Israel Palästina Nahost Konflikt Infos
Interim – für immer
Uri Avnery,
1.1.11
„ICH HABE drei Antworten,“
sagte der Jude zum Rabbi, als sein Nachbar ihn verklagte, einen ausgeliehenen
Krug nicht zurückgegeben zu haben.
Avigdor Liebermans
Friedensplan zeigt eine ähnliche
Art von Logik.
FRIEDENSPLAN? Von
Lieberman? Oh ja. Im Gegensatz zu allem, was man denkt,
wünscht Lieberman Frieden, ja er sehnt sich nach Frieden. So sehr, dass
er Tage und Nächte verbrachte, um einen ganzen eigenen Friedensplan zu
produzieren.
In dieser Woche zitierte er
Israels 170 ranghöchste Diplomaten, die Elite unseres Außendienstes, und
verriet ihnen seine Gedanken. Die Meinungen des Außenministers sind
natürlich für die Diplomaten
verpflichtend, und von jetzt an stellen sie die Leitlinie aller israelischen
diplomatischen Vertretungen rund um die Welt dar.
Aber zunächst rechnete er
mit den Türken ab. Sie verlangen von Israel eine Entschuldigung dafür, dass es
die neun türkischen
Aktivisten auf dem Schiff, das die
Gazablockade durchbrechen wollte, umgebracht hatte. Die Türken verlangten auch,
dass Israel an die
hinterbliebenen Familien
Schadenersatz zahlt. Sie bestehen darauf, dass Israels Soldaten das türkische
Schiff auf hoher See unrechtmäßig angriffen
und die unbewaffneten
Aktivisten erschossen haben..
„Für ihre Frechheit gibt es
keine Grenzen,“ rief Lieberman
empört. „Jeder weiß ja, dass es die Türken waren, die unsere Soldaten angriffen,
die unschuldig von ihren Helikoptern abgeseilt wurden und gezwungen waren, aus
Selbstverteidigung zu schießen.“
Lieberman wusste natürlich,
dass Netanyahu mit den Türken verhandelte, um dem Konflikt ein Ende zu machen.
Der Verteidigungsminister Ehud Barak und die Armeechefs übten Druck auf ihn aus,
um die guten Beziehungen zu Ankara wiederherzustellen und vor allem zu dem
türkischen Militär – Beziehungen, von denen sie glauben, dass sie von größerem
strategischen Wert für Israel sind. Die Türken ihrerseits wissen, dass Israel
den US-Kongress kontrolliert und deshalb auch glauben, dass ein Kompromiss gut
für sie wäre. Netanyahus Abgesandter überlegte sich eine Formel, die weniger als
eine Entschuldigung sein würde und Ankara
gerade noch zufrieden stellen würde.
Lieberman machte dieser
Beschwichtigungspolitik ein Ende. Netanyahu kann es sich nicht leisten, neben
seinem Macho-Außenminister wie ein Schwächling dazustehen. Deshalb erklärte er,
er würde sich nie und nimmer entschuldigen.
Für Lieberman war es ein
großer Sieg. Netanyahu kapitulierte. Barak war gedemütigt. Die Türken blieben
Feinde. Was kann sich ein Außenminister mehr wünschen?
ABER LIEBERMAN ruhte nicht einen Augenblick auf seinen Lorbeeren aus. Bei dem selben Treffen mit den auserwählten 170 legte er seinen großen Plan B vor.
Moment mal, wenn dies Plan
B ist, was ist dann Plan A?
Netanyahu hat natürlich
keinen Friedensplan. Seine erklärte Position ist die, dass die Palästinenser zu
direkten Gesprächen zurückkehren müssen – ohne Vorbedingungen. Aber erst,
nachdem sie offiziell Israel als den Staat des jüdischen Volkes anerkannt haben
( oder die andere Version: als einen „jüdischen und demokratischen Staat“). Es
ist klar, dass von den Palästinensern nicht erwartet werden kann, mit solch
einer Vorbedingung einverstanden zu
sein.
Auf welchen „Plan A“ spielt
Lieberman also an? Nicht auf Netanyahus, sondern auf
Barack Obamas. Der amerikanische Präsident sprach über zwei Staaten mit
den Grenzen von 1967 und einer palästinensischen Hauptstadt in Ost-Jerusalem.
