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Uri
Avnery, 21.Mai 2016
„BITTE,
SCHREIBE nicht über Yair Golan:“ bat mich ein-Freund, „irgend ein Linker wie
du wird ihn nur verletzten.
Also
verzichtete ich einige Wochen. Aber
nun konnte ich nicht mehr still bleiben.
General
Yair Golan, der Vertreter des Generalstabschef der israelischen Armee hielt am
Holocaust/Gedenktag eine Rede. Er trug seine Armee-Uniform. Er las eine gut
vorbereitete Rede, die einen Aufruhr verursachte, der noch nicht abgeklungen
ist.
Dutzende
von Artikeln sind veröffentlicht worden, einige verurteilen ihn, einige lobten
ihn. Es scheint, dass keiner gleichgültig sein konnte.
Der
Hauptsatz war „Falls es etwas gibt, das mich über die Erinnerungen an den
Holocaust erschreckt, ist es das Wissen über einen entsetzlichen Prozess, der
sich in Europa abspielte und ganz besonders in Deutschland, vor 70,80, 90 Jahren
und Spuren davon hier in unserer
Mitte, heute im Jahr 2016.
Die
Hölle brach los. Was!!! Spuren von Nazismus in Israel. Etwas Ähnliches zwischen
dem, was die Nazis uns antaten, was wir mit den Palästinensern tun?
Vor 90
Jahren war 1926 eine der letzten Jahre der Deutschen Republik. vor 80 Jahren,
das war 1936, drei Jahre nachdem die Nazis an die Macht kamen. Vor 70 Jahren
- das war 1946 - am Morgen als Hitler
Selbstmord beging und das Ende des Nazireichs.
ICH FÜHLTE
mich verpflichtet, über die Rede des Generals zu schreiben, schließlich war ich
ja dort.
Als Kind
war ich ein Augenzeuge der letzten Jahre der Weimarer Republik (sie wurde so
genannt, weil seine Verfassung, in Weimar Gestalt annahm, der Stadt von Goethe
und Schiller. Als ein politisch wacher Junge, war ich Zeuge der
Nazi-Machtergreifung und des ersten Halbjahres der Naziherrschaft.
Ich
weiß, was Golan aussprach. Auch wenn wir zu
zwei verschiedenen Generationen gehörten, so teilten wir denselben
Hintergrund. Unsre beiden Familien kamen aus kleinen Städten in Westdeutschland.
Sein Vater und ich müssen eine
Menge gemeinsam haben.
Es gibt
strenge moralische Vorschriften in Israel: nichts kann mit dem Holocaust
verglichen werden. Der Holocaust ist einmalig. Es geschah mit uns, den Juden,
weil wir einzigartig sind (Die religiösen Juden würden hinzufügen: „Weil Gott
uns auserwählt hat.“)
Ich
habe diese Gebote überschritten just bevor Golan geboren wurde,
veröffentlichte ich (auf Hebräisch) ein Buch das „Swastika“ hieß (Hakenkreuz),
in dem ich meine Kindheitserinnerungen erzählte. Ich versuchte, die
Schlussfolgerungen daraus zu erzählen. Es war an einem Vorabend des
Eichmann-Prozesses, als ich über den Mangel an Wissen über die Nazi-Ära unter
jungen Israelis schockiert war.
Mein
Buch befasste sich nicht mit dem Holocaust, der sich ereignete, als ich schon in
Palästina lebte, aber eine Frage, die mich während all der Jahre und sogar heute
noch beunruhigt: Wie konnte so etwas in diesem Deutschland geschehen, das
vielleicht die kulturellste Nation
n der damaligen Zeit und Welt war, die Heimat von Goethe, Beethoven und Kant,
konnte demokratisch einen völlig irren Psychopathen wie Adolf Hitler gewählt
werden?
Das
letzte Kapitel des Buches hatte den Titel „Es kann auch hier geschehen!“
Der Titel wurde von einem Buch des amerikanischen
Romanautor Sinclair Lewis, ironischer Weise auch
„Es kann hier nicht geschehen“
, in dem er eine Nazi-Übernahme schildert.
In
diesem Kapitel diskutierte ich die Möglichkeit einer jüdischen Nazi-ähnlichen
Partei, die in Israel an die Macht kommt. Meine Schlussfolgerung war, dass eine
Nazi-Partei in jedem Land der Erde zur Macht kommen wird, wenn die Bedingungen
richtig sind, auch in Israel.
Das Buch
wurde weithin in der israelischen Öffentlichkeit ignoriert, das damals
von einem Sturm von Emotionen von den schrecklichen Enthüllungen des
Eichmann- Prozesses hervor gerufen
war.
Jetzt
kommt General Golan, ein angesehener Berufssoldat und sagt dasselbe.
Und
nicht als eine improvisierte Bemerkung, sondern, bei einer offiziellen
Gelegenheit, bei der er die Uniform eines Generals trägt, bei der er von einem
vorbereiteten Text liest, ein gut durchdachter Text.
