOTT
zurückzukommen. Er schüttelt seinen Kopf. Diese Menschen – so fragt Er sich
Selbst – werden sie nie lernen?
Kein
Land hat jemals davon profitiert, dass es seine Minderheiten hinausgeworfen hat.
Nazi-Deutschland warf seine jüdischen Wissenschaftler hinaus, einige von ihnen
gingen in die US und bauten für Amerika die Atombombe. Lange zuvor warf der
katholische König von Frankreich die protestantischen Hugenotten hinaus, die
nach Preußen emigrierten und die eine kleine Garnisonstadt mit Namen Berlin in
ein Weltzentrum von Industrie und Kultur verwandelten. Es gibt noch mehr
Beispiele.
Falls
zweitausend Jahre uns nicht irgendetwas gelehrt haben, wann werden wir jemals
lernen ? (Aus dem
Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)