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Ohne Furcht,
Ohne Bevorzugung
11.11.13
Am letzten
Montag hat mir die Tel Aviver
Journalisten-Vereinigung den Preis
für meine Lebensarbeit verliehen. Die Feier fand in Eilat vor
einem
Zuhörerkreis
von fast 1000 Journalisten statt.
Hier folgt meine Dankesrede.
Rede des Preisträgers: Ohne Furcht, Ohne Bevorzugung
Die Worte
„Lifetime achievement“ haben einen gewissen Unterton. Es ist ein Wink
dafür, die Arbeit sei beendet.
Mit ist
gerade erzählt worden, dass der 90Jährige Shimon Peres, der drei Wochen älter
ist als ich, verkündet hat, er sei
dabei, eine neue politische Karriere zu beginnen. Wenn er es kann, warum nicht
ich?
Vor 10 Jahren
waren Sie so freundlich, mir den Sokolov-Preis für ausgezeichnete Journalistik
zu verleihen. Bei jener Gelegenheit bemerkte ich,
Ihr hättet meine Prahlerei verdorben: dass ich nämlich mehrere Preise im
Ausland bekommen habe, aber nie einen Preis in Israel. Nun habt Ihr es doch
getan.
Als erstes
möchte ich Yossi Bar-Mocha, dem Vorsitzenden dieser eindrucksvollen Konferenz,
danken und Shalom Kital, der diesen Preis initiiert hat. Ich möchte auch
meiner verstorbenen Frau Rachel danken, die großen Anteil an meiner
Lebensarbeit hatte.
ZEHN
JAHRE lang war ich beides:
Mitglied der Knesset und
Herausgeber des Nachrichtenmagazins
Haolam Hazeh. Zu jener Zeit wurde ich oft gefragt, welcher der beiden Jobs
wichtiger sei. Ich antwortete immer, ohne zu zögern: der journalistische Job.
Der Journalist führt eine bedeutendere Aufgabe aus, und die hat größere Wirkung.
Dies ist auch jetzt meine Ansicht.
Eine kurze
Publizitätspause: In ein oder zwei Monaten kommt die erste Hälfte meiner
Memoiren heraus. Noch habe ich keinen Titel. Wenn jemand von Euch eine Idee hat,
gebt sie bitte meinem Lektor Rami Tal, der heute auch hier ist.
NUN ZUR
Sache:
Kurz nach dem
1948er-Krieg übernahm eine Gruppe von Ex-Frontsoldaten das Magazin Haolam Hazeh
in Besitz.
Sie wollten
gleichzeitig zwei Revolutionen damit durchführen: eine politische und eine
journalistische.
In der
politischen Arena wiesen wir das Regime von David Ben-Gurion in unsern neuen
Staat komplett zurück. Nicht nur
auf einem Gebiet, sondern auf allen Gebieten. Wir wiesen sein ganzes Modell
zurück. Wir wollten ein anderes Modell.
Wir wiesen
seine Definition von Israel als einem “jüdischen Staat“ zurück. Wir wollten
einen israelischen Staat. Einen Staat, der im Lande verwurzelt war. Ein Staat,
der seinen Bürgern gehört.
Wir wiesen
Ben-Gurions Haltung gegenüber der arabischen Welt zurück. Wir sagten, dass eine
palästinensische Nation existiert, mit der wir Frieden machen müssten, und
dass ein Staat Palästina
entstehen müsse. Heutzutage nennt man dies die „ Zwei-Staatenlösung“.
Wir wiesen
seine soziale Agenda zurück. Wir wollten eine Politik der Gleichheit, der
sozialen Gerechtigkeit und der Solidarität.
Wir wiesen
die Rolle zurück, die er der Religion im Staat einräumte. Wir wollten eine
vollständige Trennung von Staat und Religion.
Wir wiesen
die geringschätzige und
diskriminierende Haltung gegenüber
neuen jüdischen Einwanderern aus islamischen Ländern zurück.
Wir wiesen
die rassistische Haltung gegenüber der arabischen Minderheit
im Staat ab. Und so weiter.
Alle diese
Meinungen waren reine Ketzerei, in totaler Opposition
zum herrschenden nationalen Konsens.
