Israel Palästina Nahost Konflikt Infos
Uri
Avnery, 30. Mai 2015
EIN
FRÜHERER Kabinettsminister, eine (trotz allem) intelligente Person, fragte mich
eines Tages: „Nehmen wir an, dass unser
Plan verwirklicht werde: Ein palästinensischer Staat wird Seite an Seite mit
Israel entstehen. Ja, sogar eine Art Föderation. Dann wird in ein paar Jahren
eine gewalttätige anti-israelische Partei dort an
die Macht kommen und alle Verträge zu Nichte machen. Was dann?
Meine
einfache Antwort war: „Israel wird immer mächtig genug sein, um jede Bedrohung
zu verhindern“.
Das ist
wahr, aber das ist nicht die richtige Antwort. Die reale Antwort liegt in den
Lektionen der Geschichte.
DIE
GESCHICHTE zeigt uns, dass es
(mindestens) zwei Arten von Friedensabkommen gibt. Die eine Art, die törichte,
gründet sich auf Macht. Die andere, die intelligente, gründet sich auf
gegenseitiges Interesse. Das-berüchtigste Beispiel für die erste Art: der
Versailles Vertrag, der dem 1. Weltkrieg folgte.
Er wurde
vier Jahre vor meiner Geburt
unterzeichnet – aber als Kind war ich ein Augenzeuge seiner Folgen.
Es war
ein „diktierter“ Friede. Nach vier Jahren Kampf mit Millionen von Opfern
wünschten die Sieger, den Besiegten ein Maximum an Schaden zuzufügen.
Große
Teile Deutschlands wurden vom Vaterland abgetrennt und den Siegern im Osten und
Westen zugesprochen. Riesige Entschädigungssummen wurden
Deutschland auferlegt, das schon vom Krieg total erschöpft war.
Am
schlimmsten von allem war vielleicht der Absatz mit der „Kriegsschuld. Die
Ursprünge des Krieges waren mannigfaltig und kompliziert. Ein serbischer Patriot
tötete den österreichischen Thronfolger. Österreich antwortete mit einem
harschen Ultimatum. Das russische Zarenreich, das sich selbst als der Protektor
aller Slaven sah, erklärte eine allgemeine Mobilmachung, um die Österreicher
abzuschrecken. Die Russen waren mit den Franzosen verbündet. Um eine gemeinsame
Invasion von beiden Seiten zu verhindern, fielen die Deutschen mit den
Österreichern, die mit den Franzosen verbündet waren, in Frankreich ein. Die
Idee war, die Franzosen zu schlagen, bevor die schwerfällige russische
Mobilisierung vollendet war. Großbritannien, das einen deutschen Sieg fürchtete,
eilte den Franzosen zu Hilfe.
Kompliziert? Tatsächlich. Aber die Sieger zwangen die Deutschen, einen Vertrag
zu unterzeichnen, der sie als das einzige Volk für den Ausbruch des Krieges
verantwortlich machte.
ALS ICH
in Deutschland zur Schule ging, hing vor meinen Augen eine Landkarte
Deutschlands. Sie zeigte die gegenwärtigen Grenzen des Reichs, (wie es damals
genannt wurde) und drum herum eine
rote Linie, die die Grenzen vor dem Krieg zeigte.
Diese
Landkarte hing in jeder Klasse in jeder Schule in Deutschland. Von frühester
Kindheit an wurde jeder deutsche Junge und jedes Mädel täglich an die große
Ungerechtigkeit die dem Vaterland zugefügt wurde, erinnert, als große Stücke
Land von ihm genommen wurden.
Noch
schlimmer, jedes deutsche Kind wurde gelehrt, dass sein Vater vier ganze Jahre
tapfer gegen einen weit überlegenen Feind gekämpft hatte und nur wegen reiner
Erschöpfung aufgegeben hatte. Deutschland hatte nur eine kleinere Rolle bei den
Ereignissen gespielt, die zum Krieg führten, doch die ganze Schande des Krieges
wurde auf dieses gelegt. So waren es dann auch die „Reparationen“, die
Deutschlands Wirtschaft ruinierten.
Die
Demütigung der Unterzeichnung eines solch ungerechten Vertrages wurde ein
permanenter Stachel und zum Schlachtenruf
von Adolf Hitlers neuer National-sozialistischen Partei. Die
deutschen Politiker, die das Dokument
unterzeichneten, wurden ermordet.
Die
Geschichte hat den Führern der siegreichen Verbündeten, die
diese Bedingungen diktierten, der
Dummheit bezichtigt, besonders nachdem der weitsichtige amerikanische Präsident
Woodrow Wilson davor gewarnt hatte.
Vielleicht hatten sie keine andere Wahl. Der schreckliche Krieg hatte so
intensiven Hass ausgebrütet und die Menschen waren so rachedurstig. Sie zahlten
teuer dafür, als Deutschland unter Hitlers Führung
den 2. Weltkrieg anfing.
DAS
GEGENTEILIGE Beispiel wurde mit dem Frieden von Wien 1815( wie ihre Nachfolger),
fast hundert Jahre früher gelegt.
