Israel Palästina Nahost Konflikt Infos
Uri
Avnery, 20.Juni 2015
ES WAR
einmal ein junger Mann, der eine welterschütternde Erfindung gemacht hat: ein
Flugzeug, das mit Wasser flog.
Nicht
mehr mit Benzin. Keine Verschmutzung. Keine astronomischen Preise. Fülle die
Tanks nur mit Wasser und es fliegt bis ans Ende der Welt.
„Wunderbar!“ riefen die Leute aus.
„Zeige uns die Pläne!“ „Pläne?“
sagte der Mann. Ich habe die tolle Idee gehabt. Ich überlasse es den
Ingenieuren, dies mit den
technischen Details auszuarbeiten.“
Die
Erfinder der Ein-Staat-Lösung erinnern mich an dieses Genie. Sie haben eine
wunderbare Idee. Aber es bleiben einige Fragen offen.
DIE
ERSTE FRAGE: Wie kann dies erreicht
werden? Die offensichtliche Antwort
heißt: durch Krieg.
Die
arabische Welt wird ihre Armeen mobilisieren. Israel wird erobert werden. Die
Sieger werden ihren Willen durchsetzen.
Dies
könnte innerhalb weniger Generationen möglich sein. Ich bezweifle es. In einer
Welt von Nuklearwaffen enden Kriege mit gegenseitiger Vernichtung.
Und wenn
nicht Krieg, dann „Druck von außen“.
Auch
dies bezweifle ich. Die internationale Boykottbewegung wird auf ihre Weise
ziemlich wirksam. Aber dies ist weit, weit davon entfernt, Israelis dazu zu
bringen, etwas zu tun, das gegen jede Faser ihres Seins geht: ihren Staat
aufzugeben. Dasselbe gilt für politischen Druck. Es kann Israel verletzen oder
auch isolieren – obwohl ich nicht glaube, dass dies in dieser oder der nächsten
Generation möglich sein würde – aber auch dies wird nicht genug sein, Israel auf
seine Knie zu zwingen.
Die
Mehrheit in Israel überzeugen? Man muss der israelischen Realität gegenüber
schon sehr fremd sein, um zu glauben, dass dies in voraussehbarer Zukunft
geschehen kann. Seit mehr als 130 Jahren ist jetzt das Wesentliche der
zionistischen und israelischen Raison
d’etre israelische (oder „jüdische“) Staatlichkeit gewesen. Viele Menschen
sind schon deswegen gestorben. Jedes Kind in Israel wird vom Kindergarten an
indoktriniert, durch die Schule und die Armee, um den Staat als höchstes aller
Ideale zu sehen. Dass es dies freiwillig aufgibt?
Unwahrscheinlich.
Aber um
der Argumente willen lasst uns vermuten, dass auf die eine oder andere Weise die
Ein-Staat-Lösung möglich wird. Vielleicht durch
göttliche Intervention.
Wie
würde das funktionieren?
In
Dutzenden meiner Debatten mit Anhängern des
einen-Staates aller Arten habe ich niemals, nicht ein einziges Mal auf
diese simple Frage eine Antwort bekommen, Nicht eine. Wie der Erfinder des mit
wasserbetriebenen Flugzeugs. Sie überlassen dies den Ingenieuren. Lasst uns
versuchen!
WIE WIRD
der Staat genannt werden? Auch keine leichte Frage.
Der selige Muammar Gaddafi schlug
„Isratin“ vor (Warum nicht Palestrael“?) Ich könnte an „Heiliges Land“ denken, „
Der Staat von Jerusalem“ oder andere Namen. Vielleicht „Der Vereinigte Staat von
Israel und Palästina“ (Nennen wir es VSIP).
Verschiedene Flaggen und Nationalhymnen sind schon vorgeschlagen worden – einige
davon wirklich originell. Wird
irgendjemand für sie sein Leben opfern?
Aber
auch dies ist nicht das wirkliche Problem. Wenn wir uns den Realitäten des
Staates nähern, werden sich die Fragen vervielfachen.
Wie wird
der Staat auf tag-täglicher Basis funktionieren?
Wie
schwierig das sein mag, kann durch eine einfache
historische Tatsache
illustriert werden: seit dem 2. Weltkrieg gibt es kein einziges Beispiel von
zwei Staaten oder zwei Völkern, die freiwillig zusammen einen Staat bilden. Aber
es gibt genügend Beispiele von
multinationalen Staaten, die auseinander gefallen sind.
