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An die

Außenminister und Vertreter der Europäischen Union

 Von Gush Shalom  5.9.13

 

Wir, israelische Bürger, sind zutiefst besorgt um die Zukunft unseres Landes und unserer Region und schreiben Ihnen diesen Brief vor Ihrem Treffen mit dem Rat für Auswärtige Angelegenheiten, vorgesehen für den 6. September.

Wir schreiben Ihnen vor allem als Mitglieder von Gush Shalom, dem israelischen Friedensblock, einer Basisorganisation, die im Jahr 1992 gegründet wurde. Seit dieser Zeit kämpft unsere Organisation darum, um das politische System zu engagieren und den Gedanken an Frieden zwischen Israel und seinen palästinensischen und anderen arabischen Nachbarn zu fördern. Es ist unser fester Glaube, dass das Überleben Israels auf lange Sicht und sein Wohlergehen von der Fähigkeit unseres Landes abhängt, eine Integrierung in die Region zu erreichen. Ein unabdingbarer erster Schritt würde ein israelischer Rückzug aus den im Jahre 1967 besetzten Gebieten sein und die seit langem fällige Schaffung eines unabhängigen palästinensischen Staates in diesen Gebieten.

 

In den letzten Jahren wurden wir immer besorgter über den Anstieg eines expansionistischen Nationalismus in der israelischen Gesellschaft und in seinem politischen System. Solchen Erscheinungsformen wird oft durch eine tendenziöse und selektive Interpretation der jüdischen Schriften eine religiöse Rechtfertigung gegeben . Vertreter solcher Tendenzen besetzen Schlüsselpositionen in den aufeinanderfolgenden Kabinetts, einschließlich dem derzeitigen. Dieser expansionistische Nationalismus manifestiert sich selbst vor allem in dem Beschluss,  an bewaffneten Sicherheitskräften in den besetzten Gebieten seit 1967 festzuhalten und in einem unnachgiebigen Antrieb, die israelischen Siedlungen in diesen Gebieten auszuweiten.  Die Siedlungen stellen nicht nur eine offensichtliche Verletzung des Internationalen Rechts und ein eklatantes Hindernis für jegliche Chance, Frieden mit den Nachbarn zu erreichen, dar, sondern ein großer Teil der ökonomischen Ressourcen unseres Landes wird, zum großen Schaden der israelischen Gesellschaft insgesamt, in ein Fass ohne Boden des Siedlungsprojekts gegossen.

 

In dieser Situation schreiben wir Ihnen, indem wir uns in höchstem Maße der wichtigen Rolle bewusst sind, die die Internationale Gemeinschaft allgemein und die Europäische Union insbesondere spielen könnte oder sollte. Vor allem beziehen wir uns auf die Resolution des Rates für Auswärtige Angelegenheiten vom 10. Dezember 2012, in der die EU ihre Verpflichtung ausdrückt, „sicherzustellen, dass in Übereinstimmung mit dem Internationalen Recht alle Vereinbarungen zwischen dem Staat Israel und der Europäischen Union unwiderruflich und ausdrücklich ihre Unanwendbarkeit in den von Israel im Jahre 1967 besetzten Gebieten bezeugen müssen, und zwar den Golanhöhen, der Westbank einschließlich Ostjerusalem und dem Gazastreifen.“  Des Weiteren beziehen wir uns auf die Richtlinien, die die Europäische Kommission am 19. Juli dieses Jahres veröffentlicht hat, die auf die Erfüllung der obigen Resolution in der Praxis zielen.

 

Wie Ihnen bewusst sein muss, hatte die Veröffentlichung vom 19. Juli eine weitaus größere Auswirkung in Israel als das vorherige EU-Statement zu diesem Thema, aus dem einfachen Grund, weil dies das erste Mal war, dass die EU über eine verbale Missbilligung der Siedlungen hinausgegangen ist. Besonders die israelische Beteiligung am europäischen Horizont -2020-Projekt wurde an die Bedingung geknüpft, dass Israels Regierung ihr Einhalten der obigen Grundsätze ausdrücklich erklärt.

 

Die Regierung von Netanyahu wird mit einem schweren Dilemma konfrontiert, indem sie nun tatsächlich zwischen einer Förderung des Siedlungsprojektes und dem Erwerb beträchtlicher Zuschüsse, die die israelische Wissenschaft, das akademische Leben und die Wirtschaft durch die Teilnahme am Projekt Horizont- 2020 beziehen könnte, wählen muss,  da diese beiden Ziele sich absichtlich gegenseitig ausschließen.

 

Wie mehrere Male in den israelischen Medien veröffentlicht wurde, hofft die Netanyahu-Regierung, dieses Dilemma zu vermeiden, indem sie die Europäische Union überredet, ihre Position zu ändern oder zu lockern. Zudem gab es Hinweise auf solche Annäherungen der israelischen Regierung, ausgewiesen auf der Tagesordnung des 6. Septembers.

 

Wir möchten Ihnen zur Kenntnis bringen, dass viele in Israel ihre jetzige Position als Ausdruck einer wahren Freundschaft und Sorge um Israel ansehen. Es ist entscheidend für Israel, unser Land, die Verhaltensnormen anzunehmen, die bei westlichen Demokratien vorherrschen, von denen Israel anstrebt, eine zu sein.  Es ist das existentielle Interesse Israels, mit der Tatsache fertig zu werden, dass es in der heutigen Welt inakzeptabel ist,  andere Menschen mit Gewalt zu beherrschen, das Land dieser Menschen zu konfiszieren und darauf zu siedeln. Die Europäische Union würde Israels Interessen am meisten unterstützen, wenn sie unabdingbar auf diesen Grundsätzen bestünde.

 

Wir sind uns wohl bewusst, dass Sie ebenso wie bei dem obigen Thema auch aufgrund der Situation in anderen Ländern unserer Region besorgt sind, vor allem um Syrien und Ägypten, und dass diese

auf der Tagesordnung Ihrer kommenden Sitzung Priorität haben. Es wäre falsch, zu behaupten, dass alle Probleme des Nahen Ostens einzig und alleine aus dem israelisch-palästinensischen Konflikt herrühren. Aber ganz richtig wäre es, zu sagen, dass ein Ende der israelischen Besetzung und eine Lösung unseres sehr lang andauernden Konflikts einen positiven, beruhigenden Einfluss auf die gesamte Region haben könnte.

 

Ihr

 

Uri Avnery

 

Adam Keller

 

 

 

 

(aus dem Englischen übersetzt v. Inga Gelsdorf)