Auf keinen Fall, sagt
Lieberman. Und wie der Jude, der wegen des Kruges verklagt wurde, hat auch er
drei Antworten:
Erstens:
wie haben keinen Partner für Frieden
Zweitens: die israelische
Regierung kann keinen Frieden machen.
Drittens: Frieden ist nicht gut
für uns.
WIR HABEN keinen Partner
für Frieden, weil die Palästinenser keinen Frieden wollen. Liebermann, der
Immigrant aus Moldavien, kennt die Palästinenser
anscheinend viel besser, als sie sich selbst kennen. Deshalb behauptet er
kategorisch: „Selbst wenn wir den Palästinensern Tel Aviv anbieten würden und
einen Rückzug zu den Grenzen von 1947, würden sie einen Grund finden, einen
Friedensvertrag nicht zu unterzeichnen.“ (Die 1947 Grenzen – von den UN
festgelegt – gaben Israel 55% des Landes, während die 1949-1967-Grenzen
Israel 78% gaben.
Diese Sache könnte also
leicht geregelt werden: Israel könnte
mit Verhandlungen beginnen und einen Friedensplan anbieten, der innerhalb
der Parameter von Präsident Bill Clinton und Barack Obama liegt. Wenn die
Palästinenser sich weigern, würden wir nichts verlieren, und sie würden vor der
ganzen Welt beschämt dastehen.
Lieberman scheint solch
eine Möglichkeit nicht zu überblicken, und deshalb hat er ein alternatives
Argument vorbereitet: wir können nicht mit den Palästinensern verhandeln, da sie
keine legitime Führung haben.
Warum nicht legitim? Hier
entpuppt sich Lieberman als der prinzipientreue Demokrat, der er ist.
Mahmoud Abbas’
Regierungszeit ist abgelaufen. Die palästinensische Behörde hat keine neue
Wahlen abgehalten. Kann man von Israel, der „ Leuchte der Demokratie im Nahen
Osten“, verlangen, mit einer Führung Frieden zu machen, die nicht
rechtmäßig gewählt wurde?
Nun, das ist undenkbar.
Israel wird seine heiligen
Prinzipien nicht verraten. Ein engagierter Demokrat wie Lieberman kann und wird
nicht damit übereinstimmen.
Die große Mehrheit des
palästinensischen Volkes ist dafür, dass Abbas die Verhandlungen durchführt.
Sogar die Hamas hat kürzlich ( nicht zum ersten Mal) erklärt, wenn Abbas ein
Friedensabkommen erreicht, und wenn dieses vom palästinensischen Volk
in einem Referendum bestätigt wird, dann würde die Hamas dieses
akzeptieren, auch wenn es gegen ihre Prinzipien wäre.
Aber das interessiert
Lieberman nicht. Er wird sich nicht kompromittieren lassen durch ein Verhandeln
mit einer Führung, deren demokratische Referenzen zweifelhaft sind.
DIES IST nicht so
wichtig, weil – nach Lieberman – Israel selbst keinen Frieden machen
kann.
Ganz einfach: „es gibt
große Meinungsunterschiede innerhalb der Koalition“. Er drückt es so aus: „Ich
denke nicht, dass es möglich ist, einen gemeinsamen Nenner zwischen Eli Yishai
und Ehud Barak zu erreichen oder zwischen mir und Dan Meridor oder im Likud gar
zwischen Benny Begin und Michael Eytan ( Meridor, Begin und Eytan sind alles
Minister ohne Portefeuille)…In den gegenwärtigen politischen Umständen ist es
unmöglich für uns, einen Plan für eine permanente Regelung aufzustellen, weil
die Koalition dies einfach nicht überleben würde“.
Für Lieberman wie für
Netanyahu ist die anhaltende
Existenz der gegenwärtigen Koalition eindeutig wichtiger, als eine „permanente
Regelung“ zu erreichen“. Man könnte zwar leicht eine alternative Koalition
aufstellen, die sich auf den Likud, Kadima und Labor gründet, aber für Lieberman
– und anscheinend auch für Netanyahu – ist sie keine Überlegung wert.