Beginnen
wir mit der Sowjetunion, einer mächtigen Weltmacht. Dann Jugoslawien , dann
Serbien, die Tschechoslowakei, der Sudan.
Andere
Länder drohen auseinander zu
brechen. Wer hätte je gedacht, dass das
ehrwürdige Vereinigte britische Königreich einmal nicht vereinigt sein
könnte? die Schotten, die Katalonier, die Basken, die Quebecker, die
Ost-Ukrainer warten in einer Reihe. Nur die Schweiz, historisch seit Hunderten
von Jahren vereinigt, scheint immun zu sein. Auch Bosnien und Herzegovina.
Sei es,
wie es ist; schauen wir uns die Sache näher an!
DER
STAAT muss eine
vereinigte Armee haben. Wie wird sie funktionieren? Werden Juden und
Araber in derselben Truppe dienen? Oder wird es getrennte Bataillone geben,
getrennte Brigaden oder getrennte Divisionen? Wenn
es Unruhe in jüdischen
Nachbarschaften gibt, werden jüdische Einheiten Befehlen gegen ihre Brüder
gehorchen? In einem Krieg gegen einen arabischen Staat – wie wird eine arabische
Einheit agieren?
Wird der
Stabschef ein Jude oder ein Araber sein? Vielleicht abwechselnd? Und der
Generalstab – halbe-halbe?
Das ist
noch einfach - verglichen mit der
Polizei. Werden Juden und Araber Seite an Seite dienen, wie sie es während des
britischen Mandats taten, als praktisch alle lokalen Polizisten zu geheimen
nationalistischen Organisationen gehörten?
Wie
untersucht diese Polizeikraft nationalistische Verbrechen? Wer wird der
Generalinspektor sein?
Dann
gibt es da noch die Frage der Steuern. Wie es jetzt aussieht, ist das
durchschnittliche Einkommen der Juden in Israel 25 mal höher als das der Araber
im besetzten Palästina. Nein, das
ist kein Tippfehler. nicht 25% höher. 25 mal höher.
Werden
sie dieselben Steuern zahlen? Sehr bald würden sich jüdische Bürger beschweren,
dass sie für die ganze Fürsorge und Bildung der palästinensischen Bürger zahlen.
Schwierigkeiten.
DANN
GIBT es da noch die Probleme der politischen Strukturen.
Natürlich wird es allgemeine und
freie Wahlen geben. Wie werden die Bürger wählen – nach ihren Klasseninteressen
oder nach ethnischen Linien?
Die
Erfahrung in vielen Ländern zeigen an, dass die nationale Identität den Vorrang
nehmen wird. Im heutigen Israel ist dies die Regel. Während des britischen
Mandats gab es nur eine einzige gemeinsame jüdisch-arabische Partei: die Moskau
treue kommunistische. Am Vorabend
des Krieges von 1948 teilte sie sich
in Juden und Araber. Im neuen Staat Israel vereinigte sie sich wieder
(wie von Moskau befohlen wurde), um sich dann wieder zu teilen. Nun ist es
praktisch eine arabische Partei mit ein paar jüdischen Mitläufern.
1984
beteiligte ich mich an der Gründung einer neuen Partei, der Progressiven Liste
für Frieden, die sich auf strenge Parität gründete: unsere Knesset Liste war
arabisch, jüdisch, arabisch,
jüdisch bis 120.
In zwei
auf einander folgenden Wahlkampagnen
kamen wir in die Knesset. Es geschah eine seltsame Sache: all unsere
Wähler waren Araber. Die Partei verschwand.
Ich habe
den starken Verdacht, dass bei VSIP
das Gleiche geschehen wird. Im Parlament werden sich zwei Blöcke gegenüberstehen
und ein Klima ständiger gegenseitiger Feindseligkeit schaffen. Es wird
außerordentlich schwierig sein, eine arbeitende Regierungskoalition zu bilden,
die aus Elementen beider Seiten zusammengesetzt ist. Man schaue sich nur Belgien
an, ein anderer problematischer, bi-nationaler Staat.
Einige
Anhänger des einen Staates geben zu, dass das
Projekt nur durchführbar ist, wenn beide Völker ihre Grundhaltung
vollkommen ändern und ein Geist
gegenseitiger Sympathie und Respekt den gegenwärtigen nationalistischen Hass und
Verachtung ersetzt.
