Israel Palästina Nahost Konflikt Infos
Uri
Avnery, 25. April 2015
ES
IST ein ziemlich ekelhaftes Spektakel.
Die
israelische Rechte hat einen riesigen Wahlsieg gewonnen (Bei näherer Prüfung war
der Sieg nicht ganz so riesig. Tatsächlich war es überhaupt kein Sieg. Der
riesige Sieg des Likud wurde nur auf Kosten anderer rechter Parteien errungen.)
Der
Rechte-Block zusammen ist überhaupt nicht vorangekommen. Um eine
Mehrheitskoalition zu bilden, ist die Partei von Moshe Kahlon nötig; die
Mehrheit seiner Wähler sind mehr links als rechts. Kahlon hätte leicht überzeugt
werden können, sich einer linken Koalition anzuschließen, wenn der Führer der
Labor-Partei, JItzhak Herzog eine resolutere Persönlichkeit gewesen wäre.
Sei es,
wie es sei, Benjamin Netanjahu ist jetzt eifrig dabei, seine Regierung zu
bilden.
Hier ist
es, wo der Ekel beginnt.
EIN
KAMPF geht weiter. Ein Kampf aller gegen alle. Ein Kampf ohne Regeln oder
Grenzen.
Jeder
will Minister werden. Jeder in Likud und den anderen voraussichtlichen
Koalitions-Parteien. Politiker in Hülle und Fülle.
Und
nicht nur ein Minister. Die Ministerien sind nicht gleich. Einige sind
angesehener andere weniger angesehene. Man kann das besonders wichtige
Finanzministerium (das Kahlon schon für sich gesichert hat) nicht mit dem
Umweltministerium vergleichen, das von allen und jedem verachtet wird. Noch das
Bildungsministerium mit seinen Tausenden von Beschäftigten (Lehrern u.ä.) oder
das Ministerium für Gesundheit (mit seinen vielen Ärzten, Krankenpflegern und
anderen), mit dem Sportministerium (das kaum Angestellte hat).
Es gibt
mehrere Klassen von Ministerien. An der Spitze stehen die drei Großen – das
Verteidigungs-, das Finanz- und das Ministerium für Auswärtiges. Das
Verteidigungsministerium wird gewöhnlich bewundert („unsere tapferen Soldaten“)
und erhält einen riesigen Anteil des Staatsbudgets. Jedermann und seine Frau
(wie wir im hebräischen Slang sagen)wünscht, Verteidigungsminister zu werden.
Die
Beamten des Verteidigungsministeriums verachten die des Außenamtes – und so tut
es das ganze Land. Die Cocktail-Schlürfenden sind keine wirklichen Männer (noch
wirkliche Frauen). Doch der Posten des Außenministers ist heiß umworben. Er
(oder sie) reist die ganze Zeit herum und vertritt den Staat, wird mit den
Größen der Welt fotografiert. Und last not least:
ein Außenminister kann keine Fehler
machen. Wenn Beziehungen mit dem Ausland falsch laufen, klagt keiner den
Außenminister an. Wenn überhaupt, dann ist es der Ministerpräsident, der
angeklagt wird.
AM
MORGEN einer Wahl, wenn der Schlachtenstaub sich geklärt hat, werfen Dutzende
von Politikern ihre Augen auf die paar Ministerien.
Jeder
der führenden Kandidaten der voraussichtlichen Koalitionsparteien beginnt,
sehnsuchtsvolle Blicke auf die noch leeren Ministersessel zu werfen. Auf einen
der großen Drei? Wenn nicht auf einen der wünschenswerten mittleren Ministerien?
Wenn nicht wenigstens auf einen der kleinen? Oder wenigstens vertretender
Minister. Das Wasser läuft ihm im
Munde.
Das
Problem ist: das israelische Gesetz bestimmt, dass die Regierung nur aus 18
Ministerien bestehen darf. Keine „Minister ohne Portefeuille“. Die Zahl der
vertretenden Minister ist auch streng begrenzt.
Wer
würde solch ein stupides Gesetz verabschieden? Ich denke, es war Yair Lapid, der
in einem Moment der Anmaßung veranlasste, das Gesetz zu verabschieden. Es ist
natürlich weitgehend populär. Es spart Geld. Jeder Minister, selbst ohne
Portefeuille, ist berechtigt, eine geringe Anzahl von Mitarbeitern, ein Büro,
einen Dienstwagen mit Chauffeur zu haben. Verglichen mit dem Preis eines
einzelnen Kampfflugzeuges, ist das nichts. Aber für die Allgemeinheit ist es ein
Symbol der Verschwendung. Also
haben wir dieses Gesetz.