Der
Sturm brach los, und ist noch nicht vorbei.
DIE ISRAELIS
haben eine selbst-schützende Gewohnheit: wenn sie mit unangenehmen
Wahrheiten konfrontiert werden, dann weichen sie seinem Wesen aus und
beschäftigen sich mit einer zweitranigen, unbedeutenden Ansicht. Von all den
Dutzenden und aber-dutzenden von Reaktionen in der Presse, den TV-Medien und
politischen Plattformen, befasst sich fast keiner mit der schmerzlichen
Behauptung.
Nein,
die wilde Debatte, die ausbrach, betrifft die Fragen: ist es einem hochrangigen
Armee –Offizier erlaubt, eine Meinung über Sachen zu äußern, die das zivile
Establishment betreffen? Und das in
Armeeuniform? Bei einer offiziellen Angelegenheit?
Sollte
ein Armee-Offizier über seine politische Einstellung schweigen? Oder nur bei
geschlossenen Sitzungen – „bei relevanten
Sitzungen“ wie ein wütender Binjamin Netanjahu es formuliert?
General
Golan erfreut sich in der Armee eines hohen Grades von Achtung. Als Vertreter
des Staatschefe war er bis jetzt fast sicher ein Kandidat für den Stabschef,
wenn der Amtsinhaber nach den üblichen vier Jahren das Büro verlässt.
Die
Erfüllung dieses Traumes, die er mit jedem Generalstabschef teilt, ist jetzt
sehr gering. Praktisch hat Golan jetzt seine weitere Beförderung geopfert, um
seine Warnung zu äußern und gab seine weitest mögliche Resonanz auf.
Man kann
solchen Mut nur bewundern. Ich bin niemals General Golan begegnet.
Ich glaube und kenne seine politischen Ansichten nicht. Aber ich
bewundere sein Handeln sehr.
(Irgendwie erinnere ich mich an einen Artikel, der im britischen Magazin Punch
vor dem 1.Weltkrieg kam, als eine Gruppe jüngerer Offiziere ein Statement
veröffentlichten, in dem sie gegen die Regierungspolitik in Irland waren. Das
Magazin sagte, dass während die rebellischen Offiziere ihre Meinung sagten, war
es über die Tatsache stolz, dass so junge Offiziere bereit waren, ihre Karriere
für ihre Überzeugung zu opfern.)
DER NAZI
–Marsch an die Macht begann 1929, als es eine schreckliche weltweite
wirtschaftlich Krisis in Deutschland gab. Eine winzige sehr rechte Partei wurde
plötzlich eine politische Macht, mit der gerechnet werden musste. Von da an
brauchte es noch vier Jahre, um die größte Partei im Land zu werden und die
Macht zu übernehmen. (auch wenn es noch eine Koalition bräuchte).
Ich war
dort, als es geschah, ein politisch wacher Junge in einer Familie, in der die
Politik das Hauptthema bei Tisch war. Ich sah wie die Republik zusammenbrach,
allmählich, langsam, Schritt um Schritt. Ich sah wie Freunde meiner Familie eine
Hakenkreuzfahne hissten. Ich sah
wie Lehrer des Gymnasiums zum ersten Mal ihren Arm hoben, wenn sie in die Klasse
kamen und mit „Heil Hitler“ grüßten. (und dann insgeheim mich beruhigend, dass
sich nichts verändert hat).
Ich war
der einzige Jude im ganzen Gymnasium. Als die hundert Jungen – alle größer als
ich – ihre Arme hochhoben und die Nazi-Nationalhymne sangen – und ich es nicht
tat, bedrohten sie mich, mir die Knochen zu brechen, wenn dies noch einmal
geschah. Ein paar Tage später verließen wir Deutschland für immer.
General
Golan wurde angeklagt, er würde Israel mit Nazi-Deutschland vergleichen. Nichts
davon. Ein sorgfältiges Lesen seines Textes zeigte, dass er Entwicklungen in
Israel verglich, die zur Zersetzung der Weimarer Republik führte. Und dass dies
ein zulässiger Vergleich ist.
Es
geschehen Dinge in Israel, besonders seit der letzten Wahl, die eine
erschreckende Ähnlichkeit mit jenen Ereignissen haben. Der Prozess ist ganz
anders. Der deutsche Faschismus kam als Demütigung der Kapitulation im ersten
Weltkrieg, und der Besatzung des Ruhrgebietes durch Frankreich und Belgien
(1923-25), der schrecklichen wirtschaftlichen Krise von 1929, dem Elend der
Millionen Arbeitsloser. Israel ist in seinen häufigen militärischen Aktionen
siegreich, Wir lebten ein angenehmes Leben. Die Gefahren, die uns bedrohten,
sind von völlig anderer Art
gewesen. Sie stammten von unsern
Siegen, nicht von unsern Niederlagen.
