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Kerry und Chutzpa

Uri Avnery,
29.6.13

 

WENN MAN zufällig am Ben Gurion-Flughafen auf John Kerry trifft, mag man sich fragen, ob er kommt oder geht. Er fragt sich das vielleicht selbst.

Seit vielen Wochen hat er jetzt die meiste seiner kostbaren Zeit für Treffen mit Benjamin Netanyahu und Mahmoud Abbas verbracht, indem er versuchte, die beiden zusammen zu bringen.

Man braucht  mit dem Wagen etwa eine halbe Stunde, um vom Office des Ministerpräsidenten in Jerusalem zur Mukata’ah des palästinensischen Präsidenten in Ramallah zu kommen. Aber die beiden sind von einander weiter entfernt als die Erde vom Mars.

Kerry hat es auf sich genommen, die beiden zu einander zu bringen – vielleicht irgendwo im Weltraum. Auf dem Mond zum Beispiel.

 

ZU EINANDER KOMMERN aber wofür?

 Da liegt der Hase im Pfeffer. Das Ziel scheint, ein Treffen um des Treffens willen zu sein

Wir haben diese Prozedur seit vielen Jahren beobachtet. Auf einander folgende amerikanische Präsidenten haben es unternommen, die beiden Seiten  bei uns zu einander zu bringen. Es ist ein amerikanischer Glaube, der in angelsächsischer Tradition wurzelt, dass, wenn zwei vernünftige, anständige Leute zusammenkommen und ihre Differenzen ausräumen, die Sache in Ordnung kommen werde. Es ist fast automatisch: treffen – reden – übereinstimmen.

Leider funktioniert es bei Konflikten zwischen Nationen nicht ganz auf diese Weise; bei Konflikten, die oft tiefe historische Wurzeln haben können. Bei Treffen zwischen Führern solcher Nationen wünschen sie oft nur, alte Anklagen gegen einander zu schleudern, mit dem Ziel, die Welt davon zu überzeugen, dass die andere Seite verkommen und verachtenswert ist.

Jede Seite oder beide mögen daran interessiert sein, die Treffen für immer hinauszuzögern. Die Welt sieht, wie sich die Führer treffen, der Vermittler und die Fotografen hart arbeiten und jeder spricht endlos über den Frieden, Frieden, Frieden.

Ich erinnere mich an einen skandinavischen Gentleman mit Namen Gunnar Jarring. Erinnert man sich an ihn? Nein?  Man mache sich keine Vorwürfe. Man kann ihn getrost vergessen. Ein wohl meinender schwedischer Diplomat (und Türkologe), der von den UN in den frühen 70er-Jahren gebeten wurde, die Ägypter und die Israelis zu einander zu bringen, um  zwischen ihnen ein Friedensabkommen zu erreichen.

Jarring nahm seine historische Mission sehr ernst. Er reiste unermüdlich zwischen Kairo und Jerusalem hin und her. Sein Name wurde in Israel ein Witz- und in Ägypten wahrscheinlich auch.

Die damaligen Protagonisten waren Anwar Sadat und Golda Meir. Wie wir damals berichteten, gab Sadat Jarring eine bedeutsame Erklärung mit: wenn er die ganze Sinai-Halbinsel zurückbekäme, die Israel 1967 erober hat, sei er bereit, Frieden zu machen. Golda wies den Vorschlag sofort zurück. Da gab es natürlich kein Treffen.

(Ein volkstümlicher Witz dieser Zeit war: Golda und Sadat standen sich am Suezkanal gegenüber: Golda schrie: „Make Love – not War!“ Sadat schaute durch sein Fernglas auf sie und antwortete: „Better war!“)

Jeder weiß, wie dieses Kapitel endete. Nachdem Golda alles zurückgewiesen hatte, griff Sadat an , gewann  anfänglich einen Überraschungssieg – und die ganze politische Welt geriet in Bewegung, Golda wurde abgesetzt, und nach vier Jahren  Yitzhak Rabin kam Menachem Begin zur Macht und stimmte Sadats Friedensvorschlag zu, den er vor dem Krieg gemacht hat. Die 1000 israelischen Soldaten und unzählige Ägypter, die in diesem Krieg starben, sahen ihn nicht.