DIE SCHLUSSFOLGERUNG
nach Lieberman: Frieden ist nicht möglich, nicht jetzt und nicht für die
kommenden Jahrzehnte.
Aber glücklicherweise hat
er eine Alternative, die viel besser ist als
ein endgültiges
Friedensabkommen.
Sie wird „langfristiges
Interim-Abkommen“ genannt.
In dieser Woche verriet
Lieberman seine Grundlage: „Eine viel größere Zusammenarbeit mit der
palästinensischen Behörde in den Bereichen der Sicherheit und Wirtschaft … das
Ziel des Planes ist es, die Situation in der Westbank zu stabilisieren, die
Sicherheitszusammenarbeit mit der palästinensischen Behörde zu vermehren, um den
Palästinensern mehr Verantwortung für die Sicherheit für das zu geben, was vor
Ort geschieht.“
So ist es möglich,
schließlich doch mit dem illegitimen Regime von Mahmoud Abbas zusammen zu
arbeiten, wenn er weiter mit dem israelischen Militär und dem Shin Bet
kollaboriert und Angriffe gegen Israel und auf die Siedlungen verhindert. Für
diesen Dienst werden sie gut bezahlt werden: „Nach dem Plan wird die
palästinensische Wirtschaft gestärkt, in dem die Bewegungsfreiheit zwischen den
palästinensischen Städten in der Westbank bedeutend verbessert wird und
verschiedene wirtschaftliche Anreize gegeben werden.
Das bedeutet: für die Dienste der palästinensischen Sicherheitsdienste für Israels Sicherheit wird Israel den Bewohnern von Nablus großzügig erlauben, nach Ramallah zu gehen, den Bewohnern von Bethlehem Hebron zu erreichen. Palästinensische Arbeiter werden weiter die Siedlungen bauen , deren Zahl mächtig steigen wird, und die wirtschaftliche Situation wird sich verbessern.
Der Plan legt auch
folgendes fest: das palästinensische Bruttosozialprodukt (BSP) pro capita
muss über 20 000$ erreichen (zehnmal oder mehr als das gegenwärtige BSP).
„Wenn die wirtschaftliche Situation innerhalb der palästinensischen Behörde
in Israel etwa gleich ist, wird es leichter sein, die politischen
Verhandlungen wieder aufzunehmen und eine permanente Regelung zu erreichen.“
Mit andern Worten: die
Besatzung wird weitergehen, bis folgendes geschieht: entweder der Lebensstandard
der Palästinenser wird den von Israel erreichen oder der Messias
wird kommen – was vielleicht vorher geschieht.
Auf jeden Fall gibt es keine klare Anzeichen, dass entweder das eine oder
andere innerhalb der nächsten Jahrzehnte geschehen wird.
IST DIES allein der Plan
von Lieberman oder auch der von Netanyahu?
Als Netanyahu über die Rede
seines Außenministers gefragt wurde, gab er eine ausweichende Antwort. Jeder
Minister hat das Recht zu sagen, was er will, sagte er, aber nur die offizielle
Regierungspolitik zählt.
Nun vor allem, der
Außenminister ist nicht „jeder Minister“. Die politischen Überlegungen des
vertretenden Transportministers
(wenn es einen hat) mag unwichtig
sein, aber der Außenminister ist der
internationale Sprecher des Staates, der Vertreter der Regierung im
Ausland.
Aber Netanyahu fuhr fort,
wenn die Verhandlung wieder aufgenommen
und diese Verhandlungen gegen eine Mauer stoßen würden, wäre es sehr
gut möglich, dass es keine andere Wahl geben wird, als ein
Interim-Abkommen abzuschließen.
Praktisch verhindert
Netanyahu selbst den Beginn der Verhandlungen, weil er sich weigert, den
Siedlungsbau einzufrieren, und verlangt, dass die Palästinenser Israel als einen
„Jüdischen Staat“ anerkennen. Und selbst wenn die Verhandlungen wieder
aufgenommen würden, stießen sie
bald gegen eine Wand, wegen der Haltung unserer Regierung zu Ost-Jerusalem und
den Grenzen.
Was bleibt also? Ein
Interim-Abkommen auf immer!
(Aus dem Englischen: Ellen
Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)