Wie
bringt man 40 ehrgeizige Politiker in 18 Ministerien unter?
Es geht nicht. Entweder man verändert das Gesetz - wie jetzt viele
verlangen – oder man weist sehr viele verärgerte Politiker ab - auf eigenes
Risiko.
Man kann
einige von ihnen mit kleineren Posten beruhigen, als Vorsitzende/r eines
Knesset-Komitees oder als Botschafter. Es ist allerdings nicht dasselbe.
ALL DIES
ist menschlich, all zu menschlich. Politiker sind Menschen. Wenigstens die
meisten.
Warum
bin ich also so angewidert?
Vielleicht sollte ich dies erklären.
In
mittelalterlichen Zeiten, als eine Armee,
hauptsächlich aus Söldnern bestehend, eine Stadt eroberte, plünderte sie
diese. Die Bürger wurden getötet, Frauen vergewaltigt, aber vor allem wurde
Besitz gestohlen. In einer modernen, demokratischen Gesellschaft sollten
Politiker nicht dasselbe dem Land antun, das sie gewählt hat.
Ein
Regierungsministerium ist keine Beute. Stimmt, in den US gab es eine Redensart:
„Dem Sieger, die Beute“, und von der Siegerpartei wurde erwartet, dass sie alle
Regierungsjobs im Land an ihre Strohmänner verteilt. Aber das war vor langer
Zeit – im letzten Jahrhundert.
Ein
Minister wird beauftragt, einen bestimmten Teil der Regierungsfunktionen zu
übernehmen. Er oder sie macht bedeutende
Entscheidungen, die das Leben der Bürger beeinflusst. Die Öffentlichkeit hat das
Recht, zu erwarten, dass alle Regierungsstellen und -Dienste auf die
bestmögliche Weise von den qualifiziertesten Leuten durchgeführt werden.
Warum
sollte also ein Ministerium – sagen wir das Umweltministerium – von einem
politischen Dummkopf geführt werden, der keine Idee von dem hat, was
ihm oder ihr anvertraut wird?
Oder noch schlimmer, von einem politischen Schmock, dem alles schnuppe
ist, der nur die Zeit ohne eklatantes Missgeschick verbringen will, bis ein
besseres Ministerium in seine/ihre Hände fällt.
Aber die
Umwelt ist eine sehr wichtige Sache. In ihr geht es um das Leben der Menschen.
Gerade jetzt ist ganz Israel empört über den Verdacht, dass die großen
chemischen Fabriken in der wunderschönen Bucht von Haifa für die vielen
Krebsfälle unter den dort heimischen Kindern verantwortlich sind. Und der
Minister? Ich weiß nicht einmal, wer dies ist.
ICH
ERINNERE mich an ein krasses Beispiel.
Als
1990, Ehud Barak, der Führer der Labor-Partei, einen überwältigenden Wahlsieg
über Benjamin Netanjahu errungen hatte, und er seine Ministerliste
veröffentlichte, war es ein Schock.
Was wie
ein sadistischer Streich aussah: Barack ernannte all die falschen Leute für die
falschen Jobs. Der freundliche Professor für Geschichte Shlomo Ben Ami wurde
Minister der Polizei, wo er elendiglich scheiterte. Yossi Beilin, der sich als
bedeutender Staatsmann betrachtete, wurde ins Justizministerium geschickt, usw.
Nun mag
etwas Ähnliches geschehen. Likuds Moshe Yaalon, gewöhnlich als „Bock“ angesehen
wird im Amt bleiben. Keine regierende Partei wird jemals das
Verteidigungsministerium aufgeben.
Die Wahl
von Kahlon als Finanzminister könnte vernünftig sein – aber dies wird Netanjahu
aufgenötigt, da er ohne Kahlon keine Regierung hat.