Übrigens Jarring starb 2002, unbesungen und vergessen.

 

KERRY IST nicht Jarring. Zunächst, weil er keine machtlose internationale Organisation vertritt, sondern die einzige Superweltmacht. Die volle Macht der Vereinigten Staaten von Amerika steht ihm zur Verfügung.

Oder  doch nicht?

Das ist die wirklich relevanteste – tatsächlich, die einzig relevante  - Frage in diesem Augenblick.

Er benötigt eine Menge, um seinen Herzenswunsch zu erfüllen: das Treffen – nicht nur das Treffen, sondern DAS TREFFEN – zwischen Netanjahu und Abbas.

Das sieht wie eine einfache Aufgabe aus, Netanjahu erklärt mit seiner gewöhnlichen Aufrichtigkeit dass er ihn zu treffen wünsche. Ja, dass er begierig sei, ihn zu treffen. Mit dem  glänzenden Charme eines erfahrenen TV-Moderators, der die Macht der Bilder kennt, hat er vorgeschlagen, auf halbem Weg zwischen Jerusalem und Ramallah (beim berüchtigten Kalandia-Checkpoint), ein Zelt aufzuschlagen und sich  dort mit Abbas und Kerry zusammen zu setzen, bis ein vollständiges Abkommen über alle Punkte des Konfliktes erreicht sei.

Wer kann einem so großzügigen Angebot widerstehen? Warum – zum Kuckuck - springt Abbas nicht auf und greift mit beiden Händen nach diesem Angebot?

Aus einem sehr einfachen Grund.

Allein der Anfang neuer Verhandlungen wäre ein politischer Triumpf für Netanjahu. Tatsächlich ist es das, was er wirklich wünscht – die Zeremonie, den Bombast, das Händeschütteln der Führer, das Lächeln, die Reden voller Wohlwollen und natürlich Gerede über Frieden.

Und dann? Nichts. Verhandlungen, die endlos weitergehen, Monate, Jahre, Jahrzehnte. Wir haben dies alles  schon gesehen. Yitzhak Shamir, einer von Netanjahus Vorgängern, prahlte damit,  er würde Verhandlungen auf immer hinauszögern.

Der Profit wäre für Netanjahu klar und unmittelbar. Er würde als der Mann des Friedens angesehen werden.  Die gegenwärtige Regierung, die rechteste und nationalistischste, die Israel jemals gekannt hat, wäre rehabilitiert. Die Menschen in aller Welt, die einen Boykott Israels auf allen Gebieten predigen, würden beschämt und entwaffnet sein. Die zunehmende  Besorgnis in Jerusalem über die „Delegitimierung“ und „Isolierung“ Israels würde erleichtert werden.

Was würde die palästinensische Seite davon haben? Nichts. Kein Stopp des Siedlungsbaus. Nicht einmal die Entlassung der alten Gefangenen, die seit mehr als 20 Jahren im Gefängnis schmachten. (Wie jene, die bei der Rückkehr von Gilat Shalit an die Hamas entlassen wurden. Sorry, keine Vorbedingungen!)

Abbas verlangt, dass das Ziel der Verhandlungen im Voraus ausgesprochen wird: die Errichtung des Staates Palästina mit Grenzen, die sich auf die von vor 1967 gründen. Das Fehlen dieses Statements aus den Oslo-Verträgen von 1993 führte schließlich zu ihrem Scheitern. Warum den Fehler zweimal machen?

 Abbas wünscht außerdem ein Zeitlimit für die Verhandlungen. Etwa ein Jahr.

Natürlich verweigert Netanjahu  dies. Im Augenblick versucht der arme Kerry, etwas zusammen zu basteln, das den Wolf befriedigen würde, während er das Lamm am Leben hält. Gäbe man  z.B. Abbas amerikanische Zusicherungen ohne Israels Zusicherung.