DIES SCHUF
ein Problem.
Da gibt es
Massenzeitungen in der Welt. Aber sie sind immer superpatriotische,
supernationalistische Zeitungen, die dem nationalen Konsens schmeicheln und mit
dem Strom schwimmen.
Es gibt
Zeitungen in der Welt, die gegen den Konsens
kämpfen und gegen den Strom schwimmen. Aber sie sind immer Randzeitungen,
klein und marginal.
Aber wir
wollten ein Magazin schaffen, das gegen den nationalen Konsens kämpfte und auch
die Massen erreichte, um Einfluss auf ihr Bewusstsein zu haben.
Unsere Lösung
war eine Art Doppelzeitung. Es gab
kein anderes Magazin in der Welt wie dieses. Ein Teil des Magazins war todernst,
und drückte Ansichten aus, die vollkommen non-konformistisch waren. Der andere
Teil war viel leichter und widmete sich sozialem Trend, Tratsch und Damen. die
nicht ganz bekleidet waren.
Zur gleichen
Zeit schufen wir eine journalistische Revolution. Als wir 1950 auf der
Bildfläche erschienen, war die israelische Presse unglaublich langweilig. Fast
all die vielen Zeitungen gehörten politischen Parteien. Die Seiten waren voll
mit langen Artikeln im altmodischen Stil geschrieben, und die leeren Stellen
zwischen ihnen waren mit
uninteressanten Fotos ausgefüllt. Wenn man heute eine dieser Zeitungen ansieht,
will man seinen Augen nicht trauen.
Wir wollten
unsere Medien aus der Welt der Pravda und Izvestia
treiben und in die Welt der New York Times versetzen. Die Pravda
verkörperte das Prinzip, dass der Öffentlichkeit nur Dinge erzählt werden
sollten, die gut für sie sind. Die New York Times versprach, alle Nachrichten zu
veröffentlichen, die sich fürs Drucken
eignen
Um die
Aufgabe zu erfüllen, die wir uns vorgenommen hatten, erfanden wir eine neue
hebräische journalistische Sprache, die Sprache, die ihr jetzt alle benützt. Ein
bekannter Schriftsteller beschrieb sie einst als „mager und muskulär“.
Wir schufen eine neue Art von Pressefotografie. Wir schufen eine neue Art von
Schlagzeilen – provokativ und sensationell.
Jetzt haben
die gesamten israelischen Medien
den Stil von Haolam Hazeh übernommen.
ICH MÖCHTE
eine Frage stellen: Warum seid Ihr Journalisten? Nicht wegen des Geldes. Da gibt
es besser bezahlte Berufe. Nicht um der Ehre willen. Wir werden bei jeder
Gelegenheit diffamiert.
Der wahre
Journalist ist eine Person, die süchtig nach ihrer Aufgabe ist, eine Person, die
engagiert ist, eine neugierige
Person, eine Person, die die Frage nach der Wahrheit in ihren Knochen hat.
Für uns gibt
es kein Leben ohne Demokratie. Dort herrscht keine Demokratie, wo es keine
freie, aggressive Presse gibt, die
gründlich untersucht und aufdeckt. Wie sollte der Bürger ohne sie wissen, wen
und wofür er wählt?
Thomas
Jefferson, einer der Gründungsväter der USA, sagte vor mehr als zweihundert
Jahren, dass, wenn er zu wählen hätte zwischen einer Regierung ohne Presse und
einer Presse ohne Regierung, er
eine Presse ohne Regierung wählen würde.
IN DIESER
Konferenz klagten viele Redner über den Zustand der Medien und bezweifelten ihr
Überleben. Sie sahen eine dunkle Zukunft vor ihr oder gar keine.
Ich bin kein
Partner dieser Klagen. Ich glaube, dass die Medien immer überleben werden. Ohne
sie, weh, dem Land!
Ich hoffe,
dass wir alle unseren Auftrag erfüllen und zwar im Geist des Slogans, den wir in
Haolam Hazeh vor etwa 63 Jahren annahmen: ohne Furcht
ohne Bevorzugung!
(dt. Ellen
Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)