Tatsächlich sind die Unterschiede zwischen Israel von heute
und dem Deutschlandvon
damals weit größer als die Ähnlichkeiten. Doch jene Ähnlichkeiten
existieren
- und der General hatte recht, darauf hinzuweisen.
Die
Diskriminierung der Palästinenser in praktisch allen Lebensgebieten können mit
der Behandlung der Juden in der ersten Phase im Nazideutschland verglichen
werden. Die Unterdrückung der Palästinenser in den besetzten Gebieten ähnelt
mehr der Behandlung der Tschechen im Protektorat nach dem Münchner Vertrag.
Der
Regen des rassistischen Entwurfes in der Knesset, jene die schon adoptiert und
jene , die stark an die Gesetze vom Reichstag in den frühen Tagen des
Nazi-Regime erinnert. Einige Rabbiner rufen zu einem Boykott der arabischen
Läden auf wie damals. Der Ruf „Tod den Arabern“ („Juda verrecke?“) wird
regelmäßig bei Fußball –Spielen gehört. Ein Mitglied des Parlaments hat für die
Trennung von jüdischen und arabischen Neugeborenen im Krankenhaus gerufen. Ein
Oberrabbiner hat erklärt, dass Goyim (Nicht--Juden) von Gott geschaffen wurden,
damit sie den Juden dienen. Unsere Minister für Bildung und Kultur sind eifrig
dabei, die Schulen, Theater und Künste der extremen Rechte, etwas was in
Deutschland als Gleichschaltung bekannt war. Der Oberste Gerichtshof – der Stolz
Israels - wird schonungslos vom Justiz-Minister angegriffen.
Der Gazastreifen ist ein riesiges Ghetto.
Natürlich wird keiner der Rechten
im Entferntesten Netanjahu mit dem Führer vergleichen, aber es gibt politische
Parteien hier, die einen starken faschistischen Geruch abgeben. Das
politische Gesindel besiedelt die gegenwärtige Netanjahu-Regierung könnte
leicht seinen Platz in der ersten Nazi-Regierung finden.
Einer
der Hauptslogans unserer gegenwärtigen Regierung ist, die „alte Elite“ zu
ersetzen, da sie zu liberal sei mit einer neuen. Eines der Haupt Nazi-Slogans
war, „das System“ zu
ersetzen.
ALS DIE
Nazis übrigens an die Macht kamen,
wurden fast alle hochrangigen Offiziere der deutschen Armee stille Anti-Nazis.
Sie dachten sogar an einen Putsch gegen Hitler. Ihr politischer Führer wurde -
kurz gefasst - ein Jahr später exekutiert, als Hitler seine Gegner in seiner
eigenen Partei liquidierte. Uns
wurde gesagt, dass General Golan von einem
persönlichen Bodygard geschützt wird --
etwas das vorher nie in den
Annalen Israels einem General geschah.
Der
General erwähnte die Besatzung und
die Siedlungen nicht, die unter der Herrschaft der Armee waren. Aber er erwähnte
die Episode, die vor kurzem vor seiner Rede geschah und die noch immer Israel
erschütterte: im besetzten Hebron unter der Herrschaft der Armee sah ein Soldat
einen schwer verletzten Palästinenser hilflos auf dem Boden liegen, er näherte
sich ihm und tötete ihn mit einem Schuss in den Kopf. Das Opfer hatte versucht,
einige Soldaten mit dem Messer anzugreifen, stellte aber
jetzt keine Bedrohung mehr für irgendjemand dar. Dies war ein klarer
Verstoß gegen die Armeebefehle. Der
Soldat ist vor ein Kriegsgericht geschleppt worden.
Ein
Schrei ging durch das Land: Der Soldat ist ein Held. Er sollte ausgezeichnet
werden! Netanyahu rief seinen Vater an, um ihm zu versichern, dass er seine
Unterstützung habe.
Avigdor
Lieberman betrat den vollen Gerichtsraum, um seine
Solidarität mit dem Soldaten auszudrücken. Ein paar Tage später ernannte
Netanjahu Lieberman zum Verteidigungsminister, der zweit wichtigste Office ???
in Israel. Vor dem erhielt General Golan starke Unterstützung vom
Verteidigungsminister Moshe Ya’alon und dem
Stabschef Gabi Eisenkot.
Wahrscheinlich war dies der unmittelbare Grund für den Rauswurf von Yaalon und
der Ernennung von Lieberman an seiner Stelle. Es erinnert an einen Putsch.
Es
scheint, dass Golan nicht nur ein mutiger Offizier ist sondern
auch ein Prophet. Die Einbeziehung von
Liebermans Partei in der Regierungskoalition bestätigt Golans schwärzeste
Befürchtungen. Dies ist noch ein Schlag gegen Israels Demokratie.
Bin ich
als Zeuge verdammt, denselben Prozess
zum 2. Mal in meinem Leben zu erfahren?
Es ist
dieser Vorfall, der den General erregte, auszusprechen und das Land warnte. Ich
kann ihn nur grüßen. ( dt.
Ellen Rohlfs, vom Verfasser …..