 

BEI ALL diesem Gezänk wird eine Grundtatsache ignoriert

Es ist wieder der Elefant. Der Elefant im Zimmer, dessen Existenz Netanjahu leugnet und den Kerry zu ignorieren versucht.

Die Besatzung.

Man nimmt gewöhnlich an, dass die Verhandlungen zwischen Gleichen stattfindet. Auf allen Karikaturen  erscheinen Netanjahu und Abbas gleich groß. Das amerikanische Bild von zwei vernünftigen Leuten, die mit einander reden, setzen zwei mehr oder weniger gleiche Partner voraus.

Aber das ganze Bild ist grundsätzlich falsch. Die vorgeschlagenen „Verhandlungen“ sind zwischen einer allmächtigen Besatzungsmacht und einem fast völlig machtlosen, besetzten Volk. Zwischen  Wolf und Lamm.

(Noch einmal einen alten israelischen Scherz: Kann man einen Wolf und ein Lamm zusammen halten?  Natürlich kann man das; wenn man täglich ein neues Lamm dazugibt.)

 Die israelische Armee operiert frei in der ganzen Westbank, einschließlich Ramallahs. Falls Netanjahu entscheidet, könnte sich Abbas morgen in einem israelischen Gefängnis wiederfinden, zusammen mit den alten Leuten, die Netanjahu sich weigert, frei zu lassen.

Weniger drastisch: die israelische Regierung kann jeden Moment – je nach Wunsch – mit dem Transfer großer Summen Zollgeldes, die es zu Gunsten der palästinensischen Behörde einsammelt, stoppen, wie sie es schon mehrfach getan hat. Dies bringt die PA  automatisch an den Rand des Bankrotts.

Da gibt es Hunderte Möglichkeiten, eine raffinierter als die andere, mit denen die Besatzungs-behörden und die Besatzungsarmee das Leben für den einzelnen Palästinenser und seine Gemeinschaft als Ganzes unerträglich machen kann.

Was können die Palästinenser tun, um Druck auf die israelische Regierung auszuüben? Sehr wenig.

Es gibt die Drohung einer dritten Intifada. Dies beunruhigt die Armee, aber jagt ihr keine Angst ein. Die Antwort wird mehr Unterdrückung und Blutvergießen sein. Oder eine andere Resolution der UN-Vollversammlung, die Palästina in den Rang eines vollen Mitgliedes der Weltorganisation bringen würde. Netanjahu würde wütend sein, aber der tatsächliche Schaden wäre begrenzt.

 

JEDER DRUCK, um wirkungsvolle Verhandlungen zu beginnen, die  - sagen wir mal – in einem Jahr zu einem Friedensabkommen führen würde, muss vom Präsidenten der Vereinigten Staaten Amerikas kommen.

Das ist so offensichtlich, dass es kaum noch erwähnt werden muss.

Dies ist der springende Punkt.

Kerry kann Geld, sogar eine Menge Geld mit sich bringen, um die Palästinenser zu bestechen oder verheerende Drohungen in ihre Ohren flüstern, um sie dahin zu bringen, sich mit Netanjahu in seinem imaginären Zelt zu treffen. Aber das ist fast bedeutungslos.

Die einzige Chance, wirkliche Verhandlungen zu beginnen, bedeutet für Barack Obama, sein ganzes Gewicht in die Bemühungen zu legen, dem Kongress und der äußerst mächtigen Pro-Israel-Lobby entgegen zu treten und beiden Seiten den amerikanischen Friedensplan zu diktieren. Wir wissen alle, wie er aussehen muss – eine Kombination von (Bill) Clintons Entwurf und der panarabischen Friedensinitiative.

Wenn John Kerry nicht in der Lage ist, diesen Druck auszuüben, dann sollte er es nicht einmal versuchen. In gewissem Sinn ist es wirklich eine Zumutung, hierher zu kommen und  Dinge in Bewegung setzen, wenn er keine Mittel hat, eine Lösung zu erzwingen. Das ist fast eine Unverschämtheit.

Oder, wie man im Hebräischen sagt: eine Chuzpa.

(Aus dem Englischen: Ellen Rohlfs, vom Verfasser autorisiert)