Avigdor
Lieberman scheint ein „Kushan“ auf das Außenministerium zu haben, (ein Kusham
war ein Zertifikat für Besitz in den guten alten Tagen des Ottomanischen
Reiches) Nachdem er von seinen Wählern bei der Wahl vernichtend geschlagen wurde
(seine Partei verlor die meisten ihrer Sitze) bestand Netanjahu darauf, dass er
in seinem Job bleibt, in dem er eine Katastrophe war. Viele Außenminister in
aller Welt weigern sich, ihn zu treffen, indem sie ihn als Beinah-Faschisten
ansehen. Er war stolz auf seine Freundschaft mit Vladimir Putin, aber jetzt, wo
Russland versprach, seine unübertroffenen Boden-Luft- Raketen an den Iran zu
liefern, setzte dies Netanjahus Träumen, Irans nukleare Orte zu bombardieren,
ein Ende.
Dies
lässt für Naftali Bennet, den extrem-rechten „natürlichen Verbündeten“ von
Netanjahu, nichts übrig, und in diesem Moment sind die Koalitions-Erbauer eifrig
dabei, das Wirtschaftsministerium zu erweitern, um ihn damit zu trösten. Mehrere
Funktionen müssen zusammengescharrt werden,
egal, ob dies nützlich ist oder nicht.
Ist das
gut? Eine effiziente Regierung? Nun …
DIE
WURZEL der Malaise ist die Verbindung von zwei sehr verschiedenen Talenten in
unserm demokratischen System – und nicht
nur in unserem.
In
diesem System werden Politiker Minister. Das scheint ganz natürlich. Tatsächlich
ist es das nicht.
Politiker sind angeblich hoch motiviert, hoch intelligent, hoch begabte
Verwalter. Tatsächlich sind sie es nicht.
Im
Gegensatz zur landläufigen Weisheit ist Politik ein Beruf. Man sagt, es sei ein
Beruf für jene, die keine Talente haben. Aber das stimmt nicht ganz. Politiker
benötigen bestimmte Begabungen, aber diese haben nichts mit denen zu tun, die
von einem Abteilungsleiter verlangt werden.
Ein
Politiker muss in der Lage sein, jahrelang sich endlos leere Reden von
Partei-Schreiberlingen anzuhören, an endlos langen Zusammenkünften teilzunehmen,
Mitglied endloser Komitees zu sein. Er muss bereit sein, Leuten zu schmeicheln,
die er verachtet, an Hochzeiten und Beerdigungen teilzunehmen und bei all diesen
Ereignissen totlangweilige Reden zu halten.
Danach,
wenn er die Spitze erreicht hat, wird er auf einmal aufgefordert, das
Gesundheitsministerium zu leiten – ohne irgendwelche Qualifikation auf diesem
Gebiet. Hier ist es, wo der sprichwörtliche Hund begraben liegt.
In
Großbritannien hat man eine Lösung gefunden: Das Ministerium wird tatsächlich
von Berufsbeamten geführt. Der
Minister, der oft ein Objekt stiller
Belustigung ist, hat nur mit dem Beschaffen der Geldmittel zu tun. Man sehe sich
nur die lustige TV-Serie „Ja, Minister!“ an.
Ein ganz
anderes System herrscht in den US. Die Menschen wählen einen Präsidenten, und er
allein ernennt die Minister, die häufig überhaupt keine Politiker sind. So kann
er Experten mit erwiesenen Fähigkeiten ernennen.
In
Israel kombinieren wir das schlechteste aller Systeme. Alle Minister sind
Partei-Politiker. Sie bringen ihre Strohmänner mit, die die Hauptpositionen in
den Ministerien besetzen.
Eine
Folge dieses Systems ist, dass verschiedene Ministerien verschiedenen Parteien
angehören. Das macht ein gemeinsames Planen fast unmöglich – abgesehen von der
Tatsache, dass Israelis im Allgemeinen nicht in der Lage sind, etwas zu planen.
Tatsächlich sind wir sehr stolz auf unsere Fähigkeit zu „improvisieren“.
Als er
noch Minister für Landwirtschaft
war, erzählte mir Ariel Sharon einmal: „ Wenn ich wünsche, etwas zu tun, für das
ich nur mein eigenes Ministerium benötige, kann ich es tun.
Wenn ich etwas tun will, das die Zusammenarbeit mehrerer Ministerien
braucht, kann ich es nicht tun.“
WENN MAN
einen Sack mit Katzen füllt, wird man wegen Tierquälerei angeklagt.
Aber was
ist das, verglichen mit 18 Ministerien voller Politiker?
(dt.
Ellen Rohlfs, vom Verfasser
autorisiert)