Napoleons Truppen hatten große Teile Europas überrannt. Anders als
Hitlers Deutschland, brachte Napoleons
Frankreich eine zivilisierte Botschaft mit sich, (seine Truppen begingen
natürlich auch Brutalitäten). Als
Frankreich erschöpft war und zusammenbrach, hätten die siegreichen Verbündeten
ihm leicht dieselben strafenden und demütigenden Verträge auferlegen können, wie
seine Nachfolger ein Jahrhundert später. Sie taten es nicht.
Statt
Frankreich wie einen besiegten Feind zu behandeln, luden sie es an den Tisch
ein. Napoleons Ex-Außenminister Charles-Maurice de Talleyrand war als einer der
Führer, das zukünftige Europa mitzugestalten, willkommen.
Der
führende Geist des Wiener Kongresses war Clemens von Metternich, kompetent der
von dem britischen Lord Castlereagh
unterstützt wurde. Frankreich war es erlaubt, sich in kurzer Zeit zu erholen.
Einer
der großen Bewunderer von Metternich und seinen Kollegen ist Henry Kissinger.
Leider tat er das Gegenteil von dem, als er später selbst US-Außenminister
wurde.
Das
„Konzert der Nationen“, vom Wiener Frieden geschaffen, schuf ein solides System,
das Europa – mit ein paar Ausnahmen (den französisch-preußischen Krieg von 1870)
- - fast hundert Jahre
in Frieden hielt. Der Geist seiner Gründer scheint heute wie ein Beispiel
von Weisheit.
DER 2.
WELTKRIEG, der schrecklichste von allen, hätte mit einem 2. Versailler Vertrag
enden können; tat es aber nicht.
Nach
Deutschlands bedingungsloser Kapitulation,
wurde überhaupt kein Friedensvertrag unterzeichnet. Deutschland wurde geteilt.
Nach all den schrecklichen Grausamkeiten
der Nazis war kein großzügiger Friedensvertrag möglich. Deutschland wurde
geteilt; aber anstelle von riesigen Entschädigungssummen – empfing es –
unglaublich große Summen Geldes von
den Siegern; so konnte es sich in kurzer Zeit wieder aufbauen. Es verlor eine
Menge Land, aber nur wenige Jahrzehnte später wurde Deutschland eine führende
Macht in einem vereinten Europa. Ein größerer Krieg ist jetzt in Europa
undenkbar.
Winston
Churchill und seine Partner hatten offensichtlich die Lektion von Versailles
gelernt. Sie widerlegten das populäre Sprichwort: keiner lernt aus der
Geschichte.
Selbst
der neue Staat Israel benahm sich sehr weise - soweit es Deutschland betrifft.
Die Kamine von Auschwitz hatten kaum zu rauchen
aufgehört, als unter der Führung von David Ben Gurion mit Deutschland ein
Vertrag geschlossen wurde. Schade, dass Ben Gurion mit der arabischen Welt nicht
dieselbe Weisheit zeigte..
Dann kam
es zum Moment von Oslo, als alles möglich gewesen wär. Martin Buber sagte einmal
zu mir: „Es gibt einen richtigen Augenblick, einen historischen Akt zu tun – der
Moment, bevor er falsch ist. In dem Moment danach ist er falsch Aber für
einen Moment ist er richtig.“
Leider erkannte Yitzhak Rabin ihn nicht. Ich zweifle, dass er viel
Weltgeschichte kannte.
WAS IST
die Lektion? Kissinger schrieb
davon in seinen Büchern, bevor er ein Kriegsverbrecher ( in Vietnam und
Südamerika) wurde.
Die
Lektion ist: Frieden wird nur dann halten, wenn alle Seiten davon profitieren.
Frieden wird nicht halten, wenn eine wichtige Seite draußen
gelassen wird.
Im
Moment des Sieges glaubt der Sieger, dass seine Macht ewig ist. Er kann seine
Verträge dem Feind diktieren und ihn demütigen. Aber die Geschichte zeigt, dass
die Macht sich ändert, die starke von heute wird eines Tages schwach. Die
Schwache wird stark und wird sich eines Tages rächen.
Das ist
die Lektion, die Israel in sich aufnehmen sollte. Heute sind wir stark und die
arabische Welt liegt im Chaos. Es wird nicht immer so bleiben.
Ein
Friedensvertrag mit Palästina und der arabischen Welt
wird halten, falls er weise
und großzügig ist. Weise genug, dass das palästinensische Volk oder wenigstens
ein großer Teil davon, zu der Schussfolgerung kommen wird, dass es sich lohnt
und ehrenhaft ist, ihn zu halten.
Es ist
immer gut, eine starke Armee zu haben. Für alle Fälle. Aber die Geschichte
zeigt, dass es weder an starken Armeen noch an der Fülle von Waffen liegt, die
den Frieden garantieren. Es ist der gute Wille auf beíden Seiten, der sich auf
das Interesse beider Seiten gründet.
Und die
Weisheit der Politiker -
tatsächlich, eine seltene Gabe.
(aus dem
Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)