Vor etwa
50 Jahren hatte ich ein Gespräch mit dem damaligen indischen
Botschafter in Paris Kavalam Madhava Panikkar, einem sehr geachteten
Staatsmann und Gelehrten. Wir sprachen natürlich über den
israelisch-palästinensischen Frieden, und er sagte: „Das wird
51 Jahre dauern!“
Warum
genau 51 Jahre, fragte ich überrascht. „Weil wir
eine neue Generation von Lehrern brauchen“, sagte er. „Das wird 25 Jahre
dauern. Diese neuen Lehrer werden
eine neue Generation von Schülern erziehen. Das dauert weitere 25 Jahre. Und um
Frieden zu machen, braucht es ein weiteres Jahr.“
Nun, 51
Jahre sind vergangen, und Frieden ist
weiter weg als damals. Ehestifter pflegen zu sagen: Sie lieben sich noch nicht,
aber wenn sie erst mal verheiratet sind und Kinder haben, werden sie einander
lieben.
Vielleicht. Wie lange wird es dauern? Einhundert Jahre? Zweihundert Jahre. Lange
vorher werden wir alle gestorben sein
Das
Hauptargument gegen die Ein-Staat-Lösung ist, es wird bald ein Schlachtfeld
eines ewigen Konfliktes sein wie der Libanon. Dort gibt es nicht einen Tag eines
internen Friedens.
Die
größte Gefahr ist: dass diesen Staat -mit
wachsender arabischer Mehrheit - wohl-habende und gebildete jüdische Bürger,
langsam das Land verlassen werden (wie
es jetzt schon einige tun). Am Ende werden nur die Armen und Ungebildeten
zurückbleiben – eine kleine jüdische Gemeinde, wie in andern arabischen Staaten.
Ich habe
einen heimlichen Verdacht, dass einige der arabischen Anhänger des einen Staates
die Idee allein aus diesem Grund begrüßen: um Israel ein Ende zu setzen.
Israelische Juden und palästinensische Araber sind zwei der nationalistischsten
Nationen auf der Welt. Man muss ein extremer Optimist sein – noch extremer als
ich – um zu glauben, dass dies funktionieren könnte.
Ehrliches Eingeständnis: Ich glaubte einst an die Ein-Staat-Lösung, lange bevor
dieser Terminus erfunden war. Als
ich 1945 gerade 22 Jahre alt war, gründete ich eine Gruppe, die sich dem
Gedanken widmete, dass die neue hebräische Nation in Palästina und die arabische
Nation in Palästina beide durch gemeinsame Liebe ans Land gebunden, eine
gemeinsame Nation werden und in einem gemeinsamen Staat leben könnten.
Unsere
Ideologie verursachte einen Aufschrei in der zionistischen Gemeinschaft im Land.
Wir wurden allgemein verurteilt. Aber während des Krieges von 1948, als ich in
unmittelbaren Kontakt mit der palästinensischen Realität kam, gab ich diese
wunderbare Idee für immer auf, und von 1949
war ich einer der Schöpfer
des Konzeptes der Zwei-Staaten-Lösung.
Ich habe
einen großen Respekt vor den Anhängern der Ein-Staat-Lösung. Ihre Motive sind
bewundernswert. Ihre Vision hochfliegend. Aber es hat keine Verbindung zur
Realität.
ICH
WÜRDE gerne für mich einen Punkt ganz klar machen:
die Zwei-Staaten-Lösung ist kein Rezept für
Trennung und Scheidung, sondern im Gegenteil, eine Art Hochzeit.
Vom
ersten Tag an
- vor 66 Jahren - als wir eine winzige
Gruppe waren, hielten wir das Banner der Zwei-Staaten-Lösung hoch. Für uns war
klar, dass die zwei Staaten, in einem so kleinen Land so eng bei einander in
naher Kooperation leben müssen. Die Grenzen müssen für Menschen und Waren offen
sein, die Wirtschaft eng mit einander verknüpft. Eine Art Föderation ist
unvermeidbar. Die Haltung wird sich langsam auf beiden Seiten ändern.
Verbindungen werden geknüpft. Freundschaften werden
gegründet. Geschäfts-interessen werden die Leute überzeugen. Die Leute
werden zusammen arbeiten und einander respektieren. Wie die Araber sagen:
Inshallah!
Wenn ich
gefragt werden würde, ob dies die beste Lösung sei, lautet meine Antwort: „Es
ist die einzige Lösung.“
(Aus dem
Englischen: Ellen Rohlfs, von Verfasser autorisiert)